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Ausgabe:

Dezember/2000

Spalte:

1261–1263

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Smith, D. Moody

Titel/Untertitel:

John.

Verlag:

Nashville: Abingdon Press 1999. 428 S. gr.8 = Abingdon New Testament Commentaries. Kart. $ 24.-. ISBN 0-687-05812-0.

Rezensent:

Konrad Haldimann

Nach über dreißig Jahren eigener Forschung am Johannesevangelium legt der Vf. einen Kommentar in einer Reihe vor, die sich bewußt an ein breites Publikum wendet. Eine reizvolle Konstellation! Der Kommentar spiegelt vor allem die Auseinandersetzung des Vf.s mit der neueren angelsächsischen Johannesexegese (Ashton, Barrett, Brown, Culpepper, Martyn, Meeks, O'Day, Segovia, Witherington) und der Johannesinterpretation Bultmanns.

Das vorliegende Werk ist in methodischer Hinsicht von einer doppelten Grundtendenz geprägt. Die erste Tendenz betrifft die Berücksichtigung des literarischen Werdeganges des Textes für dessen Auslegung: Obwohl der Vf. davon ausgeht, dass das heute vorliegende JohEv in drei oder vier Stufen entstanden ist (28f.), spielt diese Einsicht für die Auslegung des Textes nur eine minimale Rolle (eine gewisse Ausnahme stellt die Kommentierung von Joh 21 dar, 389-406). Den entscheidenden Vergleichspunkt für die Auslegung bilden die Synoptiker, auch wenn der Vf. davon ausgeht, dass das JohEv wahrscheinlich keinen der Synoptiker direkt gekannt hat (29-33). Die zweite Grundtendenz betrifft die Einschätzung des jetzt vorliegenden Endtextes: Auch wenn dieser leichte Akzentverschiebungen enthalten mag, so ist er doch von einer einheitlichen Gestaltung des Plots und einer konsistenten Theologie geprägt. So wird beispielsweise die überlieferte Reihenfolge der Kap. 5-7 nicht verändert, auch wenn die narrative Logik gebrochen ist; dieser wird aber die Entwicklung eines thematischen Plots übergeordnet (146). Die theologische Einheitlichkeit des jetzt vorliegenden Endtextes wird sichtbar, wenn dieser auf dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit dem sich nach 70 n. Chr. neu formierenden Judentum und der bedrängenden Frage nach der Präsenz des erhöhten Christus in der Gemeinde gelesen wird (34-39); inhaltlich lässt sie sich als konsequentes Durchdenken der Inkarnationsaussage verstehen. Die skizzierte Grundposition soll im Folgenden anhand der Auslegung dreier Texte exemplifiziert und kritisch kommentiert werden.

Die Auslegung des Prologs (47-65) folgt konsequent der Konzentration auf die Ebene des Endtextes: Obwohl der Vf. annimmt, dass wesentliche Teile des Prologs auf einen alten christlichen Hymnus zurückgehen (47 f.), interpretiert er den vorliegenden Text synchron in drei Schritten (V. 1-5, V. 6-13 und V. 14-18), die den drei Stufen der Offenbarung des Logos entsprechen (Schöpfung, Geschichte, Inkarnation). Da die V. 6-8 bereits vom Auftreten des Täufers sprechen, werden die V. 6-13 insgesamt auf Jesus bezogen (54-57). Hier zeigen sich zugleich Stärke und Schwäche des gewählten methodischen Ansatzes: Jede Auslegung des Prologs kommt in der Tat erst zu einem Ende, wenn sie die V. 6-13 konsequent auch auf der Ebene des Endtextes interpretieren kann. Die vorgenommene Verhältnisbestimmung von V. 6-13 zu V. 14-18 lässt jedoch die Frage offen, ob die Kategorie des 'foreshadowing' (58) ausreicht, um die Offenbarung des Logos in der Geschichte in ihrem eigenen Gewicht zu würdigen und zugleich als Interpretament des Auftretens Jesu verstehbar zu machen. In theologischer Hinsicht folgt der Vf. der von Bultmann ausgearbeiteten Interpretationslinie: Das Gewicht des Prologs liegt auf der Würdigung der Inkarnation (59 f.). Dass diese nicht im Sinne Käsemanns doketistisch zu verflüchtigen ist, zeigt sich an der Reaktion der Opponenten im JohEv, die Jesus auf seinen irdischen Ursprung reduzieren wollen (60). Damit wird dem Rollengefüge und dem Zusammenspiel der Perspektiven für die Interpretation der Christologie eine Bedeutung zugemessen, der weiter nachzugehen sich lohnen dürfte.

Die Auslegung von Kap. 6 (144-165) illustriert in anschaulicher Weise die Verschränkung von exegetischer Methodik und theologischer Profilbestimmung. Die beiden Wundergeschichten in 6,1-15 und 6,16-21 werden zwar auf eine mit den Synoptikern verwandte Tradition zurückgeführt (150); dies gibt aber nicht Anlass zur Beschreibung einer innerjohanneischen Traditionsentwicklung (146-151). Das Ich-bin-Wort in 6,20 ist je nach hermeneutischem Orientierungspunkt als (bloßes) ,Ich bin es' zu deuten (wenn es von Mk 6,50 her gelesen wird) oder als emphatisches ,Ich bin', wenn es von vornherein aus dem johanneischen Kontext gedeutet wird (150). Es lässt sich jedoch fragen, ob das Postulat dieser Offenheit bereits der spezifisch johanneischen Denkbewegung gerecht wird, die 6,20 nur als Sinnbaustein auf das Ich-bin-Wort in 6,35 hin verwendet. Der jetzt vorliegende Endtext wird auch dort als sinnvolle literarische Einheit betrachtet, wo diachrone Rückfragen ihren klassischen Ort haben. Dies gilt zum einen für die Bezugnahmen auf den ,jüngsten Tag' in 6,40c; 44c; 54c; durch sie soll die präsentische Eschatologie in ihrer integrativen Kraft sichtbar gemacht werden (155; vgl. den Interpretationsvorschlag zu 5,28 f. [138]). Dies gilt zum anderen für 6,51c-58 (157-161): Das Zitat von 6,31 ist erst dann vollständig ausgelegt, wenn auch der Begriff des Essens interpretiert wird, was in 6,52-58 geschehe. Der Text wäre demnach ohne 6,51c-58 geradezu unvollständig (159; die von Bornkamm und anderen vorgebrachten Gegenargumente werden nicht diskutiert). Dass der Gedanke der Inkarnation durch die Bezugnahme auf das Abendmahl auf weisheitlichem Hintergrund vertieft werde (159-161), ist ein Vorschlag, über den nachzudenken sich lohnen dürfte, auch wenn man 6,51c-58 der Spätphase der Entstehung des JohEv zuordnet.

Die Auslegung von 13,1-20 (250-256) orientiert sich wie-derum am Vergleich mit den Synoptikern: Die Fußwaschung nimmt danach die Stellung und Funktion des Abendmahls ein. Die Gründe für diese Wahl des Joh sieht der Vf. vor allem in der stärkeren Betonung des Tatcharakters der Fußwaschung und deren ethischen Implikationen (255 f.; 261 f.). Das Nebeneinander der beiden Deutungen der Fußwaschung (V. 6-11; V. 12-17) wird dabei als Begründungsverhältnis verstanden, ohne dass die relative Unverbundenheit weiter diskutiert würde. Nach der ersten, begründenden Deutung (V. 6-11) wird die Fußwaschung als symbolische Handlung verstanden und auf den Tod Jesu bezogen (252 f.). Entscheidend für dieses Verständnis ist die soziale Beurteilung dieses ,niedrigen Dienstes' und die Verknüpfung mit ,der Stunde' in 13,1 (251 f.). Der Tod Jesu wird dabei in theologischer Hinsicht als tiefster Ausdruck der Liebe Gottes (251) und als Kulminationspunkt der Inkarnation verstanden (253).

Fazit: (1) Dass der weitgehende Verzicht auf diachrone Fragestellungen der Wahrnehmung des vorliegenden Endtextes des JohEv förderlich sei, davon kann auch dieser Kommentar kaum überzeugen. Die angedeuteten Probleme weisen in eine andere Richtung. (2) Dass sich die theologische Auseinandersetzung mit der Johannesinterpretation Bultmanns nach wie vor lohnt und zu produktiven Neuüberlegungen führen kann, zeigt der Kommentar des Vf.s an vielen Stellen. Die Konzeption der Kommentarreihe zwingt zu Prägnanz und Selbstbeschränkung. Dass diese Auflage bei der Diskussion zentraler Fragen wie derjenigen nach dem Verhältnis von Tod und Inkarnation (vgl. oben zu 13,1-20 resp. die skizzenhaften Überlegungen zu 3,16 [98 f.]) oder derjenigen nach der Funktion der Auferstehung (vgl. die knappe Auseinandersetzung mit Ashton und Bultmann, 404-406) auch zu schmerzlichen Einbußen führen kann, sei nicht verschwiegen.