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Ausgabe:

Januar/2001

Spalte:

47–49

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Beckheuer, Burkhard

Titel/Untertitel:

Paulus und Jerusalem. Kollekte und Mission im theologischen Denken des Heidenapostels.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1998. 287 S. 8 = Europäische Hochschulschriften. Reihe XXIII: Theologie, 611. Kart. DM 84,-. ISBN 3-631-32093-0.

Rezensent:

Christfried Böttrich

Seit D. Georgi im Nachwort zur zweiten Auflage seines Buches über die paulinische Kollekte (1994) den Zusammenhang von Geld und Rechtfertigung noch einmal grundsätzlich thematisiert hat, ist die Frage nach der theologischen Relevanz ökonomischer Prozesse mit erneutem Nachdruck in das Blickfeld der Paulusexegese getreten. Die Arbeit des Autors, die 1996/97 als Dissertation bei E. Lohse in Göttingen vorgelegt wurde, geht hier jedoch einen eigenen Weg. Ihr Ziel ist es, die Theologie der pln. Kollektenkonzeption in ihrer geschichtlichen Entwicklung nachzuzeichnen. Zwar werden dabei in Aufnahme der Ansätze von J. Munck und D. Georgi auch die Israelkapitel Röm 9-11 mit einbezogen. Die Konsequenz, dass die Kollekte eine Art "angewandter Form der Rechtfertigungslehre" sei, trägt B. indessen nicht mit. Bewusst bleiben auch sozioökonomische Zusammenhänge unberücksichtigt. Im Mittelpunkt soll vor allem der theologische Sinngehalt der Kollekte stehen.

Nach dem einleitenden Abriss der Forschungsgeschichte, der sich in einen referierenden und einen systematisch wertenden Teil gliedert, wendet sich B. den einschlägigen Texten in fortlaufender Auslegung zu. Ihre Anordnung folgt dabei chronologischen Gesichtspunkten, so wie sie sich aus einer relativen Zuordnung der einzelnen Notizen ergeben, und führt von Gal 2 über die Korintherkorrespondenz bis hin zum Römerbrief. Eine knappe Zusammenfassung bindet dann die Einzelergebnisse am Schluss zusammen: "Paulus hat eine Theologie der Kollekte geschrieben ... die im Werden des Missionsvollzuges entstanden ist" (274 f.). Hinter dieses leitende Interesse an Entwicklungen und Wandlungen treten systematische Versuche einer Gesamtbeurteilung zurück. Selbst dem Abschluss der Kollektenmission im Lichte von Act 21 geht B. dann nicht mehr nach und belässt es bei dem wiederholten Hinweis auf einen "vermutlich negativen Ausgang". Sucht man nach einem gemeinsamen Nenner der verschiedenen Aussagen, dann wäre die Kollekte am ehesten als "Vollzug des Christseins" (z. B. 135) zu begreifen, der in verschiedenen Stadien jeweils neue Akzente erhält.

Die "Synodalvereinbarung" in Gal 2,10 sieht B. frei von allen gesetzlichen Implikationen und betont deren Freiwilligkeit. Allerdings sei sie wohl von beiden Seiten unterschiedlich interpretiert worden. Während die Jerusalemer darin eine obligatorische Auflage in Analogie zur Tempelsteuer sahen, habe sie Paulus als Möglichkeit verstanden, die Gemeinschaft der heidenchristlichen Gemeinden mit Jerusalem zu festigen. Relativ offen bleibt die Bestimmung der "Armen" in Jerusalem: Weder sei dabei allein ein Ehrentitel noch ausschließlich eine soziale Gruppierung im Blick - eher würden die soziologisch Armen von Paulus in einem übergreifenden Sinne theologisch instrumentalisiert (74). Diese Intention wird noch einmal durch das Motiv des "Gedenkens" unterstützt, das B. vor einem weiten heilsgeschichtlichen Horizont interpretiert. Hier findet er bereits Haftpunkte bei Trito-Jesaja, dessen Einfluss auf die pln. Kollektenkonzeption dann vor allem im Zusammenhang des Römerbriefes noch stärker zur Darstellung kommt. Für die Korintherkorrespondenz schließt sich B. der literarkritischen Sicht etwa von H. D. Betz an und betrachtet 2Kor 8 und 9 als selbständige Kollektenbriefe.

In der ersten Notiz von 1Kor 16, 1-4 geht es nicht nur um die technische Seite der Sammlung. Die beiden Begriffe ÏÔÁÂ und ÚÈ verdeutlichen, dass schon hier die Grundlegung jenes Gedankens erfolgt, der dann vor allem 2Kor 8 bestimmt: Die Kollekte erscheint letztlich als ein Geschenk Gottes an die Gemeinden - eine Initiative Gottes, deren Ausführung und Vollendung den Gemeinden anvertraut ist. Die ÚÈ sei somit das Hauptmotiv bzw. der cantus firmus für das Kollektenverständnis gegenüber den Korinthern. Insofern erhält die Freiwilligkeit der Kollekte nun auch eine theologische Fundierung - ebenso wie die ÂÛÙÀ als Zeichen verwirklichter Glaubensgemeinschaft. Dieser Gedanke wird dann im ÂÈÏÔÁ-Motiv als dem Tenor von 2Kor 9 weitergeführt und als ÏÂÈÙÔÚÁ mit einer kultischen Dimension versehen.

Bei der Untersuchung des Römerbriefes erfolgt eine Erweiterung der Textbasis über 15,22-33 hinaus: in 16,21-23 könnten Mitglieder der Kollektendelegation (Act 20,4) genannt sein; 15,14-21 scheint bereits die Sammlung im Blick zu haben; Kap. 9-11 schließlich sei der entscheidende Bezugsrahmen für ein angemessenes Verständnis der Kollektenaktion überhaupt. Insofern könne auch die bevorstehende Vollendung der Aktion insgesamt als einer der Zwecke des Römerbriefes betrachtet werden- dergestalt, dass hier die Argumente aufbereitet würden, die für den zu erwartenden Disput in Jerusalem notwendig seien. Darin wird eine Verbindung von Kollekten- und Missionserfolg auf unmittelbare Weise sichtbar. Vor allem aber rücken die konkreten Konflikte nun in das Licht der grundlegenden, aus der Lektüre von Deutero-Jesaja und Trito-Jesaja beeinflussten Verhältnisbestimmung gegenüber Israel.

Rückfragen bleiben bei dieser Untersuchung nicht aus. Ob das "eingedenk sein" in Gal 2,10 mit dem ausführlichen Rekurs auf atl. Traditionen als eine Art "heiliger Handlung" nicht doch in die Gefahr einer Überinterpretation gerät? Zumindest dürften solche Assoziationen nicht gegen soziologische Sachverhalte ausgespielt werden (77). Insgesamt erfolgt durch die bewusste Konzentration auf theologische Zusammenhänge oft genug auch eine Reduktion, bei der die materielle Seite der Sammlung und ihre Umsetzung in die Lebenswirklichkeit der Gemeinden zu kurz gerät. Missverständlich erscheint die Formulierung, dass die Sammlung "zum Kennzeichen für die Zugehörigkeit zum Leib Christi" (176) werde. Einsichtiger wird dieser Gedanke, wenn er als eine der Möglichkeiten, Christsein zu vollziehen, ausgeführt wird. Ungklärt bleibt dann allerdings, warum das Kollektenwerk eben nicht doch Nagelprobe für die Rechtfertigungslehre sein könne (168), wenn wenig später ihre Eigenheit etwa als Responsorium oder Frucht der erfahrenen Rettungstat (169) festgestellt wird. Weitere Präzisierung verdient auch die Untersuchung der "Opferterminologie" im Kontext des Römerbriefes. Hier kommt der Begriff einer "Spiritualisierung" kultischer Sprache im Anschluss an Wenschkewitz 1932 zum Zuge (220), ohne dass die seither zunehmend kritischer geführte Diskussion um seine Berechtigung (zuletzt umfassend bei W. Strack 1994 und G. Hagenow 1996 = G. Faßbeck 2000) berücksichtigt würde. Grundsätzlich wäre auch zu fragen, inwiefern man die Gegner der pln. Mission in Gal, Phil und 2Kor einfach mit der Position der Jerusalemer Gemeinde identifizieren kann - wodurch dann auch der (sicher unbestreitbare) Seitenblick auf Jerusalem bei der Abfassung des Römerbriefes doch m. E. ein zu starkes Gewicht erhält.

Insgesamt hat die Arbeit durch zahlreiche Beobachtungen nachweisen können, dass die pln. Kollekte gewiss nicht zu den Randthemen des Apostels gehört, sondern in Korrespondenz zur Entfaltung seines missionarischen Kerygmas ein eigenständiges theologisches Gewicht gewinnt. Diese Einsichten erweisen sich als unverzichtbare Stimme in der weiterführenden Diskussion um die Beziehungen zwischen Rechtfertigungsbotschaft und konkreten finanziellen Transaktionen, unter denen die Kollektensammlung im Corpus Paulinum durchaus nicht den einzigen, wenngleich zweifellos wichtigsten Textkomplex darstellt.