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Ausgabe:

Dezember/2000

Spalte:

1327–1330

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Busch, Christine [Hg.]

Titel/Untertitel:

100 Jahre Evangelische Frauenhilfe in Deutschland. Einblicke in ihre Geschichte.

Verlag:

Düsseldorf: Archiv der Evang. Kirche im Rheinland 1999. XVII, 316 S. m. zahlr. Abb. 8 = Schriften des Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland, 23. Kart. DM 24,-. ISBN 3-930250-32-2.

Rezensent:

Antje Roggenkamp-Kaufmann

Der vorliegende Sammelband gibt Einblicke in die gut 100-jährige Geschichte der Evangelischen Frauenhilfe (EFH) und ist aus Anlass ihres Gründungsjubiläums erschienen. Neben verschiedenen Geleitworten enthält er die Satzung der Evangelischen Frauenhilfe in Deutschland e.V. vom 18.5.1992 (273-283), einen Überblick über ihre Vorsitzenden und ihre Geschäftsführer bzw. Geschäftsführerinnen (284-287) sowie eine Zeitleiste, die die Geschichte der EFH in Beziehung zu sonstigen kirchen- und gesellschaftspolitischen Ereignissen setzt (288-301). Ein Nachwort der leitenden Pfarrerin der EFH, Christine Busch, rundet die Publikation ab (303-309).

Die Vorsitzende des Evangelisch-Kirchlichen Hilfsvereins (EKH), Brigitte Grell, porträtiert die spätere Kaiserin Auguste Viktoria (1-8). Erstrebte die wegen ihrer Anstrengungen für den Kirchenbau auch "Kirchenjuste" genannte Kaiserin mit der Gründung des EKH im Jahr 1888 zunächst "eine bessere geistliche Versorgung" (3) der z. T. riesigen Gemeinden (bis zu 100.000 Seelen), so suchte sie auch, das Elend der Berliner Arbeiterfamilien zu mildern. Zu diesem Zweck regte sie 1897 im EKH an, die an einzelnen Berliner Kirchen bestehenden Modelle freiwilligen häuslichen Pflegedienstes im größeren Stil auch auf andere Provinzen zu übertragen. Damit war der Grund für die am 1.1.1899 erfolgte Konstituierung der EFH gelegt.

Fritz Mybes, der Vf. der Monografie Der Evangelisch-Kirchliche Hilfsverein und seine Frauenhilfe (Köln 1988/1998 [SVRKG 92]), stellt die Anfänge der EFH in den Jahren 1899-1932 vor (9-40). Er ergänzt die Darstellung Grells um den Hinweis darauf, dass der EKH infolge seines Engagements für den Berliner Kirchenbau um die Mitte der 1890er Jahre in eine schwere Krise geraten sei. Die Gründung der EFH im Jahr 1899 könne als Antwort des Gesamtvereins auf eine entsprechende Kritik der Provinzialvereine gelten. Zwar sei die übergemeindlich organisierte häusliche Krankenpflege der EFH von den Gemeinden zunächst kritisch beäugt worden, die regionalen Frauenhilfen hätten sich aber zunehmend mit den innergemeindlichen Gegebenheiten arrangiert: Im Mai 1916 existierten 3279 regionale Vereine, bereits 1908 konnte die Frauenhülfe für das Ausland gegründet werden. War die EFH zunächst als Hilfe für den EKH gedacht, so entwickelte sie sich noch im Kaiserreich zu einem einflussreichen Faktor innerhalb der evangelischen Kirche. Allerdings erstrebte die im Kaiserreich ausschließlich von Männern geleitete EFH lediglich, "die Pflichten der christlichen Liebe in der Gemeinde zu wecken" (23). Auf die Einforderung von Frauenrechten wurde verzichtet. Der Auftrag der EFH habe nicht auf dem Felde der Sozialpolitik gelegen, sondern sei durch Seelsorge und Caritas bestimmt gewesen.

Die Historikerin Sigrid Lekebusch, die die Geschichte der EFH in den Jahren zwischen 1926 und 1946 entfaltet, kann demgegenüber einen Akzent auf das durch die Weimarer Verfassung möglich gewordene (gesellschafts-)politische Engagement von Frauen legen (41-95). In der Mitte der 1920er Jahre habe eine Gruppe um die Frau des späteren Reichsinnenministers, Alexandra von Keudell, den patriarchalen Führungsstil des stellv. EFH-Vorsitzenden, Paul Cremer, kritisiert und erreicht, dass zwei Frauen an die Leitungsspitze gewählt wurden (45 ff.). Die Wahl von Gertrud Stoltenhoff und Dagmar von Bismarck sei aber insgesamt lediglich Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins der in der EFH organisierten Frauenschaft gewesen. Das Dritte Reich brachte dann auch für die EFH einen Kirchenkampf. 1933 offiziell in Evangelische Reichsfrauenhilfe (ERFH) umbenannt, erhob diese einen Alleinvertretungsanspruch der kirchlichen Frauengemeindearbeit, gegen den insbesondere die Vorsitzende der einem gleichfalls konservativen Lager zuzurechnenden Vereinigung evangelischer Frauenverbände Deutschlands (VEFD), M. v. Tiling, umgehend protestierte. Deren Nachfolgerin A. v. Grone, jetzt dem Frauenwerk der Deutschen Evangelischen Kirche (FEDK) vorstehend, setzte sich mit den deutsch-christlichen Positionen des stellv. Vorsitzenden der ERFH, Hans Hermenau, auseinander, der darüber am 30.10.1933 zurücktrat. 1934 veränderten sich die Fronten insofern, als A. v. Grone gegen die Einschränkungen kirchlicher Frauenarbeit seitens des Deutschen Frauenwerks (DF) bei Reichsbischof Müller Protest einlegte und daraufhin nicht nur von Müller ihres Amtes enthoben, sondern auch aus der NSDAP, der sie bis dahin angehörte, ausgeschlossen wurde. Die Reichskirchenausschusspolitik der Jahre 1935-1937 spaltete nicht nur die Anhänger der Bekennenden Kirche (BK), sondern auch die ERFH, die sich zunehmend zur BK hingezogen fühlte. Nach 1937 eskalierten die Auseinandersetzungen mit staatlichen Institutionen, insofern die Vorsitzende des DF, Gertrud Scholtz-Klink, die bereits 1935 die Mitgliedschaft der FEDK einseitig gekündigt hatte, jetzt auch die ERFH aus ihrer Vereinigung ausschloss. Insbesondere auf regionaler Ebene sah sich die ERFH daraufhin den unterschiedlichsten Repressalien ausgesetzt, eine einheitliche Strategie von NS-Behörden und Gestapo war gleichwohl nicht erkennbar (78). Während in den intakten Landeskirchen die Frauenhilfen weitgehend als landeskirchliche Arbeiten fortgeführt wurden, waren ihre Institutionen in anderen Provinzen wegen ihrer theologischen Nähe zur BK fortan verboten. Nach dem zweiten Weltkrieg bildeten sich schnell zwei Zentren (Düsseldorf/Potsdam) heraus: Zwar wurden die diakonisch-karitativen Aufgaben weiterhin wahrgenommen, die gesellschaftspolitischen Leitbilder änderten sich aber in Ost und West gleichermaßen: Im Mittelpunkt der Arbeit der EFH stehe nun die mündige gesellschaftskritische Frau und damit die bildungspolitische Aufgabe.

Ein Vortrag von Fritz Mybes über das gesellschaftspolitische Mandat der Frauenhilfe rekapituliert deren passiv-konservative Grundhaltung bis 1918, die Anfänge aktiver politischer Mitgestaltung zu Beginn der Weimarer Republik sowie die für die EFH schwierige (kirchen-)politische Situation im Dritten Reich (97-109). Hervorzuheben sind zum einen seine Überlegungen zum Widerstandsbegriff: Zwar habe die EFH keinen aktiven Widerstand geleistet. Durch ihr Bestreben, die eigene Institution zu sichern, sei die EFH aber unweigerlich mit dem NS-Staat in Konflikt geraten. Damit sei die Haltung der EFH aber als die eines strukturellen Widerstandes zu qualifizieren. Zum anderen setzt Mybes der Kritik feministischer Geschichtsschreibung an einzelnen exponierten Personen, aber auch an Strategien der EFH grundsätzliche Überlegungen entgegen: "Wenn wir die Fragmente des Lebens derer betrachten, von denen wir meinen, sie müssten besser geglaubt, gehofft, geliebt, erkannt und bekannt haben, so wollen wir auch auf unser eigenes Leben sehen und uns fragen, ob wir heute die Herausforderungen unseres Glaubens erkennen und nach unseren Erkenntnissen handeln." (109)

Renate Zitt beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Frauenhilfe und Diakonie (111-126). Sie führt dabei hinsichtlich der Entstehung der EFH einen neuen Erklärungsansatz ein: Weniger das Engagement der "Kirchenjuste" genannten Kaiserin, als vielmehr der von Amalie Sieveking 1832 gegründete Weibliche Verein für Armen- und Krankenpflege sei als Keimzelle der EFH anzusehen (114). Während die Diakonie (u. a. in Gestalt von Fliedner und Wichern) im 19. Jh. zunächst das Modell der symbolisch entlohnten Diakonisse favorisiert habe, sei die Gründung der EFH auch vor dem Hintergrund eines Nachwuchsmangels in diesem "Beruf" zu interpretieren: Das neue, von der EFH getragene Konzept habe sich als "ein Modell geschulter [!] ehrenamtlicher, als Verein institutionalisierter Diakonie, vor Ort in den Gemeinden, mit Frauen als Zielgruppe der Weckung ehrenamtlichen und finanziellen Engagements" (117) dargestellt. Dieses Modell, das sich grundsätzlich auch für die Zeit von Weimarer Republik und Drittem Reich nachweisen lasse, könne auch aktuelle Formen weiblicher Diakonie tragen. Es sei allerdings um die seit 1945 in DDR und BRD gesammelten Erfahrungen zu ergänzen, insofern Frauenhilfe sich "konzeptionell an Visionen der Kirchen- und Gesellschaftserneuerung zu Gunsten der Frauen" (126) abarbeiten müsse.

Gisela Opitz, von 1982 bis 1994 amtierende Geschäftsführerin des Welt-Gebetstags-Komitees der DDR, zeichnet dessen Weg von den ersten zaghaften Ansätzen im Jahre 1947 über die Organisation des Weltgebetstags von 1977 bis hin zur Auflösung des Komitees im Jahre 1994 nach (127-170).

Nicht nur für die Geschichte der EFH, auch für diejenige der Religions- bzw. Gemeindepädagogik dürfte die Person Maria Weigles von Bedeutung sein, die die Bielefelder Studierendenpfarrerin Heike Koch porträtiert (171-204). 1893 geboren, studierte sie zwischen 1919 und 1924 ev. Theologie und legte 1929 ihr Zweites Theologisches Examen ab. Seit 1926 ehrenamtlich, von 1928 an bei der EFH fest angestellt, begründete sie 1936 die Bibelschule in Potsdam. 1945 wechselte sie zum bayerischen Mütterdienst nach Stein bei Nürnberg und übernahm hier die Leitung des neu gegründeten Gemeindehelferinnenseminars. 1958 erhielt sie als "erste ... und bislang einzige ... Frau" (172) den D. theol. der ev. Fakultät Münster. Ihren mehrwöchigen Bibel- und Schulungskursen lag ein Konzept zu Grunde, das Bibeltext und Anfragen der Frauen sukzessiv in ein Gespräch bringen sollte. In der Zeit des Dritten Reiches insistierte sie auch öffentlich auf dem Zusammenhang von Christentum und Altem Testament (192 ff.). Koch, die ihrem Artikel eine umfängliche Bibliografie mit Schriften Weigles folgen lässt, führt schließlich eine Reihe von Aussagen des aktuellen Programms der EFH auf deren Engagement zurück (201).

Regina Mentner skizziert die Geschichte des 1904 gegründeten Boten für die christliche Frauenwelt (205-272). Dabei ist hervorzuheben, dass sie die bisherigen Beobachtungen zur wachsenden gesellschaftspolitischen Profilierung der EFH seit den Anfängen der Weimarer Republik und insbesondere in der Zeit nach 1945 stützen kann: In dem später in Frauen unterwegs umbenannten Organ der EFH veröffentlichten so unterschiedliche Politikerinnen wie Rita Süßmuth und Antje Vollmer.

Entstanden ist ein umfänglich über die Geschichte der Frauenhilfe in den unterschiedlichen politischen Systemen informierender Band, der seinem Anlass gemäß einen Schwerpunkt auf die Entwicklung der EFH bis zur Zeit des Dritten Reiches legt. Kritisch zu vermerken ist allerdings, dass sich in den einzelnen Aufsätzen wiederholte Schilderungen des gleichen historischen Sachverhalts finden. Dieser Umstand dürfte aber nur z. T. als Folge der methodologischen Vielfalt - neben sozial- und verbandsgeschichtlichen lassen sich auch gesellschaftspolitische und professionssoziologische Ansätze nachweisen - zu erklären sein. Positiv hervorzuheben ist demgegenüber, dass der vorliegende Band in einer - nicht nur mit Blick auf sein Genus - selten anzutreffenden Weise um eine differenzierte Darstellung und abwägende Argumentation bemüht ist. Dies gilt insbesondere für die Zeit des Dritten Reiches. Von hier aus gelingt es insgesamt, neue Aufgaben diakonischen Handelns von der Verantwortung für die (eigene) Geschichte her zu erschließen.