Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/1999

Spalte:

326–328

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Dörnemann, Holger

Titel/Untertitel:

Freundschaft als Paradigma der Erlösung.

Verlag:

Würzburg: Echter 1997. 250 S. gr.8 = Bonner dogmatische Studien, 25. Kart. DM 39,-. ISBN 3-429-01909-5.

Rezensent:

Klaus vom Orde

Die im Sommersemester 1996 in der Bonner Katholisch-Theologischen Fakultät angenommene Dissertation bietet einen Versuch, "die ’Sache’ der Systematischen Theologie, die Identität und die Relevanz des ’unterscheidend Christlichen’ auf konsistente Weise zur Sprache" zu bringen (205). Dies geschieht mit Hilfe der Rede von der Freundschaft zwischen Gott und Mensch, die aus der Untersuchung "Summa Theologiae" Thomas von Aquins als Paradigma der Erlösung gewonnen wird. Der Vf. macht von Beginn an keinen Hehl aus seiner apologetischen Absicht, die ihn neben der Erarbeitung der theologiegeschichtlichen Fragestellung leitet: Neben Einsichten, die sich "von einer vergleichenden Untersuchung von Gnadenlehre und Christologie ... für die Interpretation der thomanischen Theologie insgesamt ergeben", hält er das Fehlen einer vergleichbaren Studie deshalb für "bedauerlich", "weil es gerade in der heutigen Zeit immer schwerer wird, die christologische Bestimmtheit der Gnade ... und die soteriologische Relevanz der Christologie angemessen zur Sprache zu bringen" (14).

Die Arbeit, die hier nicht im Detail dargestellt werden kann, ist dementsprechend deutlich auf dieses Ziel hin ausgerichtet. Der erste - quantitativ viel umfangreichere - Teil der Arbeit expliziert - methodisch konsequent im Rahmen einer textimmanenten Thomasexegese verbleibend - die systematischen Bedingungen zur Einführung der Freundschaftskategorie für die Rede von der Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch. Zur Bewertung ist also danach zu fragen, ob - jenseits der Diskussionslage in der Thomasforschung, die der Vf. von allem durch entsprechende Literaturangaben als bekannt kenntlich macht - durch die Analyse der Quellen, die auf die Einführung der Freundschaftskategorie hinzielt, das erwünschte Ergebnis erreicht wird. Ausgehend von der thomanischen Ethik und Anthropologie und der Gnadenlehre wird nach dem "Zueinander von göttlichem und menschlichen Wirken" (16) in der Begnadung gefragt und dabei die Bedeutung des Glaubens im Rahmen der von Gott dem Menschen infundierten "Theologischen Tugenden" hervorgehoben.

Durch die Betonung des habituellen Charakters der Gnade wird hierbei einerseits ihre Vorgängigkeit vor allem menschlichen Verstehen, Wollen und Handeln betont, andererseits gerade dieses mit hineingenommen in den Akt der Begnadung, so daß von einem "Zueinander von Gnade und menschlicher Freiheit" gesprochen werden kann (67), wobei jedoch nachdrücklich betont wird, daß keine zeitliche Relation gemeint ist (69 f.; cf. 73 f.). In bezug auf die Rechtfertigung als Erlangung der Gnade (70) bedeutet das nun, daß diese dadurch bewirkt wird, daß Gott "die menschliche Seele dazu befähigt, sich zu ihm zu (be-)kehren", und zwar als "aktive und freie Hinkehr des Menschen zu Gott"; dieser als "prima conversio" bezeichnete Glaube wird dadurch vollkommen, daß er "getragen und begleitet wird von der Liebe" (75). Somit wird die theologische Tugend der Liebe als konstitutiv eingeholt, um dann in den folgenden Kapiteln in ihrem Verhältnis zu Glauben und zu Hoffnung dargestellt und jeweils nach dem "Beitrag des Menschen" hin befragt zu werden (77-129). Die Zielaussage dieses Teils findet sich im 5. Kap., in dem über die "Gottesliebe als Freundschaft des ’endlichen’ Menschen mit dem ’unendlichen’ Gott" gehandelt wird".

Auf der Basis des "Liebestraktats" entwickelt der Vf. die Position des Aquinaten, aus der hier nur auf den einen - für die "Freundschaftsaussage" des Buches bedeutsamen - Gedanken der "Ähnlichkeit als Voraussetzung der gegenstandsbezogenen und personalen Liebe" hingewiesen werden soll (108-113). Ausdrücklich wird betont, daß die "amicitia" bei Thomas in der "caritas"-Lehre abgehandelt wird (113), so daß der Leser auf die Verbindung des aristotelischen Freundschaftsgedankens mit der thomanischen "caritas"-Lehre und ihrer Explikation vorbereitet wird (119-128). Es folgt nun der entscheidende 3. Teil, in dem der "Weg des Menschen zu Gott in Freundschaft" entfaltet wird. Kongruent zur Darlegung des thomanischen "Liebestraktats" wird dieser eingeführt mit einer Zusammenfassung der Kap. 8 u. 9 der "Nikomachischen Ethik", die die Freundschaft zum Thema haben. Zugespitzt wird nun die Anwendung dieser Gedanken auf das Gottesverhältnis in den drei Heilszeiten (vor der Sünde, nach der Sünde, durch Christus; 156): Wenn die menschliche Situation "im Urstand" von einem Höchstmaß an "convivere", also der - nach Aristoteles - Voraussetzung von Freundschaft, bestimmt war (155), dann zerstörte die "willentliche Abkehr des Menschen von Gott" diese Gemeinschaft, was den Verlust der Ordnung der Seelenkräfte nach sich zog (157). Für die "Wiederherstellung der Gemeinschaft mit Gott durch Jesus Christus" (159) tritt nun das Freundschaftsparadigma in seine entscheidende Funktion, indem dieses den im wesentlichen der juridischen Vorstellungswelt entnommenen traditionellen Interpretamenten "meritum", "satisfactio", "sacrificio", "redemptio" und "efficientia" bzw. "efficacia" (161) zur Seite gestellt wird, weil diese - im übrigen teilweise mit prominenten Thomaskennern - als insuffizient für die Bedeutung des gesamten Wirkens Jesu (Leben, Leiden und Sterben) beschrieben werden. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der aristotelische Gedanke der "affektiven Einheit" (172; cf. 174 f.), durch die die Grenze des Individuums durch den Einbezug der Möglichkeiten eines Freundes, hier also Christi, erweitert wird. Weitere Wesensmerkmale der Freundschaft (Sichtbarwerdung der Liebe, Glaube usw.) werden beschrieben, um die Deutung des Heilsgeschehens im Christusereignis mit der Freundschaftskategorie zu bestätigen. Eine Aufnahme der so gewonnenen Einsichten hinsichtlich der systematischen und praktischen Theologie soll am Ende die Bedeutung des Ergebnisses bestätigen.

Die vorliegende Arbeit hat zwei Fragehinsichten: Theologiegeschichtlich spürt sie einem Aspekt thomanischer Aristotelesrezeption nach und kommt zu Ergebnissen, die bislang in dieser Weise noch nicht genügend zur Sprache gebracht wurden. In apologetischer Hinsicht will sie - im übrigen dem Vorbild Thomas’ folgend - die Sache des christlichen Glaubens für den Zeitgenossen aussagbar machen. Ob dies in letzter Überzeugung gelungen ist, kann durchaus hinterfragt werden, denn der Konvenienzgedanke, der in der Deutung des Christusgeschehens für die Thomasexegese eine wichtige Rolle spielt, wird zwar durch die Einführung der Freundschaftskategorie verdeutlicht, aber es bleibt zu fragen, ob die Plausibilität dieser Kategorie nicht zu sehr von thomanischen Voraussetzungen her gewonnen wird, als daß sie dem eingangs beschriebenen apologetischen Ziel entsprechen kann. Die Bedeutung der Arbeit wird demnach stärker im Rahmen der Thomasforschung zu finden sein.