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Ausgabe:

November/2000

Spalte:

1205 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Prößdorf, Detlev

Titel/Untertitel:

Die gottesdienstliche Trauansprache. Inhalte und Entwicklung in Theorie und Praxis.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999. 284 S. 8 = Arbeiten zur Pastoraltheologie, 36. Kart. DM 78,-. ISBN 3-525-62359-3.

Rezensent:

Kristian Fechtner

Die kirchliche Trauung erscheint nicht erst in jüngster Zeit als gottesdienstliche Gelegenheit und als praktisch-theologische Verlegenheit. Wenn auch keineswegs mehr selbstverständlich, gehört sie nach wie vor zum Grundbestand kasualkirchlicher Praxis und sorgt, wie keine der anderen sog. Amtshandlungen, für pastorales Unbehagen und erzeugt Unsicherheit, welchen theologischen und lebensweltlichen Sinn Gottesdienst und Predigt anlässlich einer Eheschließung "macht" bzw. kommuniziert.

Die Bonner praktisch-theologische Dissertation von Detlev Prößdorf widmet sich der gottesdienstlichen Trauansprache in (der bislang nicht sehr umfänglichen) Theorie und (der in Gestalt zahlloser Predigten vorfindlichen) Praxis. Im Mittelpunkt der sehr verständlich geschriebenen und an vielen Stellen praktische Erfahrungen aufnehmenden Studie steht die Analyse von etwa 260 Traupredigten, die "stichprobenartig" aus Predigtsammlungen und Predigthilfsliteratur ausgewählt worden sind, zwei Drittel davon veröffentlicht in den letzten drei Jahrzehnten (IV). Als Zugang zu den empirischen Beobachtungen sind zunächst Erwägungen zu Ehe und Eheschließung vorangestellt, in denen in knapper Form biblische Aussagen, geschichtlicher Wandel und gegenwärtiges Verständnis der Trauung aus evangelischer Sicht skizziert werden (II); es folgt in einem historischen Abriss von Mitte des 19. Jh.s bis heute eine Darstellung der theoretischen Auseinandersetzung mit der gottesdienstlichen Traurede (III). Im Nachgang zu den Predigten aus der Praxis wird in einem eigenen Kapitel speziell die seelsorgliche Dimension der gottesdienstlichen Trauansprache behandelt (V). Ein weiterer Abschnitt zeichnet in knappen Strichen die geschichtliche Entwicklung der Trauansprache im protestantischen Bereich seit der Reformation nach (VI). Das abschließende Kapitel schließlich markiert die gegenwärtige Pluralität als Herausforderung für gegenwärtige Theorie und Praxis (VII) und bereitet acht Kurzthesen zu Inhalt und Funktion der gottesdienstlichen Trauansprache vor, mit denen der Autor seine Überlegungen abschließt.

Die Untersuchung der Trauansprachen orientiert sich an "formalen Aspekten" (etwa Textgrundlage, Verwendung von Bildern und Symbolen in der Predigt, Aufforderungen und Wünsche etc.) und an "inhaltlichen Aspekten", in denen Aussagen zur Situation, anthropologisch-soziologische Aussagen zur Ehe und deren religiöser Dimension und schließlich theologische Aussagen unterschieden werden.

Methodisch äußerst zurückhaltend und auf methodologische Reflexionen der eigenen Arbeit weitgehend verzichtend (höchst missverständlich und ohne weitere Erläuterung) ist von einer "phänomenologischen" Wahrnehmung oder Darstellung die Rede (14.93), werden die einzelnen Beobachtungen weder quantifiziert noch weitergehend interpretiert, an einzelnen Stellen eher subjektiv im Blick auf praktische Folgerungen kommentiert.

Defizite konstatiert der Autor vorrangig im dritten Feld, denn es werde heute in den Ansprachen nicht selten darauf verzichtet, die Bedeutung von Trauung und Ehe theologisch zu explizieren und damit, über die Andeutung religiöser Spuren hinaus, in eine christliche Perspektive zu rücken. Entsprechend lautet eine Schlussthese: "Eine zentrale Aufgabe der Prediger und Predigerinnen wird künftig sein, die oft festzustellende theologische Aussagearmut in Trauansprachen zu überwinden." (252) Dabei zielt P. nach eigenem Verständnis auf eine Vermittlung von Tradition und Situation, intendiert in verschiedener Hinsicht eine Art "goldenen Mittelweg" (85), in dem sowohl der lebensgeschichtliche Anlass wie die Botschaft des Evangeliums zur Geltung, gleichermaßen soziale und religiöse Aspekte zur Darstellung, etwa auch die Perspektive des Brautpaars ebenso wie die der Festgemeinde zu ihrem Recht kommen soll.

Insbesondere die historischen Passagen der Arbeit sind auch in ihrer Kürze informativ und instruktiv. Angesichts der Veränderungen und der damit einhergehenden Herausforderungen, die der Autor anspricht, bleibt der Ertrag der Studie allerdings eher begrenzt und die Perspektiven blass, so dass die Konturen theoretisch wie praktisch nicht sehr deutlich hervortreten. Dies hängt m. E. damit zusammen, dass der Autor gleich in zweifacher Hinsicht mögliche Kontextualisierungen seines Gegenstandes vermeidet.

Zum einen werden die sozio-kulturellen Veränderungen heutiger Lebensformen und -stile erwähnt, aber nicht systematisch aufgenommen und material in die Studie eingearbeitet.

Von Interesse wäre z. B.: Was bedeutet es, wenn heute der "Erlebnischarakter" einer Trauung in den Vordergrund rückt (vgl. den Hinweis auf G. Schulzes Erlebnisgesellschaft)? In welchem Zusammenspiel findet sich heute die kirchliche Trauung vor zwischen medialer "Traumhochzeit" und populär-psychologischer Eheberatung? Was fördert der Vergleich von kirchlichen mit standesamtlichen Traureden zu Tage (Fußnotenverweis, 97)?

Zum anderen fehlt der neuere kasualtheologische Diskurs nahezu vollständig, der einerseits unter dem Stichwort "Lebensgeschichte" die Amtshandlungspraxis biographisch interpretiert, sie andererseits im Rahmen älterer und neuerer Ritualtheorien reflektiert.

Entsprechend kann man fragen: Welche lebensgeschichtlichen Bruchlinien und Kontinuitäten liegen heute dem kasuellen Handeln zugrunde, welchen Stellenwert im Blick auf (Re-)Konstruktion von Lebensgeschichte kommt der Traurede zu? Welche Funktion hat die Trauansprache innerhalb der rituellen Logik des Kasus, worin liegen in ihr selbst rituelle Aspekte?

Die vorliegende Abhandlung bietet Material und Anregung in einem praktisch-theologisch bedeutsamen Spannungsfeld, sie reizt zur kasualtheologischen Weiterarbeit.