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Ausgabe:

Dezember/2000

Spalte:

1303 f

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Stolt, Birgit

Titel/Untertitel:

Martin Luthers Rhetorik des Herzens.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2000. XII, 200 S. 8 = UTB für Wissenschaft, 2141. Kart. DM 19,80. ISBN 3-16-147266-7.

Rezensent:

Martin Brecht

Nirgends sonst kann man heute noch Martin Luthers Kreativität unmittelbarer begegnen und sich von ihr anregen lassen als in seinen Texten. Zum gesicherten Verstehen von deren geschichtlich bedingter Gestalt bedarf es freilich einer gewissen methodischen Einführung. Diese bietet das kleine Buch der in Stockholm lehrenden Germanistin B. Stolt. Sie hat seit Jahrzehnten immer wieder originelle und luzide Untersuchungen über Luthers Sprache und literarisches Schaffen vorgelegt. Die hier zu rezensierende Veröffentlichung mit ihrem ansprechenden Titel fasst die von Frau Stolt im Fortgang der modernen Sprachwissenschaft entwickelten Einsichten zusammen. Nicht nur Historiker und Philologen, sondern alle, die mit Sprache, zumal religiöser, umgehen müssen, werden aus der Lektüre Gewinn ziehen. Insofern müsste die Anzeige des Buches eigentlich nicht unter einer Teilrubrik der Kirchengeschichte, sondern unter den Generalia stehen.

Schon das Vorwort tippt eine Fülle von Merkpunkten an und weckt die Neugier auf deren Ausführung, die sich jeweils schlagender Beispiele zu bedienen weiß. Zunächst wird der nicht selten verkannte Abstand von Luthers Sprache zur Gegenwart bewusst gemacht. Dass Luther (wie auch noch lange die Gebildeten nach ihm) sich vielfach einer deutsch-lateinischen Mischsprache bedient hat, gehört mit zu den von Frau Stolt fixierten Forschungsresultaten. Unbequem mag manchem die einfache Rückführung mancher Spracheigentümlichkeiten auf das Lateinische vorkommen. Entgegen vorgefasster Urteile hat gerade auch die Vfn. erwiesen, dass Luther sich der gängigen Rhetorik gekonnt bedient hat und dies selbst da, wo man kreative Spontaneität postulieren möchte. Dabei gehörte Luther zu den Autoren, die hören, was sie schreiben, und solches Vernehmen konnte ein eminent theologischer Vorgang sein. Das vernehmende Organ ist vorrangig das fühlende Herz, nicht der Intellekt - von daher der Titel des Buches. Erfahrung des Herzens spricht sich bei Luther aus, aber die angebliche mystische Prägung seiner Sprache wird mit gutem Grund bestritten. Jeder aktiv wie passiv Betroffene wird die Ausführungen über die Rhetorik von Luthers Predigten, die eben nicht einfach aus spontaner Impulsivität geflossen sind, mit Spannung verfolgen. Erhellend ist dabei der Vergleich zwischen dem Prediger Luther und dem Lehrer Melanchthon. Die Predigt wird auch als der Nährboden für die Bibelübersetzung erwiesen. Daraus ergab sich das keineswegs spannungsfreie Bündel von Übersetzungsmaximen (sinngemäß oder wörtlich, emotional, mit Gefühl für den Sakralstil). Wie von selbst führt die Darstellung in die Diskussion über die Revision der Bibelübersetzung. Zugleich kommt hier der Zusammenhang von Musik und Rhetorik bei Luther in den Blick. Ein eigenes Kapitel macht darauf aufmerksam, wie Luther den Humor gebraucht. (Dies erfolgte in engem Zusammenhang oder auch identisch mit seiner Poesie.) In den abschließenden Ausführungen über "Gotteskindschaft" wird verdeutlicht, wie intime familiäre Erfahrungen sich in Luthers Sprache niedergeschlagen haben. Eigens hinzuweisen ist auf das ausführliche Sachregister, mit dem sich die einzelnen angesprochenen Sachverhalte leicht auffinden lassen.

Dieses Werk gehört zu den wesentlichen Hilfsbüchern für das Lutherstudium. Der maieutische Dienst, den die germanistische Autorin damit über ihr Fach hinaus auch den Theologen geleistet hat, dürfte evident sein und verdient großen Dank. Dass sie selbst analog ihrem Stoff dabei etwas von dem schöpferischen Ereignis von Sprache vergegenwärtigt hat, ist das hohe Lob, das ihr zukommt.