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Ausgabe:

Januar/2001

Spalte:

54–56

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Nissen, Johannes, and Sigfred Pedersen [Eds.]

Titel/Untertitel:

New Readings in John. Literary and Theological Perspectives. Essays from the Scandinavian Conference on the Fourth Gospel, Aarhus 1997.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1999. 269 S. gr.8 = Journal for the Study of the New Testament, Suppl. Series 182. Lw. £ 50.-. ISBN 1-85075-974-X.

Rezensent:

Manfred Lang

Der vorzustellende Sammelband enthält zwölf englische Beiträge, die von neun Autoren und einer Autorin verfasst wurden. Die Reihenfolge der Beiträge ist derart gewählt worden, dass ein allgemeiner "Forschungsüberblick" den Sammelband eröffnet (Nielsen, Johannine Research); ihm folgen zwei methodologische Arbeiten von Hallbäck (The Gospel of John as Literature: Literary Readings of the Fourth Gospel) und Kieffer (The Implied Reader in John's Gospel), denen vier Aufsätze zum Problemfeld "Religionsgeschichte und Quellen" angeschlossen sind (Nielsen [Old Testament Imagery in John], Dokka [Irony and Sectarianism in John. Literary and Theological Perspectives], Dunderberg [Johannine Anomalies and the Synoptics], Pilgaard [The Qumran Scrolls and John's Gospel]). Das Feld der exegetischen Einzelprobleme wird mit Olssons Aufsatz (Deus semper maior? On God in the Johannine Writings) eröffnet und umfasst sämtliche übrigen Beiträge (Pedersen [Anti-Judaism in John's Gospel: John 8], Nissen [Community and Ethics in the Gospel of John; sowie Mission in the Fourth Gospel: Historical and Hermeneutical Perspectives], Nielsen [John's Understanding of the Death of Jesus]). Ein Stellen- und Autorenregister schließen den Sammelband ab. Da im Rahmen einer solchen Vorstellung nicht alle Beiträge vorgestellt werden können, ist eine subjektiv zu verantwortende Auswahl vorgenommen worden.

Was tut sich in der Johannesforschung? Dieser Frage geht Helge KjÎr Nielsen nach und stellt klar, dass kein Forschungsbericht im klassischen Sinne intendiert sei. Vielmehr werden die gegenwärtig verwendeten Fragenkataloge benannt: der Einfluss der synchronen Lektüre beispielsweise auf die Verhältnisbestimmung zwischen Johannes und den Synoptikern bzw. Quellenkritik allgemein. Diesbezüglich stellt der Vf. zu Recht fest, dass das Problem keineswegs mittels Wortvergleichs derart angegangen werden kann, als ob man diesen Text verwenden, jenen aber nicht gebrauchen könne. Vielmehr ist der theologische Gehalt im Rahmen der Frage nach der literarischen Abhängigkeit zu ermitteln, ehe annäherungsweise Antworten möglich sind. Auch hinsichtlich der religionsgeschichtlichen Verortung des JohEv kann der Einschätzung des Vf.s zugestimmt werden, im jüdischen, "perhaps more specifically heterodox Jewish" (21) Hintergrund sei das JohEv einzuzeichnen. Der Durchgang durch wichtige johanneische Themen (Christologie, Eschatologie, Abschiedsreden, Kreuzestheologie) bringt begrüßenswerte Einschränkungen. Kritisch ist zu bemerken, dass diese Bewertungen in einem solchen, sehr knappen Artikel bisweilen nicht prägnant genug ausgeführt werden können, so dass die Position des Vf.s an manchen Stellen etwas stark in den Hintergrund rückt.

Im zweiten Beitrag verhandelt Geert Hallbäck die Frage nach dem literarischen Charakter des JohEv. Dabei wird neben der Vorstellung wichtiger moderner Forschungspositionen der Wert des JohEv als Literatur ermittelt. Das konkrete exegetische Ergebnis besteht im Aufweis, dass in der Lazarusgeschichte Jesu Passion und Ostern eng miteinander verknüpft sind. Ob dem jedoch insgesamt eine "unpolemical story" (45) innewohnt, weil es um Offenbarung und nicht um "transformation" (ebd.) geht, scheint bei positivem texttheoretischen Ausgangspunkt fraglich: Der Synagogenausschluss spiegelt sich u. a. in der Auseinandersetzung Jesu mit den Juden wider und ist von daher weniger ein "auxilary programme" (ebd.), sondern vielmehr eine theologisch verarbeitete traumatische Erfahrung.

Ismo Dunderberg analysiert das Verhältnis zwischen JohEv und Synoptikern anhand von Joh 1,19 f.22 f.; 4,43-45; 6,1-15. Seine Ergebnisse werden in einem weiteren Abschnitt mit der sog. Intertextualität konfrontiert. Als Fazit stellt der Vf. fest, dieses Evangelium sei "to some degree dependent on the synoptic Gospels" (123). Methodisch will der Vf. dies dadurch absichern, dass zwischen Quellen (zwischen Autor und Text) und Intertext (zwischen Text und Hörerschaft) unterschieden wird. So ist das AT zwar ein Intertext, die Synoptiker sind jedoch Quellen . Kritisch ist jedoch zu fragen, ob für die Hörerschaft aus texttheoretischer Sicht ein Unterschied zwischen dem AT und den Synoptikern besteht. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal ist die autoritätsgestiftete Formel hina plerote (ferner gegrammenon, kathos gegrammenon, kathos eipen vgl. dazu den Beitrag von K. Nielsen [bes. 69 f.73]), mit der der Autor seiner Hörerschaft die bekannte Relevanz des AT argumentativ vorstellt. Zudem bleibt unklar, warum das AT in seinem literarischen Gehalt nicht als ,Quelle' in altertumswissenschaftlicher Hinsicht gelten kann).1

Kirsten Nielsen interpretiert Joh 15,1-8 vor dem Hintergrund des alttestamentlichen Wein-Motivs (vgl. Jes 5,1-7; Ps 23; Ez 34 u. a.) inklusive der synoptischen Parallelen als ein intertextuelles Spiel. Dabei stellt sie zweierlei fest: 1. Im Motiv der Rebe steckt konstitutiv der Gedanke der lebenslangen Nachfolge; 2. das Hirten-Motiv bringt das Tun ein, das sich in der Lebenshingabe für die Seinen äußert: "The true vine and the good shepherd are both employed to make a crucial statement about Jesus' love for his disciples" (80). Beide alttestamentlichen Bilder erfüllen damit zentrale Aufgaben innerhalb der johanneischen Theologie: Ekklesiologie und Soteriologie werden aufeinander bezogen und "theo-logisch" vom Motiv der Einheit des Vaters mit dem Sohn (Joh 17,26) zusammengehalten.

Insgesamt bietet der Sammelband anregende Einzelbeiträge zu allen Problemfeldern der Johannesexegese, die zu einer kritischen Lektüre einladen und nicht zu einem Gesamtentwurf zu vereinen sind. Dabei ist es begrüßenswert, dass die Herausgeber dazu beigetragen haben, den lebendigen Diskussionsstand innerhalb der Exegese des Johannesevangeliums festzuhalten.

Fussnoten:

1) Vgl. dazu beispielsweise: Erich Beyer, Wörterbuch zur Geschichte, Stuttgart 1974, 430: "[A]lle Texte ..., aus denen Kenntnis der Vergangenheit gewonnen werden kann" (im Anschluss an P. Kirn), werden als Quelle bezeichnet.