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Ausgabe:

Januar/2001

Spalte:

36 f

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Ådna, Jostein

Titel/Untertitel:

Jerusalemer Tempel und Tempelmarkt im 1. Jahrhundert n. Chr.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz i. Komm. 1999. XIII, 182 S. gr.8 = Abhandlungen des Deutschen Palästina-Vereins, 25. Kart. DM 78,-. ISBN 3-447-03859-4.

Rezensent:

Max Küchler

An die zahlreichen Monographien, die in den letzten zwei Jahrzehnten zum israelitisch-jüdischen Tempel in Jerusalem erschienen sind und die vor allem durch die Freilegung der Klagemauer, die großen Ausgrabungen im Bereich der SW-Ecke des Harams und den Tunnel unter dem moslemischen Quartier entlang der Westmauer angeregt wurden, fügt hier Å. eine präzise Untersuchung, die eine überarbeitete und erweiterte Fassung eines Teils seiner in Tübingen erarbeiteten und in Oslo eingereichten Dissertation darstellt. Sie bündelt alle archäologischen und literarischen Indizien, die den herodianischen Bau betreffen, zu den spannenden Fragen, wie sich Tempelplattform, Tempel und königliche Stoa zueinander verhalten, welchen Architekturtyp sie als Gesamtbauwerk darstellen, welche Funktionen die einzelnen Sektoren hatten und wie schließlich die ganze architektonische Komposition innerhalb der Stadt Jerusalem zu interpretieren ist.

Schon länger ist ja eingesehen worden, dass Herodes der Große mit der Erweiterung des ehemals quadratischen Tempelplatzes in eine gewaltige rechteckige Plattform nicht nur den Juden einen weltberühmten Ort ihrer Gottesverehrung erbaut, sondern gleichzeitig auch - mitten im hügeligen Gelände der Heiligen Stadt - ein Stadtzentrum geschaffen hat, wie es eine echte hellenistisch-römische Stadt brauchte, nämlich ein "Kult- und Kulturzentrum", in welchem sich ganz unterschiedliche Abläufe inszenieren ließen. Die "archäologisch-architektonische Analyse" des ersten Teiles ist eine detaillierte, besonders auf die Arbeiten von Benjamin Mazar abgestützte Beschreibung aller Eigenheiten der vorherodianischen und herodianischen Mauerstücke. Die Interpretation der Tempelanlage mit ihren hohen Umfassungsmauern, dem Temenos, der Quadriporticus samt einer Basilika als ein "Kaisareion", das seine nächste Parallele im Kaisareion von Kyrene hat, ist ebenso interessant wie die von den archäologischen Evidenzen her aufgebaute Anbindung des Tempels in das für diesen notwendige Marktgeschehen. Da die Märkte im schwierigen Gelände Jerusalems nicht in der regelmäßigen Art des hippodamischen Systems angeordnet werden konnten, befanden sie sich an verschiedenen Orten und mussten durch Brücken und Zugänge mit dem Tempel verbunden werden. Die sogenannten "Ställe Salomos" können damit als Lagerhallen und die "königliche Stoa" als Agora-Zone verstanden werden. Obwohl Tempel und Stoa auf der gleichen Plattform standen, war diese durch die Aufgänge, besonders die unterirdischen südlichen Zugänge, in zwei unterschiedliche Sektoren aufgeteilt: im Norden der Kultbereich, im Süden der Tempelmarkt. Diesem zweiten Bereich gehört dann das Hauptinteresse der Studie. Ausführlich werden anhand der literarischen Quellen (aus Qumran, dem Neuen Testament und den rabbinischen Schriften) das Marktgeschehen, die Funktionen der Priesterschaft, der Geldwechsler und der Verkäufer von lebenden und leblosen Opfermaterien vorgestellt und möglichen oder sicheren Orten zugewiesen. Mk 11,15-19 (und Parallelen bei den anderen Evangelisten), die sogenannte "Tempelreinigung" Jesu, bekommt als in der Agora-Zone geschehene Aktion ihren zeitgeschichtlichen Hintergrund und ihre historische Plausibilität als zwar kraftvoller prophetischer Gestus, der aber wegen seiner lokalen Beschränkung die aufmerksamen Römer (in der nördlichen Antonia-Burg) nicht zum militärischen Eingreifen bewegen konnte.

Das Buch hat zwar einige überkomplizierte Perioden, die zudem durch die Mischung von englischen und deutschen Satzteilen die Lektüre erschweren (vgl. 24 f.), weist einige kleinere Fehler auf (wie etwa die falsche Benennung des Kedron- und Bezeta-Tales in der Abb. 1) und endet etwas abrupt in Kleingedrucktem zu Taubenopfern. Eine ausgezeichnete "Zusammenfassung" (141-150) rundet dann jedoch das Ganze ab, und ein Literaturverzeichnis, das auch dem Kenner der Materie noch Neues zu bieten vermag, und ein Stellen-, Namen- und Sachregister beschließen dieses Buch, das insgesamt ein exzellentes Beispiel dafür ist, dass biblisch-archäologische Untersuchungen nicht nur Realienkunde zu bringen haben, sondern - bei aller Ernstnahme der Realien - durchaus auch so etwas erhellen können wie die Machtansprüche und Stadtkonzepte eines Herodes des Großen oder die prophetische Vision und Kritik eines Jesus von Nazareth.