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Ausgabe: | November/1998 |
Spalte: | 1132–1147 |
Kategorie: | Literatur- und Forschungsberichte |
Autor/Hrsg.: | Gert Haendler |
Titel/Untertitel: | Arbeiten an Quellen zur altkirchlichen und mittelalterlichen Kirchengeschichte 1997 |
Der folgende Bericht informiert über Fortschritte bei vier wissenschaftlichen Unternehmungen, die seit Jahrzehnten an altkirchlichen und mittelalterlichen Quellen arbeiten. Damit werden Informationen fortgesetzt, die in der ThLZ seit einigen Jahren erscheinen. Zuletzt waren in ThLZ 122 (1997) zwei Sammelrezensionen erschienen: eine über mittelalterliche Texte (401-412) und eine andere über altkirchliche Texte (966-973). Hier nun werden 14 Bände und 3 Lieferungen besprochen, die im Laufe des Jahres 1997 (bis März 1998) bei der ThLZ-Redaktion eingingen.
I. Aus der Arbeit an der Vetus Latina (Beuron)
I.1. Lieferungen zum Text der Vetus Latina 1997(1)
Der 30. Arbeitsbericht des Vetus-Latina-Instituts in Beuron, das sich um die ältesten lateinischen Bibelübersetzungen bemüht, kann 1997 einen wichtigen Erfolg melden: Das Buch Jesaja wurde mit den Lieferungen 9-11 zum Band 12/2 abgeschlossen. Der Herausgeber Roger Gryson hat dieses 2-bändige Werk am Forschungszentrum für die Lateinische Bibel an der Katholischen Universität Löwen erarbeitet. Im Beuroner Arbeitsbericht stellt Gryson zu diesem Ergebnis fest, er könne unmöglich auf Details eingehen, da das Material dazu ein Buch füllen würde (25). Speziell interessierte Leser seien jedoch ausdrücklich auf einen Abschnitt in der abschließenden Lieferung 11 hingewiesen: Die großformatigen 20 Seiten 1649-1668 wurden unter die Überschrift gestellt "Conclusion: Histoire du Texte". Hier bekommt man in knapper Form einen sehr gründlichen Überblick über die Problematik der Textüberlieferung.
Die fortlaufende Überlieferung des Jesajatextes ist recht ärmlich, es gibt aber mehr als 20 000 Einzelzitate. Seit dem 5. Jh. wurde zunehmend die Übersetzung des Hieronymus anerkannt. Die älteren lateinischen Übersetzungen, die offensichtlich von der griechischen Septuaginta ausgegangen sind, haben seitdem kaum mehr als eine nur marginale Bedeutung (1649). Die ältesten lateinischen Zitate stammen aus Schriften des Bischofs Cyprian von Karthago. Der Abschnitt "Le texte africain ancien" (1653-1658) bringt außerdem Zitate von Laktanz, die weithin mit dem Text von Cyprian übereinstimmen. Einen späteren afrikanischen Text bezeugt zunächst Tyconius, dem Optatus von Mileve und Quodvultdeus folgen: Le texte africain tardif (1658-1663). Ein europäischer Text erscheint bei Novatian, also schon in der Mitte des 3. Jh.s, sowie mehr als ein Jahrhundert danach bei Hilarius von Poitiers und Lucifer von Calaris (1663-1666). Ein Problem stellt der von Augustin bevorzugte Text dar; bei ihm finden sich alle Formen der lateinischen Jesajatexte wieder. Zu Augustins Zeit begann "le triomphe rapide et incontesté de la version hieronymienne", die auch nach dem hebräischen Urtext fragte (1668).
Bei den anderen vier biblischen Büchern, deren Text zur Zeit in Arbeit ist, liegen im Jahre 1997 keine neue Lieferungen vor. Für den Band 10/2, der das Hohelied bringt, hat Eva Schulz-Flügel die Lieferung 2 erarbeitet, die den Abschluß der Einleitung und den Text bis Ct 1,10 vorlegen soll. Für den Band 11/2, der bisher die Edition des Buches Sirach (Ecclesiasticus) bis Sir 16,2 enthält, hat Walter Thiele die Lieferung 7 vorbereitet, die den Text bis Sir 20,10 weiterführen will. Über die Arbeiten am Neuen Testament sagt der Arbeitsbericht pauschal: "Auch die Arbeiten an den Lieferungen zum Römer und 1. Korintherbrief sind in vollem Gange und ihre Publikationen für die nächsten Monate zu erwarten" (23). Roger Gryson, der gerade erst so erfolgreich den Jesajatext zum Abschluß geführt hat, äußert bereits optimistische Gedanken über seine neue Aufgabe: Die Erarbeitung eines altlateinischen Textes der Apokalypse (Arbeitsbericht, 26-29).
I.2. Sedulius Scottus : Collectaneum in apostolum(2)
Neben den Lieferungen zum altlateinischen Bibeltext erscheinen im Kloster Beuron auch die von Hermann Josef Frede herausgegebenen Bände der Reihe "Vetus Latina. Aus der Geschichte der Lateinischen Bibel". Über die letzten Bände 28-30 dieser Reihe hatte ThLZ 122 (1997) in einem Bericht über altkirchliche Texteditionen informiert (966-968). Die hier anzuzeigenden Bände 31 und 32 bringen einen wichtigen Kommentar zu den paulinischen Briefen, der in das frühe Mittelalter gehört. Zwar hatte man früher nur einen Sedulius aus der Zeit um 430 gekannt und ihn sogar bis in die Epoche des Kaisers Constantius rücken wollen. In dem jetzt vorgelegten Collectaneum in apostolum des Sedulius waren jedoch Zitate von Papst Gregor I. (um 600) bemerkt worden, die ganz eindeutig eine spätere Datierung erforderten. Sedulius hat sein Werk offensichtlich im 9. Jh. zusammengestellt.
Hermann Josef Frede hatte am Anfang seines wissenschaftlichen Wirkens eine Arbeit verfaßt "Pelagius, der irische Paulustext, Sedulius Scotus". Sie war 1961 erschienen als Band 3 der Reihe "Vetus Latina. Aus der Geschichte der lateinischen Bibel". Damals war es um den Text des Epheserbriefes gegangen, jetzt konnte Frede zu dieser Thematik noch einmal zurückkehren und ein viel umfassenderes Quellenwerk vorlegen. Er zitiert Franz Brunhölzl, der in seinem Standardwerk "Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters" (1975) formuliert hatte: "Sedulius kannte die substantielle, schulmäßige Exegese der Iren, die in dem gegen 800 bereits abgeschlossen vorliegenden Bibelwerk ihren Niederschlag fand, und schloß sich zuweilen auch an diese an. Seine eigentliche Leistung besteht darin, daß er über diese irische Schulexegese hinaus auf deren Quellen selbst zurückging" (I,451). Frede schließt sich darüber hinausgehend einer gut begründeten Vermutung von Bernhard Bischoff an, nach der es unter Kaiser Ludwig d. Fr. einen Plan für ein großes Kommentarwerk gegeben habe: Eine die altkirchlichen Ausleger umfassende Bibelkatene, von der heute jedoch nur noch geringe Reste in Paris vorliegen (35*).
In diesen Rahmen gehört die vorliegende Arbeit des Sedulius Scotus, der in der Mitte des 9. Jh.s in das fränkische Reich kam. "Er nimmt die neue Methode der karolingischen Renaissance auf, durch direkten Rückgriff auf die Quellen die Erklärungen der Väter zu den einzelnen Versen der Bibel unter Angabe der Fundstellen wörtlich mitzuteilen". Frede spricht daher von einer gewissen "Objektivität der Auslegung, hinter der die persönliche Meinung des Verfassers der Katene zurücktritt. Seine Auffassung zeigt sich in der Auswahl seiner Autoren und der hinter ihr stehenden Belesenheit, die durch die Verfügbarkeit über entsprechende Handschriften begrenzt ist, sowie in der geschickten Verknüpfung zuweilen unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Kommentargutes" (37*). Der Text des Römerbriefkommentars zeigt ein deutliches Ergebnis: Am Rande stehen fortlaufend Buchstaben, die auf die altkirchlichen Ausleger hinweisen: AM = Ambrosius bzw. der Ambrosiaster, PIL = Römerbriefkommentar des Pelagius, OR = Rufins Übersetzung vom Römerbriefkommentar des Origenes. Diese Hinweise haben auch schon in den ältesten Handschriften gestanden; jetzt hat man sie gedruckt vor Augen, so daß ein Nachgraben leichter möglich wird.
Die Überlieferungsgeschichte sei skizziert: Die drei wichtigsten Quellen des Sedulius waren im 9. Jh. in den Klöstern St. Gallen und der Reichenau abgeschrieben worden. Sedulius hat darüberhinaus auch noch ihm bekanntes Material aus seiner irischen Heimat verwendet. Das Werk des Sedulius ist in 6 Handschriften überliefert; eine in Zürich verwahrte ist als die älteste anzusehen. Sie wurde unter Salomo III. abgeschrieben, der 890-919 Abt von St. Gallen und Bischof von Konstanz war. Diese Handschrift muß eine ganz frühe Kopie des nicht mehr vorhandenen Urexemplars sein; sie liegt der neuen Edition zugrunde. Am Rande verweist ein kleines m fortlaufend auf die Spalten der Ausgabe von Migne, PL 103, 9-270. Der Jurist Johannes Sichardus hatte 1528 die editio princeps in Basel herausgebracht nach einer inzwischen verlorenen Handschrift. Der wichtigste Druck war 1618 in Köln erschienen im Rahmen der Magna Bibliotheca veterum Patrum (Bd.V, 438-528). Die neue Edition bringt nach gründlichen 60 Seiten Vorwort und Einleitung den Text (1-776).
Am ausführlichsten wird der Römerbrief kommentiert (Band I,1-380) mit dem schon genannten Ergebnis. In Band II folgen die von Sedulius gesammelten Bemerkungen zum 1. Korintherbrief (355-454), zum 2. Korintherbrief (455-511), zum Brief an die Galater (512-549), Epheser (550-602), Philipper (603-621), zum 1. und 2. Thessalonicherbrief (622-641), zum 1. und 2. Brief an Timotheus (658-693), an Titus (694-713) und an Philemon (714-717); den Abschluß bilden Auslegungen zum Hebräerbrief (718-776). Danach steht ein deutlicher Schlußpunkt: Finit Collectaneum Sedulii in epistulas Pauli (776). Im Anschluß daran folgen jedoch noch weitere 65 kürzere Auszüge des Sedulius zu altkirchlichen Auslegungen, die in einzelnen Handschriften überliefert sind (776-803).
Insgesamt scheinen die Auslegungen auf den ersten Blick etwas zufällig zu sein, der biblische Text wird nicht fortlaufend ausgelegt, nur zu bestimmten Wendungen wird Stellung genommen. Es könnte aber eine durchaus lohnende Aufgabe sein, der Exegese des Sedulius Scotus heute einmal näher nachzugehen und die Prinzipien herauszuarbeiten, nach denen er bestimmte Verse kommentiert oder weggelassen hat, den einen Kirchenvater hier zitiert und einen anderen Kirchenvater an anderer Stelle. Eine solche weiterführende Forschung könnte relativ einfach durchgeführt werden, nachdem durch die Erarbeitung der beiden Textbände eine solide Grundlage vorliegt.
Die Indizes sind beachtlich: Die Bibelstellen füllen die Seiten I,311-346 und II,807-830. Die zitierten Kirchenväter unterstreichen beim Collectaneum zum Römerbrief das genannte Übergewicht der drei Römerbriefkommentare aus der Alten Kirche: Der Ambrosiaster (I,328-332), Pelagius (I,335-340) und Rufins Übersetzung des Origenes (I,340-346). Der Index in Band II nennt weitere Quellen: Alkuins Kommentar zum Hebräerbrief, die Glosae Psalmorum ex traditione seniorum, Schriften von Augustin, Beda, Boethius, Caesarius von Arles, Gregor I. u. a. sowie auch hier Hilarius und Pelagius. Der Ambrosiaster und Rufinus kommen dagegen in den Paulusbriefen des Bandes II nur selten vor.
I.3. Der Römerbrief des Origenes in der Übersetzung Rufins(3)
Im Jahre 1990 war als Band 16 der Reihe "Vetus Latina. Aus der Geschichte der lateinischen Bibel" der Anfang jenes Kommentars zum Römerbrief erschienen, den Origenes in der 1. Hälfte des 3. Jh.s in griechischer Sprache geschrieben und Rufin kurz nach 400 in die lateinische Sprache übersetzt hatte.
In jenem Band hatte die Editorin, Frau Professor Caroline Penrose Bammel geb. Hammond, in einer Einleitung die Handschriften und Fragmente vorgestellt sowie die Benutzungen jenes Textes im Mittelalter aufgelistet. In ThLZ 118 (1993) waren diese Ergebnisse kurz skizziert worden (185 f.). Damals waren die Bücher 1-3 des Kommentars erschienen, die die ersten 3 Kapitel des Römerbriefes auslegten. Jetzt folgen die Bücher 4-6, die den Römerbrief des Paulus von Kapitel 4,1 bis 8,13 kommentieren. Es werden durchgehend jeweils zunächst einige Paulusverse zitiert und danach in einem weitaus längeren Abschnitt ausgelegt. Dabei bleibt zu bedenken, wie weit hier Origenes oder sein Übersetzer Rufinus formuliert.
In einem Vorwort würdigt Hermann Josef Frede die Verdienste der am 31. Oktober 1995 heimgegangenen Herausgeberin. Sie hatte schon wesentliche Vorbereitungen für das weitere Erscheinen dieses wichtigen Textes hinterlassen. Fredes beschließt sein Vorwort mit den Sätzen: "Es wäre ein nicht leicht ersetzbarer Schaden, wenn die mühevollen Handschriftenkollationen, die die Autorin in den vergangenen Jahrzehnten vorgenommen hat,
verloren gingen. Wir hoffen, in einigen Monaten den restlichen Teil des
Kommentars mit den Büchern 7-10 vorlegen zu können". Man kann sich dieser Hoffnung nur voll und ganz anschließen.
II. Fontes Christiani
II.1. Zur neuen Folge der Reihe der Fontes Christiani
Mit den zwei Teilbänden 21,1/2, die das Bischofsbuch des Agnellus von Ravenna aus dem 9. Jh. brachten, hatte die 1. Folge der Reihe Fontes Christiani ihren Abschluß gefunden (ThLZ 122, 1997, 404). Offenbar hat die Reihe einen erfreulich großen deutschsprachigen Leserkreis gefunden, denn die Herausgeber kündigten eine 2. Folge mit nunmehr 25 Bänden an. Die ersten Bände dieser 2. Folge sind bereits erschienen und in ThLZ 122 (1997) rezensiert worden: Theologische Reden des Gregor von Nazianz (968) sowie die Dankrede Gregors des Wundertäters an Origenes (969 f.). Ein Unterschied zu den gut gelungenen Bänden der 1. Folge läßt sich nicht ausmachen; bewährte Fachleute bürgen auch weiterhin für hohe Qualität. Die 2. Folge der Reihe Fontes Christiani kommt freilich zunächst nur langsam in Schwung: Die für 1997 angekündigten zwei Bände mit Abälards Römerbriefkommentar sind ebenso wenig erschienen wie die drei Bände mit Briefen des Paulinus von Nola oder das Studienbuch des Hugo von St. Victor. Um so mehr ist es zu begrüßen, daß doch drei Bände neu herausgekommen sind und damit die Hoffnung auf eine Verwirklichung der geplanten Fortsetzung dieser bewährten Reihe wohl doch realistisch ist.
Ein wichtiges Kennzeichen der Reihe Fontes Christiani besteht darin, daß sie nicht allgemein bekannte Schriften bringt, etwa Augustins Confessiones; sie bringt im Gegenteil immer wieder auch kaum bekannte Autoren und Schriften heraus, wofür ein besonderer Dank abgestattet sei. Das gilt gerade jetzt wieder für die 3 Teilbände 23,1-3, die einen kaum bekannten Autor vorstellen: Johannes Philoponos. Hubertus Drobners Lehrbuch der Patrologie (1994) nennt ihn gar nicht, in der letzten Auflage der Patrologie von Altaner-Stuiber kommt er kurz vor im Paragraphen 115 "Monophysitische Theologen des 6. Jahrhunderts". Natürlich sind auch die Schriften des Johannes Philoponos weithin unbekannt, auch seine hier gebotene Arbeit De opificio mundi - Über die Erschaffung der Welt.
II.2. Johannes Philoponos: De opificio mundi(4)
Die Einleitung stellt fest, daß nach den Höhepunkten der Dogmengeschichte im 4. und 5. Jahrhundert mit den Beschlüssen der Ökumenischen Konzile von Ephesus und Chalcedon die Jahrhunderte danach als eine "Phase der Nachwehen und Auf
räumarbeiten" angesehen werden (8). Auch für den wenig bekannten Johannes Philoponos ( ca. 575) hatte man solche Begriffe wie "Tritheismus" und "Monophysitismus" als passende "Schubladen" bereit, in die er einsortiert und danach vergessen werden konnte (9). Ausführlich wird der damalige Studienbetrieb an der Hochschule in Alexandrien geschildert, an der Johannes Philoponos gewirkt hat. Den Beinamen Philoponos, Arbeitsliebhaber, bekamen damals auch andere Gelehrte, die viel veröffentlicht hatten (23). Ein Überblick über seine wichtigsten Arbeiten zwischen den Jahren 517 und 574 enthält zwar einige Unsicherheiten in der Datierung, gibt aber bereits einen Einblick in die Vielfalt seiner Themen (29).
Im Jahre 529 erschien seine Schrift "De aeternitate mundi", die "erste umfassende christliche Widerlegung der antiken Weltewigkeitslehre auf argumentativer Ebene" (32). Möglicherweise hat Johannes sie geschrieben, um eine Schließung der Alexandrinischen Hochschule zu verhindern; jedenfalls wurde 529 die
Hochschule in Athen durch Kaiser Justinian geschlossen, während der Lehrbetrieb in Alexandrien weiter lief. Das Werkeverzeichnis nennt 43 edierte Arbeiten (36-43). Die ersten 24 Arbeiten werden der Philosophie, Medizin, Mathematik, Astronomie und Grammatik zugeordnet sowie der Rubrik "Kosmologie und Ewigkeit der Welt" (19-23). Danach folgen die theologischen Themen als Nummer 25-43. Die hier gebotene Schrift steht im Verzeichnis als Nr. 23: Johannis Philoponi De opificio mundi libri VII, hrsg. von W. Reichardt, Leipzig 1897 in der Reihe Scriptores sacri et profani. Eine editio princeps hatte 1630 B. Corderius in Wien erarbeitet, wo sich das einzige Manuskript aus dem 11. Jh. befindet. Das Werk ist "der älteste christliche wissenschaftliche Kommentar zum ersten Schöpfungsbericht der Bibel im Buch Genesis" (46). Es bringt eine fortlaufende Vers-für-Vers-Zitation von Gen 1,1-31. Das ist für den griechischen Text interessant, denn Johannes Philoponos zitiert "außer der Septuaginta noch die Versionen der drei griechischen Übersetzer Aquila, Theodotion und Symmachus" (46).
In der Geschichte der Auslegung ist Basilius "der erste, von dem sich eine ausschließlich dem Schöpfungsbericht gewidmete Schrift" erhalten hat, die 378 entstanden war. Es folgten Diodor von Tarsus, Johannes Chry-sostomus, Severin von Gabala, Theodor von Mopsvestia und Theodoret von Kyros, also Vertreter der antiochenischen Schule. Sie betonten den Literalsinn und verstanden den Schöpfungsbericht als wörtliche Beschreibung des Kosmosaufbaus. Für sie galt, "daß der Bibeltext als solcher ein eigenes Weltmodell verkündet, das von vornherein mit der Naturphilosophie paganer Herkunft nicht zur Deckung zu bringen ist" (56). Diesem Trend wollte Johannes Philoponos entgegenwirken. Für ihn war "eine Rückwendung zum biblischen Grundtext geboten, um die inzwischen nicht mehr hinterfragte Verbindung zwischen antiochenischer Kosmologie und Schrift aufzubrechen" (60 f.).
Für die Abfassungszeit läßt sich nur ein Rahmen nennen, "die Jahre zwischen 546/47 und 560 als Entstehungsdatum; eine Abfassung gegen Ende dieses Zeitraums scheint jedoch wahrscheinlicher" (65). Eine Bezugnahme auf die Kirchenpolitik fehlt, Johannes folgte "dem offiziellen theologischen Kurs nach 553", aber er wollte nur als Gelehrter Stellung nehmen "und die kirchenpolitischen Folgerungen anderen überlassen" (66). Die deutsche Übersetzung liest sich nicht leicht. Ausdrücklich kündigt die Einleitung an: "Die Übersetzung bemühte sich, so weit wie möglich das Original wiederzugeben. Nähe zum Text hat Vorrang vor stilistischer Eleganz" (68). Das werden jene Leser zu schätzen wissen, die von der deutschen Übersetzung her den griechischen Text vergleichen wollen. Es liegt nicht so sehr am Übersetzer als in der Natur der Sache, daß sich die Gedanken des Johannes Philoponos zur Schöpfungsgeschichte nicht so einfach verstehen lassen.
III. Sources Chrétiennes
Von der bekannten französischen Reihe sind auch im Jahre 1997 wieder (bis Mitte März 1998) sieben neue Bände beim Rezensenten eingetroffen: Die Bände 419-425. Sie bringen möglichst bewährte Texte: Die Bände 420 und 421 halten sich an die Edition, die im Corpus Christianorum erschienen ist, der Text von Band 423 soll dort demnächst erscheinen, Band 425 liegt in der kritischen Ausgabe der "Bernardi Opera" vor. Bei zwei Bänden stand man freilich auf Neuland, so bei den Briefen des Isidor von Pelusium (Bd. 422). Auch bei mittelalterlichen Texten müssen oft Vorarbeiten geleistet werden, ehe ein kritisch erarbeiteter Text erscheinen kann. Das gilt auch für den ersten hier zu besprechenden Band 419.
III.1. Richard de Saint Victor: Benjamin minor(5)
Das Vorwort erinnert an den 1988 verstorbenen Jean Châtillon: Er hatte die genannte Schrift Richards bearbeitet und einen lateinischen Text mit französischer Übersetzung hinterlassen, hielt freilich sein Werk für noch nicht abgeschlossen. Inzwischen haben andere Mitarbeiter den Band gefördert, so daß man jetzt eine Edition für vertretbar hielt, auch wenn sie den Zielen Châtillons nicht ganz entsprechen sollte (5). Die Einleitung nennt wichtige Daten im Leben Richards: Ricardus Scotus ist vor dem Jahre 1141 nach Paris gekommen und in die Abtei von St. Viktor eingetreten, er hat den 1141 verstorbenen Hugo von St. Viktor noch gekannt. Richard wird 1159 als Subprior und 1162 als Prior genannt, am 10. März 1173 ist er gestorben (11). Werke von Richard liegen in englischer, italienischer und nun auch französischer Übersetzung vor (73).
Die Abtei St.Victor spielt in der Kirchenpolitik des 12. Jh.s eine Rolle: Sie nahm im Herbst 1170 den aus Canterbury geflüchteten Erzbischof Thomas Becket auf und geriet damit in Gegensatz zum englischen König Heinrich II., der damals auch einen großen Teil Frankreichs beherrschte. Es war die Zeit des Doppelpapsttums; das Vertrauen des Kaisers Friedrich I.(Barbarossa) besaßen Viktor IV. bzw. Paschalis II., die überwiegend in Rom amtieren konnten. Papst Alexander II. dagegen mußte sich überwiegend im französischen Exil aufhalten. Hier nahm er 1172 auch Einfluß auf die Absetzung des umstrittenen Abtes Ernis von St. Viktor. Erzbischof Eskil von Lund hatte finanzielle Forderungen an Ernis (11). Durch diese Vorgänge wurde auch Richard, der wissenschaftlich arbeiten wollte, stark mit beansprucht. Die Datierung seiner zahlreichen Arbeiten bringt einige Probleme mit sich (14-17).
Die Werke Richards sind in vielen Handschriften überliefert, die Schrift "Benjamin minor" war sein erfolgreichstes Werk, 150 mittelalterliche Manuskripte sind bekannt (61). Eine editio princeps war 1506 in Venedig erschienen. Eine wichtige Ausgabe erarbeitete Johann von Toulouse 1650, der auch einige Angaben zum Lebenslauf Richards machte; dieser Ausgabe folgte Flavian Hugonin in der Migne-Ausgabe (PL 196). Hier ist Richards Schrift freilich ausführlicher überschrieben: "De praeparatione animi ad contemplationem liber dictus Benjamin minor".
Der Text in Gen 29 berichtet von Jakobs 12 Kindern, die er von seinen Frauen Lea und Rahel sowie deren Mägden bekam. Auslegungen dieses Textes beginnen schon früh: Bereits um 150 sah Justin von Rom in Lea eine Vorläuferin der Synagoge, in Rahel eine Vorläuferin der Kirche (23). Augustin und Gregor d. Gr. haben die beiden Schwestern des Alten Testaments mit Maria und Martha aus dem Neuen Testament verglichen (25-27). Diese verschiedenen Auslegungen kamen über Isidor von Sevilla in die Kirche des Mittelalters. In der 1. Hälfte des 12. Jh.s haben sich mehrere Ausleger zu jenem Abschnitt geäußert, so Bruno von Chartreux, Rupert von Deutz und Bernhard von Clairvaux (28).
Häufig wurde der Segen Jakobs von Gen 49 mit in die Überlegungen einbezogen. Zusammenfassend stellt die Einleitung fest, die Arbeit Richards stehe in einer langen Tradition, die vor allem auf symbolische Auslegungen biblischer Geschichten hinauslaufe (59). Eine besonders wichtige Rolle spielte Hieronymus; er hat immer wieder großen Wert auf eine historische Auslegung gelegt, aber in seinem Liber interpretationis hebraicorum nominum hat gerade er viel Material geliefert für die geistlichen und moralischen Deutungen der biblischen Namen. Das hat Auswirkungen auf das Mittelalter gehabt, auch Richard verwendete die Deutungen des Hieronymus.
In der Auslegung Richards hat jede Person ihre eigene Funktion, die auf ihrer historischen Rolle, auf ihrem Platz in der familiären Hierarchie sowie auch auf der Etymologie des Namens beruht (60). Die Heilige Schrift bringt mehr als vergangene Ereignisse, sie bietet "une reflexion sur Dieu et sur lhomme" (61). Die Geschichte von Jakob und seinen Söhnen führt den inneren Menschen zu der Erfahrung, wer er ist, sie läßt ihn Einblick gewinnen in das Leben der Kontemplation, zu dem Gott ihn ruft (61).
Der Text beginnt mit einem Psalmwort "Benjamin adolescentulus in mentis excessu" (Ps.67,28 in der Vulgata. Luther übersetzte: "Benjamin, der Jüngste, geht ihnen voran", Ps.68,28). Richards Auslegungen gehen zunächst auf die Schwestern Lea und Rahel ein, die Frauen Jakobs. Beide erhalten von Richard eine ausgesprochen positive Deutung: "Rahel doctrina veritatis, Lea virtutis disciplina, Rahel studium sapientiae, Lea desiderium justitiae" (90). Jenes Kapitel 1 ist überschrieben "De studio sapentiae et ejus commendatione". Damit ist die Weichenstellung für die weiteren Erörterungen deutlich vorgegeben, die freilich vom ursprünglichen Text weit weg führen. Richard nennt in seinem Text seine Gewährsleute leider nicht. Der Index der Eigennamen ist daher nur kurz (357). Auch Bibelstellen werden von Richard nicht genannt, sie werden jedoch in Fußnoten hinzugefügt und in einem langen Register zusammengefaßt (351-355).
Der Band ist sehr zu begrüßen, gerade auch deshalb, weil man für die Texte Richards sonst immer noch überwiegend auf die Patrologie von Migne zurückgreifen muß. Es bleibt zu hoffen, daß der vorgelegte Band einen Anstoß dazu geben möge, weitere Werke von Richard oder auch anderen Victorinern nach und nach in einer modernen Edition herauszubringen.
III.2. Apponius: Kommentar zum Hohenlied(6)
Die ersten sechs Bücher des Kommentars von Apponius zum Hohenlied hatten schon hohe Anerkennung durch Erasmus erfahren, ehe sie 1538 erstmals in Freiburg/Breisgau gedruckt wurden. Diese Erstausgabe wurde mehrfach nachgedruckt. Erst im 19. Jh. wurde der gesamte Text bekannt: 1841 legte Angelo Mai die Bücher 7, 8 und 9 vor, 1843 brachten Hieronimo Bottino und Guiseppe Martini eine erste Gesamtausgabe aller 12 Bücher heraus, wobei eine "curieuse rivalité" zwischen den Herausgebern eine Rolle gespielt hat (9). Migne hat den Text nicht in seine Patrologie aufgenommen, er wurde erst 1958 im Supplementband I von Adalbert Hamman nachgetragen. Ein gewisser Abschluß schien 1986 erreicht zu sein durch die Ausgabe in der Series Latina des Corpus Christianorum: Band 19 bot 1986 die Edition des Kommentars von Bernard de Vergille und Louis Neyrand. Danach erschien in der Reihe "Vetus Lati na, Aus der Geschichte der lateinischen Bibel" der Band 21 (1992) mit einer Arbeit von Hildegard König zur Hohenliedauslegung des Apponius. Vor die deutsche Übersetzung der zentralen Bücher 1-3 und 9 hatte die Editorin ausführliche Überlegungen gestellt zum Verfasser und zur Datierung des Textes mit beachtlichen neuen Gedanken, über die in ThLZ 118, 1993, 187f. berichtet worden war.
Die Ausgabe mit französischer Übersetzung in der Reihe Sources Chrétiennes wurde jenen Editoren übertragen, die schon den Text für das Corpus Christianorum erarbeitet hatten. Man bekommt die zuverlässigen Auskünfte, die man in dieser Reihe erwarten kann. Kap. 1 gibt einen ausführlichen Überblick über die Einzelheiten der textlichen Überlieferung sowie Hinweise zur Übersetzung. Kap. 2 informiert über das Vokabular,
die Syntax und den Stil. Kap. 3 geht auf die profane Kultur im Umkreis des Apponius ein. Kap. 4 stellt die bekannten Probleme um das Hohelied dar (57-78). Kap. 5 bietet eine Theologie des Apponius mit 4 Abschnitten: Trinität, Christologie, Gnade und Freiheit sowie Kirche. In Kap. 5 wiederholen die Editoren ihre schon 1986 dargelegte Auffassung: Man kennt nur das Werk des Apponius, nur von da aus kann man Rückschlüsse wagen auf seine Person, seine Umgebung und seine Zeit (111-120).
Hier ergibt sich freilich ein doch ziemlich wichtiges Problem im Detail: Ein Blick auf die Zitierungen dieses Kommentars führt zu dem Ergebnis, daß Gennadius von Marseille in seinem bis zum Jahre 480 fortgesetzten Werk De viris illustribus einen Apponius nicht genannt hat (20). Cassiodor hat sich um 560 im Kloster Vivarium recht intensiv mit Kommentaren zum Hohenlied beschäftigt, aber auch bei ihm kommt ein Apponius nicht vor. Eine mögliche Anspielung Gregors d. Gr. ist reichlich fraglich. Auf festem Boden stehen wir erst bei Beda venerabilis, also doch ziemlich spät: In England in der ersten Hälfte des 8.Jh.s (21). Trotzdem halten die Herausgeber eine Entstehungszeit für den Kommentar des Apponius in den Jahren 405 bis 410, also kurz vor der Eroberung Roms durch den Gotenkönig Alarich, weiterhin für die wahrscheinlichste Variante. Sie berufen sich dabei u. a. auf eine Erlanger Doktorarbeit von 1903, der auch Harnack zugestimmt hatte (111).
Inzwischen hat sich jedoch Hermann Josef Frede der neuen Sicht von Hildegard König angeschlossen; in seinem Standardwerk "Kirchenschriftsteller" (4. Aufl., 1995) bekommt man folgende Auskunft: "Ap(p)onius, wohl Abt, Mittelitalien, zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts" (192). So muß die Datierungsfrage wohl zumindest als offen angesehen werden; am Kommentar des Apponius und am hohen Wert der erneut vorgelegten Textedition ändert das natürlich gar nichts. Die ersten 3 Bücher im Band 1 betreffen den Text Canticum 1,1-26, die Bücher 4-6 in Band 2 gelten dem Text von 2,7 bis 6,6, ein 3. Band mit dem Rest des Textes ist für die Reihe Sources Chrétiennes angekündigt.
III.3. Isidor von Pelusium: Briefe(7)
Pelusium war in der Antike eine bedeutende Hafenstadt östlich des Nil. Der Theologe Isidor von Pelusium hat eine große Briefsammlung hinterlassen, die im 16. und 17. Jh. in fünf Büchern etappenweise herausgeben worden war: Buch 1 mit 500, Buch 2 mit 300, Buch 3 mit 413, Buch 4 mit 230 und Buch fünf mit 569 Briefen (95). Die Sammlung lag bisher in dieser Einteilung bei Migne in der Patrologia Graeca Bd. 78 vor. Jetzt soll eine kritische Ausgabe vorgelegt werden, die mit Buch 4 beginnt, den Briefen 1214-1413. Der Herausgeber Pierre Évieux ist für diese Aufgabe ausgewiesen als Herausgeber einiger Schriften Cyrills von Alexandrien, einer Monographie über Isidor von Pelusium (1995) sowie einer Arbeit über das Konzil von Ephesus 431.
Hinweise auf diese Briefsammlung sind schon früh bezeugt. Der Patriarch Severus von Antiochien hat diese Briefe genutzt, als er nach seiner Absetzung durch Kaiser Justinian 518 in Ägypten im Exil war und dort seine Rechtgläubigkeit zu erweisen suchte. Er erzählt von 3000 Briefen eines Bischofs Isidor von Pelusium. Seine Angaben sind jedoch mit Vorsicht zu genießen, Isidor war nicht Bischof. Zutreffen dürfte die Nachricht des Bischofs Facundus von Hermiane, der wegen des Dreikapitelstreites 548 seine nordafrikanische Heimat verlassen hatte: Er berichtet von 2000 Briefen (96). Diese Zahl 2000 nennt auch 564 der römische Diakon Rusticus, der mit Papst Vigilius in der Mitte des 6. Jh.s in Konstantinopel weilte: Er hat 2000 Briefe von Isidor in 4 Codices zu je 500 Briefen vorgefunden und davon 49 Briefe in die lateinische Sprache übersetzt (155)
Isidor dürfte etwa 355 geboren und 435/40 gestorben sein. Er war nacheinander Professor der Rhetorik, Priester in Pelusium und dann Mönch in jener Gegend Ägyptens. Differenzen mit Bischof Euseb von Pelusium hatten ihn zum Rückzug veranlaßt. Die Einführung geht in Kapitel 1 auf die Briefsammlung unter dem Namen des Isidor von Pelusium ein (9-18). Kapitel 2 steckt den historischen und geographischen Rahmen ab. Kapitel 3 schildert Hintergründe des isidorischen Briefcorpus (37-57), Kapitel 4 berichtet über Isidor, den Sophisten, den Exegeten, den Theologen und den Mönch. Isidor hat vor dem Konzil von Chalkedon 451 geschrieben, vertrat jedoch Formulierungen, die durchaus schon im Sinne der Zweinaturenlehre waren. Kapitel 5 schildert die Überlieferung der Briefe (95-110).
Das ausführlichste Kapitel 6 informiert über die Textgeschichte, die durch die Verhandlungen des Konzils von Trient einen wesentlichen Anstoß erfuhr (111 f.). Neben der reichen griechischen Überlieferung stehen Manuskripte in syrischer und lateinischer Sprache (153-157). Bemerkenswert sind Überlieferungen in Katenen und Florilegien. Dem griechischen Text mit französischer Übersetzung auf den Seiten 181-503 folgen 4 Indices sowie eine Übersicht über die Empfänger der Briefe 1214-1413 (537-549). Zwei Karten zeigen das Nildelta sowie die Nachbarschaft von Pelusium (550 f.).
III.4. Viktorin von Pettau: Kommentar zur Apokalypse und andere Schriften(8)
In seiner im Jahre 392 abgeschlossenen Schrift De viris illustribus hat Hieronymus als Nr. 74 den Bischof Victorinus von Poetovio genannt; die Stadt war damals ein wichtiger Handelsplatz. Der später Pettau genannte Ort liegt in der südlichen Steiermark, dem heutigen Slowenien. Hieronymus bezeichnete Victorin als Märtyrer; man nimmt an, daß es sich um die Verfolgung unter Kaiser Diocletian 304 gehandelt hat. Victorin hinterließ zahlreiche exegetische Werke, Hieronymus zählt die kommentierten biblischen Bücher auf: Genesis, Exodus, Leviticus, Jesaja, Ezechiel, Habakuk, Prediger, Hohes Lied und Apokalypse des Johannes. Dazu kommt eine Schrift gegen alle Häretiker "et multa alia". Von all diesen Werken ist nur der Kommentar zur Apokalypse erhalten. Victorin ist damit der älteste Ausleger biblischer Bücher in lateinischer Sprache, zugleich damit hat er uns den ältesten Kommentar zur Apokalypse hinterlassen, da ein älterer Kommentar in griechischer Sprache von Hippolyt nicht überliefert ist. Freilich blieb auch der Kommentar des Viktorinus zunächst nur in einer Überarbeitung des Hieronymus erhalten. Erst 1916 brachte der Greifswalder Theologe Johannes Haußleiter den ursprünglichen Text in der Wiener Reihe CSEL als Band 16 auf der Grundlage von 10 Manuskripten heraus.
Die jetzt neu vorgelegte Edition kann sich auf 21 Manuskripte stützen und weicht mehrfach von Haußleiters Text ab (44). In dem Band verweist der Herausgeber M. Dulaey mehrfach auf andere Arbeiten von sich, zumal sein 2bändiges Werk "Victorin de Poetovio" (Paris, 1993). Der vorgelegte Text ist identisch mit dem von Dulaye für das Corpus Christianorum vorbereiteten Text. Die Auslegung der Apokalypse durch Victorin entstand in den Verfolgungen der alten Kirche; allgemein wird die Verfolgung unter Kaiser Diocletian angenommen, aber es könnte sich auch um Verfolgungen in der Mitte des 3. Jh.s unter den Kaisern Decius oder Valerian handeln, die Atmosphäre der Cyprianbriefe scheint sich mitunter aufzudrängen (36). In der Schriftauslegung steht Victorin den Kirchenvätern Irenäus und Origenes nahe: Die Bibel bildet eine Einheit, in ihrem Mittelpunkt steht der Tod und die Auferstehung Christi. Die Auslegung der Schrift ist eine Gnadengabe, nur der Heilige Geist offenbart den geistlichen Sinn der Schrift. Der Chiliasmus Victorins ist oft bemerkt worden und galt als eine besondere Eigenart dieses Auslegers. Dulaey stellt jedoch fest, man habe diesen Gesichtspunkt bisher überbewertet; er stellt klar: "Son millénarisme est modéré et spiritualisé" (41).
Die Länge der gebotenen Texte mit ihren Übersetzungen ist recht unterschiedlich; unter den Texten stehen nur Hinweise auf Bibelstellen (46-123). Ausführliche Anmerkungen zu inhaltlichen Problemen werden erst in einem nachfolgenden Teil gebracht (153-206). Der Prolog und der Schluß des Hieronymus steht auf S. 124-131 mit Anmerkungen S. 207-211. Das nur 15 Zeilen kurze chronologische Fragment bringt Daten des Lebens Jesu (132 f., dazu Anmerkungen 213 f.). Die Arbeit De fabrica mundi bietet eine Meditation zur Schöpfungsgeschichte auf S.136-149 mit Anmerkungen S. 215-231. Knappe Indices beschließen den Band (235-243).
III.5. Tertullian: Von der Verschleierung der Jungfrauen(9)
Tertullians Schrift De virginibus velandis ist lange Zeit hindurch recht stiefmütterlich behandelt worden. Die Bibliothek der Kirchenväter nahm sie nicht auf; zum Thema schien Hugo Koch 1907 mit seiner Untersuchung "Virgines Christi" alles Wesentliche gesagt zu haben. Ein Problem ist zudem seit jeher die Überlieferung der Tertullianschriften: Die älteste uns erhaltene Überlieferung der Schrift De virginibus velandis geht zurück auf eine Abschrift im Corpus Cluniacense (10. oder 11.Jh.). Die editio prima brachte 1521 in Basel Beatus Rhenanus heraus, der 1528 und 1539 noch 2 verbesserte Ausgaben vorlegte. Er hatte noch Textzeugen vor Augen, die heute als verschollen gelten. Von den weiteren Ausgaben sei die von Nikolaus Rigaltius (Paris 1634) genannt, dessen Text übernahm Migne 1844. Einen Fortschritt brachte F. Oehler mit der ersten kritischen Ausgabe in 3 Bänden (Leipzig 1853/54); sie war freilich unter schwierigen Bedingungen entstanden und hat zumal für die Schrift De virginibuis velandis kaum Bedeutung (10).
Nach 1950 wurden kurz hintereinander drei neue Ausgaben vorgelegt: E. Dekkers 1954 im Corpus Christianorum (Bd. II), dann G. F. Dierks 1956 in den Stromata Patristica et Mediaevalia (Fasc. 6) sowie V. Bulthart 1957 in Band 57 der Wiener Reihe Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum (CSEL). Eine deutsche Übersetzung bot 1974 Ch. Stücklin in seiner Baseler Theologischen Doktorarbeit "Tertullian, De virginibus velandis, Übersetzung, Einleitung, Kommentar". Einen gewissen Schlußpunkt setzte 1977 Eva Schulz-Flügel mit ihrer Göttinger Dissertation "Quinti Septimi Florentis Tertulliani De virginibus velandis. Einleitung, Text, deutsche Übersetzung, theologischer und philologischer Kommentar". Dieser jetzt am Beuroner Vetus-Latina-Institut tätigen Patristikerin wurde schon zu Anfang der achtziger Jahre auch die Edition der Tertullianschrift De virginibus velandis in der Reihe Sources Chrétiennes anvertraut.
Im Vorwort schreibt Paul Mattei, er habe die französische Übersetzung der Tertullianschrift erarbeitet, aber der lateinische Text, die Einleitung und der Kommentar gingen zurück auf die Arbeit von Eva Schulz-Flügel. Er habe zwar an einigen Punkten eine etwas abweichende Meinung, doch solle der Grundsatz gelten "In dubiis libertas" (8). Insgesamt konnte die Herausgeberin jedenfalls ihre überzeugende Sicht des Jahres 1977 nach nunmehr vollen zwei Jahrzehnten in der französischen Reihe ohne erkennbare Abstriche erneut darlegen.
Die Schrift De virginibus velandis gehört demnach in die Zeit der montanistischen Gemeinde; von dort her ist sie motiviert. Die Montanisten hielten am alten Glaubensbekenntnis fest (I,4, 130), aber sie erwarteten jeweils neue, aktuelle Botschaften des heiligen Geistes, des Parakleten (I,6-I,8). Die Montanisten wollten nicht an alten Gewohnheiten festhalten, sie wollten für neue Wahrheiten bereit sein. Zwischen den Begriffen consuetudo und
veritas besteht Spannung. Bei der Suche nach der Datierung der Schrift kommt man damit in die Spätzeit des kämpferischen Montanisten Tertullian: Er hat 214 die Abhandlung de anima geschrieben, kurz danach sollte die Entstehung der Arbeit De virginibus velandis angesetzt werden. Sie steht im engen Zusammenhang mit den Spätschriften Tertullians De resurrectione mortuorum und unmittelbar vor De monogamia (46).
Kapitel IV der Introduction erörtert ausführlich das Thema Verschleierung (88-96). Ehefrauen sollten nach römischer Sitte sich nur verschleiert in der Öffentlichkeit zeigen, denn sie gehörten einem Manne an und waren damit für andere Männer unerreichbar. Einige christliche Jungfrauen verschleierten sich ebenfalls, um sich damit als Braut Christi zu zeigen. Das war aber keine allgemeine Sitte, andere junge Christinnen lehnten eine Verschleierung ab. In der Kirche waren in der Zeit um 200 beide Auffassungen zugelassen. Tertullian hatte sich freilich schon in seiner Frühschrift De oratione für eine Verschleierung aller Frauen im Gottesdienst eingesetzt. Die einschlägigen Texte zwischen De oratione und De virginibus velandis werden verglichen (26-30). Eine Erfüllung seiner asketischen Wünsche erfuhr Tertullian bei den Montanisten; bei ihnen meinte er, die wahre Kirche gefunden zu haben. Daher war es für ihn entscheidend wichtig, daß diese wahre Kirche durch deutliche Kennzeichen sichtbar werde. Ein solches Kennzeichen war die Verschleierung aller Frauen beim Gottesdienst.
In Kapitel VII der Einführung begründet die Herausgeberin, daß Tertullians Stellungnahme nicht einfach aus Frauenfeindschaft zu erklären ist. Diesen Gedankengang hatte sie 1977 ausführlicher dargelegt in Auseinandersetzung mit der damals herrschenden Sicht, die in Tertullian einen Frauenfeind sah. Nach zwei Jahrzehnten kann sie nun in der Revue des Études Augustiniennes 1996 (3-19) feststellen, daß die neueren Untersuchungen ihre Ergebnisse von 1977 bestätigen und "das Verdikt vom persönlichen Frauenhaß Tertullians nicht mehr gelten lassen" (5). Tertullian redete bestimmte Frauen als Schwester an, er war der erste christliche Schriftsteller, der sich direkt an Frauen gewandt hat: Ad uxorem, De cultu feminarum sowie eben auch De virginibus velandis. Tertullian gesteht Frauen eine direkte Verbindung mit Gott zu, Frauen können Charismen empfangen. Auf die montanistischen Prophetinnen ist Tertullian allerdings niemals eingegangen.
Dem lateinischen Text mit französischer Übersetzung (128-185) folgen ausführliche Kommentare, die mehrfach auf parallele Stellen in anderen Schriften von Tertullian eingehen. Hier wird auch auf die reichhaltige Literatur eingegangen, mitunter in kritischer Auseinandersetzung (189-271).
III.6. Bernhard von Clairvaux: Briefe(10)
Die grundlegende Ausgabe der Werke Bernhards von Clairvaux (Bernardi Opera) war 1957-1977 in Rom von J. Leclercq, H. Rochais und C. Talbot vorgelegt worden. Die Reihe Sources Chrétiennes übernimmt diese Edition und fügt eine französische Übersetzung hinzu. Zwei Bände (390 und 393) waren 1993 erschienen und in ThLZ 119 (1994) angezeigt worden (961 f.). Jetzt werden die ersten 41 Briefe aus der insgesamt 551 Nummern umfassenden Briefsammlung geboten, die in den Opera Bernardi als Band VII erschienen waren. Diese Sammlung enthält sicher nur einen Teil der Briefe, die Bernhard geschrieben hat; Leclercq vermutete, es könnten mehr als tausend Briefe gewesen sein (21). Einige Sekretäre Bernhards werden vorgestellt (24-26). Die Nummerierung der Briefe geht auf die 2bändige Ausgabe von Mabillon 1715 zurück, dem die Patrologia Latina von Migne in Band 182 gefolgt war. Einzelheiten der Sammlung und der Manuskripte werden skizziert (40-46). Die Bibliographie nennt 10 Übersetzungen in die französische Sprache (447 f.). Neben Übersetzungen in die englische, italienische und spanische Sprache wird auch die lateinisch-deutsche Ausgabe von B. Winkler (Innsbruck) gleich zu Beginn genannt (9). Der kritische Apparat der Opera Bernardi wird nicht übernommen. Aber über jedem Brief steht schon im lateinischen Urtext eine Überschrift. Zu jedem Brief gibt es Anmerkungen mit Hinweisen auf das Datum, den Briefempfänger sowie die wichtigsten Umstände des Briefes.
Gleich Brief 1 nimmt ein grundlegendes Thema auf: Bernhards Neffe Robertus de Castiglione war 1114 in Clairvaux eingetreten, hatte aber dieses besonders strenge Kloster 1119 verlas sen, um sich der milderen Observanz im Kloster Cluny anzuschließen. Gesundheitliche Gründe werden genannt. Bernhard war zu dem Zeitpunkt nicht im Kloster Clairvaux gewesen, 1120 hatte der Abt von Cluny sogar noch eine päpstliche Genehmigung eingeholt. Bernhard aber äußert sich bitter. Er redet Robert ins Gewissen: Ein Zisterziensermönch ist ein Soldat Christi, der nicht aus der Schlacht fliehen darf. Er fordert ihn hart auf, wieder in die Schlacht zurückzukehren: "reverte ad proelium unde fugisti, fortius post fugam proeliaturus, gloriosius, triumphaturus" (I,13, 86). Jener Neffe Robert ist später wieder in das Kloster Clairvaux zurückgekehrt. Neben den Zisterziensern hat Bernhard offenbar die Kartäuser voll anerkannt; die Briefe 11 und 12 wenden sich an sie und ihren Prior Guigo (214-241).
Mehrere Briefe sind 1126/27 nach Rom gerichtet: An Papst Honorius II. die Briefe 13 und 14 (248-255), an verschiedene Kardinäle die Briefe 15-20 (255-279); man entschied jedoch in Rom anders, als es Bernhard gewünscht hatte. Beim Besuch eines päpstlichen Legaten 1128 in Frankreich entschuldigt sich Bernhard (Brief 21, 280-83). Andere Briefe sind an Erzbischöfe und Bischöfe gerichtet. Bischof Gislebert von London wird 1128/29 gelobt, weil er auch als Bischof das Ideal der Armut festhalte; Brief 24 ist überschrieben: "Laudat Gislebertum, quod factus episcopus paupertatem colat" (296). Auch einzelnen Personen hat er tröstend zugeredet, so einem Mönch Adam (Brief 5-7) oder einem Grafen Theobald (Brief 37-41).
IV. Die Germania Sacra
IV.1. Zur Geschichte der Reihe Germania Sacra 1916-1996
Ausführlicher soll über die Reihe Germania Sacra berichtet werden, da über diese Institution im letzten halben Jahrhundert in der ThLZ niemals informiert worden ist. Dieses Unternehmen ist für die Kirchengeschichte wichtig, es konnte 1996 auf eine Geschichte von 8 Jahrzehnten zurückblicken. Im Jahre 1916 wurde im Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für deutsche Geschichte mit der Arbeit an der Reihe Germania Sacra begonnen. Initiator war Paul Fridolin Kehr (1860-1944), der bereits eine andere mittelalterliche Quellenedition begründet hatte: Die Germania Pontificia, eine Sammlung von Papsturkunden, die auch in anderen Ländern bestand (z. B. Gallia Pontificia). In Zusammenarbeit mit der schon ein Jahrhundert früher begründeten Reihe Monumenta Germaniae Historica sollte die "Germania Sacra" das reiche Quellenmaterial zur Geschichte der deutschen Bistümer, Domkapitel, Stifte und Klöster erschließen und damit feste quellenmäßige Grundlagen für weitere Forschungen liefern. Der Name wurde von einem älteren Versuch dieser Art übernommen, der freilich sonst vergessen ist: Abt Martin Gerbert von St. Blasien hatte eine Germania Sacra begründet, die jedoch 1803 durch die Säkularisation ein schnelles Ende gefunden hatte.
Nach knapp drei Jahrzehnten fand im Jahre 1945 auch die Arbeit der Germania Sacra in Berlin ein Ende. Vier Bände lagen inzwischen vor, davon 2 über Brandenburg sowie je ein Band über Havelberg und Bamberg. Irene Crusius, die 34 Jahre lang als verantwortliche Redakteurin der Germania Sacra wirkte, gab im Deutschen Archiv für Erforschung des Mittelalters 52 (1996) einen Überblick unter der Überschrift: "Die Germania Sacra. Stand und Perspektiven eines langfristigen Forschungsprojekts". Im Rückblick auf die ersten drei Jahrzehnte der Arbeit formuliert sie: Man hatte "aus arbeitstechnischen und methodischen Gründen zunächst die nahe Berlin, dem Sitz des Kaiser-Wilhelm-Instituts für deutsche Geschichte, gelegenen Bistümer Brandenburg und Havelberg bearbeitet" (630). In Göttingen wurde 1956 am Max-Planck-Institut für Geschichte von Hermann Heimpel die "Neue Folge der Germania Sacra" begründet. Das bedeutete auch eine neue geographische Orientierung: Ostdeutsche Archive waren damals nur schwer zugänglich; es ergaben sich neue Schwerpunkte: Das mit seinen tiefsten Wurzeln bis in die Alte Kirche zurückreichende Erzbistum Trier sowie die etwas jüngeren "Missions"-Bistümer Münster und Würzburg. Daneben wurde jedoch noch im Rahmen der "Alten Folge" die Arbeit am Bamberger Bistum abgeschlossen.
Unter den denkbar schwierigsten Umständen wurde die Arbeit an den Quellen des Erzbistums Magdeburg fortgesetzt, denn deren Bearbeiter Berent Schwineköper war in den Westen geflüchtet und mußte dort - nun ohne den Zugang zu den Magdeburger Archiven - seine Arbeit fortsetzen. Auch dieses Vorhaben konnte in 2 Bänden 1972 abgeschlossen werden, auch diese Bände werden mit guten Gründen noch der "Alten Folge" zugerechnet.
Für die "Neue Folge" der Germania Sacra wurde der Zeitraum für die katholischen Bistümer im Süden und Westen Deutschlands erweitert: Das Material bis zur Säkularisation nach 1800 soll mit aufgearbeitet werden. Einer zu großen Ausweitung der Darstellungen konnte jedoch entgegengewirkt werden, indem man an einer bestimmten Ordnung festhielt. "Der Benutzer soll nachschlagen und gleiche Dinge am gleichen Ort finden können" (Crusius, 631). Der Umfang des vorhandenen Materials bringt freilich einen großen Umfang der Bände mit sich.
Als Beispiel wird Würzburg genannt: Die erhaltenen Protokolle des Würzburger Domkapitels für die Jahre 1481-1803 füllen insgesamt 478 Bände = 45 laufende Regalmeter. Dazu kommen 29 Bände Testamente für die Jahre 1511-1784. Vom Stift St. Burkard in Würzburg sind 92 Bände Konzilsprotokolle (1525-1796 mit Lücken) erhalten. "Von ca. 7900 Würzburger Urkunden bis 1400 ist nur die Hälfte in Regesten oder Urkundenbüchern erschlossen, von den späteren etwa 35 000 Urkunden (1400-1803) ganz zu schweigen. Das Würzburger Beispiel ist kein Sonderfall" (632).
In der Arbeit für die Germania Sacra stehen zur Zeit 35 Mitarbeiter, davon 27 hauptberufliche Archivbeamte. Es ist einsichtig, daß solche aufwendige Arbeit nur vorankommen kann bei ständigem Zugang und Umgang mit dem Archivmaterial durch geschulte Archivare. Neben den Bänden der Neuen Folge erscheinen "Studien zur Germania Sacra", die zugleich in der Reihe "Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte" gezählt werden. Zuletzt erschien Band 19 dieser "Studien zur Germania Sacra" als Band 124 der Veröffentlichung des Max-Planck-Instituts für Geschichte mit Beiträgen zum Thema "Zur Säkularisation geistlicher Institutionen im 16. und im 18./19.Jahrhundert". Die Neue Folge der Reihe "Germania Sacra" begann 1961 mit der Würzburger Bischofsreihe bis 1254, bearbeitet von Alfred Wendehorst. Zuletzt erschien der Band 35,1 über das Bistum Naumburg (1996), dem näher nachgegangen sei.
IV.2. Zur Entstehung des Bandes "Bistum Naumburg" 1930-1997
In einem Geleitwort bezeichnet Irene Crusius als Redakteurin der Germania Sacra das Erscheinen des Bandes über das Bistum Naumburg als "ein kleines Wunder im Gefolge des großen Wunders von 1990, der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten". Sie erinnert an die vielen Schwierigkeiten der Kontakte zu dem im Osten wohnenden Bearbeiter Heinz Wießner, an Briefe, Telefonate und Geschenksendungen, zumal seit dem Mauerbau in Berlin im August 1961. Mit einem "Mehrfach-Berechtigungsschein zu touristischem Tagesaufenthalt" in grenznahen Kreisen der DDR reiste sie in den siebziger Jahren wiederholt nach Eisenach, um sich mit dem Autor zu treffen und im Thüringer Wald zu beraten. Trotz all dieser mühevoll organisierten Zusammentreffen muß dann doch festgestellt werden: "Wie groß aber die Isolation von der wissenschaftlichen Entwicklung im Westen war, trotz aller geschilderten Bemühungen, neue westliche Literatur zur Kenntnis zu bringen, offenbarte sich dem Autor erst, als er nach dem Fall der Berliner Mauer die Bibliothek des Max-Planck-Instituts in Göttingen selbst benutzen konnte" (VI).
Der Bearbeiter des Bandes, Heinz Wießner, erinnert seinerseits im Vorwort an frühere Probleme: Ernst Devrient hatte 1930 mit der Arbeit begonnen und bekam 1933 Schwierigkeiten; er wurde wegen "nicht ganz arischer Abstammung in seiner Wirksamkeit etwas eingeengt" (IX). Devrient beschäftigte sich mit dem Material noch als 73jähriger bis zu seinem Tode 1948. Wießner bekam 1956 erstmals die Vorarbeiten Devrients zu sehen und erhielt 1958 - damals noch ganz offiziell - den Auftrag vom Max-Planck-Institut Göttingen zur Fortsetzung der Arbeiten für die Germania Sacra. Mit dem Mauerbau 1961 änderte sich aber die Lage. Wießner formuliert: "Die damals in den dem Ministerium des Inneren unterstellten Staatsarchiven der DDR herrschende Atmosphäre erhellt am besten aus dem Verbot von Kontakten jeder Art zu Personen oder Einrichtungen der Bundesrepublik, was die Mitarbeit an Vorhaben wie der Germania Sacra in die Nähe von kriminellen Handlungen rückte" (XI). Seit 1976 war er Archivar und Bibliothekar der Domstifter Naumburg, Merseburg und Zeitz, damit verbesserte sich seine Lage etwas. Wießner dankt dem Dechanten der vereinigten Domstifter Merseburg, Naumburg und Zeitz Ernst Schubert, daß er die "wissenschaftliche Arbeit dankenswerterweise durch manche dienstliche Erleichterung gefördert" habe (XIII). Aber erst in den Jahren nach der Wende bekam der Band seine heutige Gestalt in einer gegenüber allen Vorarbeiten doch ganz neuen Form.
IV.3. Zum Inhalt des Bandes "Bistum Naumburg"(11)
Der Aufbau des Bandes hält sich an eine vorgegebene Ordnung: Er beginnt mit "1. Quellen, Literatur und Denkmäler" (1-75). Die mittelalterliche Chronistik war dürftig; erst 1846 erschien eine wissenschaftlich brauchbare Geschichte der Bischöfe des Hochstifts Naumburg vor der Reformation (4); danach wird Walter Schlesingers Kirchengeschichte Sachsens genannt, die eine Naumburger Bistumsgeschichte enthält. Die wichtigsten Quellen liegen im Domstiftsarchiv Naumburg und im Stiftsarchiv Zeitz, wichtige Archivalien "bergen die Haupstaatsarchive in Weimar und Dresden" (6). Ein eng gedrucktes Quellenverzeichnis füllt die Seiten 8-23, ein Literaturverzeichnis S. 23-39. Breit wird auf die Denkmäler eingegangen, u. a. auch auf die Rudelsburg und das Lied "An der Saale hellem Strande" (69). Abschnitt 2 "Archiv und Bibliothek" teilt mit, daß erstmals 1154 ein Naumburger Archiv erwähnt wird (77). Die Übersicht über die heutige Aufbewahrung der wichtigsten älteren Bestände des ehemaligen bischöflichen Archivs füllt eng gedruckt die Seiten 89-93. Eine erste Nachricht über vorhandene bischöfliche Bücher stammt erst aus dem Anfang des 15. Jh.s (94). Ein Katalog von 1565 mit 142 Titeln wird abgedruckt (103-108).
Abschnitt 3 "Historische Übersicht" beginnt mit der Gründung des Bistums Zeitz 968 und seiner Verlegung nach Naumburg 1028. Beide Orte werden als Bischofssitze genannt, erst 1231 wird die Bezeichnung "Bischof von Zeitz" verboten (109). Die Grenzen haben sich verändert. Die Naumburger Bischöfe haben fast immer im Dienst der Herrscher gestanden. Bischof Eberhard hielt zu König Heinrich IV. auch 1077, als dieser nach Canossa ging (130), Bischof Wichmann von Naumburg wurde 1152 Erzbischof von Magdeburg als einer der aktivsten Parteigänger des Kaisers Friedrich Barbarossa (132). Ein Vertrag 1259 führte zur Schutzherrschaft der Wettiner; aus deren "Abhängigkeit hat sich das Bistum nie mehr lösen können" (136). Als "programmatisch für die Abhängigkeit des Hochstifts von der Landesherrschaft" werden die bekannten Stifterfiguren im Naumburger Dom bezeichnet (137). Bis zum 15. Jh. entstanden im Naumburger Bistum 47 geistliche Niederlassungen (143-152). Die Reformation setzte sich in Naumburg und Zeitz relativ langsam durch, weil "Domkapitel und Stiftsregierung die Fäden in der Hand haben und gegenüber Veränderungen mißtrauisch sind" (154). Der kurze Abschnitt "Das Zwischenspiel Amsdorfs (1542-1546) und die Amtszeit Pflugs (1546-1564)" bezeichnet Amsdorf als eine "Kämpfernatur mit kaum überbietbarem Eifer ", Pflug als bedächtigen Gegenspieler, der "für einen Ausgleich zwischen den Konfessionen zu wirken sucht" (175).
Teil 4 "Verfassung und Verwaltung" beginnt mit 17 "Kirchenorganisation" (179-185), ihm folgen die "Bischöfe (185-224), "Bischöflicher Hof und Hofämter", "Bischöfliche Zentralbehören", "Bischöfliche Regionalbehörden" und "Bischöfliche Gerichtsbarkeit" (226-247). Bann und Interdikt, Visitationen (247-254), Synoden sowie die Stiftsstände (263-266) werden ebenso untersucht wie Siegel und Wappen.
Der Teil 5 "Religiöses und geistiges Leben" stellt einleitend fest, daß sich im Gebiet des Bistums Naumburg lange Zeit Reste des Heidentums hielten. Bis 1300 wurden aber 44 Klöster gegründet, sie bewirkten "eine bis dahin nicht dagewesene Durchdringung weiter Laienkreise, vor allem in den Städten, mit christlichem Gedankengut" (273). Der Höhepunkt künstlerischen Schaffens liegt im 13. Jh., "als im Naumburger Dom der namentlich nicht bekannte Naumburger Meister mit den Stifterfiguren im Westchor das reifste Werk der mittelalterlichen deutschen Plastik schafft" (274). Der längste 29 "Gottesdienst" bringt eine Fülle einzelner Beobachtungen, hält sich dabei jedoch stets an das allgemein bekannte Bild der Entwicklung (274-371). Auch die Paragraphen über Frömmigkeit, Heiligenverehrung und jüngere Herrenfeste, Reliquien, Wallfahrten, Kreuzzüge, Stiftungen und Ablässe, Ordenswesen und Bruderschaften verbinden lokale Nachrichten mit der allgemein bekannten Entwicklung.
Die folgenden Hospitäler werden genannt: 1144 in Naumburg, 1171 in Bosau vor Zeitz, 1181 in Altenburg, 1237 beim Bergerkloster Altenburg, 1225 in Bürgel, 1255 in Eisenberg usw. (425f.). Im späteren Mittelalter kommt es zu einer Spezialisierung, es gab besondere Aussätzigenhospitäler; allein Zwickau hatte um 1520 sieben Hospitäler (429). Damit verbunden war die Armenfürsorge, die sich zumal in den Städten Naumburg und Zwickau beobachten läßt (432-439). Das Schulwesen wird erstmals 1088 erkennbar mit der Nennung eines Schulmeisters in Naumburg (460). Der Begründer der Bergbaukunde, Georg Agricola, war Schulrektor in Zwickau und fand 1555 seine letzte Ruhestätte in Zeitz (470 f.). Älteste Nachrichten über die Anfänge von Bibliotheken führen auf Klöster zurück, zumal das Kloster Pforte. Anfänge der Buchdruckerkunst lassen sich auch im Naumburger Bereich nachweisen; sie sollten schon sehr bald zur Ausbreitung der Reformation beitragen (481-483). Auch bei den Ausführungen zur bildenden Kunst kommt der Reformation, zumal wegen Lukas Cranach, große Bedeutung zu (499), ähnlich verhält es sich bei der Musik (503).
Abschnitt 6 beschreibt den Besitz (509-732) mit einer Fülle von Details, die immer wieder auf die Quellen verweisen. Der für 1998 angekündigte zweite Band (35/II) sieht noch einen Abschnitt 7 vor mit "Personallisten" sowie zum Abschluß Indices und Karten.
Fussnoten:
(1) Vetus Latina. Die Reste der altlateinischen Bibel. Nach Petrus Sabatier neu gesammelt und in Verbindung mit der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hrsg. von der Erzabtei Beuron. Bd. 12/2: Esaias. Fasc. 9: Is 58,8-61,10; Fasc. 10: Is 61,10-65,23; Fasc.11: Is 65,23-fin. Conclusion: Histoire du texte. Complements, Tables. Ed. R. Gryson. Freiburg: Herder 1997. S. 1441-1707. 4. ISBN 3-451-00129-2; ISBN 3-451-00130-6; ISBN 3-451-00131-4.
(2) Sedulii Scotti Collectaneum in Apostolum. I: In Epistolam ad Romanos. II. In Epistolas ad Corinthios usque ad Hebraeos. Eingel. u. hrsg von H. J. Frede und H. Stanjek. Freiburg: Herder 1996/97. 60* S., 862 S. gr.8 = Vetus Latina. Die Reste der altlateinischen Bibel. Aus der Geschichte der lateinischen Bibel, 31 u. 32. ISBN 3-451-21952-2 u. 3-451-21953-0.
(3) Hammond Bammel, Caroline P.: Der Römerbriefkommentar des Origenes. Kritische Ausgabe der Übersetzung Rufins. Buch 4-6. Freiburg: Herder 1997. IV, S. 267-545. gr.8 = Vetus Latina. Aus der Geschichte der lateinischen Bibel, 33. ISBN 3-451-21944-1.
(4) Johannes Philoponos: De opificio mundi - Über die Erschaffung der Welt, I-III. Übersetzt und eingeleitet von C. Scholtgen. Freiburg: Herder 1997. 728 S. 8 = Fontes Christiani, 23,1-3. ISBN 3-451-23801-2; ISBN 3-451-23802-0; ISBN 3-451-23803-9.
(5) Richard de Saint-Victor: Les douzes Patriarches ou Beniamin Minor. Texte critique et Traduction par J. Châtillon et M. Duchet-Sucheaux. Introduction, Notes et Index par J. Longère. Paris: Cerf 1997. 374 S. 8 = Sources Chrétiennes, 419. fFr. 199,-. ISBN 2-204-05610-3.
(6) Apponius: Commentaire sur le Cantique des Cantiques. Tome I: Livres I-III. Tome II: Livres IV-VIII. Introduction générale, Texte, Traduction et Notes par B. de Vergille et L. Neyrand. Paris: Cerf 1997. 386 S. u. 347 S. 8 = Sources Chrétiennes, 420 u. 421. fFr 261,- u. 250,-. ISBN 2-204-05527-1 u. 2-204-05709-6.
(7) Isidore de Péluse: Lettres. Tome I: Lettres 1214-1413. Introduction générale, Texte critique, Traduction et Notes par P. Évieux. Paris: Cerf 1997. 555 S. 8 = Sources Chrétiennes, 422. Kart. fFr. 245,-. ISBN 2-204-05557-3
(8) Victorin de Poetovio: Sur lApocalypse suivi du Fragment chronologique et de la Construction du Monde. Introduction, Texte critique, Traduction, Commentaire et Index par M. Dulaey. Paris: Cerf 1997. 246 S. 8 = Sources Chrétiennes, 423. Kart. fFr. 154,-. ISBN 2-204-05738-X.
(9) Tertullien: Le Voile des Vierges (De virginibus velandis). Introduction et Commentaire par E. Schulz-Flügel, Traduction par P. Mattei. Paris: Cerf 1997. 288 S. 8 = Sources Chrétiennes, 424. Kart. fFr 183,-. ISBN 2-204-05761-4.
(10) Bernard de Clairvaux: Lettres. Tome I (Lettres 1-41). Texte latin des Bernardi Opera par J. Leclercq, H. Rochais et Ch. H. Talbot. Introduction et Notes par Monique Duchet-Sucheaux. Traduction par H. Rochais. Paris: Cerf 1997. 391 S. 8= Sources Chrétiennes, 425. fFr 215,-. ISBN 2-204-05744-4.
(11) Das Bistum Naumburg I,1: Die Diözese. Unter Verwendung von Vorarbeiten von E. Devrient () im Auftrag des Max-Planck-Instituts für Geschichte bearb. von H. Wießner. Berlin-New York: de Gruyter 1997. XX, 732 S. gr.8. = Germania Sacra.Neue Folge 35,1: Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg. DM 326,-. ISBN 3-11-015193-6.