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Ausgabe:

Dezember/2000

Spalte:

1247–1250

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Hübner, Hans

Titel/Untertitel:

Die Weisheit Salomons. Liber Sapientiae Salomonis, übers. u. erkl.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999. 227 S. gr.8 = Das Alte Testament Deutsch. Apokryphen, 4. Kart. DM 42,-. ISBN 3-525-51404-2.

Rezensent:

Armin Schmitt

Im Rahmen der Erweiterung von ATD um die neue Reihe ATD-Apokryphen legt Hübner als Band 4 die Weisheit Salomons (=Weish) in Übersetzung und Erklärung vor. Man braucht die Bedeutung dieser Schrift als Zeugnis der frühjüdischen Zeit und als Brücke zwischen den Testamenten nicht eigens hervorzuheben.

Der Gepflogenheit eines Kommentars gemäß behandelt H. nach Vorwort (5 f.), Inhaltsangabe (7 f.) und Literaturverzeichnis (9-12) verschiedene Einleitungsfragen zu Weish (13-28). Kritisch und klar werden dabei die einschlägigen Themen besprochen. Als Beispiel für die abwägende und differenzierende Art H.s können dessen Einlassungen auf das schwierige Problem der Datierung des Weisheitsbuches (17-19) gelten: Er sieht zwar in der Spätdatierung von G. Scarpat, Libro della Sapienza I, Brescia 1989, 16-22 (30 v. Chr. als Terminus post quem), die überzeugendste Lösung, zeigt aber zugleich auch die teilweisen Schwachpunkte dieses temporalen Ansatzes auf.

Die von H. vorgelegte Übersetzung verdient Aufmerksamkeit, da jede Übersetzung bereits Interpretation und damit die kürzeste und prägnanteste Form des Kommentars ist. Dies gilt besonders für poetische Schriften bzw. Texte, die sich durch Wortschöpfung und Stil auszeichnen, wie dies bei Weish der Fall ist. Nicht zu Unrecht heißt es sentenzhaft in der klassischen Philologie: "Eine ,gute' Übersetzung ist mehr wert als ein ,schlechter' Kommentar."

Bereits im Vorwort (6) äußert sich H. zu seiner Übersetzungsmethode, bei der es ihm nicht "um eine sklavisch wortgetreue Übersetzung", sondern um "eine möglichst inhaltsgetreue Übertragung" gehe. Einige kritische Anmerkungen zur Übersetzung:

1. Wortstellung: Man beobachtet vielfach ein Abweichen von der Wortstellung des Originals, ohne dass dafür grammatikalische Gründe der Zielsprache verantwortlich gemacht werden können. Beispiele: 7,24b. 27a.30b; 8,3a.15a.16bc.18c; 9,10c; 10,5a.7ab; 11,2ab usw. Gerade für Weish, deren poetischer Einschlag allenthalben unübersehbar ist, stellt die Wortstellung ein bevorzugtes Stilmittel dar. Deshalb sollte man diese, soweit wie möglich, nicht ändern.

2. Unkorrektheiten und Unschärfen in der Übersetzung (in Auswahl): 7,8b: "Und keinen Reichtum achtete ich im Vergleich mit ihr" (H.); genauer: "Und Reichtum achtete ich für nichts im Vergleich zu ihr." 7,9a: "Einen Edelstein - in meinen Augen völlig wertlos! - achtete ich nicht als gleichwertig mit ihr" (H.); genauer: "Und nicht verglich ich mit ihr einen unschätzbaren Stein." 8,3a: Falscher Bezug von echusa auf eugenian. 8,4ab: Hier ist in personalisierter Form von der sophia die Rede: enotis ("Eingeweihte, Mystin") und hairetis ("Ratgeberin, Gutachterin, Votantin"). Anstelle des Nomens wählt H. einen Verbalsatz: "Denn sie ist ... eingeweiht / und hat sich ... entschieden." Auch bei 7,22a wird von H. unzutreffend ein Relativsatz für das Nomen techuitis ("Künstlerin") gesetzt: "..., die alles so kunstvoll hergestellt hat, ...". An anderen Stellen bietet H. bei Personifikation der Weisheit eine korrekte Wiedergabe: 7,12b ("Schöpferin"); 8,6b ("Künstlerin"); 8,9b ("Ratgeberin"); 8,9c ("Trösterin"); 9,4a ("Mitregentin"). 8,2c: "Und die Liebe zu ihrer Schönheit überkam mich" (H.); genauer: "Und ich wurde ein Liebhaber ihrer Schönheit." 9,6a: "... in seinen natürlichen Anlagen" (H.); richtig: "... unter den Menschen" (en hyiois enthropon). 9,16a: "Und kaum erfaßt er" (H.); richtig: "Und kaum erfassen wir." 10,4a: "... durch ihn" (H.); richtig: "... wegen ihm" (di'hon ...; "durch ihn" wäre dia + Genitiv). 11,12a: "... überaus große Trauer" (H.); genauer: "... doppelte Trauer". Auf S. 126 übersetzt H. Sir 1,1: "Jede Weisheit ist beim Herrn" (para kyrin). "Bei" wäre para Dativ. Daher lautet die richtige Version: "Alle Weisheit (stammt) vom Herrn."

3. Unübersetzt gebliebene Vokabeln und Verse bzw. Kola des Originals: 7,11a homu 7,20b fehlt; 8,17c en syngeneia 11,1 fehlt.

4. Paraphrastische Übersetzungen: 10,14 f.: "... immerwährenden Ruhm und ewige Herrlichkeit" (doxan aionion - dublettenhafte Wiedergabe von H.); 11,13b: "... da begriffen sie, daß der Herr gehandelt hatte" (H.); genauer: "... da spürten sie den Herrn" (... esthontos kyrin).

5. Zusätze, die nicht durch das Original gedeckt sind, werden von H. in der Übersetzung durch runde Klammern markiert. Bei einigen Zusätzen fehlt jedoch diese Kennzeichnung: 8,7d "auch"; 9,4b "aus der Mitte"; 9,5b "Wesen"; 9,6c "in deinen Augen"; 9,11c "göttlich"; 11,12b "zudem".

6. Syntaktisch-stilistische Formationen der Wiederholung sollten unangetastet bleiben. Diese sind nicht selten in der literarischen Rhetorik angesiedelt und beziehen aus der sprachlichen Konzentration ihre Effizienz. So gewinnt 3,11b-12c ein markantes Profil durch die 6-fache Sequenz von Nomen als Subjekt und Adjektiven als Prädikat. Die Hinzufügungen von "... solcher Menschen" und "Weiber" stört die konzise Konstruktion. Auch die 6-fache Anapher mit peri in 13,17-19 geht bei der Übersetzung von H. verloren. Ebenso sollte die asyndetische Reihung in 14,25b-26c beibehalten werden. In anderen Fällen hat H. die Wiederholung syntaktisch-stilistischer Formationen beibehalten, so bei 8,17c-18d und ebenso im Falle von 17,18c-19d.

H. geht es bei seiner Übersetzung um inhaltliche Transparenz - auch die Wiedergabe des so genannten passivum divinum als Aktiv mit dem Subjekt "Gott" oder in der 2. Person Singular zählt dazu -, die bisweilen zur Vernachlässigung des formal-sprachlichen Aspekts führt. Eine bestimmte Zahl der aufgelisteten Stellen steht außerhalb der Diskussion, da hier der griechische Text eine Korrektur erfordert. Bei anderen Fällen, die nur um Transparenz bemüht sind, lässt sich streiten. Vielleicht sollte man öfter "Ecken" und "Kanten" des Urtextes stehen lassen und dem mündigen Leser die Auseinandersetzung mit einem ungeglätteten Original nicht ersparen.

Die Auslegung lässt insgesamt Sorgfalt und Sachkompetenz erkennen. Oft ist das hermeneutische Bemühen erkennbar, Vorstellungen und Argumentationen einer vergangenen Zeit für heutige Leser verstehbar zu machen. Es zeigt sich ferner, dass der Verfasser an philosophischen Fragestellungen interessiert ist und diese für die Exegese mit Gewinn einzusetzen weiß. Bei der Kompositionsanalyse wäre es bezüglich der Argumentation von Vorteil gewesen, wenn sprachliche Signale stärker beachtet worden wären. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen: Man vermisst ein näheres Eingehen auf die Verwendung der Adversativpartikel de im Gefüge von 1,1-6,21. Dort stellt man nämlich einen verschiedenartigen Gebrauch dieser Partikel fest:

1. Makrosyntaktisches Signal zur Bezeichnung einer neuen Einheit (1,16; 3,1; 4,7; 5,15),

2. Markierung der Gegenüberstellung von Frevlern und Gerechten innerhalb einer Einheit (3,10.16; 4,3),

3. Gegen-Satz einzelner Kola im Mikrokontext (2,24; 3,3; 4,14.16.18; 5,7.13; 6,6.8.18 f.),

4. kopulativer Gebrauch (1,9.11; 2,11.24; 4,9; 5,11.20).

Der von 5 Adhortativen geprägte Abschnitt 2,6-9 wird durch 2,9c abgeschlossen. (Die Demonstrativpronomina aute und hutos zeigen als anaphorische Elemente eine Zäsur an.) Im Übrigen ist es der Weisheitsliteratur bisweilen eigen, am Schluss bestimmter Abschnitte eine Zusammenfassung zu geben; vgl. A. Schmitt, Wende des Lebens. Untersuchungen zu einem Situations-Motiv der Bibel (BZAW 237), Berlin 1996, 233-236. Aus all dem ergibt sich, dass in 2,10 ein Neuansatz vorliegt (37. 42f.). 2,10-20 erhält Kohärenz durch das Stichwort dikaios sowie durch die Folge von Adhortativen, die feindliche Vorhaben von Seiten der Frevler gegen den dikaios bekunden. H. trennt richtig ab; doch bei seiner Argumentation bedient er sich zu wenig der linguistischen Fakten.

Die Zuordnung von 5,14 zu 5,15-23 überzeugt aus folgenden Gründen nicht (75-77):

1. Das koordinierende hoti ("denn") steht in Relation zu den vorausgehenden Versen (5,10-13), deren Thematik - ebenso wie im Fall von 5,14 - die Instabilität frevlerischer Hoffnung ist.

2. Das vierfache hos in 5,14 stellt Kohärenz zu Û in 5,10a. 11a.12a her. Die Bilder aus 5,10-12 werden in 5,14 anaphorisch gebündelt.

3. 5,14 bildet ein Pendant zu 2,21-24. In beiden Fällen folgt auf die Frevlerrede eine Reflexion des Autors.

4. In 5,15a zeigt de die Eröffnung einer neuen Einheit an.

Beobachtungen zur Komposition auf Grund sprachlicher Indizien sind wichtig und können nicht als nebensächlich abgetan werden. Gerade aus diesen Beobachtungen wird das Gefüge des literarischen Werks und damit Gattung und Aussageabsicht des Autors erkennbar.

Auf Grund verschiedener Untersuchungen speziell zu 1,1-6,21 konnte die dramatische Grundstruktur dieses Parts eruiert werden. Es ist bedauerlich, dass H. diese neuen Analysen nicht in seinen Kommentar einbezieht. (Sie sind auch nicht in das Literaturverzeichnis aufgenommen.) Manche Diskussion, die H. zu 1,1-6,21 führt, hätte sich dann erübrigt. Deshalb sei auf die bereits erwähnte Monographie Wende des Lebens, S. 9-48, sowie auf A. Schmitt, Der Gegenwart verpflichtet. Studien zur biblischen Literatur des Frühjudentums (BZAW 292), Berlin 2000 (Sammelschrift früherer Aufsätze), hingewiesen.

Trotz der Kritik, die zu einigen Punkten des vorliegenden Kommentars geäußert wurde, handelt es sich dabei um eine solide und respektable Leistung. Der Vf. hat mit seinem Kommentar für die Bibelwissenschaft wertvolle Arbeit geleistet. Er ist vertraut mit den kritischen Auslegungsmethoden der Exegese und versteht es, diese in klarer Sprache darzubieten. Dabei kommt ihm eine profunde Kenntnis der griechisch-hellenistischen Welt zustatten.

Die äußere Form der Arbeit ist vorzüglich; einige kleine Versehen seien angemerkt: S. 17, Z. 7-10 v. o. (Satzbau); S. 90, Z. 9 v. u. (diesem - dieser); S.114, Z. 12 v. o. (mir ihr - mit ihr); S. 115, Z. 5 v. u. (Satzbau); S. 115, Anm. 105 (eine - ein); S. 118, Z. 1 v. o. (eingebüßte - einbüßte); S.191, Z. 14 v. u. (Ganze - das Ganze).