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Ausgabe:

Dezember/2000

Spalte:

1250–1252

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Nay, Reto

Titel/Untertitel:

Jahwe im Dialog: Kommunikationsanalytische Untersuchung von Ez 14,1-11 unter Berücksichtigung des dialogischen Rahmens in Ez 8-11 und Ez 20.

Verlag:

Roma: Editrice Pontificio Istituto Biblico 1999. XII, 424 S. gr.8 = Analecta Biblica, 141. ISBN 88-7653-141-6.

Rezensent:

Thomas Krüger

Reto Nay verfolgt in dieser Arbeit das Ziel, "Ez 14 als Gotteswort im Ablauf der Kommunikation zu verstehen", was seiner Meinung nach "noch nie versucht worden" ist (10). Seinen "kommunikations-" bzw. "dialoganalytischen" Ansatz grenzt er ab gegenüber sprach- und literaturwissenschaftlichen, historischen (insbesondere literarkritischen) und strukturorientierten Deutungen (auf die seine methodologischen Ausführungen allerdings nur oberflächlich eingehen). Nach Durchsicht einer Reihe von Auslegungen von Ez 14,1-11 (von Origenes bis Leslie C. Allen), bei denen er jeweils mehr oder weniger große Defizite in "dialoganalytischer" Hinsicht konstatiert, entwickelt N. seine eigene Interpretation des Textes in den drei Schritten "Textvorbereitung", "Redesituation" und "Dialoganalyse" und fasst seine Ergebnisse in einem Schlusskapitel übersichtlich zusammen.

Im ersten Schritt gliedert N. den Text in "Äußerungseinheiten", übersetzt ihn und behandelt eine Reihe von grammatikalischen und syntaktischen Problemen. Die entscheidenden Weichenstellungen für seine Interpretation entwickelt er dann im zweiten Schritt, der Analyse der "Redesituation". Hier unterscheidet N. zunächst drei Kommunikationsebenen in Ez 14,1-11: (1) die Kommunikation zwischen dem Erzähler und dem Zuhörer/Leser (diese Ebene blendet er aus seinen weiteren Untersuchungen aus, was methodisch problematisch ist), (2) den Dialog zwischen Jahwe und dem Propheten und (3) den Dialog zwischen dem Propheten und den Ältesten. Wenig überzeugend ist N.s Versuch, die verschiedenen Kommunikationsebenen einzelnen Abschnitten des Textes zuzuordnen (V. 1a-2b: Prophet - Leser, V. 3a-6a und V. 9-11: Jahwe - Prophet, V. 6b-8e: Jahwe/ Prophet - Älteste, S. 130 ff., vgl. S. 105 f.). Dagegen spricht vor allem, dass V. 4 den Propheten ausdrücklich auffordert, das Folgende den Ältesten, die zu ihm gekommen sind, mitzuteilen. Dieser klare Wortlaut des Textes lässt auch N.s später entwickelte Deutung von V. 9-11 fraglich erscheinen, nach der es Ezechiel in diesem Abschnitt "verboten" wird, "den Ältesten das ganze von Jahwe inspirierte Gotteswort mitzuteilen, das über die Ältestenanrede (scil. in V. 6-8) hinausgeht", um so "den Ältesten das Heilswort an die Golah in V. 11cd vorzuenthalten" (317).

Dass die in Ez 14 genannten Ältesten keine Exilsgenossen Ezechiels sind, sondern Vertreter der nach 597 in Jerusalem verbliebenen Judäer, versucht N. im zweiten Hauptteil seiner Analyse der Redesituation zu zeigen (134 ff: "Die Ältesten als Schlüssel zum Verständnis des Dialoges"). Sie führt ihn zu der Überzeugung, dass es sich bei den in Ez 8-11; 14 und 20 genannten Ältesten um "Mitglieder einer judäischen Delegation" handelt, "die sich vorübergehend in Babylon aufhält" (161). Gestützt wird diese Annahme u. a. durch die (wenig plausible) Deutung des letzten Satzes von Ez 14,4 als Rückverweis auf den Tod Pelatjas, von dem in 11,13 die Rede ist (216ff.) und der sich nach N.s Ansicht nicht im Rahmen der Vision Ezechiels in Jerusalem, sondern im Rahmen des "realen" Besuchs der Ältesten bei Ezechiel im babylonischen Exil ereignet hat (153 ff.). Um auch Ez 20 in diesem Szenario unterbringen zu können, interpretiert N. die "Zerstreuung unter die Völker", von der dort die Rede ist, nicht als "Ortsverschiebung" (sic!), sondern als "ein geistliches Exil der Jahweferne, das inmitten der Götzen verbracht wird" (173). Das in Ez 20,38 genannte "Land ihrer (nach N.: der ,Götzendiener aus Juda'!) Fremdlingschaft" muss dann mit dem "Land Israel" identisch sein, was N. mit Hinweis auf den Sprachgebrauch der priesterschriftlichen Vätergeschichten plausibel zu machen versucht (175 ff.).

Aus N.s Argumentation zu Ez 20 seien hier nur einige Beispiele genannt, die seinen Ansatz illustrieren:

- Die Zerstreuung unter die Völker kann sich in Ez 20 nicht auf die Verhältnisse nach 597/587 beziehen, weil dann "die Verbannung den Wüstenvätern angekündigt, aber an deren Nachkommen vollstreckt" würde, was "der in Ez vertretenen individuellen Vergeltungslehre" widerspräche, "wobei hinzukäme, daß die, denen die Zerstreuung verheißen ist, am Ende sogar ins Land einziehen und sich dort niederlassen" (172; dass das Dtn eben dieses Konzept vertritt, scheint N. entgangen zu sein).

- Ez 20,33 ff. kann nicht die Rückkehr aus dem babylonischen Exil im Blick haben, denn "[e]ine als Strafexpedition verstandene Rückführung stünde im eklatanten Gegensatz zur Rückkehreuphorie und Wüstenromantik des Dtjes" (174).

- "Die Vorstellung einer Heimkehr als Bestrafung widerspricht auch dem faktischen Verlauf der Dinge bei der Rückführung der Israeliten aus dem babylonischen Exil." Entsprechendes gilt für Ez 20,38: "Es läßt sich schwer beweisen, daß sich die Rückkehr aus dem Exil auch nur annähernd so abgespielt hat. V. 38 wäre folglich eine nie eingetroffene Prophetie, die von einem Scheidungsgericht spricht, das sich weder beim Exodus noch bei der Rückkehr aus Babylon ereignet hat" (175; aber wurde im Zuge der Einnahme Jerusalems 587 an den Einwohnern der Stadt ein solches "Scheidungsgericht" vollzogen?).

Die Prämissen dieser Argumentationsmuster (die in der Arbeit mehrfach wiederkehren) sind deutlich: Die Bibel ist bzw. enthält Gottes Wort (vgl. 18: "Die Dialoganalyse versucht ..., ein Gotteswort qua Gotteswort zu erklären"). Deshalb kann es keine Widersprüche geben innerhalb von biblischen Texten, zwischen verschiedenen Texten oder zwischen den Texten und der historischen Wirklichkeit. Dass diese (so klar von ihm freilich nicht ausgesprochenen) Voraussetzungen seiner Arbeit eine "Antithese zur historischen Textbehandlung" darstellen, ist N. bewusst (23). Er begründet diese Antithese mit dem Hinweis auf die angebliche "Textvergessenheit historischer Ansätze" (23) und mit der Behauptung, "daß die aktive Präsenz Gottes einer historischen Ereignisrekonstruktion im Wege steht. Sie führt die in der so genannten Aufklärung erarbeiteten exegetischen Kriterien, die ein deistisches Gottesbild voraussetzen, bei der Auslegung biblischer Texte in eine Krise. Deshalb erarbeitet die Dialoganalyse, um weltanschauliche Kollisionen zu vermeiden, was- gelegen oder ungelegen - im Text ausgesagt ist und überläßt ideologische Akkomodationen anderen Wissenschaften" (24).

Der Rez. kann sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, dass N. selbst sich "ideologischer Akkomodationen" keineswegs enthält, und dass seine Überzeugung, "die meisten biblischen Texte" seien "dem heutigen Leser ... im großen und ganzen verständlich" und folgten den gleichen Regeln, "die auch die Kommunikation in unserem Alltag lenken" (27), mit einer gewissen Text- und Geschichtsvergessenheit auf seiner eigenen Seite zusammenhängt: Wenn man ohnehin schon weiß, was die Texte sagen (dürfen), muss man sich mit Problemen der Religions- und Traditionsgeschichte nicht mehr abmühen - geschweige denn mit solchen der Textentstehung und -überlieferung. Ob man auf diese Weise dem "Dialog" näher kommt, den die Texte geschichtlich dokumentieren (und aktuell eröffnen könnten), darf man nach der Lektüre der vorliegenden Arbeit (die im Sommersemester 1997 am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom als Dissertation angenommen wurde) bezweifeln.