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Ausgabe:

Januar/2001

Spalte:

26 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Sundermeier, Theo

Titel/Untertitel:

Was ist Religion? Religionswissenschaft im theologischen Kontext. Ein Studienbuch.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1999. 272 S. 8 = Theologische Bücherei, 96. Kart. DM 49,80. ISBN 3-579-02636-4.

Rezensent:

Fritz Stolz

Haupt- und Untertitel des Werkes geben das Programm präzise an: Der Leser erhält eine Antwort auf die Frage, was Religion ist; er wird in die von Sundermeier im Kontext der Theologie betriebene Religionswissenschaft eingeführt, durchaus mit Seitenblicken auf andere Arten von Religionswissenschaft. Ziel ist aber nicht ein Überblick über die Möglichkeiten, Religionswissenschaft zu betreiben, sondern die Erschließung eines bestimmten Zugangs. Das Buch liest sich leicht, es ist informativ und geschickt aufgebaut; der Leser wird reich belehrt. Immer wieder stößt er auf den Satz "Wir fassen zusammen", und dann erwartet ihn eine leicht fassliche Summe des Gelesenen, so dass er es sich merken kann - für den Studierenden also auch ein didaktischer Gewinn.

Der Autor behandelt in einem ersten Abschnitt Definitionsfragen, wobei er - in lockerem Rückgriff auf Schleiermacher und Rudolf Otto - den Erfahrungsbegriff ins Zentrum stellt und diesen, nicht untypisch für das Verfahren insgesamt, an Erlebnisberichten und poetischen Texten erläutert; die Illustration tritt häufig an die Stelle der theoretischen Bestimmung. Der Kern von Religion ist also durch einen bestimmten Erfahrungstyp gegeben, und in einem Exkurs wird dann eine förmliche Definition formuliert: "Religion ist die gemeinschaftliche Antwort des Menschen auf Transzendenzerfahrung, die sich in Ritus und Ethik Gestalt gibt." (27) Bemerkenswert ist dabei, dass die vorher gegebenen Illustrationen für den (religiösen) Erfahrungstypus dem individuell, nicht etwa gemeinsam formulierten Erleben zugehören. Wie ein neuzeitlich-modernes Erfahrungskonzept in den Bereich anderer Kulturregionen übertragen werden kann, ist ein typisches Problem eines substantialistischen Ansatzes, wie S. ihn versucht; es wird auffälligerweise nicht weiter diskutiert.

Nach den Vorbemerkungen diskutiert S. phänomenologische Perspektiven, in welchen er insbesondere die Unterscheidungen von "primärer und sekundärer Religionserfahrung" sowie von "Versöhnungsreligion und Erlösungsreligion" einführt. Beide Unterscheidungen sind konstitutiv für das ganze Werk und beispielhaft für problematische Weichenstellungen, sie sollen deshalb etwas ausführlicher diskutiert werden. "Primäre Religionserfahrung" prägt die "Stammesreligionen", sie "dient dem vitalen Wohl der Gemeinschaft" (44); auch funktionalistische Bestimmungen haben also durchaus ihren Ort. Theologische Wertungen schimmern durch: "In der Ehrfurcht vor Gott, der als der Eine in vielen Fraktionen begriffen wird, ist sie ein vielstimmiges Preislied auf das Leben" (36) - eine Religion des ersten Artikels gewissermaßen. Sekundäre Religion ist demgegenüber bestimmt durch Individualisierung und Universalisierung, durch das Aufkommen der Wahrheitsfrage, sie ist geprägt durch Stifterfiguren (36).

S. unterscheidet einerseits scharf zwischen den beiden Erfahrungs- bzw. Religionstypen. Andererseits beobachtet er natürlich, dass z. B. in Ägypten der sekundäre Erfahrungstyp aufkommt, genau wie in allen anderen stratifizierten Gesellschaften (übrigens längst vor dem Auftauchen von Stifterfiguren), und er beobachtet, dass auch im Christentum und Buddhismus primäre Erfahrung vorhanden ist. Offensichtlich reicht also eine schlichte Typologie nicht aus, und hier wäre vertiefte Reflexion angezeigt gewesen.

Ähnliches gilt für die andere Unterscheidung, die vor allem am jüdisch-christlichen Material durchgeführt wird: Israel nach S. ist bis in seine Spätzeit hinein eine Versöhnungsreligion, in der es darum geht, Menschen untereinander, mit Gott und mit der umgebenden Natur zu versöhnen. Erst im Christentum kommt es (nach einer "Infektion" durch den Neuplatonismus, 57) zu einer Abwendung von der Welt und damit zur Verwandlung zur Erlösungsreligion, wie sie der Buddhismus darstellt. Allerdings sind in Israel spätestens seit dem Exil (also seit eine "israelitische Religion" einigermaßen greifbar ist) Tendenzen einer Jenseitsorientierung auszumachen, die in Richtung "Erlösungsreligion" gehen. Und in vielen traditionellen Gesellschaften ist die elementare Unterscheidung zwischen Kultur und Natur (wie immer diese dann konkretisiert ist) ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Terminus "Versöhnung" zu kurz greift. Hier wie dort müsste das analytische Instrumentarium mit gleitenden Skalen rechnen, die zunächst auf der Metaebene religionswissenschaftlicher Theoriebildung semantisch zu präzisieren und dann im Hinblick auf ihre Verwendung zu regulieren wären.

Der Inhalt der weiteren Kapitel sei summarisch angedeutet. Der zweite Teil handelt über konstitutive Elemente von Religion (Raum und Zeit, Ritus und Symbol), Transzendenzerfahrung und Gottesproblematik (insbesondere wird das Problem von Monotheismus und Polytheismus in vielen historischen Facetten diskutiert).

Der dritte Teil behandelt die Begegnung der Religionen, der vierte das Problem von Religionswissenschaft, Missionswissenschaft und Theologie. S. betont (mit Recht), dass diese Disziplinen ihre Eigenständigkeit bewahren müssen und dennoch aufeinander angewiesen sind; dabei zeichnet er ein harmonisches Modell: Theologie und Religionswissenschaft sind grundsätzlich auf den selben Gegenstandsbereich bezogen, die Religionswissenschaft operiert, theologisch gesehen, gewissermaßen auf dem Boden des 1. Artikels.

S. greift immer wieder auf seine eigenen Erfahrungen im Bereich fremder Religionen und Kulturen zurück. Das gibt dem Buch Farbe und Anschaulichkeit. Mit leisem Spott wendet sich der Autor gegen die "Schreibtischtäter" unter den Religionswissenschaftlern - etwa gegen Walter Burkert und dessen Opfertheorie (90 ff.). Immerhin: Auch der Schreibtisch ist ein unverzichtbares Werkzeug des Religionswissenschaftlers, und man muss es ziemlich intensiv benutzen, bis konsistente und weit reichende Theorien entstehen. Ein bisschen mehr davon hätte S.s Buch gut getan.