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Ausgabe:

Dezember/2000

Spalte:

1277 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Gantz, Ulrike

Titel/Untertitel:

Gregor von Nyssa: Oratio consolatoria in Pulcheriam.

Verlag:

Basel: Schwabe 1999. 315 S. gr. 8 = ChrÈsis. Die Methode der Kirchenväter im Umgang mit der antiken Kultur, VI. Geb. DM 58,-. ISBN 3-7965-1101-5.

Rezensent:

Andreas Spira

Keine literarische Gattung der Antike wurde so häufig geübt und ist uns so reich überliefert wie die Predigt der Väter. An die 8000 Predigten dürfte etwa Augustinus in den 40 Jahren seiner seelsorgerischen Tätigkeit gehalten haben. 559 (echte) sind uns erhalten. Im Kontrast zu diesem Reichtum steht die Spärlichkeit der wissenschaftlichen Kommentierung dieser Literatur. Der Kommentar zu einer Väterpredigt ist daher lebhaft zu begrüßen. Gegenstand der hier vorzustellenden Münsteraner altphilologischen Dissertation aus der Schule von Christian Gnilka ist die Predigt, die Gregor von Nyssa im Jahr 385 auf den Tod der siebenjährigen Tochter des Kaisers Theodosius d. Gr. und der Kaiserin Flacilla in Konstantinopel gehalten hat. Eine solche Kommentierung ist keine leichte Aufgabe. Denn wie jede Väterpredigt beruht auch diese kleine Rede auf einer Fülle gedanklicher Voraussetzungen, die - zwar oft nur sichtbar wie die Spitze eines Eisbergs, doch von großem Gewicht - vom Kommentator erkannt und gewürdigt werden müssen: Standpunkte der Dogmatik, Bibelexegese und Philosophie, und dies in den Formen der zeitgenössischen Rhetorik, doch alles unter dem stets leitenden pragmatischen Gesichtspunkt der Pastoral, die wiederum Rücksicht nimmt auf den Ort, die Zeit und das Publikum der Predigt. Diesen komplexen Charakter ihrer Aufgabe hat die Vfn. gesehen. Davon zeugen die 315 Seiten, die sie den 10 Textseiten dieser Trauer- und Trostpredigt widmet. Leitender Gesichtspunkt ihrer Kommentierung ist die Absicht zu zeigen, dass alle soeben genannten Elemente, die auch diese Predigt aufweist, in ihrer Wahl und Gestaltung bestimmt sind von dem Prinzip des "rechten Gebrauchs" (usus iustus), d. h. in diesem Fall der "christlichen Nutzung" und "Umformung" der alten und großen paganen Tradition der consolatio mortis.

Nach einer Einleitung, die diese Absicht begründet, ferner die historischen Umstände und die in der Forschung etwas strittige Klassifizierung dieser Rede im Blick auf die epideiktischen Schemata des Rhetors Menander kritisch diskutiert, folgt der griechische Text aus der Leidener Ausgabe (Gregorii Nysseni Opera IX, 1967, p. 461-472) mit einer parallel dazu gesetzten außerordentlich schönen, reifen und einfühlsamen deutschen Übersetzung. Der Kommentar sodann folgt dem Text nach dessen treffend erfasster Gliederung: I. Proömium (p. 461,3-462,7: S. 53-87); II. Monodieteil (p. 462,7-464,9: S. 88-136); III. Trostteil (p. 467,10-472,18: S. 137-285). Ein umfangreiches und aktuelles Literaturverzeichnis (S. 288-298), ein dankenswertes Register der Namen und Sachen (299-312) und ein (leider auf die Bibel beschränkter) Stellenindex runden das Werk ab.

Es ist hier nicht der Ort, Einzelergebnisse zu nennen, die der fortlaufende Kommentar mit seiner Kette wertvoller Motivstudien in großer Fülle bietet. Hingewiesen sei aber doch wenigstens auf die feinen Interpretationen der von Gregor als "Exempel" gestalteten Geschichten der Opferung Isaaks (S. 207-240) und des Schicksals Hiobs (S. 241-285). Das sind in der Tat Beispiele einer Vertiefung der rhetorischen laus mortis durch das christliche Menschen- und Weltbild - Beispiele also des "rechten Gebrauchs" (chresis) im Sinne des von der Vfn. angestrebten Beweiszieles ihrer Arbeit insgesamt.

Doch verführt die Fixierung auf dieses Prinzip als Universalschlüssel für das Verständnis der Väter bei ihrem Umgang mit der paganen Bildung leicht auch zu Überinterpretationen. So hier z. B. bei der allzu apologetischen Deutung des obligaten Topos difficultas dicendi bei Gregor (S. 53-87) oder bei der allzu theologischen Füllung des von Gregor (p. 402,22) hier nur ganz schlicht gebrauchten Wörtchens physis (S. 103), um nur weniges von manchem zu nennen. Denn bei aller Bedeutung, die das Prinzip des "Gebrauchs" (auch im Blick auf heutige Probleme der Inkulturation - etwa im Verständnis Paul Hackers) besitzt, gilt auch für einen frommen und gebildeten Prediger wie Gregor, dass ein Topos ein Gefäß ist, das durchaus auch einmal Wasser enthalten kann statt Wein!