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Ausgabe:

Januar/2001

Spalte:

58–60

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Stenschke, Christoph W.

Titel/Untertitel:

Luke's Portrait of Gentiles Prior to Their Coming to Faith.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 1999. XX, 458 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe, 108. Kart. DM 128,-. ISBN 3-16-147139-3.

Rezensent:

Klaus-Michael Bull

Der Vf. legt mit der hier anzuzeigenden Untersuchung die überarbeitete Fassung seiner Aberdeener Dissertation von 1997 vor. Es handelt sich um den Versuch, auf der Basis des gesamten relevanten Materials aus Lk und Apg ein umfassendes Bild der lukanischen Sicht auf die Heiden zu entwerfen, um auf diese Weise einen Beitrag zur Anthropologie des auctor ad theophilum zu leisten (52). Auch wenn man dem Vf. in manchen Details nicht folgen wird - bei der Fülle der analysierten Texte kaum verwunderlich - kann dieses Unternehmen als in wesentlichen Zügen gelungen betrachtet werden.

Nach einer kurzen Einleitung bietet der Vf. einen Survey of research, der vor allem zeigt, dass die lukanische Anthropologie außer in der großen Studie von J.-W. Taeger (Der Mensch und sein Heil: Studien zum Bild des Menschen und zur Sicht der Bekehrung bei Lukas, Gütersloh 1982) kaum je als eigenes Thema in den Blick genommen worden ist. "It has hardly been studied comprehensively for its own sake and been assessed on its own terms. Comparison with Paul or other authors, before ascertaining Luke's contribution on his own terms, is precarious." (50) Zudem herrsche in der Forschung die Tendenz, die Eigenheiten lukanischer Anthropologie einseitig aus der isoliert betrachteten Areopagrede (Apg 17, 22-31) abzuleiten. Schließlich hält der Vf. der bisherigen Forschung mit M. C. Parsons und R. I. Pervo vor, sie habe viel zu wenig "Luke's narrativ presentation of anthropology" beachtet (ebd.). Vielmehr sei mit der von O. Bauernfeind im Blick auf die Theologie des Lukas geäußerten Erkenntnis auch für seine Anthropologie ernst zu machen, dass man "sie aus der Struktur seiner umfassenden Erzählung ablesen" müsse (51). Einem redaktionskritischen Ansatz sei deshalb eine Absage zu erteilen. "We shall approach Luke-Acts as a unity of traditions and redaction." (ebd.)

Dem Vf. ist bewusst, wie schwierig das Unterfangen ist, das lukanische Bild der Heiden nachzuzeichnen. "Luke is not interested in the Gentiles and their religious convictions and practices as such. His emphasis is on the availability of salvation for them (its pre-history, reasons and legitimacy) and once confronted with it, their reaction in acceptance or rejection and the change it evokes within and among them." (ebd.) Man muss die Texte teilweise also gleichsam gegen den Strich lesen. Das ist methodisch nicht ohne Risiko. Für seine Analyse ordnet der Vf. die disparaten Texte nach 3 Kategorien:

Der ersten Kategorie ordnet er Texte zu, die auf die Frage antworten: "What has Luke to say on Gentiles before they encounter salvation or apart from that encounter?" (53) Dazu gehören aus der Sicht des Vf.s so unterschiedliche Texte wie Lk 10,12-14; 12,29 f.; 17,26-29 u. a. Warum allerdings die Samaritaner (Apg 8,9-11; vgl. S. 64-71), Herodes Agrippa (Apg 12,20-23; vgl. S. 71-74) und später dann auch Herodes Antipas (Lk 3, 19f.; 9,7-9; 13,31 f.; 23,7-12; vgl. S. 126-136) mit zu den Heiden gerechnet werden, ist dem Rez. nicht einsichtig geworden. Es ist methodisch zumindest inkonsequent, Leerstellen der lukanischen Erzählung, die keine klare Zuordnung einzelner Personen oder Personengruppen zulassen, mittels anderer Texte (Josephus) erschließen zu wollen, um so mehr Eindeutigkeit zu erlangen. Der Vf. ist für sein Anliegen auf die betreffenden Texte ohnehin nicht angewiesen. Das Ergebnis seiner Analysen ist auch ohne sie eindeutig genug. Heiden werden bei Lukas negativ beschrieben. "The religious practices of Gentiles with their underlying assumptions ... and their lifestyle and behaviour bear witness to their ignorance of God and their lack of revelation ... Gentiles misconceived the nature of God, his worship and their relation to him and the nature of his rule over his world." (98) In deutlicher Anspielung auf und in Auseinandersetzung mit Taeger kommt der Vf. zu dem Zwischenergebnis: "In view of the plight of their [the gentiles KMB] ignorance and various spiritual failures and their response, a solution consisting only of correction would be inadequate. God's direct intervention is required for the salvation of such people." (100)

Unter die zweite Kategorie subsumiert der Vf. alle Texte, die es erlauben "the clues from the Gentile encounter with Jesus and the mission to Gentiles prior to faith" zu untersuchen (53). Wie angesichts des oben beschriebenen Interesses des dritten Evangelisten nicht anders zu erwarten, nimmt der entsprechende Abschnitt den größten Teil der Arbeit ein (103-318). Dabei unterscheidet der Vf. zwischen "instances where Gentiles encountered God's salvation in their contact with John, Jesus and the Christian proclamation through the Gentile mission" und "Luke's statements relating to the salvation of Gentiles" (103).

Am Ende des betreffenden Kapitels konstatiert der Vf. eine Spannung zwischen "statements of the Gentiles' condition" und "narrative" (315). Sind die "statements" kein Bestandteil der narratio? Möglicherweise könnte eine im eigentlichen Sinne narratologische Untersuchung die Erkenntnisse des Vf.s noch vertiefen bzw. partiell auch modifizieren. - Zu den "instances" zählt der Vf. u. a. Lk 7,1-10; 8,26-39; die Passionsgeschichte (Pontius Pilatus!) und Apg 10,1-11,18. Des Weiteren werden die einzelnen Stationen der paulinischen Missionsreisen besprochen, darunter "Paul's ministry in Athens" mit der Areopagrede (203-224). Mit Vehemenz setzt sich der Vf. dafür ein, die Rede konsequent von ihrem narrativen Kontext her zu interpretieren. "Treatment of the speech without examination of its context is illegitimate." (210) Berücksichtigt man diesen, knüpft Paulus in der Rede nicht etwa positiv an heidnische Religiosität an. "The two quotations 'In him we live and move and have our being' and 'For we too are his offspring' aptly summarise the preceding argument that human existence originates from and is dependent upon God. For that reason and to that extent these snippets have their validity. They do not endorse Gentile thought in general because they are surrounded by assertions of Gentile failure to recognise God and to worship adequately the God close to them." (216) Mit dieser Einschätzung hat der Vf. zweifellos recht.

Zu den "statements" zählt vor allem Apg 26,18. Der Vf. sieht seine Ergebnisse durch die Aussagen dieses Verses auf der ganzen Linie bestätigt und kommt zu der Einschätzung: "Gentiles are [in der Darstellung des Lukas KMB] blind, in darkness, under the power of Satan, turned away from God; they have sinned and do not have an inheritance among the sanctified and do not believe; they face condemnation in the eschatological judgement, are devoid of revelation, are part of a world in need of restoration, in enmity towards God and in need of cleansing ... Luke also indicates that divine intervention from without is needed because Gentiles, reflecting their state, had not been or were unable to change their condition themselves." (274) Die Heidenmission ist demzufolge allein Gottes Werk (290 f.; "Grace is involved in the Gentile appropriation of salvation." 299). Buße ist ein "Heilsgut" (297).

Zur dritten Kategorie zählt der Vf. die Texte, in denen Lukas Heidenchristen schildert. Auch aus ihrer Darstellung werden Rückschlüsse auf den Status der Heiden vor ihrer Bekehrung gezogen. Dieser Abschnitt der Untersuchung bietet eine Zusammenstellung wortsemantischer Analysen ekklesiologischer Termini, thematischer Querschnitte (Pneumatologie) und Textanalysen (Apg 20,17-35 u. a.). Mit Recht hebt der Vf. den hohen Stellenwert der Katechese im lukanischen Doppelwerk hervor und sieht in dieser Tatsache mit Schürmann einen Schlüssel für das Selbstverständnis des Evangelisten (343). Im Blick auf die Hauptfragestellung aber ergibt sich wenig Neues. "This ministry [to Gentile Christians KMB] and the pitfalls it adresses and seeks to prevent indicate the extent and intensity with which Gentiles need correction and instruction. The pagan life, so natural and deeply entrenched, is not a preparatio evangelica but determined by notions and values that need to be eradicated." (375)

Das Ergebnis der Untersuchung kann unter zwei Aspekten zusammengefasst werden. Zum einen muss im Hinblick auf die aktuelle Forschung die Charakterisierung der lukanischen Sicht der Heiden von Taeger entsprechend der oben bereits zitierten Zwischenbilanz modifiziert werden. "Gentiles need salvation and correction." (387) Zum anderen sollte die Position des auctor ad theophilum im Chor der neutestamentlichen Schriften noch einmal neu bedacht werden. "From the evidence we surveyed briefly, it would appear that in their portrayal of Gentiles (and Jews) prior to faith Luke-Acts, either in parts or as a whole, contributes a distinct voice, but not that of an outsider." (391)

Die Klammerbemerkung weist auf ein Thema hin, das unterschwellig die gesamte Arbeit begleitet, aber durch die Schlussbemerkungen (391-393) einiges Gewicht gewinnt. Nach Meinung des Vf.s widerlegen die Ergebnisse seiner Untersuchung auch die irrige Meinung, Lukas würde auf Kosten der Juden ein positives Bild der Heiden zeichnen. Vielmehr sei das Judentum bei Lukas die "preparatio evangelica par exellence" (312, vgl. 223). "Luke's sympathetic portrayal of Gentile God-fearers, of their association with Judaism and of their exemplary response to Christianity indicate a positive view of Judaism." (312)

Ein Appendix "The portrayal of Gentiles prior to faith in Luke-Acts and in the pseudo-Philonic sermons De Jona and De Sampsone", eine Bibliographie und Indizes schließen die engagierte Untersuchung ab, die geeigenet ist, manches (Vor-)Urteil über den dritten Evangelisten neu zur Diskussion zu stellen.