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Ausgabe: | Januar/2001 |
Spalte: | 37–40 |
Kategorie: | Judaistik |
Autor/Hrsg.: | (1) Feldman, Louis H. (2) Feldman, Louis H. |
Titel/Untertitel: | (1) Josephus' Interpretation of the Bible. |
Verlag: | (1) Berkeley-Los Angeles-London: University of California Press 1998. XVII, 837 S. gr.8 = Hellenistic Culture and Society, 27. Lw. $ 75,-. ISBN 0-520-20853-6. |
Rezensent: | Manuel Vogel |
Mit den anzuzeigenden Bänden legt L. H. Feldman seine Studien zum ersten Teil der Antiquitates des Josephus (Ant. 1-10) aus über dreißig Jahren nun in gesammelter Form vor. Die beiden Aufsatzbände bereichern die Forschung also nicht nur dadurch, dass sie das bisherige reiche Werk eines einzelnen Forschers dokumentieren, sondern auch und vor allem deshalb, weil sie nunmehr einen mühelosen Zugriff auf eine Vielzahl bisher weit verstreut publizierter Arbeiten zu einem einzigen Themenfeld ermöglichen. Für die neuerliche Veröffentlichung wurde ein großer Teil der Arbeiten außerdem so gründlich überarbeitet und in einem Maße erweitert, dass F. mit Blick auf die Liste der Erstveröffentlichungen von "[p]reliminary versions" spricht, die er nun "in a considerably revised form" vorlegt (Interpretation XV, vgl. Studies XIX). Dies trifft besonders auf den ersten Hauptteil von Interpretation zu ("Part one: General Considerations", 3-220), der als Beitrag zu dem Band Mikra: Text, Translation, Reading and Interpretation of the Hebrew Bible in Ancient Judaism and Early Christianity (Assen 1988) nur 63 Seiten umfasst. Den Studies ist keine derartige Einleitung vorangestellt; stattdessen enthält der Band eine ausführliche "Conclusion" (539-570), die den Ertrag der einzelnen Studien in einem systematischen Querschnitt zusammenfasst. Die Lektüre dieses Stücks erübrigt sich freilich, wenn man die "General Considerations" des anderen Bandes gelesen hat. Dass hier das meiste zweimal gesagt wird (vgl. etwa Interpretation 37-46: "Josephus' promise not to modify the Scriptures" und Studies 539-543: "Josephus' Violation of His Promise Not to Add or to Subtract from the Biblical Narrative"), hängt mit den Modalitäten der getrennten Publikation der Bände in zwei Verlagen zusammen. Ein einziges Werk in zwei Teilbänden mit durchgehender Paginierung wäre nicht nur bibliographisch sondern auch als Forschungsinstrument leichter zu handhaben gewesen. So muss man (den Glücksfall, dass die jeweilige Bibliothek beide Werke angeschafft hat, vorausgesetzt) gleich zwei Sach-, Wort-, Stellen- und Literaturverzeichnisse einsehen, wenn man F.s Arbeiten zu bestimmten Passagen oder Problemen des josephischen Werkes heranziehen will. Dessen ungeachtet sind beide Bände durch die umfangreichen Register hervorragend erschlossen. In Interpretation umfasst der Registerteil 134 Seiten (703-837). Darunter ist das 16-seitige Verzeichnis wichtiger griechischer Termini und Wendungen (811-827, Studies: 646-657) von besonderem Wert, weil die den josephischen Sprachgebrauch prägende Semantik hellenistisch-römischer Historiographie im Einzelfall gezielt nachvollzogen werden kann.
Dem nachhaltigen Einfluss griechisch-römischer Geschichtsschreibung auf die Bibelparaphrase des Josephus trägt F. zuvorderst dadurch Rechnung, dass er den umfangreichen Stoff von Ant. 1-10 mit Ausnahme von Studies 1-16 ("Man's Decline after Creation") in Form von Portraits biblischer Gestalten erschließt (Interpretation: Abraham, Isaak, Jakob, Joseph, Mose, Josua, Simson, Samuel, Saul, David, Salomo, Daniel; Studies: Noah, Jetro, Aaron, die Pharaonen, Korah, Bileam, Ehud, Debora, Gideon, Jeftah, Ruth, Joab, Absalom, Jerobeam, Rehabeam, Asa, Ahab, Elia, Josafat, Joram, Elisa, Jehu, Hiskia, Jesaja, Jona, Manasse, Josia, Jojakim, Zedekia, Gedalja, Esra, Nehemia, Ahasveros, Esther). Standen nämlich in der griechischen Geschichtsschreibung seit Isokrates Historiographie und Biographie ohnehin schon in engem Zusammenhang, so zeigt sich in hellenistischer Zeit allgemein die Tendenz "to abandon the ... distinction between history and biography and to convert history into biography" (Interpretation 5). Hellenistisch ist dabei v.a. die Psychologisierung der biblischen Protagonisten, deren Handeln Josephus stets auf seine wahren Motive hin befragt und durchleuchtet (Interpretation 197-204; Studies 567). Griechischem Denken entspricht es auch, dass Josephus an zahlreichen Stellen das Moment direkten göttlichen Einflusses auf Personen und Ereignisse zurücknimmt (Interpretation 205-214; Studies 568 f.).
Seine Charaktere misst Josephus durchweg an den Kriterien der vier klassischen Kardinaltugenden Weisheit, Tapferkeit, Besonnenheit und Gerechtigkeit sowie der pietas als der fünften Tugend (Interpretation 96-129; Studies 546-551). Josephus will zeigen, dass es die Großen des jüdischen Volkes mit den klassischen Helden in jeder Hinsicht aufnehmen können. Wie Thukydides' Perikles (2,60,5) so verfügt auch Josua in josephischer Zeichnung (Ant. 3,308) über die Fähigkeit, die Volksmenge zu bändigen (katechein to ple-thos). In solchen Details schlägt sich der apologetische Zweck nieder, in dem F. die Hauptstoßrichtung auch von Ant. 1-10 sieht. Josephus legt in der ersten Hälfte der Antiquitates "a particular emphasis on answering the charges of such influential writers as Apion (Ag. Ap. 2.135) and Apollonius Molon (Ag. Ap. 2.148) that the Jews had failed to produce remarkable men or eminent sages and had contributed no useful invention to civilization" (Interpretation, xv). Insofern kann F. die Antiquitates geradezu "a preliminary version of his Against Apion" nennen (660). Vorwürfe gegen die Juden, die in Contra Apionem explizit angesprochen und argumentativ widerlegt werden, bilden in den Antiquitates den Hintergrund der Darstellung. "Throughout his paraphrase of the Bible, one can see Josephus commenting on the current situation of his own day" (503). So lassen sich etwa die besonderen Akzente, die Josephus im Portrait Josephs setzt, indem er einerseits seine Stärke und Machtfülle, andererseits aber seine Loyalität gegenüber dem Pharao betont, als narrativ realisierte Entgegnung auf die antike Meinung verstehen, der Jüdische Krieg sei Ausdruck der Illoyalität der Juden und der Sieg Roms Zeichen ihrer Schwäche (149 f.). Die Gestalt Elias nimmt Josephus zu Gunsten der des Elisa (Studies 334-351) zurück, weil jener als Prototyp des zelotischen Messias politische Assoziationen wecken musste, die Josephus verhasst und den Römern suspekt waren. Auch Josephus' David ermangelt jeglicher messianischer Züge (Interpretation 538).
F. zählt in Josephus' Werken die Namen von insgesamt fünfundfünfzig griechischen Autoren (Interpretation 171), die Josephus teilweise nur in Exzerpten kannte, teilweise wohl aber auch gründlich studiert hat. Unter den Geschichtsschreibern schätzte er besonders Thukydides (177). Dem Einfluss der großen griechischen Tragiker auf die Historiographie seiner Zeit verdanken sich zahlreiche dramatische Motive. So wird etwa Saul, für den Josephus ein längeres Enkomion schreibt als für Moses oder David, zum tragischen Heros nach isokratischem Vorbild (Interpretation 509). Während sich F. in den Studies eher auf Parallelen innerhalb der josephischen Schriften und der rabbinischen Literatur konzentriert, bietet der z. T. umfangreiche Anmerkungsapparat in Interpretation zusätzlich eine Fülle derartiger terminologischer und motivischer Entlehnungen aus klassischen griechischen Texten. So führt besonders dieser Band in eindrucksvollem Materialreichtum vor Augen, dass Josephus im alttestamentlich-jüdischen Denken und in der griechisch-römischen Kultur gleichermaßen zu Hause war.
Am Problem des von Josephus verwendeten Bibeltextes (Interpretation 23-36) zeigt F. ein vergleichsweise geringes Interesse. Zwar fragt er nach den von Buch zu Buch wechselnden hebräischen, griechischen und aramäischen Textvorlagen, doch rechnet er stets mit der Möglichkeit, dass Josephus mit Versionen biblischer Texte gearbeitet hat, die von der heute bekannten Textgestalt des Masoretischen Textes und der Septuaginta abweichen. Hinweise darauf finden sich beispielsweise in Übereinstimmungen zwischen Josephus und dem Liber Antiquitatum Biblicarum gegen MT und LXX. Die Rekonstruktion des von Josephus verwendeten Bibeltextes wird außerdem dadurch erschwert, dass Josephus durchweg stark paraphrasiert. Wer ein vorwiegend textgeschichtliches Interesse am ersten Teil der Antiquitates hegt, wird hier also kaum fündig. Er sei stattdessen auf den in dieser Hinsicht ausführlicheren Antiquitates-Kommentar von Étienne Nodet verwiesen, der bereits in zwei Bänden bis Buch 5 vorliegt (Flavius JosËphe, Les AntiquitÈs Juives, Paris: Éditions du Cerf), und dessen dritter Band (Ant. 6 und 7) für 2000 angekündigt war.
Da F. den apologetischen Charakter von Ant. 1-10 im griechisch-römischen Kontext nicht nur einleitend (Interpretation) bzw. resümierend (Studies) exemplifiziert, sondern gewissermaßen "flächendeckend" nachweist, wird die Geschlossenheit und Homogenität der josephischen Bibelparaphrase kenntlich. Was bei einer fortlaufenden Lektüre redundant wirken könnte, ist doch ein notwendiges Verfahren, um den eigenständigen und planvollen Umgang des Josephus mit dem biblischen Stoff und die Einbindung dieses Stoffs in sein Programm apologetischer Historiographie herauszuarbeiten. Außerdem eignet beiden Bänden durch die annähernd erschöpfende Darstellung ihres Gegenstandes fast schon Kommentarcharakter. Wo immer Texte aus Ant. 1-10 eine Rolle spielen, sollte es sich lohnen, beide Bände zu Rate zu ziehen.