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Ausgabe:

Januar/2001

Spalte:

40–42

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Ulfgard, HÂkan

Titel/Untertitel:

The Story of Sukkot. The Setting, Shaping, and Sequel of the Biblical Feast of Tabernacles.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 1998. XII, 347 S. gr.8 = Beiträge zur Geschichte der biblischen Exegese, 34. Lw. DM 168,-. ISBN 3-16-147017-6.

Rezensent:

Giuseppe Veltri

Das Laubhüttenfest (hebr. Sukkot) gehört zu den jüdischen Hauptfeiertagen. Dem Midrash Devarim Rabba (7,7, in der Ausgabe Lieberman, 11) zufolge diente die Feier, neben Pesach und Wochenfest, sogar als religiöses Unterscheidungsmerkmal in Bezug auf Juden und Nichtjuden: "Es geschah, daß ein Nichtjude R. Yohanan ben Zakkai fragte. Er sagte zu ihm: ,Wir haben unsere Feiertage, und ihr habt eure Feiertage. Wir haben calendae, saturnalia und Herrschaftstag, und ihr habt pesah, atzeret und sukkot. Welcher ist der Tag, an dem wir und ihr gemeinsam feiern können?' R. Yohanan ben Zakkai antwortete ihm: ,Der Tag, an dem es regnet.'" Die Möglichkeit gemeinsamer Feiertage, seien diese nun religiöser, ziviler oder politischer Natur, wird durch dieses Diktum R. Yohanan ben Zakkais verneint - davon ausgenommen ist allenfalls das Begehen einer Freudenfeier anlässlich des Regenfalls am Ende einer Dürreperiode. Diese Aussage spiegelt sicher nicht die historische Wirklichkeit wider: Juden im römischen Herrschaftsbereich haben nolens volens an den römischen Festen partizipiert. Gerade auf diesem Hintergrund ist das Insistieren auf dem eigenen Festkalender verständlich. Das ist keine Frage der Ideologie, sondern der Identität, die sich in diesem Fall in der Liturgie widerspiegelt.

Nach Ansicht von Ulfgard, dessen aus einer Dissertation hervorgegangene Studie über "die Geschichte von Sukkot" hier kritisch gewürdigt werden soll, nimmt das Sukkot-Fest eine besondere Stellung innerhalb der Bildung der biblischen "ideologischen" Tradition ein, "particularly as it results in the emergence and development of a specific Jewish identity" (VII). Sukkot wird dem Autor zufolge als "peep hole", als ein Guckloch, verwendet, mit dessen Hilfe die "ideologische" Entwicklung des Judentums verfolgt werden könne. In der Tat ist das Fest mit so wichtigen Themen verbunden wie dem Kalender, dem Tempel, der Tora sowie der Geschichte (siehe auch den Klappentext).

Das Buch besteht aus drei Teilen: (1) einem Überblick über historische und kalenderbezogene Aspekte als Hintergrund für ein besseres Verständnis der biblischen Feier (37-75); (2) aus einer exegetisch-historischen Analyse des Sukkot-Festes in der "formativen" biblischen Periode 600-100 v. Chr. (76-230) und (3) schließlich aus der Darstellung einiger exegetischer Entwicklungen ("trajectories") in der darauffolgenden nachbiblischen Epoche von 100 v. Chr. bis 500 n. Chr. (231-282).

Der erste Teil beschäftigt sich mit Fragestellungen, die man in einem Buch über jüdische Feiertage durchaus erwarten darf: die Frage nach dem Mond- und Sonnenkalender und der Datierung biblischer Ereignisse. In diesem Zusammenhang widmet U. fast 20 Seiten seiner eher knappen Abhandlung über das Kalenderwesen der historischen Situation in babylonischer, persischer und hellenistischer Zeit, die zur "ideologischen Ausformung" des Judentums geführt habe. Die babylonische Herrschaft habe dabei tiefere Spuren hinterlassen, die sich sowohl im Kalender als auch in der Historiographie ausmachen lassen (s. 74).

Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt deutlich auf der sog. formativen biblischen Periode (76-230). Hier analysiert der Autor die relevanten biblischen Texte (Tora, deuteronomistische Tradition, Esra und Nehemia sowie die prophetische Tradition). Ein ausführliches Kapitel ist dem sog. parabiblischen Textkorpus gewidmet (Jubiläenbuch, Qumran sowie die entsprechenden Texte der griechischen Bibel: I Esdras, Makkabäerbücher). In beiden Fällen wendet der Autor die herkömmliche exegetische Methode an, die er bestens beherrscht, und bietet darüber hinaus eine kenntnisreiche Analyse des verstreuten Materials. Er verfolgt hier insbesondere die Wandlung von einem typischen Erntefest des Sonnenkalenders zu einem Feiertag in der Mitte des siebenten Monats nach dem Mondkalender. Diese Wende ist in der persischen Periode zu verorten und kennzeichnet die Wandlung von einer agrarischen Feier zu dem liturgischen Fest des jüdischen Kalenders, wobei "jüdisch" eine unter persischem Einfluss entstandene ideologische Identität bezeichnet. Inwieweit auch ein Wandel in Bezug auf die Verbindung von Sukkot mit dem Tempel stattgefunden hat, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden; immerhin verweist U. darauf, dass Sukkot in vorexilischen Texten einen Bezug zum Tempel aufweise, während z. B. in Neh 8 jeder Verweis auf den Tempel fehle. Gerade Neh 8 zeige besonders deutlich die neue Charakteristik des Festes, das jetzt auf die Tora ausgerichtet erscheint.

Der dritte, äußerst knappe, Teil des Buches beschäftigt sich mit der Zeit zwischen 100 und 500 n. Chr. Aus seiner Analyse von Josephus, Philo und der Mischna schließt der Autor, dass der Tempelbezug des Festes fortbestanden, Sukkot sich gleichzeitig aber zu einem volkstümlichen Fest entwickelt habe, bei dem das priesterliche Element keine große Rolle spielte. Die Abbildung der Sukkot-Symbole Etrog und Lulav auf Münzen des Ersten und Zweiten Jüdischen Krieges erklärt der Autor mit dem nationalen, also ideologischen Charakter des Tempelbezugs der Feier sowie damit, dass der Tempel und Jerusalem die traditionellen Symbole der jüdischen Identität darstellten. Die Rabbinen historisieren das Fest, indem sie es auf die Zeit der Wüstenwanderung beziehen, während es für die Kirchenväter nur noch symbolischen Charakter hat.

Da es hier nicht um die Erörterung von Detailfragen gehen kann, möchte ich mich im Folgenden auf einige Anmerkungen zu den methodischen Voraussetzungen der Untersuchung beschränken. Das in dieser Studie bei der Darstellung der geistig-kulturellen Entwicklung des Judentums verwendete Adjektiv "ideologisch" hat den Eingangsbemerkungen des Autors zufolge keine negative Konnotation, sondern bezeichne ganz "neutral" den "set of ideas", die je nach Kontext unterschiedlich zu qualifizieren seien (VII). Diese Bemühung um eine genauere Definition macht deutlich, dass sich der Autor der Problematik des Begriffs "Ideologie" im ausgehenden 20. Jh. durchaus bewusst ist. Warum benutzt er das Wort dennoch, obwohl es seine "Unschuld" eingestandenermaßen verloren hat, also eben keinesfalls mehr zur Bezeichnung eines neutralen Sachverhaltes taugt? Das von ihm beschriebene Phänomen hätte ohne weiteres als Geistes- und Kulturgeschichte charakterisiert werden können, was es dem Autor erspart hätte, mit irgendwelchen zusätzlichen Werturteilen wie "neutral" etc. zu operieren. Mir erscheint die Verwendung des Wortes Ideologie nicht zuletzt auch angesichts der in christlich-theologischen Kreisen des 20. Jh.s immer wiederkehrenden Kritik am "pharisäischen" Judentum als einer "ideologieprägenden" und "ideologiegeprägten" Gruppe bedenklich. Kurz und gut, man sollte es vermeiden, solche Benennungen ins Spiel zu bringen, wenn sie stricte sensu nicht notwendig sind: Non sunt multiplicanda entia sine necessitate lautet eine Maxime der mittelalterlichen Scholastik. Das gilt auch in Bezug auf die Darstellung biblischer und rabbinischer Exegese.

Bei seiner Analyse des geistes- und kulturgeschichtlichen Prozesses, der durch das Beispiel des Sukkot-Festes ("as a peep hole") illustriert werden soll, geht U. von der Annahme aus, dass sich sowohl das rabbinische, als "normativ" bezeichnete Judentum als auch das Christentum aus einem durch Vielfalt charakterisierten biblischen Judentum entwickelt habe. Dieser Standpunkt wird nicht nur ausdrücklich formuliert (8), sondern auch dadurch unmissverständlich hervorgehoben, dass sich die Studie vor allem mit Texten aus der Zeit vor dem 1. Jh. v. Chr. beschäftigt. Dem rabbinischen Judentum, das immerhin einen Mischna-, Tosefta- und Talmud-Traktat zu diesem Thema vorzuweisen hat, werden gerade einmal fünfeinhalb Seiten (269-274) eingeräumt, ebensoviel Raum wie der Rezeption von Sukkot bei den Kirchenvätern gewidmet ist (274-279). Das ist um so bedauerlicher, als es sich der Autor zum Ziel gesetzt hat, im Spiegel von Sukkot das biblische Denken ("thought") und seine Entwicklung im rabbinischen Judentum und frühen Christentum darzustellen (8). In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, weshalb der von U. verwendete Begriff "formatives Judentum" auf das "vorchristliche" beschränkt bleibt, während das "nachchristliche" Judentum dagegen als "normativ" (für die Juden) bezeichnet und damit implizit als ein Bruder/ eine Schwester des Christentums gesehen wird. Diese Frage ist theologisch wichtig, aber kaum mit Hilfe exegetischer Analysen zu beantworten.

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier die Sukkot-Feier dazu benutzt wird, gegenwärtige theologische Fragestellungen zu erörtern bzw. zu korrigieren, nicht aber primär die Bedeutung des Festes für das antike Judentum zu beleuchten und anhand historisch-exegetischer Studien zu belegen. Man hätte sich daher eine genauere Unterscheidung zwischen Geschichte, Rezeptionsgeschichte, Geschichte der Exegese und theologischen Prämissen gewünscht. Eine andere scholastische Maxime lautet: distingue frequenter. Wenn wir das nicht beherzigen, können auch Christen und Juden wohl wirklich nur den Regentag miteinander feiern.