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Ausgabe:

Dezember/2000

Spalte:

1288 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Pietismus und Neuzeit. Ein Jahrbuch zur Geschichte des neueren Protesantismus. Im Auftrag der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus hrsg. von M. Brecht, F. de Boor, R. Dellsperger, U. Gäbler, H. Lehmann, A. Sames, H. Schneider, U. Sträter u. J. Wallmann. Bd. 25 (1999).

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1999. 339 S., mit 1 farb. und s.-w. Abb. 8. Kart. DM 86,-. ISBN 3-525-55897-X.

Rezensent:

Dietrich Blaufuß

"Pietismus und Neuzeit" (PuN) hat das erste viertel Hundert Bände erreicht. U. Sträter, der schon ab Bd. 17 den Rezensionsteil und die "Pietismus-Bibliographie" übernommen hatte, ist ab Bd. 21 Mitherausgeber und gleichzeitig geschäftsführender Herausgeber. In dieser Funktion hat er inzwischen fünf Bände betreut. K. Deppermann und A. Lindt (Bde. 1-3), M. Brecht (Bde. 4-17) und U. Gäbler (Bde. 18-20) waren in der geschäftsführenden Herausgeberschaft vorangegangen. Erweiterungen und Veränderungen ab den Bänden 4, 12 und 16 ließen den Herausgeberkreis auf neun Personen anwachsen (einen Profan- und acht Kirchenhistoriker) - mit einer Ausnahme sämtlich Mitglieder der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus. Die Kommission "trägt" auch das Jahrbuch, dessen "Herausgabe" sie "veranlaßt" hat (PuN 4, S. 5). Inzwischen gesellen sich Universität und Franckesche Stiftungen Halle (Saale) hinzu - samt manchen Verbindungen wie z. B. zur Leucorea, der Halle-Wittenberger Stiftung zur Erforschung der lutherischen Orthodoxie. (In der ThLZ ist letztmals Bd. 20 vorgestellt worden, ThLZ 122, 1997, 827-830.)

PuN 25 enthält acht Aufsätze, 22 Rezensionen (beides im bisherigen Rahmen bzw. an dessen Obergrenze) sowie die "Pietismus[-Zweijahres]-Bibliographie" mit unterdurchschnittlichem Umfang von zwei mal 214 Nummern (Jahresdurchschnitt ab Bd. 1 ca. 270 Nummern). Sechs Studien verteilen sich zeitlich ausgewogen zu je zwei auf das 17., 18. und 18./19. Jh. Eine Wichern-Arbeit und ein übergreifender Forschungsaufsatz sprengen diesen Rahmen. Es fällt die im Vorwort gar nicht erwähnte Horizontausweitung auf außereuropäische Themen auf, neben denen aber auch die Erforschung lokaler kirchlicher Armenpflege im 18./19. Jh. ihren Raum hat.

Zu fragen bleibt, warum K. Cieslaks Beitrag über Embleme in vier von 1685 bis 1719 erschienenen Ausgaben von Arndts "Paradiesgärtlein" nicht eine einzige Abbildung beigegeben ist: Auch dieser Mangel macht die Lektüre etwas mühsam, wo man doch den Unterschied zwischen Illustration und Emblem gern visualisiert vorgeführt bekommen hätte (vgl. S. 20 mit S. 16). Editorischen Forschungen verdanken sich zwei Darstellungen. Speners theologisches Denken im Jahr 1678 arbeitet M. Friedrich (mit aus der kritischen Spener-Briefe-Ausgabe leider meist ausgegrenzten Schreiben an Spener) gleichsam in einer Momentaufnahme heraus - bei nicht immer ganz präziser Berücksichtigung der Spezialliteratur. Eine höchst solide Studie auch zu den auf Zinzendorfs "Gewisser Grund" einwirkenden Quellen (u. a. Gottfried Arnold) legt G. Geiger vor.

Zwei Arbeiten führen nach Pennsylvanien. Sie zeigen eines Schweizers durchaus ,wendige' geistliche Tätigkeit unter deutschsprachigen Siedlern während sich mühsam bildender Gemeinden um 1740 (M. Häberlein) sowie E. Hicks (1780-1849), eines auch malenden Quäkers, in dessen naiven Bildern sich theologische Eschatologie ausdrückt (H. Lutterbach). Letzterer Aufsatz ist für das Pietismusverständnis wie für die noch nicht weit gediehene Einbeziehung der Kunst in die allgemeine Darstellung von ,Pietismus' äußerst hilfreich, weil auch methodisch wegweisend in seiner Interpretation von zwei (farbig beigegebenen!) Bildbeispielen. (Vgl. jüngst die abermalige Interpretation des ,pietistischen' [?] Zwei-Wege-Bildes von S. Koslowski in FAZ 5.2.2000, S. III.)

Zwei Aufsätze zur Diakoniegeschichte im späten 18. und im 19. Jh. ergänzen sich gegenseitig durch einerseits die Drei-Städte-Perspektive - Hamburg, Braunschweig und Osnabrück- (H. Otte) und andererseits den Versuch, J. H. Wicherns Tätigkeit im Zusammenhang seines ekklesiologischen Ringens - wahre Gemeinde/"Staatskirchen" - zu verstehen (v.a. 170 f.; M. Ohst). Das dargestellte Wichernsche Verständnis von "allgemeinem Priestertum" hätte man gern mit der ganz anderen Sicht in J. Alberts "Christentum und Handlungsform bei J. H. Wichern (1808-1881)", 1997, 125-151 ins Gespräch gebracht gesehen. Ein schöner Forschungsbeitrag von J. D. Roth relativiert Robert Friedmanns Standardwerk über die mennonitische Frömmigkeit von 1949 und formuliert klare, nüchterne Erwartungen an zukünftige Forschung (184. 201 f.).

Im Rezensionsteil (203-287) verstärkt sich ein internationaler Trend, wenn sich zwei Finnen, ein Amerikaner und ein Engländer in deutscher und englischer Sprache an der Rezension von 22 Titeln mit vier englischen, drei finnischen und zwei dänischen Werken beteiligen. Das 17. Jh.- sowohl mit Rückblicken als auch Ausblicken ins 18. Jh. - bildet bei neun Titeln einen Schwerpunkt (ohne dass hier die bis in die Pfingstbewegung reichenden Besprechungen übergangen werden sollten!). M. Matthias würdigt hier A. Haizmanns Berücksichtigung der (andernorts gezählten) 2319 Briefe Speners für die Untersuchung der "Seelsorge bei Ph. J. Spener" zu blaß.

Die "Pietismus-Bibliographie" (PB) liegt nun in 23 Folgen mit insgesamt rund 6.550 Einträgen vor. Klaus Deppermann, Dietrich Blaufuß, dann Udo Sträter und Christel Butterweck erarbeiteten sie für die Zeiträume 1971 bis 1990 bzw. ab 1991. Angemahnte Desideria im Blick auf PB 20 hinsichtlich Vollständigkeit und Durchführung bestehen fort (ThLZ 122, 1997, 829 f.).

Darüber hinaus müssen die Unstimmigkeiten bei der Berücksichtigung von Lexikon-Artikeln beseitigt werden, muß Auskunft über konsultierte und vom Benutzer also nicht mehr zu befragende Bibliographien gegeben werden; im Register werden auch Einträge von Ländern wie Lettland, Pommern oder Schlesien erwartet.

Bei anderen Monenda bleibt offen, ob die Verfasser, der Herausgeberkreis oder die Redaktion die (jeweiligen) Adressaten sind. Die Beiträge zu Spener und zu Zinzendorf hätten gut das Erscheinen der jeweils reichlich herangezogenen, aber noch nicht veröffentlichten Quellen abwarten können (oder wenigstens die Quellen in der bisher zugänglichen Fassung nennen sollen). Das Vorwort bedürfte der mehrfachen Berichtigung (es gibt keine quantitative Steigerung bei Rezensionen und Bibliogaphie [s.o.], aus der eine "erfreuliche Zunahme von Publikationen aus der Pietismusforschung" erschlossen werden könnte!) und Ergänzung: Kataryna Cieslaks traurigmachender Tod am 8. September 1998 in Potsdam hat hier eine Erwähnung verdient (und nicht nur das lapidare Kreuz hinter ihrem Namen).

Es sind dann auch z. T. Kleinigkeiten wie ein ungenaues Autorenverzeichnis, eine zu ausführliche Rezensionen-Liste (S. 7-9; vor PuN 21 war das Verfahren durchaus besser), die niemandem aufgefallene Verballhornung Müller-"Moos" (Mees!) und falsche Reihenfolge von Orts- und Vf.-Angaben unter den Rezensionen. Auch einige Druckfehler hätten nicht sein müssen: "Bibliographie zur Geschichte des Pietismus" (nicht Bibliogaphien, 203). Die Titelangaben über einer Rezension und in der PB können angeglichen und dabei berichtigt werden (vgl. 239 mit PB 25/351). Dass Spener für einen unerlaubten Druck "Reparation verlangt" haben soll, scheint für den "Mann von Welt und Bildung" (Koslowski, a.a.O., 1. Sp.) zu militaristisch; es wird bei "Reparatur" bleiben können (33). Seitentitel sollten vorgesehen werden. Die buchbinderische Verarbeitung von PuN ist leider nach wie vor ungenügend.

Ein Gesamtverzeichnis der Aufsätze und Rezensionen in PuN 1 bis 25 wäre hilfreich. Warum wurde es für PuN 25 nicht vorbereitet? Es würde Schwerpunkte und Fortschritte, freilich auch ,Lücken' in der Pietismusforschung seit knapp 30 Jahren gut vor Augen führen. Seit 10 Jahren sind die Wege für Forschungs- und Publikationsunternehmungen zum Pietismus gewaltig verbreitert: Halle an der Saale hat bereits markante Zeichen gesetzt. "Pietismus und Neuzeit" als verlässliches Gesprächs- und Informations-Forum indes kann hier seinen Part spielen und seinen Platz behaupten, zumal davon ausgegangen werden kann, dass nach wie vor - wenn auch nicht mehr allein - die Pietismuskommission dieses Jahrbuch "trägt".