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Ausgabe:

Januar/2001

Spalte:

30–33

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Pagolu, Augustine

Titel/Untertitel:

The Religion of the Patriarchs.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1999. 290 S. gr.8 = Journal for the Study of the Old Testament, Suppl. Series 277. Lw. £ 50.-. ISBN 1-85075-935-9.

Rezensent:

Harald Wahl

War für Albrecht Alt und seine Schüler bis in die 60er Jahre hinein die Beschäftigung mit der Genesis immer verbunden mit dem Blick auf die vorliterarische Genese der Religion Israels in der für das Volk konstitutiven Frühgeschichte, zeichnet sich besonders in der deutschsprachigen Forschung zuletzt in den Habilitationsschriften von Markus Witte, Konrad Schmid und Jan Christian Gertz gegenwärtig ein Trend ab, die Texte von ihrer uns vorliegenden Endgestalt aus zu betrachten und dann zu älteren Sedimenten vorzudringen.

Hermeneutisch und methodisch losgelöst von diesen Annäherungen wagt der Autor einen eigenständigen Weg, die nur im Dickicht der textlichen Traditionen und Redaktionen verborgene Religion der Patriarchen freizulegen. Ausgehend von der in den Texten niedergeschlagenen praxis pietatis versucht er im religionsgeschichtlichen Vergleich, die religiösen Phänomene zu orten und zu bewerten. "[O]nly those religious aspects that are distinctive to the patriarchal lifestyle, such as building altars, calling upon the name of Yahwe (praying), planting trees, raising pillars, paying tithes, making vows and performing purification rites will be dealt with in the present volume" (29).

Entsprechend ihrer Aufgabenstellung ist die von John Goldingay und Gordon Wenham betreute Dissertation übersichtlich und in sich schlüssig aufgebaut. Nach einem einführenden Forschungsüberblick (15-32) werden nacheinander die für die Religion der Patriarchen basalen Themen "Altars and Sacrifices" (33-85), "Prayer" (86-134), "Sacred Pillars" (135-170), "Tithes" (171-191), "Vows" (192-213) sowie "Pollution and Purity" (214-242) behandelt.

Jedes einzelne Kapitel beschreibt zunächst die altorientalische, dann die israelitische und schließlich die in den Vätererzählungen dokumentierte Praxis. Auffälligerweise geht P. nicht von den in der Genesis belegten Phänomenen aus, um diese zunächst im Kontext des alttestamentlichen und schließlich des altorientalischen Materials zu würdigen, sondern er schreitet vom Allgemeinen zum Besonderen voran. Eine kurze Zusammenfassung (243-247) trägt die wesentlichen Ergebnisse abschließend vor.

Spiegeln die Vätererzählungen die literarisch entworfene Lebenswelt von umherziehenden Halbnomaden mit wenigen lokalen Haftpunkten wider, ist die herangezogene altorientalische Literatur zumeist im urban kultischen Kontext eines geordneten Zentralstaates beheimatet. Diese soziologische und ontologische Differenz wirkt sich nachhaltig aus: "Thus the patriarchal religious practices are compatible with their worship pattern and their belief in a family God who went along with them wherever they went. Their worship and religious practices are distinct from both ancient Near Eastern and Israelite practices, although they reflect elements of both at several points. The patriarchal religion is family oriented, clan based and compatible with the semi-nomadic lifestyle of the patriarchs" (247).

Dieser schon lange beobachtete Unterschied im Wesen der religiösen Praxis schlägt sich in jedem der behandelten Aspekte der Frömmigkeit nieder: 1. Die Errichtung von Altären hängt zumeist mit einer Theophanie Jahwes außerhalb einer Siedlung zusammen. Die kultische Praxis der Patriarchen ist individuell und spontan, geprägte liturgische Formen lässt sie kaum erkennen. Dagegen ist der altorientalische Kultdienst aufwendig organisiert und liturgisch ausgefeilt (84-85). 2. Die Patriarchen teilen den Anlass und den Aufbau des Gebetes mit Israel und seinen Nachbarn. Allerdings wirkt sich wiederum der unterschiedliche Sitz im Leben aus. "The setting of prayer in the ancient Near East and to a large extend in Israel is the organized cult, whereas with the patriarchs it is entirely the family or other informal situations" (133). Eine Besonderheit der Vätererzählungen ist das wiederkehrende Motiv des Segens. "The most revealing of all their types of prayer in this regard is the prayer of blessing" (133). 3. Heilige Steine (Mazzeben) sind über den ganzen Orient bekannt (143-144). Den mit diesen Altären verbundenen Kultdienst für eine Gottheit teilt auch Israel, von den Erzvätern wird der Stein jedoch nicht als numinoser Wohnort der dort verehrten Gottheit angebetet (170). 4. Der Zehnte ist als regelmäßige kultische Opfergabe weit im Vorderen Orient verbreitet. In den Vätererzählungen ist er dagegen als einmalige freiwillige Gabe nur von Abraham und Jakob belegt (191). 5. Auch das Ablegen von Gelübden ist eine überzeitliche und gemeinorientalische religiöse Praxis. "However, the elaborate legislation on vows in Israel was unique in the ancient Near East where there was hardly any legislation, except for the common expectation that vows once made must be fulfilled" (212). Von den Patriarchen ist Jakob der einzige, der ein Gelübde ablegt und es dann aber nicht vollständig erfüllt (213). 6. Das Thema der Reinheit und Unreinheit berühren die Vätererzählungen nicht. "In contrast to the enormous attention given to ritual and moral taboos in the ancient Near East and Israel, the concepts of purity and defilement are rarely mentioned in the patriarchal stories" (241).

Die Lektüre des schnörkellos und flüssig geschriebenen Buches hinterlässt einen eigenartigen Beigeschmack. Zweifellos hält der Leser ein kühnes Werk in den Händen, das genug Stoff böte, um eine stattliche Zahl von Fachgelehrten, von Akkadisten und Semitisten, von Alttestamentlern, Ägyptologen und Gräzisten gründlich zu beschäftigen, ist doch die Aufgabe keine geringere, als wesentliche Äußerungen des homo religiosus orientis der Spätbronze- und Eisen-I-Zeit vergleichend zu erschließen.1

Verdeutlichen wir uns die bislang allgemein vorgetragene Kritik: Der eigentliche, für die Studie konstitutive Gegenstand, der Text selbst, tritt nahezu völlig hinter die Sekundärliteratur zurück. Wesentliches kann bei einem religionsgeschichtlichen Vergleich jedoch nur dann gesagt werden, wenn die Phänomene auch benannt und bekannt werden. Es entspricht diesem Eindruck, wenn die gegenwärtig hilfreichste Quellensammlung (TUAT) für die altorientalische Literatur weder benutzt noch zitiert wird.

Literaturgeschichtliche Erwägungen klammert P. aus. Wie auf einer Perlenschnur werden neben den alttestamentlichen Texten auch griechische Autoren wie Hesiod (140), Philo von Byblos (137) und Plinius (137) ohne eine literarhistorische Ortung aufgereiht.2 Unvermittelt stellt P. altorientalische Texte aus dem 2. Jt. (89-98) gleichwertig denen aus der Spätzeit Israels, ja sogar spätdeuteronomistischer Literatur gegenüber (105-107). So wird beispielsweise im Abschnitt über das Gebet nicht zwischen Texten unterschieden, die im kultischen Kontext entstanden und überliefert worden sind, und denen, die, wie etwa das Tempelweihgebet Salomos, als literarisch stilisierte Texte ihre Entstehung spätalttestamentlichen Theologen zu verdanken haben (A. Aejmelaeus, P. Mathys, H. Graf Reventlow).

Eine Auseinandersetzung mit wesentlicher Sekundärliteratur, die der Studie sicherlich wichtige Impulse gegeben hätte, vermisst der Leser nicht nur in diesem Kapitel schmerzlich. Darum verwundert es nicht, wenn die für das Thema basalen Einsichten der Überlieferungsgeschichte (P. G. Kirkpatrick) und der Historiographie ignoriert werden (J. Assmann, J. v. Seters). Auch das zu erwartende fruchtbare Gespräch mit den Ergebnissen der biblischen Archäologie (G. W. Ahlström, I. Finkelstein, H. M. Niemann, W. Zwickel) zumindest im Kapitel über die Kultorte Palästinas (52-84) unterbleibt.

Die exklusive synchrone Betrachtung der behandelten Texte führt in zahlreichen Einzelfällen zu unauflösbaren Widersprüchen. Wir wollen uns die hermeneutische und methodische Schwäche am Beispiel von Jakobs Gelübde vor Augen führen, das in der Doppelüberlieferung (Gen 35,1-15) nur partiell erfüllt wird. "Jacob's promise of tithes is part of a larger vow (Gen. 28.20-22) in which Jacob promised that he would make Yahweh his God and build a sanctuary for him ... The tithe being one of the things vowed, it is reasonable to think that it formed part of Jacob's religious obligation. Nevertheless, when decades later Jacob finally returned safely to Bethel, the condition stipulated in his vow, he only built an altar and did not present a tithe" (189). Spätestens seit Julius Wellhausen (Composition, 31) ist dieser Widerspruch leicht damit zu erklären, dass das Gelübde redaktionell angehängt worden ist, um die Einführung des Zehnten als verbindlicher Praxis mit dem Kultdienst und der Theophanie Jahwes zu verknüpfen.

Ungeachtet der nicht unerheblichen Defizite regt die Studie den Appetit des Lesers nach komparativen Untersuchungen an, die an vergleichbaren Texten das religionsgeschichtliche Proprium der Väterreligion Israels in seinem Kontext herausstellen. Zweifellos führt die Studie dem Leser auch ein allgemeines Dilemma der Vorderasiatischen Religionsgeschichte und Literaturwissenschaft vor Augen: Komparative Studien zur Religiösität Israels und seiner Nachbarn der Spätbronze- und Eisenzeit, die ihr Thema und ihren Gegenstand aus den uns überlieferten Texten gewinnen, sind ein wirkliches Desiderat der Forschung. Sicherlich, auch das hat die anregende Arbeit von P. deutlich vor Augen geführt, zwingt dies auch zu einer fächerübergreifenden Kooperation von Fachgelehrten, ohne die eine gründliche Behandlung des Themas wohl fragmentarisch bleiben muss.

Fussnoten:

1) Das belegen auch die wiederkehrend eingestreuten Bemerkungen. "Sacrifice in Israel is too broad a subject to deal with in any detail here. Only an outline of the main occasions, types and nature of sacrifice will be sketched as a basis for comparative analysis between the ancient Near East and Israel on the one hand and between Israel and patriarchal sacrifice on the other" (44).

2) Die antiken Autoren sowie die Kirchenväter fehlen in den ansonsten hilfreichen Registern ganz.