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Ausgabe:

Dezember/2000

Spalte:

1270–1272

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Weren, Wim

Titel/Untertitel:

Windows on Jesus. Methods in Gospel Exegesis. Transl. by J. Bowden.

Verlag:

Harrisburg, Penn.: Trinity Press International 1999. 300 S. 8. Kart. $ 20.-. ISBN 1-56338-282-2.

Rezensent:

Michael Labahn

Einführungen in die neutestamentliche Exegese wurden zuletzt zahlreich vorgelegt. Daneben sind Neubearbeitungen bekannter Lehrbücher erschienen, wie die klassischen Werke von Schnelle (52000) und J. Roloff (mit M. Müller 71999). Die Zahl der Neuerscheinungen spricht für ein Bedürfnis nach zeitgemäßen Lehrbüchern in Stoffpräsentation, Didaktik und Methodik. Die Zeit scheint reif zu sein, die methodischen Diskussionen der zurückliegenden Jahrzehnte aufzuarbeiten.

Die englische Übersetzung des 1998 erschienen Vensters op Jezus. Methoden in de uitleg van de evangeliÎn des Tilburger Neutestamentlers Wim Weren lässt einen Seitenblick auf das Nachbarland Niederlande richten, da die Tilburger Schule ein besonderes Verdienst um die "Intertextualität" erworben hat. Diese bildet einen der vier Hauptteile, in die W.s Werk gegliedert wird: "The window of synchrony" (21-109) - "The window of diachrony" (111-193) - "The window of intertextuality" (195-252) - "The window of history" (253-274); Anmerkungen, Übungen, weiterführende Literatur schließen das Werk ab. Der Begriff windows (Fenster) bezeichnet zunächst die Evangelien, auf die W. auf Grund ihrer literarischen Vergleichbarkeit und theologischen Differenziertheit seine Darstellung beschränkt. Das völlige Ausklammern der anderen ntl. Schriften ist beispielsweise im Blick auf die Intertextualität unbefriedigend; so wären auch die Apostelgeschichte, die paulinischen Briefe und die Johannesapokalypse mit ihrer jeweiligen AT-Rezeption von Interesse für die Lernenden. Diese Beschränkung geht mit der Auslassung von Methoden, die auf andere literarische Gattungen gehen (z. B. die rhetorische Analyse, 12), einher. Positiv zu würdigen ist andererseits die gleichberechtigte Berücksichtigung des vierten Evangeliums.

Als "Fenster" bezeichnet W. auch die Abschnitte selbst. Im Priorität beanspruchenden (109) synchronen Kapitel werden die Abgrenzung des Textes mit Blick auf Textakoluthie und Zusammenhänge, die strukturelle (vor allem auf den Aufbau der Texteinheit bezogen), die narrative (als Kommunikationsgeschehen verstanden, 55-58) sowie die semantische Analyse (mit dem wichtigen Hinweis auf die extratextuelle Realität des Lesers, 92) vorgestellt. Dem differenten Textverständnis antiker Texte gegenüber dem gegenwärtigen Literaturschaffen entspricht die Notwendigkeit diachroner Fragestellungen (14 ff.) mit der Abfolge Textkritik (obgleich eigentlich eine Voraussetzung der Textanalyse, erst hier genannt), historische Kritik (Frage nach den historischen Fakten), Literarkritik (in einem überraschend breiten Sinn wird auch die Verfasserfrage angesprochen), Formkritik und Redaktionskritik. Jeweils nach der Vorstellung der Methoden erfolgt die didaktische Anleitung durch Beispiele, die sehr gut das notwendige Vorgehen illustriert. Die hier erwarteten Überlegungen zum historischen Jesus folgen erst nach der Darstellung der Intertextualität im letzten Abschnitt (eine kurze, aber instruktive Darstellung der Phasen der historischen Jesusforschung wird durch Überlegungen zu den Quellen, der Gattung der Evangelien und eine ansprechende Darstellung der Kriterien der Jesusforschung ergänzt; sie schließt mit einer kurzen Vorstellung des historischen Jesus). Eine Verhältnisbestimmung des diachronen zum synchronen "Fenster", die im Sinne der Methodenintegration wünschenswert wäre, erfolgt nicht.

Gleichberechtigt mit den genannten Arbeitsschritten folgt die Darstellung der "Intertextualität", die zunächst im biblischen Kontext verstanden wird. Dabei gilt es auch das weite Feld der außerbiblischen Literatur zu beachten. Doch Intertextualität ist in einem umfassenderen Sinn zu verstehen, der die Rezeption der Evangelien bis in die gegenwärtige Literatur hinein verfolgt (im Mittelpunkt steht "Das Evangelium nach Jesus Christus", eine freie und kritische Adaption der ntl. Evangelien, die das Nobel-Komitee als "bedenkenswerte Reflexion über große Fragen" würdigte, vom Preisträger von 1998, dem Portugiesen JosÈ Saramago: 234 ff.); sind damit Aspekte der Wirkungsgeschichte berührt, so würde ihre Beschränkung lediglich auf literarische Rezeptionen die Gefahr einer Verengung des wirkungsgeschichtlichen Paradigmas bedeuten. W. betont jedoch zu Recht den fruchtbaren Einfluss der Kenntnis der Literatur durch die Exegeten (250 ff.). Intertextualität wird zunächst mit kürzeren Beispielen erläutert, um schließlich durch einen interessanten und ausführlichen Abschnitt über die Frauen in der matthäischen Genealogie (Mt 1,1-17 unter Einschluss von 1,18-25) ergänzt zu werden. Hier verweist W. auf feministisch-exegetische Studien, die er als "exegetical women's studies" zu begreifen sucht; es ist fraglich, inwieweit dieser breitere Ansatz ("aim which goes far wider"; 216) und die folgenden Überlegungen feministische Theoriebildungen wirklich aufnehmen.

Zu begrüßen ist die Aufnahme des vierten Evangeliums. Die Textauswahl ist weitgehend positiv zu bewerten: Joh 9,39-10,21 (Textabgrenzung); 18,1-12 (strukturelle Analyse); 10,40-11,54 (narrative Analyse); Jesus als König in 18-19 (semantische Analyse). Joh 18,19-24 wird in Kontext der intertextuellen Analyse auf einen möglichen Bezug zu Jes 45,18 f. hin untersucht - ein ansprechender Interpretationsvorschlag (208 ff.). Zur Erklärung des Verhältnisses zwischen Johannesevangelium und den Synoptikern verweist W. auf zwei Modelle, das der Abhängigkeit und das gemeinsamer vorsynoptischer Tradition, das W. bei Joh 2,13 ff. und seinen Parallelen bevorzugt; zu ergänzen wäre das Modell sekundärer Oralität (vgl. Labahn, BZNW 99, 194 ff.). Zudem rechnet W. mit direkten Einflüssen der synoptischen Texte auf das JohEv; die Szene am leeren Grab ist ein Beispiel für eine Umschreibung ("rewritten") der Synoptiker. Im Vergleich mit den Synoptikern wird versucht, die theologische und literarische Sonderheit des vierten Evangeliums zu würdigen, doch die einleitungswissenschaftlichen Angaben sind umstritten oder missverständlich: Das JohEv, das einen langen Wachstumsprozess voraussetzt, wird auf Vermittlung ("mediated by") des Lieblingsjüngers zurückgeführt, einer Gestalt aus dem unmittelbaren Jesuskreis (170).

Welchen Beitrag leistet W.s Werk zur didaktischen Diskussion? Entstanden aus der Lehrpraxis, arbeitet es vor allem mit exemplarischen Anwendungen, die den größten Raum einnehmen; Diagramme und Tabellen an ausgewählten Stellen erleichtern das Verständnis der Methoden, Theorien und Analysen.

Allerdings werden Hervorhebungen von Kernsätzen oder Definitionen vermisst. Hilfreich sind die Anleitungen zur diachronen Analyse (133-137). Negativ zu bewerten ist jedoch, dass Übungsaufgaben erst am Ende des Werkes aufgelistet werden (294-296) und zudem Hinweise auf mögliche Ergebnisse fehlen. Die Literaturangaben sind ohne Kommentier- ungen aufgelistet, und zudem provoziert die Auswahl, z. B. durch das Fehlen des Jesus-Buches von J. Becker (1996; ET: 1998), Rückfragen. Dennoch hat W. ein beachtenswertes Lehrbuch vorgelegt, das im Blick auf den Abschnitt "Intertextualität", obgleich ein fremdsprachiges Werk, ergänzend in der Studieneingangsphase genutzt werden kann.