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Ausgabe:

Dezember/2000

Spalte:

1308 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hiller, Doris

Titel/Untertitel:

Konkretes Erkennen. Glaube und Erfahrung als Kriterien einer im Gebet begründeten theologischen Erkenntnistheorie.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1999. XII, 244 S. 8 = Neukirchener Theologische Dissertationen und Habilitationen, 22. Kart. DM 88,-. ISBN 3-7887-1726-2.

Rezensent:

Christiane Tietz-Steiding

Die 1997 von der theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena angenommene Dissertation hat sich zum Ziel gesetzt, "die Bedeutung des Gebets für eine theologische Erkenntnistheorie" (1) so herauszuarbeiten, dass plausibel wird: sola oratio facit theologiam (234). Um dies zu zeigen, geht die Vfn. in vier Schritten vor: In einem ersten Kapitel (1-50) stellt sie dar, was unter theologischer Erkenntnistheorie zu verstehen ist, in einem zweiten (51-119) versucht sie das Verhältnis von Glaube, Erkenntnis und Erfahrung zu klären, indem sie Luther und Schleiermacher einander gegenüberstellt und dann mit der theologischen Wiedergewinnung des Erfahrungsbegriffes durch Gerhard Ebeling konfrontiert. Im dritten Kapitel (120-184) kommt anhand der Ansätze Anselms von Canterbury und Walter Bernets die Bedeutsamkeit des Gebetes für theologische Erkenntnistheorie explizit in den Blick: Während für Anselm das Gebet Ort der Gotteserkenntnis ist, betrachtet Bernet das Gebet allein unter der Perspektive der menschlichen Selbsterkenntnis. Mit Überlegungen zu Ebelings hermeneutischer Lehre vom Gebet präzisiert die Vfn. das an beiden Ansätzen Kritisierte, fragt dann aber auch nach eventuellen metaphysischen Implikationen der Ebelingschen Hermeneutik. Das abschließende Kapitel (185-234) soll, erneut in Auseinandersetzung mit Ebeling, aus den gewonnenen Differenzierungen eine eigenverantwortliche Hermeneutik des Gebets entwickeln, die es möglich macht, Theologie als "konkretes Erkennen" zu verstehen. Letzterer Begriff, den die Vfn. im Anschluss an G. Schneider-Flume bildet, meint ein Erkennen, "das nicht erst konkret werden muß, sondern von der Konkretheit seines Gegenstandes - der Geschichte Gottes mit den Menschen - getragen wird" (49).

Der Ansatz der Vfn., das Gebet für eine theologische Erkenntnistheorie in Anschlag zu bringen, liegt begründet in der Beobachtung, dass das Gebet "die Ausdrucksform des christlichen Glaubens [ist], in der ... die Beziehung zwischen Gott und den Menschen ... am unmittelbarsten ausgesprochen wird" (2). Im sich als Reflektieren, Situieren und Erzählen vollziehenden Gebet (220) wird diese Beziehung dabei selber "zum Verstehen gebracht", und zwar so, dass "wiederum die in Beziehung gesetzten Personen - Gott und Mensch - zum Verstehen kommen" (218). Weil deshalb in der im Gebet sich vollziehenden sprachlichen Begegnung, die nicht nur den Menschen, sondern auch Gott (!) verändert, der Gegenstand der Theologie, die cognitio dei et hominis, nicht erst konkret werden muß, sondern bereits konkret ist (217 ff.), kann und muss eine sich als "konkretes Erkennen" verstehende Theologie von diesem Sprachgeschehen her entfaltet werden.

Theologische Erkenntnistheorie, deren Eigenperspektive die Vfn. in Aufnahme von Einsichten H.-G. Gadamers immer wieder betont, muss drei Problemhorizonte berücksichtigen: "die Erkenntnisprinzipien, das Erreichen des Erkenntnisziels und den an den Erkenntnisprinzipien ausgerichteten Erkenntnisvorgang" (36). Erkenntnisziel ist "die relationale Unterschiedenheit von Gott und Mensch" (46); es wird in einem Erkenntnisvorgang erreicht, der nicht linear abläuft, sondern sich als kommunikatives Geschehen vollzieht (215). Als Erkenntnisprinzipien nennt die Vfn. Glaube und Erfahrung, die sich gegenseitig ergänzen sollen: "Glaube ohne Erfahrung ist leer - Erfahrung ohne Glaube ist blind." (67)

Diese von der Vfn. in Anlehnung an Kant geprägte Formel wird allerdings dadurch undeutlich, dass die Vfn. gleichzeitig davon spricht, der Glaube sei selber Erfahrung - wenn auch von eigener Art - oder ereigne sich als Erfahrung gegen die Erfahrung (z. B. 60, 67, 209). Gerade an diesem zentralen Punkt fehlt in der Arbeit die begriffliche Klarheit (wie übrigens auch dort, wo die Vfn. Glaube und Erfahrung offensichtlich promiscue als Erkenntnisprinzipien und als Erkenntniskriterien bezeichnet und wo sie Martin Heideggers Fundamentalontologie darstellt). So drängt sich die Frage auf, ob die Vfn. statt von einer Verschränkung von Glaube und Erfahrung nicht kontinuierlich von einer Verschränkung von Glaubenserfahrung und Lebenserfahrung hätte sprechen sollen (so explizit 117, 155 und 182). Inhaltlich bleibt außerdem offen, wo in einer vom Gebet, d. h. der Rede zu Gott, ausgehenden Erkenntnistheorie die Rede über Gott und die Rede von Gott her zu stehen kämen und wie sich in einer derartigen Erkenntnistheorie die Frage nach der Wahrheit des Geglaubten und Erfahrenen präzise stellen und beantworten ließe.