Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2001

Spalte:

49–51

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Green, Joel B.

Titel/Untertitel:

The Gospel of Luke.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 1997. XCII, 928 S. gr.8 = The New International Commentary on the New Testament. ISBN 0-8028-2315-7

Rezensent:

Claus-Peter März

Die vorliegende Kommentierung des Lukasevangeliums kann von vornherein besonderes Interesse erwarten: Einerseits erscheint die Auslegung in der bestens ausgewiesenen Reihe "The New International Commentary on the New Testament" und ersetzt dort die gerade auch in methodischer Hinsicht bedeutsame Kommentierung von N. Geldenhuys (1951). Andererseits hat sich Joel B. Green seit längerer Zeit mit profunden Stellungnahmen zur Erzählweise, zum Grundverständnis und zur Theologie des Lukas geäußert. Seine pointierten Orientierungen zur angemessenen Auslegungung biblischer Texte lassen den nun vorliegenden Lukaskommentar geradezu als "Probe" eines mehrfach begründeten hermeneutischen Konzepts erscheinen. Programmatisch stellt G. denn auch bereits zu Beginn der Auslegung fest: "This approach will support an extend examination not only of Luke's literary art, but also his narrative theology ...". (1) Methodisch soll so der unmittelbare Zugang des Lukas zu seinen Lesern sichtbar werden - "without our constructing his work anachronistically as the product of comtemporary concerns." (1) Dabei geht G. mit guten Gründen von der Einheit des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte als "Doppelwerk" aus: "... the Gospel of Luke is incomplete in itself, for it opens up possibilities in the narrative cycle that go unrealized in the Gospel but do materialize in the Act of the Apostels." (10) Die das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte umgreifende narrative Intention des Evangelisten ist für G. schon in Lk 1,1-4 grundgelegt (Lk 1, 1: ÈÁÀÛÈ!)und kommt in der Anlage des zweibändigen Werkes immer wieder zum Ausdruck. Von daher muss die bei der Lektüre des Lukasevangeliums anzuwendende Methode von der Frage nach dem Zusammenhang bestimmt sein (11-20): "For our purpose, it will not do to treat each 'event' or 'pericope' in isolation, as popular Bible reading, lectionary preaching, and tradition- critical scholarship often do." (11) Auch hinsichtlich der Verfasser-Frage bzw. der historischen "Verortung" bleibt G. diesem Konzept treu: "This commentary proceeds under assumption that our ability or inability to identify the author of the Third Gospel is unimportant to its interpretation" (20). Wichtig ist G. dagegen ein anderer Aspekt: "The Purpose and Theology of the Gospel of Luke" (21-25). Für G. ist das lukanische Doppelwerk beherrscht von der Vorstellung der "centrality of God's purpose to bring salvation to all" (21). Diese Vorstellung musste die Christenheit in vielfacher Weise in Auseinandersetzungen und - damit verbunden - auch in innere Verunsicherungen führen. Deshalb sucht der Evangelist durch seine Schrift einerseits die Christen zu stützen, damit sie trotz konkret erfahrener Opposition im öffentlichen Zeugnis, dass Gott sich dieser Welt zugewandt habe, nicht nachlassen. Zugleich aber soll sein Evangelium (zusammen mit der Apostelgeschichte) die Gemeinde auch im unverbrüchlichen Glauben "in God's salvific project" (22) bewahren, weil sie nur so andere dafür begeistern kann.

G. schließt dabei keineswegs die Sinnhaftigkeit des Fragens nach der diachronen Struktur und dem historischen Hintergrund der einzelnen Texte und Zusammenhänge aus, stellt aber für seine Auslegung fest: "Our reading of the Third Gospel is concerned above all with the 'narrative' side of this equation ..." (15). Er wählt diesen Weg, weil einerseits die diachrone Problematik durch die Kommentierungen der letzten Jahrzehnte weithin aufgearbeitet worden ist und deshalb nicht erneut ausgebreitet werden müsse und andererseits eine auf das Lukasevangelium als Erzählung abzielende Kommentierung der Intention des Evangelisten in besonderem Maße entspricht. Dabei sieht er sich von der Erkenntnis bestätigt, dass das Interesse des Lukas primär darauf ausgerichtet ist, narrativ die Bedeutung der Geschichte Jesu herauszustellen, und nicht vornehmlich historisch auf seine Verifikation abzielt. Er schreibt so bewusst einen Kommentar, der nicht auf alle im Zusammenhang mit den Lukastexten aufgeworfenen Fragen eingeht und sich nicht allen in der Forschung erarbeiteten Zugängen verpflichtet weiß, sondern sich bemüht, das dritte Evangelium unter einem zentralen Blickpunkt aufzunehmen und seine Intention vernehmbar zu machen. Der Leser wird dabei ohne Zweifel auf einen interessanten Weg mitgenommen. Er wird auf Zusammenhänge verwiesen, denen er bislang kein allzu großes Gewicht beigemessen hat, wird eindrucksvoll auf die narrative Kraft der Theologie des dritten Evangeliums verwiesen und wird die Kommentierung ohne Zweifel mit großem Gewinn aufnehmen. Er wird freilich möglicherweise aber auch ab und an feststellen, dass auch die gelungene Profilierung eines Kommentars unter einer durchgreifenden Leitlinie ihren Preis hat: den Verzicht auf die Erörterung der synoptischen Verbindungen, die bei nicht wenigen Entscheidungen ungenannt im Hintergrund stehen, bisweilen ein Zurücktreten der Profilierung des Einzeltextes, wie sie G. in seinen Aufsätzen zum Lukasevangelium mit Bravour vorgeführt hat, im Hinblick auf die Gesamtschau. Vielleicht wäre ein wenig "Inkonsequenz" hinsichtlich der klaren methodischen Anlage, die eine sparsame diachrone Akzentuierung zugelassen und vor allem die synoptischen Probleme wenigstens zur Sprache gebracht hätte, letztendlich für die Kommentierung ein Gewinn gewesen.

Dies mindert nicht den Eindruck, dass der von G. vorgelegte Lukaskommentar ohne Zweifel eine wichtige Auslegung des dritten Evangeliums darstellt - sowohl in materialer als auch in formal-methodischer Hinsicht. Er kommt dem angekündigten Programm im Vollsinn des Wortes nach und interpretiert das Lukasevangelium mit Nachdruck aus dem durch die lukanische Erzähllinie vorgegebenen Zusammenhang. Er legt durchaus schlüssig das hermeneutische Potential frei, das eine solche Betrachtungsweise bietet. Die auf den Zusammenhang ausgerichtete Kommentierung vermag in der Tat, bislang vernachlässigte Verbindungslinien, für das Verständnis wichtige Bezugnahmen und thematische Verbindungen in den Blick zu heben und eine in vielerlei Hinsicht differenzierte Gesamtschau des Lukasevangeliums und des lukanischen Doppelwerkes insgesamt zu vermitteln. Der Kommentar markiert eine wichtige Etappe sowohl für die Methodendiskussion im Rahmen der Bibelwissenschaft als auch für die Lukasforschung.