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Ausgabe:

Dezember/2000

Spalte:

1265–1267

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Umbach, Helmut

Titel/Untertitel:

In Christus getauft - von der Sünde befreit. Die Gemeinde als sündenfreier Raum bei Paulus.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999. 344 S. gr.8 = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 181. Lw. DM 138,-. ISBN 3-525-53865-0.

Rezensent:

Udo Schnelle

In dieser bei H. Stegemann in Göttingen angefertigten Dissertation wird der Versuch unternommen, das Sündenverständnis des Paulus neu zu bestimmen und in den Gesamtrahmen seiner Theologie einzuordnen. Nach einem forschungsgeschichtlichen Überblick wendet sich der Vf. dem Verständnis von Sünde im 1. Thessalonicherbrief zu.

Paulus verwendet hier den Singular hamartia in der Regel nicht zur Bezeichnung menschlichen Fehlverhaltens. Er warnt die Thessalonicher vor Unzucht, Streit und Missgunst, ohne jedoch von Sünde zu sprechen. Die Pluralformulierung in 1Thess 2,16 ist traditionell und wird von Paulus polemisch aufgenommen. Den in 1Kor 5 erwähnten eklatanten Fall von Unzucht behandelt Paulus unter dem Aspekt der Reinheit der Gemeinde. Sie ist gefährdet, deshalb muss der Übeltäter um der Gemeinde und um seiner selbst willen ausgeschlossen werden. Die Prozesse zwischen Christen vor heidnischen Richtern entsprechen ebenfalls nicht der Reinheit der Gemeinde (vgl. 1Kor 6,1-11). Erst am Ende der Argumentation in Kap. 5 und 6 gebraucht Paulus je einmal hamartanein und hamartema (1Kor 6,18), vermeidet aber hamartia. Weil die Glaubenden gerade in ihrer Leiblichkeit mit Christus aufs engste verbunden sind, stellen sexuelle Verfehlungen die Einheit in Frage und sind mit der Reinheit der Gemeinde nicht vereinbar. Deshalb kann Paulus zur Heirat auffordern, wenn dadurch sexuelles Fehlverhalten (hamartanein) vermieden wird (1Kor 7,28.36). In 1Kor 8,12 verbindet der Apostel das Verhalten gegenüber den Mitchristen unmittelbar mit dem Verhalten gegenüber Christus; wer sich gegenüber den Mitbrüdern versündigt (hamartanontes eis tus adelfus), sündigt gegen Christus (eis christon hamartanete). Weil die Gemeinde ein Raum der Heiligung und Heiligkeit ist, haben Verfehlungen nicht nur ethische, sondern auch soteriologische Dimensionen; ein Gedanke, den Paulus ebenfalls in 1Kor 10,1-13 herausarbeitet. In 2Kor 12,19-13,10 warnt Paulus die Korinther ausdrücklich vor seinem dritten Kommen, wobei er das Fehlverhalten von Gemeindegliedern in 2Kor 12,21; 13,2 mit dem Verb proamartanein bezeichnet. Paulus spricht diesen Gemeindegliedern ihr Christsein nicht ab, fordert sie aber auf, ihr Verhalten zu ändern. Der Gal bestätigt, dass Paulus den Singular hamartia nicht zur Qualifizierung menschlicher Verfehlungen gebraucht. Der Apostel führt eine überaus scharfe Auseinandersetzung mit seinen in die Gemeinde eingedrungenen judaistischen Gegnern, ohne deren Verhalten als ,Sünde' zu bezeichnen. Das falsche Verhalten des Petrus wird ebenfalls nicht als hamartia qualifiziert (vgl. Gal 2,14), und im Zusammenhang mit Mahnungen im paränetischen Teil des Briefes fällt in Gal 6,1 lediglich der Terminus paraptoma. Der Plural hamartiai findet sich als Tatbegriff in der traditionellen Formel Gal 1,4. Den spezifisch paulinischen Sprachgebrauch zeigt hingegen der Singular hamartia an. Er benennt einen Machtbereich, dem der Machtbereich Christi gegenübersteht. Christus ist nicht Diener der Sünde (Gal 2,17), vielmehr hat sich die Sünde des Gesetzes bemächtigt, so dass es nun die Menschen versklavt und von der wirklichen Freiheit fernhält (Gal 3,22 ff.).

Die Grundthese des Vf.s, wonach Paulus zwischen der Sünde als Macht und sittlichem Fehlverhalten unterscheidet, wird durch ausführliche Exegesen von Röm 6 und 7 weiter untermauert. Nach paulinischem Verständnis sind Christen nach der Taufe ein für allemal der Macht der Sünde abgestorben; durch die Taufe wurden sie dem Christusbereich zugeordnet, so dass die christliche Gemeinde grundsätzlich als sündenfreier Raum zu verstehen ist. Freiheit von der Sünde ist weit mehr als Abwesenheit von Fehlverhalten, denn der getaufte Christ gehört nun dem Machtbereich der hamartia nicht mehr an. Die Sünde bezeichnet eine Macht, die für die Christen en Christo nur noch eine Größe der Vergangenheit darstellt. Die Taufe ,in Christus' vollzieht im Leben des einzelnen Menschen den durch Jesu Kreuzestod und Auferweckung ermöglichten Machtwechsel. Nun beherrscht allein das Pneuma Gottes die Christen, im Geist sind sie zur wahren Kindschaft befreit und zu einem neuen Leben berufen. "Die Taufe ,in Christus' bewirkt im Leben des einzelnen Menschen den entscheidenden ,Machtwechsel'. Der Getaufte wird so von der Macht der Hamartia befreit, indem er das ,ein für allemal' gültige Handeln Jesu am Kreuz im jeweils einmaligen Akt der Taufe als für sich geschehen sein lässt; die Macht, die den Christen nun beherrscht, ist allein das Pneuma Gottes (Röm 8), in ihm ist er zur ,Kindschaft' befreit, die sich im Gebet äußert und im ,neuen Leben' konkret auswirkt, in dem er nicht mehr der Hamartia, sondern von nun an Gott dient" (314).

Die paulinischen Imperative stellen den von Gott gewährten Heilsstand nicht in Frage, sondern sie beziehen sich auf mögliche Verfehlungen von Christen. Paulus bezeichnet dieses Fehlverhalten aber an keiner Stelle mit dem Singular ÍÌÚÙ im Sinne eines Machtbereiches. Selbst im besonders schwerwiegenden Fall 1Kor 5 geschieht dies nicht; die Gemeinde wird durch den Ausschluss des Täters ,rein' gehalten, dessen Pneuma allerdings gerettet wird, so dass er nicht vollständig vom Heil ausgeschlossen wird. Dieser Vorgang hat mit späteren Praktiken der Kirchenzucht nichts zu tun, sondern die Gemeinde muss im Hinblick auf die Parusie Christi rein erhalten bleiben. Auch von einer ,Sündenvergebung' im Zusammenhang mit dem Abendmahl kann bei Paulus keine Rede sein. Seit der Taufe ,in Christus' ist die Sünde eschatologisch überwunden, das neue Sein der Christen ist allein von der Macht des Geistes bestimmt. Sünde, Gesetz und Tod sind Begriffe, die nur noch die Vergangenheit der Christen bezeichnen, Kennzeichen ihrer Gegenwart hingegen sind Gott, Christus und der Geist. Nicht nur ein neues Seinsverständnis, sondern das neue Sein hat begonnen.

Die Grundthese der Arbeit überzeugt; eine Analyse der paulinischen Konflikttexte zeigt, dass Paulus den Singular hamartia in der Tat nicht zur Bezeichnung von menschlichem Fehlverhalten gebraucht. Der Plural findet sich lediglich in LXX-Zitaten (Röm 4,7; 11,27) und traditionellen Formulierungen (1Kor 15,3.17; Gal 1,4; 2,17). Paulus denkt den Bruch mit der Vergangenheit radikal; die Glaubenden und Getauften sind dem Machtbereich der Sünde entrissen und leben nun in der Gemeinde als einem sündenfreien Raum.

Es gelingt dem Vf., zentrale Bereiche des paulinischen Denkens zu einem stimmigen Gesamtbild zu vereinbaren. Die objektiv neue Existenz der Glaubenden und Getauften ist sakramental vermittelt und vollzieht sich als "Schicksalsgemeinschaft mit dem Gekreuzigten und Auferstandenen im Raum der Kirche" (230). Der Vf. gelangt nicht nur zu einem präzisen Verständnis von Sünde bei Paulus, sondern zeigt die interne Vernetzung der paulinischen Gedankenwelt überzeugend auf. Eine hervorragende Arbeit, die sich durch eine konsequente Gedankenführung auszeichnet und zu Ergebnissen gelangt, die für die weitere Forschung von großem Wert sind.