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Ausgabe:

Dezember/2000

Spalte:

1298–1300

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Müller, Wolfgang Erich, u. Jürgen Heumann [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Kunst-Positionen. Kunst als Thema evangelischer und katholischer Theologie.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1998. 192 S. m. 5 Abb. gr.8. Kart. DM 49,80. ISBN 3-17-015153-3.

Rezensent:

Klaus Raschzok

Titel und programmatisches Vorwort des Sammelbandes wecken die hohe Erwartung einer grundlegenden, im ökumenischen Diskurs verantworteten Verhältnisbestimmung von Kunst und Theologie. Unter der Voraussetzung der Säkularisierung solle danach gefragt werden, wie Kunst als Zeichen der Zeit überhaupt religiös beziehbar sei und so der Weltbezug der Theologie exemplarisch am Paradigma Kunst aufgezeigt werden könne. Die 12 Beiträge sind nach fünf Themenschwerpunkten geordnet. Im Abschnitt "Kunst als Vergegenwärtigung des Religiösen" versteht Alex Stock ("Die Bilder, die Kunst und die Theologie", 11-17) Kunstwissenschaft als Resource für den theologischen Erkenntnisprozess und zeigt mögliche Wege auf, um den Erkenntnisgewinn der Kunstwissenschaft an den Diskurs der Theologie anzuschließen. Inken Mädler ("Direktiven - Perspektiven. Die Kunst der Moderne im Horizont theologischer Bestimmungen", 18-34) liefert einen Überblick über die Positionen theologischer Kunstkritik vom Ende des 19. Jh.s bis zur Gegenwart, nimmt jedoch etwa zu Schleiermacher Thomas Lehnerers unverzichtbare Dissertation nicht zur Kenntnis (T. Lehnerer, Die Kunsttheorie F. Schleiermachers, 1987). Albrecht Grözinger ("Gibt es eine theologische Ästhetik?", 35-43) stellt vier - in sich nicht konsequent entfaltete, sehr salopp formulierte - Grundmodelle theologischer Ästhetik vor.

Der zweite Themenbereich widmet sich der "Autonomie als Bezug zur Transzendenz". Horst Schwebel ("Bedrohte Freiheit- Kunst zwischen Programm und schöpferischem Prozeß", 44-55) stellt die These auf, dass der Begriff der Autonomie der Kunst keineswegs von der Verpflichtung entbinde, sich über die Einbeziehung eines Kunstwerkes im kirchlichen Raum vor Ort jeweils Gedanken zu machen. Kurt Lüthi ("Tendenzen zeitgenössischer Kunst - eine Kunst des Bilderverbotes?", 56-68) fragt nach dem Zusammenhang zwischen dem alttestamentlichen Bilderverbot und heutiger "sogenannter abstrakter Kunst" und vermag in seiner Verhaftung in der Fachdiskussion der 70er Jahre darauf keine überzeugenden Antworten zu geben. Im dritten Themenbereich wird "Weltgestaltung als ethischer Ertrag des Ästhetischen" verstanden. Jean-Pierre Wils ("Ethik und Ästhetik. Kulturdiagnostische Prolegomena", 69-80) weist darauf hin, dass ästhetische Erfahrung nicht verwechselt werden darf mit dem emotionalen oder psychischen Privatissimum. Walter Lesch ("Das Spiel mit dem ,Unmenschlichen'. Ethische und theologische Aspekte einer Ästhetik des Bösen", 81-95) rekonstruiert wichtige Gründe für die anhaltende ästhetische Faszination des Bösen und markiert die Sonderstellung des Bösen als einer ästhetischen Kategorie.

Sigurd Bergmann ("Das Fremde wahrnehmen. Die öko- und ethnologische Herausforderung der Bildkunst und Theologie", 96-120) entwickelt am Beispiel des samischen Künstlers Nils-Aslak Valkeapää eine ökoethnische Ästhetik, die aus dem Wechselspiel der Begegnung und der Wahrnehmung der Nähe und Distanz zum Fremden lebt. Er geht der Frage nach, wie sich Bildkunst und Theologie in der gemeinsamen öko- und ethnologischen Herausforderung begegnen können. Von der Theologie könne die Bildkunst lernen, wie man das Problem der religiösen Erfahrung und die Tradition ihrer Darstellung stets so offenhält, dass das Ferne, Andere und Fremde Gottes in der Schöpfung nicht gewaltsam eingeschränkt und manipuliert wird. Diese Analogie von Kunstwahrnehmung und Gotteserfahrung sei jedoch nicht ontologisch, sondern funktional soteriologisch zu verstehen. "So wie die Wahrnehmung eines Kunstwerks den Blick des menschlichen Geschöpfes reinigt, so befreit Gott aus dem Seufzen der Schöpfung" (116)

Die Fragestellung "Individualitätskultur als Folge theologischer Interpretation" bestimmt den vierten Themenbereich. Rainer Volp ("Kunst als individuelles Beziehungssystem. Ende oder Anfang einer Individualkultur?", 121-130) will aufzeigen, warum Theologen im Diskurs um Ästhetik den Individualbegriff im Interesse ihres Sachgebietes genauer als üblich bestimmen müssen. Wolfgang Erich Müller ("Kunst als Welterschließung. Zur Möglichkeit einer theologischen Interpretation autonomer Kunst", 131-148) möchte Kunst nicht als eine die menschlichen Verhältnisse transzendierende Wirklichkeit, sondern nur als Phänomen der Kultur verstehen, das Möglichkeiten eröffne, sich mit verschiedenen Sichtweisen der Welt auseinanderzusetzen. Im abschließenden Themenbereich "Bilder als Vermittlung des Religiösen?" formuliert Günter Lange ("Aus Bildern klug werden", 149-156) lediglich Selbstverständlichkeiten des religionspädagogischen Umgangs mit Kunstwerken und unterlässt die hierzu unumgängliche Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Kunstpädagogik. Auch dass in Ausführungen über den "Mehrwert von Bildern" Max Imdahl nicht genannt wird, ist strenggenommen unverzeihlich. Jürgen Heumann ("Die Flut der Bilder - Leben in der Unübersichtlichkeit? Religionspädagogische Anmerkungen zu Kunst und Religion dieser Zeit", 157-174) plädiert langatmig dafür, die vielfältigen ästhetischen Sprachformen auch im Bereich der Religionspädagogik bewusst und diskursfähig werden zu lassen.

Leider werden weder Herausgeber noch Autoren den hochgesteckten Erwartungen gerecht. So bietet der Band lediglich eine Sammlung lose verbundener Gelegenheitsarbeiten, deren gravierendstes Defizit im weitgehenden Verzicht auf die konkreten künstlerischen Werke besteht. Dass ein sich als grundsätzlich offerierendes Werk über den Dialog von zeitgenössischer Kunst und Theologie - mit Ausnahme des Beitrags von Sigurd Bergmann - ohne Abbildungen auskommt, muss allein schon skeptisch stimmen und signalisiert einen im kunstwissenschaftlich-theologischen Diskurs eigentlich lange überwundenen Rückfall in die Zeiten der bild- und objektlosen Grundsatzklärungen. Selbst die Ökumene wird nicht explizit in ihren durchaus unterschiedlichen Zugangsweisen zur Fragestellung Kunst und Theologie reflektiert, sondern lediglich im zufälligen Nebeneinander evangelischer und katholischer Autoren repräsentiert. Dass die Hgg. auf Überarbeitung einzelner zum Teil sprachlich wie inhaltlich dürftiger Beiträge hätten dringen müssen, sei nur am Rande bemerkt. Angesichts der beim Thema "Kunst und Theologie" immer latenten Gefahr einer "Globalisierung" hätten sie ebenfalls darauf zu achten gehabt, dass die im kunstwissenschaftlichen Diskurs heute unumgängliche Einzelbeobachtung am jeweiligen künstlerischen Werk keinesfalls unterbleibt. Einzig der Beitrag des skandinavischen Theologen Sigurd Bergmann erfüllt dieses Kriterium. Für die Lesbarkeit des Bandes erschwerend wirkt sich auch die mangelnde Sorgfalt der Hgg. bezüglich Orthographie und Interpunktion aus. Nicht nur hier zeigen sich die Folgen des Ausfalls eines klassischen Verlagslektorates.