Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2001

Spalte:

51–53

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lang, Hartmut G.

Titel/Untertitel:

Christologie und Ostern. Untersuchungen im Grenzgebiet von Exegese und Systematik.

Verlag:

Tübingen-Basel: Francke 1999. X, 462 S. 8 = Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter, 29. DM 136,-. ISBN 3-7720-2821-7.

Rezensent:

Jürgen Becker

Hartmut G. Lang fasst sein Vorhaben eingangs des Vorwortes (VII) in folgender Weise griffig zusammen: "Ostern ist Beginn und Ursprung des christlichen Glaubens - diese These findet sich so nirgends im Neuen Testament und ist gleichwohl zentrale Aussage der modernen Theologie geworden. Wie es dazu kommen konnte, welche Prämissen hier vorausgesetzt werden und warum die Theologie getrost auf diese These verzichten kann, davon handelt diese Untersuchung." Sie ist eine von K. Berger betreute Dissertation, die im Wintersemester 97/98 von der Theologischen Fakultät in Heidelberg angenommen wurde.

Die Arbeit siedelt sich selbst im "Grenzgebiet von Exegese und Systematik" an (so der Untertitel), bleibt jedoch bei theologiegeschichtlichen Analysen sowie hermeneutischen und philosophischen Fragen. Exegese findet jedenfalls nicht statt. Sie ist nach Auffassung des Vf.s durch K. Bergers Gesamtwerk geleistet, wie überhaupt dessen Position in jeder Beziehung im Sinne eines "Berger locutus causa finita" benutzt wird. Nun darf man Schüler eines Lehrers sein. Aber solche schon ideologisch verfestigte und komplette Übernahme einer Position steht dem nicht gut an, der in besonders vehementer und prinzipieller Weise für die Relativität aller Wahrheitsansprüche eintritt.

Der Vf. konzentriert sich zunächst darauf, in den "prototypischen Entwürfe[n] von H. S. Reimarus, D. F. Strauß, R. Bultmann und W. Pannenberg" aufzuzeigen, inwiefern "Ostern im Entdeckungs- und Begründungszusammenhang der Christologie ... so funktionalisiert wird, dass sowohl die Rekonstruktion der Entstehung der Christologie als auch die theologische Begründung christologischer Modelle ohne ein spezifisches Verständnis von Ostern nicht möglich wäre[n]" (11). Der Vf. meint dabei stillschweigend immer schon eine sekundäre Funktionalisierung. Im Übrigen sind die theologiegeschichtlichen Ausführungen dazu (51-230) m. E. der gelungenste und vor allem selbständigste Teil der Arbeit. Man mag dabei zu Bultmann und Pannenberg das eine oder andere Urteil diskutieren, doch bleibt der Eindruck haften, dass der Vf. in theologiegeschichtlicher Aufarbeitung von Problemkonstellationen seine Stärken besitzt.

Allerdings hält sich der Vf. mit seiner Bewertung dieser recht verschiedenen Weisen, Ostern zum Ansatz christologischer Entwürfe zu erheben, nicht zurück. Er lässt vielmehr an der Forschungsgeschichte von Reimarus bis heute nichts Gutes. Was stört ihn an der Option, Ostern sei ein Fundamentaldatum für die Entstehung des christlichen Glaubens und der expliziten Christologie z. B. mit Hoheitstiteln? Ein Anliegen dabei ist es, der Position von Berger Unterstützung zu geben, dass "die Behauptung der Evangelien, bereits zur Zeit Jesu wäre er in christologischer Begrifflichkeit beschrieben worden, nicht falsifiziert werden" könne (381). Darum sei grundsätzlich mit der Möglichkeit zu rechnen, dass christologische Kategorien auch schon zum Wirken Jesu gehörten. Allerdings bleibt es dann bei dieser pauschalen Behauptung. Dass grundsätzliche Möglichkeiten (die in diesem Falle in gewisser Weise auch wohl kaum jemand leugnen würde) noch längst keine begründeten geschichtlichen Wahrheiten sind, darauf wird nicht eingegangen, denn eine differenzierte exegetische Diskussion zu Gunsten der These wird nicht aufgebaut. Ausführungen, die m. E. dem Textbefund doch sehr nahe kommen und die zugleich den systematischen Implikationen von Reimarus und anderen nicht huldigen, wie z. B. die von E. Schweizer (TRE 16, 1987, 670 ff.), H. Merklein (Jesu Botschaft von der Gottesherrschaft, SBS 111, 3. A. 1989, 147ff.), J. Gnilka (Jesus von Nazaret, Sonderausgabe 1993, 251ff.) und M. Karrer (Jesus Christus im Neuen Testament, GNT 1, 1998, 251 ff.) werden ignoriert. Sie sind für den Vf. offenbar im strengen Sinne nicht mehr diskussionswürdig. Man ahnt schon im Voraus warum: K. Berger denkt hier anders.

Wer nun allerdings meint, der Vf. schwenke zu Positionen wie denen von J. Jeremias, L. Goppelt oder P. Stuhlmacher über, wird enttäuscht. Die mit normativem Anspruch vollzogene christologische Auswertung von Ostern wird nicht kritisiert, um nun nur dasselbe mit Jesus von Nazareth tun zu können (vgl. 379 f.382), so dass Jesus als Irdischer bleibender Grund der Wahrheit wird. Vielmehr gilt für den historischen Jesus wie für Ostern wie für alle Glaubens- und Wirklichkeitsverständnisse, dass sie zwar historisch beschreibbar, aber dass sie außerdem gleichrangig und in radikaler Weise relativ sind (371). So wird wissenschaftliche Exegese zur alleinigen Beschreibung von Fremdem und die Applikation des so Erkannten zu einer davon strikt zu trennenden Aufgabe. Sie geschieht in einem "Prozess der kreativen Rekonfiguration der Wahrheit des christlichen Glaubens, die einzig im Lebenszusammenhang der Kirche ... sich erweisen kann" (368, vgl. 377 f.). Ebenso gilt: Ist ohne "die Funktionalisierung Osterns der Hauptanker für eine historische Verortung transhistorischer Wahrheit" (368) entfallen, trifft das auch jeden anderen Versuch, analog zu verfahren.

So landet der Vf. bei einem "radikalen Pluralismus der Wahrheits- und Wirklichkeitsverständnisse" (371): "Paulinische Geistmystik, Aristotelische Metaphysik, polynesische Stammesriten, Newtonsche Mechanik, die Ideologie der Hexenverbrennung, moderne Ufo-Gläubigkeit, Quantenphysik und Rilkesche Poesie" (371) können danach wissenschaftlich nur noch beschreibend wahrgenommen werden. Doch sind hier wirklich alle Katzen grau? Gibt es nicht doch für die wissenschaftliche Vernunft Angemessenheitsdiskussionen? So sicher die wissenschaftliche Vernunft auch geschichtlich geworden ist, kennt sie eine methodisch geleitete Selbstkritik, die sie u. a. auch befähigt, Wirklichkeitsverständnisse kritisch zu vergleichen. Sie kann mit Hilfe aufgearbeiteter Erfahrung Urteile abgeben. Sie wird die Ideologie der Hexenverbrennung oder die Ufo-Gläubigkeit demaskieren. Wissenschaftliche Vernunft ist nicht fähig, Gottesglauben zu begründen, aber sie kann z. B. - ihn vorausgesetzt - mit guten Gründen dem Monotheismus vor einem Polytheismus den Vorzug geben. Wer wissenschaftliche Vernunft im Feld der Geschichte auf beschreibende Tätigkeit beschränkt, klammert sie aus der Diskussion um die Wahrheitsfrage aus und degradiert sie zur positivistisch arbeitenden Archivarin. Sollte das der Weisheit letzter Schluss sein?