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Ausgabe:

Dezember/2000

Spalte:

1295–1298

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Finney, Paul Corby [Ed.]

Titel/Untertitel:

Seeing beyond the Word. Visual Arts and the Calvinist Tradition.

Verlag:

Grand Rapids: Eerdmans 1999. XVIII, 540 S. m. 174 Abb. 4. $ 65.-. ISBN 0-8028-3860-X.

Rezensent:

Herman Selderhuis

Für einen Forschungsgegenstand scheint es eine fast unmögliche Verbindung zu sein, wenn in diesem imposanten und gepflegten Buch im Untertitel die Rede ist von 'Visual Arts and the Calvinist Tradition'. Oft ist angenommen worden, dass der reformierte bzw. der calvinistische Zweig der Reformation auf die Entwicklung der visuellen Kunst keinen Einfluss ausgeübt habe - oder höchstens einen negativen Einfluss. Die oft gelegte Verbindung zwischen Calvinismus und Ikonoklasmus lasse eine positivere Wertung des Verhältnisses zur Kunst nicht zu. Über die Frage, ob diese Wertung gerechtfertigt ist, wurde 1995 in Princeton (USA) ein Symposion abgehalten. Die Vorträge dieses Symposions wurden jetzt zusammen mit vielfältigem Bildmaterial (174 s/w. und 46 Farbabbildungen) veröffentlicht.

Die 18 Vorträge sind nach geographischen Kriterien geordnet. Diese Einteilung lässt sich dadurch erklären, dass es nur ein ziemlich allgemein gehaltenes Hauptthema gibt und die Beiträge eigentlich selbständige Spezialstudien sind. Obwohl diese Einteilung die Einheit und damit die Lesbarkeit des Buches irgendwie beeinträchtigt, ist sie doch auch kennzeichnend für den Stand der Forschung. Es sind noch viele detaillierte Forschungen nötig, bevor ein Generalüberblick geliefert werden kann. Geographisch gesehen beschränkt sich das Buch allerdings auf Europa und Nordamerika. Ein Grund für diese Einschränkung wird nicht genannt, ebenso wenig für die innereuropäische Eingrenzung auf England, Frankreich, Schweiz, Niederlande, Ungarn und Deutschland. Zu den beiden letztgenannten Ländern ist jeweils ein Aufsatz abgedruckt.

Im Vorwort weist Jane Dempsey Douglas hin auf den viel bedeutenden Unterschied in der Zählung der Zehn Gebote, den es zwischen Luthertum und Calvinismus gibt. Dadurch wird im Calvinismus das Bilderverbot zu einem eigenen Gebot. Dennoch sollte nicht nur das Bilderverbot beachtet werden, sondern auch Calvins Liebe zur Schöpfung und ihrer Schönheit sowie seine Betonung der 'vocatio', die es auch für Künstler gibt, damit sie mit ihrer Arbeit der Gloria Dei dienen. Paul Corby Finney, der Hg. des Buches, warnt den Leser vor zu hohen Erwartungen. Die Beiträge seien - so sagt er - revisionistischer Natur und dienten vor allem der Eröffnung von Perspektiven für eine zukünftige Forschung. Die Warnung zeugt von einer großen Bescheidenheit, denn die Vorträge sind deutliche Ergebnisse neuerer Forschung und bieten viel mehr, als Revisionismus zulässt.

Eine allgemeine theologische Einführung zum Buch gibt Daniel W. Hardy. Er sucht nach dem Hintergrund für die calvinistische Zurückhaltung im Umgang mit der Kunst in der Kirche. Die Erklärung für die passionierte Purifikation der Religion findet er in der Tatsache, dass gerade die mittelalterliche künstlerische Darstellung des Religiösen als Ursache für die Veräußerlichung des Glaubens angesehen wurde. Zudem gab es noch das Problem der nicht-biblischen Geschichten und der klassischen Mythologie innerhalb und außerhalb der Kirche, die als Bedrohung für den rechten Glauben eingeschätzt wurden. Den Unterschied zwischen Luthertum und Calvinismus im Umgang mit der Kunst führt Hardy zurück auf einen angeblichen Unterschied zwischen Luthers Theologie und Calvins Theologie: Luthers in einem historisch erfassbaren Akt begründete Botschaft der Rechtfertigung lasse mehr Raum für das Sichtbare als Calvins Konzentration auf die Gloria Dei, für die jedes Sichtbare eine Bedrohung sein könne. Hardy geht m. E. mit dieser Konstruktion zu weit, zumal die Unterschiede zwischen Luthertum und Calvinismus nicht gleichzusetzen sind mit denen zwischen Luther und Calvin. Darüber hinaus sollten auch die Unterschiede zwischen der jeweiligen Situation Luthers und Calvins betrachtet werden. Philip Benedict ('Calvinism as a Culture? Preliminary Remarks on Calvinism and the Visual Arts') schreibt eine geschichtliche Einführung zum Thema und gibt einen Überblick zur Forschung. Er stellt die Frage, ob die Rede von einer 'calvinistic culture of visual arts' nicht ein hegelianisches Konzept sei, das in jedem Fall nicht mit den Verschiedenheiten innerhalb des Calvinismus rechnet. Benedict stellt klar heraus, dass Calvins Kritik an der Kunst seiner Auffassung entspringt, das viele Geld, das für die Kunst ausgegeben wurde, hätte die Kirche besser für die Versorgung der Armen verwenden sollen. Dass Calvin und der Calvinismus nicht prinzipiell gegen bildliche Darstellungen eingestellt waren, erweist sich aus der Tatsache, dass es gerade im Calvinismus viele Bibeleditionen mit Bildern gegeben hat. Benedicts Aufsatz unterstützt die Auffassung von Doumergue, dass der Calvinismus die Emanzipation der Kunst gefördert habe.

Auf die einführenden Beiträge folgen die Spezialuntersuchungen. Hier kann nur auf einige näher eingegangen werden. Christopher Stell ('Puritan and Nonconformist Meetinghouses in England') behauptet, die Einfachheit der puritanischen Meetinghouses sei nicht nur theologisch begründet. Sie ließe sich viel mehr erklären aus einer Reaktion auf die Ausstattung der anglikanischen Kirchen und darüber hinaus direkt aus Geldmangel. Dennoch weist Stell auf drei prinzipielle Erklärungen hin: Die Einfachheit der Liturgie erfordert ein entsprechendes Kirchengebäude; die Einrichtung konzentriert sich auf 'corporate worship'; das Predigerpult soll im Zentrum der Kirche stehen, damit alle Augen auf das Wort gerichtet sind. James Lomax ('Huguenot Goldsmiths in England') beschreibt, wie der Widerruf des Ediktes von Nantes (1685) hugenottische Goldschmiede nach England führte und diese dort für neue Entwicklungen in der Goldschmiedekunst sorgten. Eben wegen des genannten Widerrufes wurden die meisten protestantischen 'Temples' in Frankreich zerstört. HÈlËne Guicharnaud ('An Introduction to the Architecture of Protestant Temples Constructed in France before the Revocation of the Edict of Nantes') demonstriert, wie schwer es ist, auf der Grundlage schriftlicher Quellen irgendwie eine Rekonstruktion dieser Gebäude fertig zu bringen. Sibylle Badstübner-Gröger ('Observations on the Arts of the Huguenots in Brandenburg-Prussia') erklärt anhand einiger Zeichnungen und Photographien den Einfluss der schweizerischen und französischen Flüchtlinge auf die Künste in Brandenburg-Preußen. Sehr interessant ist der Beitrag von George Starr über Kunst und Architektur in Ungarn, gerade weil Starr sein Thema in Verbindung mit einer Übersicht über die besonderen Umstände behandelt. Bemerkenswert ist seine Analyse der hölzernen Pfosten, die auf reformierten Friedhöfen in Ungarn als Grabmarkierungen dienen.

Drei Aufsätze sind der niederländischen Schilderkunst gewidmet. Reinder L. Falkenburg ('Calvinism and the Emergence of Dutch Seventeenth-Century Landscape Art - A Critical Evaluation') diskutiert die neuere Theorie, dass der Calvinismus im 17. Jh. eine neue realistische Landschaftsmalerei verursacht habe im Unterschied zu der mit biblischen und allegorischen Motiven gefüllten Malerei des 16. Jh.s. Weil Calvin die Schöpfung als Offenbarung von Gott bezeichnet hat, sei ein Landschaftsgemälde ein Beitrag zur Gloria Dei. An einigen Gemälden demonstriert Falkenburg, dass diese Theorie zwar auf Einzelfälle zutrifft, als Generalerklärung aber nicht akzeptabel ist. Gerade dieser Beitrag von Falkenburg zeigt, wie interessant die Erforschung des Verhältnisses zwischen Kunst und Calvinismus ist, aber zugleich auch, wie viel Forschung noch geschehen muss, bevor irgendwie definite Schlüsse gezogen werden können. Die Bemerkungen von James R. Tanis ('Netherlandish Reformed Traditions in the Graphic Arts, 1550-1630') verdienen es ebenfalls, zu Herzen genommen zu werden. Tanis weist darauf hin, dass die Forschung erschwert wird durch das noch nicht geklärte Verhältnis zwischen Reformiertentum und Calvinismus, weil sich eben auch z. B. Remonstranten zum reformierten Zweig der Reformation rechnen, ohne aber dem Calvinismus beizustimmen.

Das Buch endet mit einigen Aufsätzen über Kirchenbau in Nordamerika. Die Eigenart des nordamerikanischen Kontinents spiegelt sich im Kirchenbau wider. Hier zeigt sich eine Verbindung verschiedener Traditionen. An den Gebäuden und ihren Innenausstattungen wird deutlich, dass es eine Vermischung von sowohl katholischen und protestantischen als auch von südeuropäischen und nordeuropäischen Elementen gegeben hat.

Das Buch ist beispielhaft für die interdisziplinäre Forschung, und es ist zu hoffen, dass diese Publikation Kunsthistoriker, Allgemein-Historiker und Theologen anregen wird, sich öfter zusammenzusetzen. Dazu braucht es aber auch Verleger wie Eerdmans, die bereit sind, die Ergebnisse solcher Treffen einem größeren Kreis bekannt zu machen. Als Gesamtergebnis der verschiedenartigen Beiträge kann gelten, dass es keinen Grund gibt für das Klischee, der Calvinismus habe die Kultur gebremst und sogar destruktiv auf die Kunst eingewirkt. Das ist die eigentliche Botschaft dieses Werkes.