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Ausgabe:

Januar/2001

Spalte:

24–26

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Sfar, Mondher

Titel/Untertitel:

Le Coran, la Bible et l'Orient ancien. 2. Aufl.

Verlag:

Paris: Mondher Sfar 1998. 447 S. 8. fFr 129,-. ISBN 2-9511936-1-0.

Rezensent:

Peter Heine

Der Koran als zentraler heiliger Text des Islams hat stets im Mittelpunkt des Interesses von muslimischen Gelehrten wie westlichen Islamwissenschaftlern gestanden. Die innerislamischen Diskussionen waren dabei stets von besonderer Lebhaftigkeit, zeigten aber vor allem in Fällen, in denen das ,Dogma der Unnachahmlichkeit des Korans' auch nur in Ansätzen in Frage gestellt wird, eine erhebliche Schärfe. Die Zwangsscheidung der Frau des ägyptischen Literaturwissenschaftlers, Hamid Abu Zayd, weil dieser wegen seiner Ansichten zum Koran zum Apostaten erklärt worden war, ist nur eines der Beispiele für die Sensitivität des Themas.

Der Vf. des vorliegenden Buches geht unter diesem Gesichtspunkt mit seinem Text ein gewisses Risiko ein. Er versteht sich als Revolutionär in der Geschichte der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Koran als Text. Er fordert, dass Muslime mit dem Koran in der gleichen historisch-kritischen Weise umzugehen hätten, wie dies christliche Bibelwissenschaftler seit vielen Jahrzenten mit dem Alten und dem Neuen Testament tun.

Dem Vf. ist nicht bekannt, dass sich auch muslimische Wissenschaftler mit der Frage nach historisch-kritischen Methoden auseinandersetzen, auch wenn sie enge Grenzen für den entsprechenden Umgang mit dem Koran setzen. Nach S. geht es nicht nur um einen neuen Blick auf den Text selbst, sondern auch darum, ihn aus seinem kulturellen Kontext zu verstehen. Dieser dürfe sich nicht auf die vorislamische arabische Halbinsel beschränken, sondern müsse den gesamten Bereich des Alten Orients mit in Betracht ziehen. Der Vf. geht von der nicht zu bestreitenden These aus, dass grundsätzlich zwischen Religionen und den Gesellschaften, in denen sie entstanden sind, vielfältige Beziehungen bestehen. Dabei dominieren die gesellschaftliche Entwicklung, die politischen Vorstellungen und Strukturen die Religion. Für den Alten Orient stellt er ein ,sakrales Königtum' fest, das sich aus seiner Sicht konsequenterweise auf den Koran und damit auf die politischen Vorstellungen des Islams auswirken musste.

Zunächst wird in dem Buch ein Modell königlichen Wirkens entwickelt und dieses auf die Geschichte der Schöpfung der Welt, des Schicksals des Menschen und auf ,das koranische Pantheon' angewendet. Aus dieser Perspektive werden dann auch die prophetischen Institutionen untersucht, die Himmelsreise Muhammads beschrieben und schließlich über eine Götterdämmerung Allahs spekuliert, ein Vergleich zwischen dem alt-orientalischen Gott Nergal und Allah gezogen und abschließend eine Beziehung Muhammads zum Manichäismus konstatiert. Die von S. mit viel Fleiß und Gedankenreichtum hergestellten Parallelen sind in der Tat bemerkenswert. Der vom Vf. aus ihnen gezogenen Schlussfolgerung, dass es im Sinne eines Diffusionismus entsprechende Abhängigkeiten geben müsse, werden allerdings nur wenige Fachgenossen folgen wollen. In anderen Fällen muss man sich fragen, ob da, wo er sie findet, tatsächlich Parallelen vorhanden sind. So meint er, dass der alt-orientalische Herrscher im Sinne des orientalischen Despotismus für die Menschen Regeln aufstelle, diese dann dazu bringe, diese zu verletzen und sie dann für diesen Regelverstoß bestrafe. Geht man für den Moment einmal davon aus, dass diese Darstellung richtig ist (woran durchaus gezweifelt werden kann), dann muss doch festgestellt werden, dass die Beschreibung des Islams als einer Religion, ,in der Gott in die Irre führt, wen er will, und auf dem rechten Weg leitet, wen er will', in der islamischen Religionsgeschichte zwar eine Rolle gespielt hat, aber spätestens mit dem großen Gelehrten al-Ghazzali (1111) auf der Basis von dessen Umgang mit dem Koran von der Vorstellung der Handlungsfreiheit des Menschen abgelöst worden ist. Altorientalische oder biblische Traditionen, die sich auch im Koran finden, dürfen nicht dazu verleiten, direkte Abhängigkeiten zu konstatieren.

Diese Einschätzung des Textes würde dem Offenbarungsvorgang, so wie er uns in den entsprechenden frühislamischen Quellen geschildert wird, nicht entsprechen. Neben diesen Traditionen finden sich im Übrigen ja auch andere, deren Bedeutung nicht geringer eingeschätzt werden darf, auch wenn uns deren Herkunft nicht so genau bekannt ist. Der Vf. hängt im Grunde einer positivistischen Vorstellung von Religionswissenschaft an, die davon ausgeht, dass endgültige Feststellungen zur Entstehungsgeschichte des Islams getroffen werden können.

Jeder, der sich z. B. mit Fragen der vor-islamischen Gesellschaftsstruktur auf der arabischen Halbinsel beschäftigt hat und dazu vor- und frühislamische Quellen zu Rate gezogen hat, weiß dass eine solche Hoffnung trügt. Problematisch an dem vorliegenden Buch ist, dass es ein islamisches Gottesbild zeichnet, dass - soweit ich als Nicht-Muslim dies feststellen kann - nicht dem Gottesbild der großen Mehrheit von Muslimen entspricht. Wohl bestätigt es dagegen das Feindbild vom Islam, das sich in den verschiedensten Kreisen finden lässt, auch wenn S. dies nicht beabsichtigt haben mag.