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Ausgabe:

Januar/2001

Spalte:

28–30

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Macchi, Jean-Daniel

Titel/Untertitel:

IsraÎl et ses tribus selon GenËse 49.

Verlag:

Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999. XIV, 380 S. gr.8 = Orbis Biblicus et Orientalis, 171. Geb. DM 118,-. ISBN 3-7278-1259-1 u. 3-525-53714-X.

Rezensent:

Horst Seebass

M.s Werk ist die Druckfassung seiner Dissertation, die von A. de Pury in Genf betreut und 1998 dort angenommen wurde. Abgesehen von einer Äußerung zur Parallelbearbeitung von R. de Hoop 1 (307-314) teilt M. sein Werk in 4 Teile. Einer Einführung (1-26), die Grundlagen der Untersuchungen festlegt (neben allgemein akzeptierten auch umstrittene wie z. B. E. Blums Pentateuchmodell, das modifiziert u. herabdatiert wird; zur Historie: Juda vor dem 8. Jh. kein richtiger Staat); zum angeblichen Genre von Stämmesprüchen 2), folgt als Hauptteil (27-250) die Exegese und historische Einordnung von 49,1-28. Der 3. Teil (251-299) wendet sich den alttestamentlich belegten Stämmelisten zu und erklärt deren Zwölfersysteme als aus Gen 29,31-30,24 + 35,16-20 ableitbar. 3 Weil dieses nach M. (271) erst exilisch denkbar ist, würdigt er entstehungsgeschichtlich die vorklassischen Nichtzwölfersysteme in Ri 5,14-18; Dtn 33,*6-25, fragt nach dem ethnologischen Sinn von Tribalität (Kriterien!) sowie dem in Israel und vergleicht schließlich die poetischen Volks- bzw. Stämmesprüche in Ri 5; Dtn 33 und Num 23 f. (Bileam). Der 4. Teil (302-306) faßt knapp und bequem die Ergebnisse zusammen. Neben der Literaturliste findet man ein Bibelstellen- und ein Autorenregister.

Die Ergebnisse lauten in Kürze: 49,1b-28a ist in einen wohl schon sekundären P-Rahmen 1a.28a,.b eingefügt und damit nachpriesterlich. Im Inneren seien 1b-12.22-27 als Juda-Bearbeitung identifizierbar, die in die Nähe der Pentateuchendredaktion gehören. Durch sie würden Ruben, Simeon und Levi ausgemerzt, um Juda den Status des Ältesten und 4. Erzvaters (V. 8b nach 27,29) zu geben, während Joseph im Stil nachexilischer Prophetie (Sach 10; Ez 37; cf. 1Chr 5,1 f.) zum für Juda polaren Hoffnungsträger werde, gegen den wie allgemein gegen den Norden nicht polemisiert werde (241 f.). Der Benjaminspruch sei im Gefolge nachexilischer Vereinigung mit Juda (Neh, Esr, ChrG) dem Judaspruch nachgebildet (Wolf als neben dem Löwen starkes Raubtier). Jene Judaredaktion finde man auch in der Josephsgeschichte, deren Grundbestand (Ruben als Josephs Partner 4) erst ein Nachtrag zur P-Vätererzählung 5 sei.

In Gen 49 gebe es als alten Kern eine festgeformte Sammlung der Magdstämmesprüche (V. 13-17.19-21) aus der Omridenzeit. Sie leiste eine Vasallitäts-Beschreibung von außen, d. h. vom omridischen Zentrum Ephraim, Manasse und Benjamin aus. - In der Analyse der Stämmesysteme folgt M. weitgehend E. A.Knauf 6 und C. Levin 7. Dass M. damit Extrempositionen annimmt, macht die Akzeptanz seiner Analysen nicht leicht. 8 Der Vergleich mit Ri 5, Dtn 33 und Num 23 f. ergibt, dass Ri 5,14-18 keine Berührung mit Gen 49 hat, ein Grundbestand von Dtn 33 dagegen Gen 49 und Num 23,7-10.18-24 vorausliege und Num 24,3-9.14-19 von der Judaredaktion in Gen 49 beeinflusst sei.

Wer eine Diss. verfasst, muss irgendwo anknüpfen. M. beginnt bei Thesen von A. de Pury (neue Serie), T. Römer und E. A. Knauf. Hier ist nicht der Ort, über sie zu debattieren - der Rez. hat dies andernorts (nicht zu Knauf) geleistet. Dagegen bietet die Exegese der Sprüche in Gen 49 textkritisch, philologisch, und historisch-kritisch eine solche Fülle von Problemen, dass ein Gespräch über diesen gründlich bearbeiteten Kern der Diss. von M. ergiebig ist. M.s Werk ist jedoch eine Provokation, weil weithin anerkannte Thesen zu Israels Frühzeit als Vorurteile entlarvt und zu Fall gebracht werden sollen (19-25). Wenn im Folgenden Kritisches zu sagen ist, mindert dies jenes Urteil nicht, sondern nimmt nur die Provokation an. An meiner Auffassung 9 sehe ich zwar wenig zu ändern, lasse aber viele gegenläufige Thesen M.s zur weiteren Diskussion anstehen. Das Folgende soll nur Einiges ansprechen, das für ein sinnvolles Gespräch ernsthaft notwendig ist.

1. Dass V. 7b erst das Urteil für die 3 ersten Eponyme enthalte, ist zwar stimulierend, aber verfehlt, da M. die klare Trennung von V. 3 f. durch V. 5a übergeht und V. 6a.7a (Distanzierung von Simeon und Levi) ein Urteil enthalten, das V. 7b nur erweitert. V. 4a, "Du sollst keinen Surplus machen" (Übersetzung M.) ist schon sprachlich ein Urteil zu Ruben. M. hat nicht widerlegt, dass V. 7b nur (ein) Gott sprechen kann. Er presst Gen 34 so lange, bis es sich mit 49,5-7a harmonisieren lässt: exegetisch schlecht. Die Fixierung Levis auf die späten Leviten klappt nur, wenn man Gen *34 eindeutig als späte Fiktion erweist; aber das ist kaum möglich.

2. Da M. den Kontext von Gen 49 beachtet, ist es nicht folgerichtig, dass V. 8-12 Juda zum Ältesten/Haupterben machen sollen. Im Kontext ist Joseph Machthaber über die Brüder und erhält gemäß 27,27 f. den Segen des Gottes seines Vaters als Haupterbe (V. 25b). V. 8b entwirft für Juda eine andere Situation/Zeit.

3. Es ist weit hergeholt, dass die Löwenmetapher in V. 9 (Juda) von Dtn 33,22.20 (Dan und Gad) abhängig sei (91ff.), da sie mehrfach verwendbar ist. Das Bild vom Junglöwen lässt an Judas wirkliche Anfänge in EI/IIa denken: wieso an den perserzeitlichen Rest? Bis zu den Makkabäern geht selbst M. nicht.

4. Zu V. 10b verweist M. (137) an die Jerusalem-Orientierung in Jes 65,21; Mi 4,1-4//Jes 2,2-5; Hag 2,18; Sach 8,12; Am 9,14; Jo 2,22-24 u. Mi 5,6 f. Aber Orientierung an dem Universalismus Jerusalems und an Juda sind völlig zu trennen (s. Ps 87,1). - sjlh aus slh (M. 108 f.) abzuleiten, ist zwar möglich (Bedeutung "Ruhe"), aber warum dies Postulat neben den Nomina sa-lu-w, sälwa -h (mit Nuance "Nachlässigkeit"), salom?

5. In Jona 1,5 heißt jarkete-j offenbar nicht "Schiffsladeräume", sondern "Enden (des Schiffs)" als entferntes Versteck (s. HAL "Heck"). Daher denkt V. 13 nicht an Sebulons Schiffe, sondern an dessen "Enden" über Sidon. 10 Dass Sebulon in der Omridenzeit Verbindungen nach Sidon hatte, ist reine Hypothese: Wieso ist sie besser als eine Anlehnung an Ri 5,17 in der Frühzeit?

6. Die Deutung des Issacharspruchs (königl. Frondienste, positiv beurteilt) ist wegen 1Kön 12 ganz misslungen, die von A. Alt initiierte Deutung in vorstaatlicher Zeit kaum auszuhebeln (Issachar ist zeltend zu denken). Den Spott, den G. v. Rad z. St. bemerkte, lässt M. wegen seiner These nicht gelten, dass Positives zur Omrizeit gesagt werde.

7. Dass Dan nach V. 16 f. an Israels N-Grenze zu suchen sei, ist nicht beweisbar. M. aber will Dan gegen den Wortlaut als Stadt. V. 20 kann Lieferungen Aschers an eigene Könige meinen; aber "geben" bedeutet nicht "Steuer/Tribut".

8. V. 21 ist problemlos übersetzbar, 11 eine Textänderung Willkür. Woher weiß M., dass Israel Hirschzucht trieb (so M. zu 21b)?

9. Zum Josephspruch: Wenn man wie M. in V. 22a be-n pa-ro-t punktiert (Sohn von Kühen), ist es ein Schmäh, dies auf Josephs Amtserhebung wegen des pharaonischen Traums von Kühen zu beziehen (191 f.). Gleiches Niveau zeigt die Deutung von V. 22b, Joseph als Stier (cj) habe Erfolg bei Frauen (ba-no-t = Kühe, Stier als Metaphern) wie bei Potiphars Frau (194: so-r statt su-r "Mauer").

Dass P in Gen 1 u. ö. einen männlichen Gott verkünde, der wegen "ensemenance" Fruchtbarkeit verheißen könne (222 f.), tut P Gewalt an. Dass V. 25 mit dem Anklang von sa-dajim "Brüste" an Schaddaj eine Volksetymologie aufgreife (220 u. ö.), ist pure Behauptung. Weil M. V. 22-26 von Dtn 33,13-17 abhängig sieht, findet er sogar ra-ham (Pausa: Mutterschoß) in V. 25 als Aufnahme von jea-ra-hi-m (Monde/Monate) in Dtn 33,14 plausibel (224)! Ist das die "neue Pentateuchkritik"? Zu V. 25b-26 versteigt M. sich so ausschließlich in den Aspekt der Fruchtbarkeit (den Dtn 33,13-16 tatsächlich belegt), dass er den klaren Sinn (cf. 27,27 f.) vom Segen des "Gottes deines Vaters" übergeht, nämlich die Bezeichnung Josephs als Führer der Brüder (206 ff.). Dass V. 23-24a, an die 24b-26 anschließen, als Korrektur aus Dtn 33,17 ableitbar seien, weil sie Josephs Triumph in einen aus der Josephsgeschichte ableitbaren Brüderkampf abwandelten (231), ist Midrasch statt Exegese. Denn dass das Verb stm in Gen 50,15 ausreicht, um in V. 23 sicher einen Brüderkampf zu unterstellen, kann man nur behaupten, nicht beweisen (Arme u. Pfeile bloße Symbole?).

Ein konzeptionelles Gesprächserfordernis nenne ich noch zu 3 Punkten. 1) Es ist lediglich theoriebedingt, dass M. 29,31-30, 24 + 35,16-20 als vom Kontext isoliert und deshalb als Nachtrag im Kontext erklärt. Die Quellenscheidung meidet solchen Theoriemangel. 2) Entnervend sind Abhängigkeitserklärungen bei Ähnlichkeiten (s. o.). So ist z. B. nicht akzeptabel, dass Num 24,9a eine Übernahme aus Gen 49,9b sei, da das Motiv aus Tierbeobachtung stammt und einen Topos bildet. Auch haben Num 23,24 und Dtn 33,20 nur die Löwenmetapher gemeinsam. 3) Die Perserzeit wird ein weiteres Mal befrachtet (M. spielt sogar mit der hellenistischen Zeit, z. B. zu 49,5a <55>) - ein Müllberg alttestamentlicher Wissenschaft.

Aus der detaillierten Rezension möge man ersehen, dass M.s Leistung viel Gespräch verdient, da er sich einer nach wie vor schwierigen Tradition der schönen "Bibel Israels" (C. Dohmen) mit großer Sachkenntnis widmet. Seine Ergebnisse werden wegen des Chaos in den Grundannahmen der alttestamentlichen Wissenschaft ganz verschieden diskutiert werden. M.s Werk zeigt Kompetenz und Erfindungskraft, leider sehr einseitig.

Unter den Druckfehlern sind mir nur 3 sinnentstellende aufgefallen. S. 225 n. 204, Z. 3 lies t'wt statt m'wt. S. 292 n. 158, letzte Z. lies "cite" statt "site". S. 298, Z. 6 von o. lies "Balak" statt "Barak" (!).

Fussnoten:

1) Genesis 49 and its Literary and Historical Context, OTS 39 (1999). S. meine Rezension in OLZ 2000 (im Druck).

2) S. dagegen m. R. de Hoop 248-315.

3) Ähnlich U. Schorn, Ruben und das System der zwölf Stämme Israels, BZAW 248 (1997) mit Unterschieden in Details und Datierung.

4) Anknüpfend an Analysen von W. Dietrich, Die Josephserzählung als Novelle und Geschichtsschreibung, BThSt 14 (1989) und N. Kebekus, Die Josefserzählung, Internat. Hochschulschriften Münster 1990.

5) Keine P-Notizen zu Joseph nach T. Römer, La narration une subversion, in: Manchester-Lausanne 1996 Biblical Studies Seminar (1996) 1-13.

6) Stämme Israels, EKL (1994) 479-83.

7) Das System der zwölf Stämme Israels, in: J. A. Emerton (Ed.), Congress Vol. Paris 1992, VT.S 61 (1995) 163-178.

8) Warum fehlt z. B. im Lit.-Verz. R. Smend, Zur Frage der altisraelitischen Amphiktyonie, EvTh 31 (1971), 623-630 = Ges.St.2 (BevTh 100, 1987), 210-217? Ist der 2. Teil gründlich genug?

9) Genesis III. Josephsgeschichte (37,1-50,26), Neukirchen 2000, z. St. Das Werk von R. de Hoop (s. Anm. 1) konnte ich berücksichtigen, das von J.-D. Macchi erreichte mich zu spät.

10) S. etwa E. Otto, Jakob in Sichem, BWANT110 (1979), 224.

11) HAL zu säpär hat meine Deutung von 21b als einzig möglich erklärt: Die Stämmesprüche in Gen 49,3-27, ZAW 96 (1984), 333-350: 342. M. 175 n. 171.172 u. ö. hat meine Erklärung missverstanden: "verjagt" ist nicht "gejagt", sondern weggeschickt; Naftalis Reden benötigen ein Publikum als Hörer, das Publikum erwartet sie nicht unbedingt.