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Ausgabe:

November/2000

Spalte:

1202–1204

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Lurz, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die Feier des Abendmahls nach der Kurpfälzischen Kirchenordnung von 1563. Ein Beitrag zu einer ökumenischen Liturgiewissenschaft.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1998. 526 S. gr.8 = Praktische Theologie heute, 38. Kart. DM 89,-. ISBN 3-17-015572-5.

Rezensent:

Irene Dingel

Die an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn entstandene, über 500 Seiten starke liturgiewissenschaftliche Dissertation hat das Abendmahlsformular der kurpfälzischen Kirchenordnung zum Gegenstand, das im Anhang der Untersuchung auf fünf Seiten (Anhang 1, 503-507) zusammen mit verschiedenen Abendmahls- bzw. Kommunionsvermahnungen aus den dreißiger bis neunziger Jahren des 16. Jh.s abgedruckt wird. Ausgangspunkt der Arbeit ist aber nicht eine historische Fragestellung, sondern die aktuelle Beobachtung, dass das Eucharistische Hochgebet in verschiedenen Denominationen, mit Ausnahme der Reformierten, eine Renaissance erfährt. Diese von den Reformierten gewahrte Distanz lässt den Autor nach den historischen Wurzeln des reformierten Abendmahls Ausschau halten und seiner Betrachtung des kurpfälzischen Abendmahlsformulars von 1563 folgende Fragen voranstellen: "Führt vielleicht die Absolutsetzung des Eucharistiegebets in der heutigen Liturgiewissenschaft in eine Sackgasse, die mehr verbaut als eröffnet? Was für eine Textgattung stellt die Abendmahlsvermahnung dar, die die ganze Feier bestimmt und quasi anstelle des Eucharistiegebets steht? Was sind Ursache und Motivation für diesen Verdrängungsvorgang? Welche Funktion erhält die Abendmahlsvermahnung im Gesamt der Feier? In welchem Verhältnis steht das in dieser Ordnung anzutreffende Abendmahlsgebet zu unseren Eucharistiegebeten?" (15).

Damit grenzt sich der Autor zugleich von einer verbreiteten Missachtung evangelischer Liturgie in der katholischen Liturgiewissenschaft ab und wählt als "Materialobjekt" einer von ihm vertretenen ökumenischen Liturgiewissenschaft das, was in der Kurpfalz für den reformierten Abendmahlsgottesdienst 1563 liturgisch verbindlich gemacht wurde. An diesem Gegenstand soll - so das Ziel der Arbeit - die "Konzeption einer ökumenischen Liturgiewissenschaft und einer entsprechenden Methodik zur exemplarischen Durchführung gelangen" (48). Dem dient zunächst ein knapper historischer Rückblick auf Beginn und Durchsetzung der Reformation in Deutschland und insbesondere in der Kurpfalz von der Zeit Kurfürst Ludwigs V. bis zur Regentschaft Johann Casimirs nach dem Tode Kurfürst Ludwigs VI. (1508-1592).

Leider trägt dieser sehr weit ausholende Blick auf den "historische[n] Kontext der zu untersuchenden Kirchenordnung" (Kap. 4, 53) unter kirchenhistorischem Aspekt nicht sehr viel aus, zumal er in manchem zu plakativ geraten ist und - möglicherweise lediglich auf Grund mangelnder sprachlicher Präzision - manche Entwicklungen eher verunklart als verdeutlicht. Problematisch ist z. B. die Aussage, dass der Landesherr "nach dem Augsburger Religionsfrieden als Lutheraner auch die Verfügungsgewalt über die Kirche" gehabt habe (55). Denn der Augsburger Religionsfrieden erstreckt sich - um genau zu sein - auf die Anhänger der Augsburgischen Konfession. Hätte sich der Religionsfriede erklärtermaßen auf die "Lutheraner" bezogen, wären alle Diskussionen um das Verständnis des Abendmahlsartikels der CA unnötig gewesen, an denen, um den Schutz des Augsburger Religionsfriedens nicht zu verlieren, auch die reformiert gewordene Kurpfalz beteiligt war. Die Charakterisierung eines obrigkeitlich eingeleiteten Konfessionswechsels vom Luthertum zum Calvinismus als "deutschreformiert" ist - obschon noch vereinzelt in der Literatur zu finden - überholt und wegen der nationalen Komponente unangemessen. Die Aussage, dass Ottheinrich die Universität Heidelberg "zu einer konfessionellen staatlichen Hochschule ... umgestaltet" (62) habe, weckt falsche Vorstellungen. Und schließlich widerspricht sich der Autor selbst, wenn er Ludwig VI. eine "radikale Kehrtwendung zum Luthertum" (65) bescheinigt, wenig später jedoch zu Recht darauf hinweist, dass Ludwig dem lutherischen Konkordienwerk "nur zögerlich" beigetreten ist. Er habe zudem an die "lutherisch-philippistisch [!] geprägte Ära Ottheinrichs" (66) angeknüpft.

Dem folgt nach weiteren Kontextualisierungen eine Analyse der einzelnen Abschnitte des Feierformulars, so dass auf diese Weise auch kleinste Textstücke zum Gegenstand der Betrachtungen werden. Dem geht jeweils wieder ein Blick auf die historischen, theologischen und eventuell sprachlichen Zusammenhänge voraus, sowie gegebenenfalls auf zu Grunde liegende Entwick- lungslinien durch die Epochen hindurch und auf die Einbindung der jeweiligen Passage in das textliche Umfeld der Kirchenordnung.

Dabei thematisiert der Autor die Verdrängung des Eucharistiegebets durch die von evangelischen Theologen eigenständig entwickelte und die biblischen Einsetzungsworte als konstitutiv in den Mittelpunkt stellende Abendmahlsvermahnung, die freilich schon vor dem Tridentinum auf römisch-katholischer Seite Nachahmung gefunden habe. Für die reformierten Ordnungen stellt Lurz - zu Recht und wenig überraschend - eine in Abgrenzung zu lutherischen Ordnungen bewusste Beschränkung auf 1Kor 11,23-29 heraus, was zur Thematik der Würdigkeit, der Selbstprüfung, Warnung vor unwürdigem Genuss und Tröstung Kleingläubiger in der kurpfälzischen Abendmahlsordnung hinleitet. Dass es sich bei der hier ausgeführten "manducatio indignorum" (im Gegensatz zur "manducatio impiorum" bei Luther und in lutherischen Kirchenordnungen) ebenfalls um eine aus der konfessionellen Option zu erhellende Passage handelt, die aus der reformierten Ablehnung lutherischer Realpräsenzvorstellungen zu erklären ist, hat der Autor leider nicht gesehen. Und so kommt er zu einer Interpretation, die die Warnung vor unwürdiger Abendmahlsteilnahme bzw. "Abmahnung Unwürdiger" als Thematisierung einer "Entscheidungssituation" bzw. als Formel zur "Weckung der Glaubensentscheidung und -entschiedenheit" (200) beschreibt und den Text insgesamt insofern missversteht, als er ihm ein Hervorrufen von Schuldgefühlen unterstellt: Der einzelne könne sich "nur schuldig und für das Abendmahl unwürdig fühlen: Die ,zerschlagen hertzen der gläubigen' werden deutlich kleinmütig gemacht, also genau das, was nach dem ersten Satz des Tröstungs-Abschnittes nicht die Funktion des Bannes sein soll" (204). Solche interpretatorischen Schwächen wechseln dann freilich mit durchaus angemessenen und weiterführenden Beobachtungen ab, wenn der Autor z. B. wenig später ausführt, dass es nun gerade die Erkenntnis der eigenen Unwürdigkeit im Sinne einer Schwachgläubigkeit ist, die die Abendmahlsgäste zu eigentlich würdigen macht (208). Und zu Recht hebt er hervor, dass die reformierte Abendmahlsliturgie bei aller Ablehnung einer leiblichen Gegenwart Christi dennoch eine wirkliche, personale Begegnung mit dem erhöhten Herrn in der sakramentalen Aneignung des Heilswerks Christi festhalten will. Diese Konzentration auf das Rechtfertigungsgeschehen, die die Einsetzungsworte ins Zentrum rücken lässt und an sie, nicht an den mündlichen Empfang von Brot und Wein, die Christusbegegnung knüpft, mache die Epiklese überflüssig. Der anamnetische Teil der Abendmahlsgebete werde fast völlig auf christologische Inhalte reduziert.

Dass der Autor bei der Diskussion all dieser Zusammenhänge allerdings die terminologische Unterscheidung zwischen Realpräsenz und Transsubstantiation nicht immer durchzuhalten vermag, führt leider hin und wieder zu Ungenauigkeiten und inhaltlichen Verstellungen (vgl. z. B. 256 f.: die Wandlungsbitte gerät auch im Luthertum, das den Realpräsenzgedanken kennt, in die Kritik! S. 358: die Konfliktpunkte betreffen die Frage der Transsubstantiation! S. 436 f.: der Glaube an die Anwesenheit der Menschheit Christi in, unter und mit den Abendmahlselementen - L. spricht von einer "somatischen Realpräsenz" - impliziert keineswegs die ",Materialisierbarkeit' Christi"! Gemeint ist wohl die Wandlung. Dass der Calvinismus hier aus Gründen des Bilderverbots Anstoß nimmt, ist wohl schwerlich zu belegen. Dagegen wird die Realpräsenz korrekt gesehen, 289).

Interessant und erwähnenswert sind schließlich die Ausführungen zum "Sursum corda", das L. - in Anschluss an Sprengler Ruppenthal - in reformierten Ordnungen in der Funktion der Abgrenzung von lutherischen Ordnungen sieht. Hier werde ein traditionelles liturgisches Motiv konfessionell ausgedeutet, da das Erheben der Herzen zu dem in den Himmel erhöhten Christus "die Voraussetzung für die wirkliche Christusbegegnung bei der Kommunion bildet" (346). Das "Sursum corda" sei deshalb Aufforderung und Vergewisserung dieser Begegnung zugleich. Weil sich diese Begegnung im Abendmahl vollzieht, die eine aktuelle Hineinnahme des Gläubigen in das historisch gebundene Kreuzesgeschehen bedeutet, kann das Danksagungsgebet, das nach L. eine funktionale Nähe zum Eucharistiegebet bewahrt, in den reformatorischen Ordnungen nur an das Ende der Mahlhandlung rücken.

Auf diesem Hintergrund stellt der Autor die Frage nach dem liturgietheologischen Ertrag seiner Betrachtungen. Er sieht in der Kurpfälzer Abendmahlsordnung - unter kirchenhistorischem Aspekt fraglich - eine neue theologische Synthese und zugleich - durchaus zutreffend - eine "eigenständige, in sich geschlossene Abendmahlstheologie" (vgl. 432). Dass die damit verbundene liturgische Ordnung von der theologischen Lehre her entwickelt worden sei, ist keine bahnbrechende Neuentdeckung, führt den Autor jedoch erfreulicherweise dazu, nicht nur Traditionsbruch, sondern auch einen positiv zu bewertenden, schöpferischen Neuanfang in der Kurpfälzer Abendmahlsordnung zu sehen. Ansatzpunkte für die heutige liturgiewissenschaftliche Diskussion sieht er - im Anschluss an eine These von Frieder Schulz - darin, dass die Abendmahlsvermahnung anamnetischen Typs, wie sie auch in der Kurpfälzer Kirchenordnung von 1563 vorliegt, in Parallele zum Eucharistischen Hochgebet rücken könne. Auch die Frage der Position der Danksagung im liturgischen Vollzug ergibt sich als Impuls für heutige Überlegungen aus seiner Analyse. Allerdings lassen die Ausführungen des Autors dazu darauf schließen, dass ihm trotz aller interessanten und beachtenswerten Ergebnisse das Anliegen der Reformation und ihrer liturgischen Ordnungen doch in ihrer Tiefe verschlossen geblieben ist. Denn seiner Ansicht nach ist sowohl für das Spätmittelalter als auch für die Reformation kennzeichnend, dass die eigene Existenz in ihrer ständigen Anfechtung durch die Sünde durchweg negativ gesehen worden sei. Dies habe auch die reformatorische Freiheit des Christen nicht aufgehoben, sondern vielmehr den Einzelnen in seiner geforderten individuellen Entscheidung zwischen Glauben und Unglauben in eine permanente Unsicherheit gestürzt. Deshalb habe das Abendmahl die Funktion einer sakramentalen Vergewisserung. Und von daher sei es "verständlich, daß der Dank für die Erlösung nicht dem Abendmahlsempfang vorausgeht ..., sondern ihm folgt" (462).

Bei diesem eklatanten Missverständnis der durch die Reformatoren gleich welcher späteren konfessionellen Ausprägung formulierten christlichen Freiheit im Vertrauen auf die im Evangelium offenbarte und allein aus Gnaden zugerechnete Gerechtigkeit Christi und die damit verbundene, jedem Einzelnen zugängliche Heilsgewissheit allein schon aus dem Wort Gottes und nicht erst - aber auch - durch sakramentale Vergewisserung wird deutlich, dass eine ökumenische Liturgiewissenschaft noch große Aufgaben vor sich haben wird.

L. hat mit seiner Untersuchung des Abendmahls nach der Kurpfälzischen Kirchenordnung von 1563 ein Buch vorgelegt, in dem interessante und gute Analysen mit Passagen abwechseln, die gelegentlich auf Grund von mangelnder Präzision oder vorschneller Urteilsbildung das Verständnis verstellen. Eine kritische Lektüre aber kann durchaus gewinnbringend sein.