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Ausgabe:

Januar/2001

Spalte:

61–63

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Brent, Allen

Titel/Untertitel:

The Imperial Cult and the Development of Church Order. Concepts and Images of Authority in Paganism and Early Christianity before the Age of Cyprian.

Verlag:

Leiden-Boston-Köln: Brill 1999. XXII, 369 S., 25 Taf. gr.8 = Supplements to Vigiliae Christianae, 45. Lw. hfl 211.56. ISBN 90-04-11420-3.

Rezensent:

Hans-Josef Klauck

In der Forschung wurde längere Zeit hindurch dem römischen Kaiserkult religiöse und theologische Bedeutung weithin abgesprochen. Er galt nur als konventionelle Floskel und politische Geste ohne inneren Gehalt. Wie so oft, wenn ein herrschendes Paradigma in Frage gestellt wird, schlägt das Pendel neuerdings wieder nach der anderen Seite aus. So beginnt der Althistoriker Manfred Clauss seine umfangreiche Studie (597 S.) zum Kaiserkult im Westen mit den programmatischen Worten: "Der römische Kaiser war Gottheit. Er war dies von Anfang an, seit Caesar und Augustus, er war es zu Lebzeiten, er war es auch im Westen des römischen Reiches, in Italien, in Rom."1 Aber die komplexen Definitionsprobleme lassen sich nicht einfach im Handstreich lösen. De facto arbeitet Clauss teils mit einem äquivoken, teils mit einem univoken Gottesbegriff und schafft keine zusätzliche Klarheit.

Einen Vorstoß gegen die eingangs skizzierte Meinung unternimmt auch Allen Brent in seiner hier anzuzeigenden Arbeit. Schon in der Einleitung definiert er den Kaiserkult "as a means of celebrating imperial unity in a way that was religious and even sacramental" (XX), und wenig später hören wir: der Kult "became the sacrament that constituted that society" (9; vgl. 24-26; 67: "sacramental character ... systematic theology of the Imperial Cult"). Ein solcher Einsatz christlich gefärbten Vokabulars hat seine Gefahren. Es geht dabei nicht um eine apologetische Absicherung christlicher Werte, vielmehr läuft der Forscher auf diese Weise Gefahr, das fremde religiöse Phänomen, das er beschreiben will, von vornherein aus christlicher Perspektive wahrzunehmen und so zu überfremden. Im Fall der antiken Mysterienkulte hat gerade die althistorische und religionsgeschichtliche Forschung dieses Vorgehen mit Recht kritisiert, und wir haben uns soeben erst mühevoll an ein genaueres Hinsehen gewöhnt. In dem "neuen Blick" auf den Kaiserkult kann ich deswegen nicht unbedingt einen Fortschritt erkennen, und ich halte an seiner neutraleren Beschreibung als "institutional metaphor"2 fest.

Das eigentliche Ziel von B. ist aber noch einmal ein anderes: Er möchte zeigen, dass die Selbstorganisation und die Entwicklung einer inneren Ordnung einschließlich der Ämter in der frühen Kirche in Interaktion mit dem Kaiserkult geschah und auch im Widerspruch von ihm beeinflusst wurde. Dafür zieht er als theoretische Grundierung aus der Soziologie die "contra-cultural theory" heran, die er am Beispiel von heutigen Jugendgangs mit ihrem delinquenten Verhalten entwickelt (11-13).

Sein Vorhaben führt B. in acht Kapiteln durch, wobei der Weg sozusagen kreisförmig von Cyprian und Kaiser Decius im 1. Kap. (1-16) zu Callistus und Elagabal im 8. Kap. (310-330) verläuft. Das 2. Kap. (17-72) widmet sich den historischen Grundlagen des Kaiserkults. Im 3. Kap. (73-139) bespricht B. das lukanische Doppelwerk, im 4. Kap. (140-163) den ersten Clemensbrief und im 5. Kap. (164-209) die Johannesoffenbarung. Einen besonderen Stellenwert hat für die Gesamtthese das 6. Kap. (210-250) zu Ignatius von Antiochien, weil sich bei ihm nach B. der Übergang von der Auseinandersetzung mit der Bilderwelt der imperialen Mythologie in der Johannesoffenbarung zu tatsächlichen Amtsstrukturen beobachten lasse (vgl. z. B. 211: Ignatius verstand sein Martyrium als "an imperial cultic procession, with the roles of the Christian clerics who accompany him described by ambassadorial titles"). Man wird es um so mehr bedauern, dass er mit großer Selbstverständlichkeit bei der traditionellen Frühdatierung bleibt und sich auf die Diskussion um einen Spätansatz - dann als pseudepigraphes Schrifttum3 - gar nicht erst einlässt. Das 7. Kap. (251-309) geht noch auf den paganen und christlichen Monarchianismus im 2. und 3. Jh. ein. Den Abschluss bilden eine Bibliographie, die trotz ihres Umfangs (331-343) sehr selektiv ausfällt, was bei aller Gelehrsamkeit auch für die Berücksichtigung der Sekundärliteratur in den Anmerkungen gilt, und ausführliche Indices zu Stellen und zu griechischen Vokabeln (345-369). Daran schließt sich der Tafelteil mit gut ausgewählten Abbildungen an. Die Zahl der Druckfehler (z. B. S. XIX, Z. 7: "Geste"; S. 36, Z. 13: "virtues"; S. 96, Z. 4: hypsistu S. 112, Z. 27: soteria; S. 271, Z. 7: "Tyana") hält sich in engen Grenzen.

Gehen wir noch ein wenig näher auf die beiden Kapitel zum lukanischen Doppelwerk und zur Johannesoffenbarung ein. Darin, dass die implizite Polemik gegen die augusteische Herrschaftsideologie in Lk 1-2 eine größere Rolle spielt als meist angenommen, stimme ich mit B. völlig überein.4 Ob man das aber wirklich auch auf das Räucherwerk in Lk 1,8-11 ausdehnen soll, wie B. es tut (88-90)? Die hier schon auftretende Frage, wie sich alttestamentlich-jüdisches Erbe und die vermuteten Anspielungen auf den Kaiserkult, die nach B. für Theophilos und seinen Zirkel erkennbar gewesen seien, zieht sich weiter durch die - nicht immer ganz leicht zu verfolgende - Argumentation hindurch. Das "angenehme Jahr des Herrn" in Lk 4,18 bringt B. nicht nur mit dem Jobeljahr zusammen, sondern auch mit dem saeculum aureum (91 f.). Extensiv wird dazu die Kaiserinschrift aus Priene herangezogen, aber nicht auf Grundlage der besten Textausgabe durch U. Laffi.5 Dass für die Geburt des göttlichen Kindes aus einer Jungfrau die vierte Ekloge Vergils mit zu berücksichtigen ist, wird man nicht bestreiten, auch wenn dieser Text seine eigenen großen Interpretationsprobleme aufweist. Dass von einer Polis gesagt werden kann, sie sei evangelisthe, sobald der Kaiserkult in ihr Fuß gefasst hat (105 mit Anm. 60), ist eine interessante kleine Entdeckung. In der captatio benevolentiae der Rede, die Tertullus vor Felix hält (Apg 24,1-9), klingt in der Tat die Gedankenwelt der Kaiserinschrift aus Priene an (113). B. geht auch auf den Tod von (Herodes) Agrippa I. in Apg 12,20-23 ein (122-124), erkennt aber erstaunlicherweise nicht die Bedeutung der "göttlichen Stimme", deren Erwähnung meines Erachtens nur als Anspielung auf und als Kritik an Nero, dem Künstler und Sänger auf dem Kaiserthron, wirklich verständlich wird.6 Schwierig wird es, wenn B. den Kreis der zwölf Apostel bei Lukas als Gegenentwurf zu den römischen Arvalbrüdern plausibel machen will. Auch wenn dieses Kollegium aus zwölf Fratres Arvales bestand, sich bei Ausfall eines Mitglieds selbst ergänzte und seit Augustus hauptsächlich mit der zeremoniellen Begehung des Kaiserkults beauftragt war, wirkt die Parallele weit hergeholt. Mit dieser These wird B. kaum Gefolgschaft finden.

Für sein Verständnis der Johannesoffenbarung braucht B. unbedingt die Christenverfolgung unter Domitian, von der sich die Forschung inzwischen mehrheitlich verabschiedet hat. Immerhin gesteht er zu: "persecution resulted not from general imperial decrees but from the social isolation that resulted initially from non-participation in the Imperial Cult, and from suspicion leading to accusation of superstitio" (144), was sich schon ein wenig anders anhört. Im Einzelnen wertet B. Offb 6,6 wieder historisch aus und bringt die Stelle mit Domitians Edikt bezüglich der Weinberge in Verbindung (165 f.). Für das Kind und seine Mutter in Offb 12,1-6 rekurriert B. auf Domitians Frau Domitia und ihren gemeinsamen Sohn, der 83 n. Chr. im Alter von zehn Jahren starb (166-168). Eindrücklich ist das beigefügte Münzbild, das den Sohn als "baby Iupiter" auf einer Weltkugel, umgeben von sieben Sternen, zeigt (pl. 23). Die Verheißungen aus den sieben Sendschreiben in Offb 2-3 vergleicht B. sodann mit Institutionen und Ritualen aus dem Kaiserkult (178-190), nicht ohne Erfolg, und weitet dieses Verfahren schließlich auch auf den visionären Hauptteil Offb 4-19 aus. Zustimmung und Widerspruch halten sich hier beim Rez. in etwa die Waage.

Wir müssen, nicht zuletzt aus Raumgründen, an der Stelle abbrechen. Insgesamt gesehen hat B. zweifellos eine anregende, in manchem erfrischende Studie vorgelegt, die aber in ihrer Hauptthese dennoch nicht recht zu überzeugen vermag.

Fussnoten:

1) M. Clauss, Kaiser und Gott. Herrscherkult im römischen Reich. Stuttgart-Leipzig 1999, 17.

2) Vgl. H. J. Klauck, The Religious Context of Early Christianity. A Guide to Graeco-Roman Religions (The New Testament and Its World). Edinburgh 2000, 325.

3) Vgl. R. M. Hübner, Thesen zur Echtheit und Datierung der sieben Briefe des Ignatius von Antiochien, in: Zeitschrift für Antikes Christentum 1, 1997, 44-72.

4) Vgl. H. J. Klauck, Göttlicher Kaiser und menschlicher Gott. Ein vernachlässigter Aspekt der Weihnachtsbotschaft, in: Ders., Vom Zauber des Anfangs. Biblische Besinnungen. Werl 1999, 8-16.

5) S. dazu C. Ettl, Der "Anfang der ... Evangelien". Die Kalenderinschrift von Priene und ihre Relevanz für die Geschichte des Begriffs evangelion, in S. H. Brandenburger/T. Hieke [Hrsg.], Wenn drei das gleiche sagen - Studien zu den ersten drei Evangelien (Theologie 14), Münster 1998, 121-151.

6) Vgl. H. J. Klauck, Magic and Paganism in Early Christianity: The World of the Acts of the Apostles. Edinburgh 2000, 43 f.