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Ausgabe:

Dezember/2000

Spalte:

1278–1281

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Kampert, Otmar

Titel/Untertitel:

Das Sterben der Heiligen. Sterbeberichte unblutiger Märtyrer in der lateinischen Hagiographie des vierten bis sechsten Jahrhunderts.

Verlag:

Altenberge: Oros 1998. 561 S. 8 = Münsteraner Theologische Abhandlungen, 53. Kart. DM 88,-. ISBN 3-89575-164-5.

Rezensent:

Christoph Markschies

Die umfangreiche Monographie, mit der "geschichtliche Entwicklungen und Veränderungen im Verständnis heiligen Sterbens herausgearbeitet werden" sollen (13), geht auf eine Münsteraner Dissertation des Jahres 1995 zurück, die von Arnold Angenendt betreut wurde. Da vom Doktorvater eine Reihe höchst anregender Veröffentlichungen zum mittelalterlichen Todes-Verständnis vorliegen, ist wenig verwunderlich, dass der Schüler einen "Beitrag zur Geschichte religiöser Mentalitäten in der Umbruchszeit von der Spätantike zum Frühmittelalter" (14) leisten möchte. Seine Untersuchung beginnt, chronologisch betrachtet, mit der lateinischen Übersetzung der Antonius-Vita und endet bei den Dialogen Gregors des Großen. Der Untertitel täuscht ein wenig, weil er eine streng auf die Spätantike beschränkte Monographie zum genannten Thema erwarten lässt; in Wirklichkeit intendiert der Vf. in vielen Passagen geradezu ein Kompendium der altkirchlichen Hagiographie, was Reiz, aber auch Problem seiner gewichtigen Arbeit ausmacht.

Die Tendenzen hin zu einem Kompendium zeigt bereits ein knapper Überblick über den Inhalt: Nach einem allgemeinen Abschnitt zu den "Hauptströmungen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Hagiographie in ihrem jeweiligen zeitlichen Kontext" (Zitat 16; der Abschnitt selbst 16-24) und Hinweisen auf Literatur zu den Vorstellungen über Tod und Auferstehung in der christlichen Antike (25-33) folgt eine historische und literaturwissenschaftliche Einleitung in diese Quellen (34-67). Am Ende des Buches ist das Quellencorpus, nach Heiligen geordnet, in Tabellenform zusammengestellt (452-455).

Derartig große Übersichtsreferate im Rahmen von Dissertationen zu schreiben, ist keine leichte Aufgabe. Wollte ihr ein Autor bis in die letzten Verästelungen gerecht werden, bestünde die Gefahr, dass er mit seinem Unterfangen kaum zu einem Ende kommt. So ist es wenig verwunderlich, wenn - um ein einziges Beispiel zu nennen - das Referat über die jüngste Diskussion um die Frage, ob Gregor tatsächlich die Dialoge geschrieben hat, sich in einem bloßen Aufzählen von Zustimmung und Ablehnung der Thesen von Francis Clark erschöpft (67 n. 249) - die Argumente Clarks und ihre Widerlegung hätte man natürlich auch zusammenfassen können. Vollständigkeit kann man bei der verwendeten Sekundärliteratur in solchen Abschnitten natürlich auch nicht erwarten, obwohl sich der Vf. nach Kräften bemüht hat und bei einzelnen Texten eine staunenswerte Menge von Sekundärliteratur verarbeitet hat: Aus der großen "Histoire littÈraire du mouvement monastique dans l'antiquitÈ" von Adalbert de VogüÈ verwendet er beispielsweise nur den ersten Band aus dem Jahre 1991, der bis zum Jahr 385 reicht, und den auch keineswegs an allen Stellen, an denen es sich nahegelegt hätte: Zu S. 36-38 vgl. beispielsweise De VogüÈ, a. a. O. 18-22. Wurde Peter Nagels Dissertation tatsächlich in der Form benutzt, wie sie 1964 der Leipziger Fakultät vorlag (26, Anm. 59)? Zugänglicher wäre P. Nagel, Die Motivierung der Askese in der Alten Kirche und der Ursprung des Mönchtums, TU 95, Berlin 1966. Dass in dem voraufgehenden Kapitel über die Geschichte der Hagiographie zwar wohlbekannte Fakten über die Beiträge der Bollandisten und Mauriner sowie einzelne Stichworte der nachreformatorischen protestantischen Polemik gegen Heiligenviten getreulich referiert werden (16 f.), aber etwa der Beitrag evangelischer Kirchenhistoriker wie Karl Holl oder Hans Lietzmann keine eigene Erwähnung findet, wird nicht nur Jenaer Kirchenhistoriker etwas verwundern. Wenn man schon Publikationen von Grundmann über die Geschichte der MGH zitiert (20, Anm. 29), hätte man ja auch H. Fuhrmann anführen (Sind eben alles Menschen gewesen. Gelehrtenleben im 19. und 20. Jahrhundert, dargestellt am Beispiel der Monumenta Germaniae Historica und ihrer Mitarbeiter, München 1996) oder eben solche allgemeinen Abschnitte rigoros zusammenkürzen können.

Ein zweiter Hauptteil der Arbeit ist überschrieben "Tod und postmortale Existenz im Umfeld der Viten" (73-127); intendiert ist wieder, eine Art Kompendium vorzulegen, das bis zu den Mithrasmysterien (104-108) und dem Neuen Testament (108-115) den ganzen Kosmos antiker Religionsgeschichte abschreitet.

Natürlich ist es richtig, dass "die frühe Hagiographie" auch durch ägyptische Vorstellungen geprägt wurde (73); solche Einflüsse exakt zu bestimmen, hat sich angesichts der strengen Fächergrenzen zwischen Ägyptologie, klassischer Altertumswissenschaft und antiker Christentumsgeschichte als schwierig erwiesen. In der vorliegenden Untersuchung wird vor allem auf Quellen aus vorhellenistischer Zeit Bezug genommen und entsprechende Sekundärliteratur thematisiert, Ähnliches gilt für die Passagen über das Judentum (80-85; auf S. 121 fällt sogar noch der Ausdruck "spätjüdisch"); das macht natürlich einen präzisen Vergleich nicht eben leicht.

Darauf folgen drei Abschnitte zum Thema "Vorbild und Schutz: Die Heiligen und ihre Lebensweise" (128-228), "Zwischen weltlichen und himmlischen Mächten: Die Heiligen während des Sterbens" (229-317) sowie "Im Jenseits und Diesseits: Die Heiligen nach dem Tod" (318-431). Hier muss man dem Autor bescheinigen, dass er in diesen Abschnitten seinem ehrgeizigen Ziel, auch in grundsätzlichere Zusammenhänge einzuführen, deutlich näher gekommen ist als in den ersten beiden Abschnitten. Die Passagen über das Verständnis des Ausdrucks ÂÖÔ àÓÚ in der Antike können hier, wo sie im Rahmen von Ausführungen über "den Heiligen" stehen, wie anderswo als eine Art von Lackmustest für die Solidität einschlägiger Passagen genommen werden; der Autor besteht diesen Test (vgl. 129, mit Anm. 9, wobei man sich eine schärfere Konturierung der Linie von Bieler weg schon hätte vorstellen können). Auch die anregende Wirkung der neuen kulturgeschichtlichen Perspektiven auf die Funktion von Heiligen als Patrone (143-145) und dadurch nun leichter erklärbare "Macht" dieser Figuren wird bei K. schön deutlich; seine entsprechende Orientierung ist auch an dem Abschnitt über die Abschiedsgesten der Heiligen erkennbar (286-302).

An dieser Stelle seines Buches erreicht der Vf. auch langsam die durch den Untertitel bezeichneten Quellen der lateinischen Hagiographie des vierten bis sechsten Jahrhunderts und die dort aufbewahrten Berichte vom Sterben der Heiligen (147-149 mit schönen Beobachtungen zur sprachlichen Imitation der neutestamentlichen Berichte über den Tod Jesu; ähnlich überzeugend 318 bzw. 367 zu Besonderheiten der lateinischen Übersetzung der Antonius-Vita). Er illustriert mit Zitaten aus diesen Berichten Grundzüge des Lebens heiliger Menschen in der Spätantike.

Mit Recht hebt er dabei beispielsweise die Bedeutung des Gottesbildes für die Askese eines Heiligen hervor, wobei er einen einschlägigen Ausspruch des Ambrosius über den "gütigen Herrn" zitiert, den dessen Biograph aus der Todesstunde des Mailänder Bischofs überliefert: Nec timeo mori, quia bonum dominum habemus (Vita 45,2; bei K. 173 und nochmals 277). Für das fünfte Jh. konstatiert er eine allmähliche Veränderung des Gottesbildes hin zu dem von einem unbarmherzigen Richter und kann sich dabei nicht nur auf seine Analysen zu Texten aus Lerins, sondern auch auf bereits vorliegende Untersuchungen zu Gregor von Tours berufen (174 f.; vgl. auch 184 zu orientalischen Quellen). - Weite Teile der folgenden Passagen zur Askese des Körpers und des Geistes, zum Leben der Heiligen in Gemeinschaft und Welt werden mit Zitaten aus "Abschiedsreden" der Heiligen bestritten, die sich im Zusammenhang der Berichte über ihr Sterben finden; an späterer Stelle im Buch fehlen leider literaturwissenschaftliche oder sonstige Bemerkungen zu dieser literarischen Form. Man erwartet sie unter der Überschrift "Die letzten Verfügungen" (278-302).

Es ist an dieser Stelle leider nicht möglich, die große Reichweite dieser Monographie, die nicht nur durch immer wieder eingestreute Bemerkungen zum Horizont einer Vorstellung (z. B. zum pater familias: 246) entsteht, sondern auch durch eine Fülle von Textbeobachtungen am Quellencorpus bedingt ist, zu referieren, auszuloten oder gar zu kommentieren. Fragt man nun, ob der Autor in seiner voluminösen Monographie eher eine Entwicklung nachzeichnet oder Standphotographien liefert, so hat man am Ende der Lektüre Mühe, entscheidende Veränderungen in der Mentalität von Heiligen und ihren Biographen zu identifizieren, die den Tod und das Sterben betreffen: Wohl scheint sich die Gottesvorstellung zu verändern (s.o.), wohl spielt schwere Krankheit eine zunehmend größere Rolle in den Berichten über den Tod der Heiligen (233-235), wohl lassen sich Ende des sechsten Jahrhunderts vermehrt bildliche Vorstellungen für den postmortalen Aufenthaltsort belegen (342-360) und steigt die Bedeutung von Ritualen im allgemeinen Zusammenbruch der spätantiken Ordnung (361-392) - aber die entscheidenden Veränderungen betreffen die Vorstellungen vom heiligen Menschen selbst. Er wird zunehmend mehr als ein Christ begriffen, der sich auf Erden schon im Himmel befindet (435), und diese entscheidende Veränderung betrifft natürlich auch den Umgang mit dem Sterben solcher Personen. Wer vor der Lektüre auf reichere Ausbeute für eine Mentalitätsgeschichte von Tod und Sterben gehofft hatte, mag vielleicht enttäuscht sein - freilich werden Leser, denen die besonderen Quellenprobleme mentalitätsgeschichtlicher Untersuchungen für das antike Christentum vertraut sind, auch für Standphotographien dankbar sein.

Die Arbeit ist nicht nur gründlich angelegt, sondern auch sorgfältig aus den Quellen recherchiert; die Druckvorlage wurde mit Umsicht erstellt und die Zitate sorgfältig nachgewiesen. Nur gelegentlich finden sich kleinere Fehler und Versehen (der 129 und öfter angespielte Autor heißt Du Toit, Gleiches gilt für Wülfing von Martitz. Und man sollte sich endlich daran gewöhnen, Melitianer zu schreiben, wie Eduard Schwartz schon vor vielen Jahrzehnten forderte).

Mehr als ärgerlich, aber vom Autor nun keineswegs zu verantworten, ist dagegen, dass sich diese anregende Untersuchung wie andere Publikationen des Oros-Verlages beim gründlichen Lesen sofort in eine Loseblattsammlung verwandelt. Ob man für diesen Preis nicht eine bessere Klebebindung erwarten darf? Um aber mit einem positiveren Satz zu schließen: Die Idee des Vf.s, seiner Untersuchung eine ganze Anzahl von Karten beizugeben, sollte auch andere zur Nachahmung reizen. Vielleicht finden sich dann auch Verlage, die alle Karten in befriedigender Form reprographieren können.