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Ausgabe:

Dezember/2000

Spalte:

1307 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Friedrich, Martin

Titel/Untertitel:

Von Marburg bis Leuenberg. Der lutherisch-reformierte Gegensatz und seine Überwindung.

Verlag:

Waltrop: Spenner 1999. 256 S. 8. DM 28,-. ISBN 3-933688-29-9.

Rezensent:

Ulrich H. J. Körtner

Wer eine allgemeinverständliche Gesamtdarstellung des wechselvollen Verhältnisses zwischen Lutheranern und Reformierten und der seit dem 16. Jh. unternommenen Einigungsversuche sucht, die schließlich zur Kirchengemeinschaft der Leuenberger Konkordie von 1973 führten, wird das vorliegende Buch mit Gewinn lesen. Zwar gibt es intensive Forschungen zu den einzelnen Abschnitten dieser Geschichte, kaum aber eine zusammenhängende Darstellung wie die vorliegende. Hervorgegangen aus einer kirchengeschichtlichen Vorlesung des an der Universität Bochum habilitierten und an der dortigen Spener-Arbeitsstelle tätigen Vf.s, wendet sich das Buch doch an ein breiteres Publikum. Neben einem ausführlichen Quellen- und Literaturverzeichnis ist ihm daher auch ein benutzerfreundliches Glossar wichtiger Fachausdrücke beigegeben, die im Text mit * gekennzeichnet sind.

Auch wenn der lutherisch-reformierte Gegensatz längst als überwunden gilt und im öffentlichen Bewusstsein des deutschsprachigen Raums kaum mehr empfunden wird, hält der Vf. sein Unternehmen aus mindestens vier Gründen für gerechtfertigt (9 ff.). Zum Ersten dominiert die konfessionelle Unterscheidung noch immer im Bereich der kirchlichen Institutionen. Zum Zweiten geht dieses Thema, wiewohl von eminent historischem Interesse, in Überblicksdarstellungen oft unter. Drittens ist es konfessionskundlich und viertens ökumenisch bedeutsam, zumal die Leuenberger Konkordie als "das protestantische Modell der Ökumene" (226) gelten kann. Das Buch will zugleich "als persönliche Rechenschaft über die Legitimität eines ,unierten Bekenntnisses' sowie über den konkordialistischen Weg zur Kircheneinheit" (5) gelesen werden. Über Leuenberg hinaus bzw. die Unionsbestrebungen des 19. Jh.s befürwortend, hält der Vf. "selbst die Vereinigung von Lutheranern und Reformierten für einen auch theologisch verantworteten richtigen Schritt" (11). Begründet wird dies nicht so sehr im Anschluss an die aufklärungstheologische Begründung der Unionen z. B. in Baden 1821 oder in der Pfalz 1823, die für sich genommen nur zu einer dritten protestantischen Konfession geführt hätten (185), sondern unter Berufung auf Schleiermacher und die Entwicklung in Preußen bzw. in der späteren altpreußischen Union und ihren Nachfolgekirchen. Der anfängliche Mangel einer fehlenden theologischen Begründung habe sich später als zukunftsweisend erwiesen, da der Unionsgedanke in Preußen dynamisiert wurde (161 f.). Ihre nachträgliche theologische Legitimation habe die preußische Union vor allem während des Kirchenkampfes erhalten. Der Vf. würdigt nicht nur die Barmer Theologische Erklärung als ein zukunftsweisendes Unionsbekenntnis (192 ff.), sondern auch die Erklärung der Bekenntnissynode der Altpreußischen Union von Halle 1937 als einen unionstheologischen "Meilenstein" (202), weil die theologische Berechtigung bleibender Lehrunterschiede anerkannt und zugleich relativiert wurde.

Ohne auf die vielen Einzelurteile des Vf. eingehen zu können, ist vor allem sein Grundverständnis der Reformation und ihrer inneren Einheit zu diskutieren. Wenn es nach Ansicht des Vf.s im Verlauf der Reformationsgeschichte zur "Spaltung des Protestantismus" (5.16) kam, operiert er, wie er selbst weiß, mit der umstrittenen Annahme eines reformatorischen Grundkonsenses und einem erklärungsbedürftigen Protestantismusbegriff. Ob ein derartiger, die theologischen Differenzen zwischen Luther, Zwingli, Bucer und Calvin relativierender Begriff dem Selbstverständnis der Reformatoren und den geschichtlichen Abläufen gerecht wird, ob er lediglich die externe Sichtweise der Gegenreformation oder aber die des Neuprotestantismus widerspiegelt, die überhaupt erst infolge der Abschwächung des lutherisch-reformierten Gegensatzes im 18. und 19. Jh. entstehen konnte, wird in der Forschung unterschiedlich beurteilt. Selbst wenn man die Frage nach der inneren Kohärenz der Reformation bejaht, ist dieses Urteil differenzierter als bei Friedrich zu begründen. Seine apologetische Darstellung droht bisweilen wider Willen eher für die Gegenposition zu sprechen. Auf die einschlägige Debatte zwischen B. Möller, D. Wendebourg und B. Hamm geht der Vf. leider nur in einer Fußnote ein (16), obwohl diese für die systematisch-theologische Beurteilung der Unionsbewegung des 19. Jh.s und der Leuenberger Konkordie, aber auch für das evangelisch-katholische Gespräch von größter Bedeutung ist. F. führt jedoch die Auseinandersetzung vor allem mit L. Aalen (15.227 ff.). Negativ beurteilt der Vf. die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre" des Lutherischen Weltbundes und der römisch-katholischen Kirche. Über die Gründe, weswegen der Vf. das Unternehmen als "Mißerfolg" bewertet (5; vgl. 226), hätte man gern mehr erfahren. Insgesamt bietet der Vf. aber eine informative und verdienstvolle Darstellung, die zugleich ein engagiertes Plädoyer für die Fortsetzung der Konsensökumene ist.