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Ausgabe:

November/2000

Spalte:

1190–1193

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Bernhard, Reinhold

Titel/Untertitel:

Was heißt "Handeln Gottes"? Eine Rekonstruktion der Lehre von der Vorsehung.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1999. 480 S. gr.8. Kart. DM 68,-. ISBN 3-579-00403-4.

Rezensent:

Wolf Krötke

Die Lehre von der Vorsehung Gottes gilt heute als ein besonders schwieriger, ja vielleicht sogar unmöglicher Teil der christlichen Dogmatik. Nichtsdestoweniger ist der Glaube an Gottes Vorsehung ein stabiles, von der Bibel nachhaltig vermitteltes Element der Frömmigkeit der Christenheit auch in der Gegenwart. Die Frage nach der Verantwortbarkeit dieses Glaubens unter den Bedingungen heutiger Wirklichkeitswahrnahme ist darum unabweisbar. Die vorliegende Heidelberger Habilitationsschrift stellt sich dieser Frage auf umfassende Weise. Sie mustert noch einmal die Möglichkeiten und immanenten Aporien der "klassischen Vorsehungslehre" durch (vgl. 59-156), zeichnet die Wege nach, auf denen im 18. und 19. Jh. theologisch und philosophisch auf die Krise der Vorsehungslehre in der Neuzeit reagiert wurde (vgl. 157-270), diskutiert die Möglichkeiten, die sich hinsichtlich des Verständnisses von Gottes Vorsehung aus der naturwissenschaftlichen Entdeckung von "Kontingenzphänomenen" ergeben (vgl. 271-311) und arbeitet auf diesem Hintergrund drei Modelle heraus, in denen Gottes Vorsehung gedacht werden kann (vgl. 313-442).

Leitend ist dabei durchgehend die Unterscheidung zwischen einem vom Vf. so genannten "aktualistischen" und "sapiential-ordinativen Typus" der Vorsehungslehre, dem jeweils ein besonderes Verständnis des Handelns Gottes zu Grunde liegt (vgl. 37ff.). Während der aktualistische Typus Gott als "transzendent-personale Aktinstanz" denkt, die "ihren souveränen Willen in spontan-kausalen Akten verwirklicht" (42), ist der sapiential-ordinative Typus an einem "gott-internen Handlungsentwurf" orientiert, der auf "das Telos der Welt im ganzen" zielt (43). Natürlich lässt sich diese Unterscheidung nicht streng durchführen. Der Vf. kann denn auch z. B. Luthers und Calvins Verständnis der Vorsehung nur mit erheblichen weiteren Differenzierungen auf den ersten Typus zurückführen (vgl. 122). Die Vorsehungslehre der altprotestantischen Orthodoxie aber nennt er "semi-sapiential-ordinativ", weil hier Gottes aktualer Wille immer auf seine ordinatio der Welt zurückbezogen wird (vgl. 148 f.). Dennoch ist jene Unterscheidung heuristisch wertvoll, weil sie es ermöglicht, sowohl mit den unaufgebbaren Momenten wie mit den Grenzen des Verständnisses des vorsehenden Handelns Gottes in der Welt und an der Welt systematisch produktiv umgehen zu können.

Das aktualistische "Modell" der Vorsehung bringt im Sinne des Vf.s mit Recht zur Geltung, dass Gott in einer lebendigen Beziehung zur Welt steht. Indem es Gott in seinem Handeln in anthropomorpher Weise als "königliche Herrschaftsausübung" (440) versteht, kommt es aber in die Gefahr, dieses Handeln im Sinne "spontankausaler, individuell-spezifischer Interventionen" (ebd.) zu interpretieren. Demgegenüber möchte der Vf., wie er in Auseinandersetzung mit verschiedenen Theorien des Handelns Gottes darlegt (314-379), "konzeptuell" auf das Reden vom "Handeln Gottes" ganz verzichten und lieber von einem "Wirken oder der Wirksamkeit Gottes" reden, was auch "transpersonale Konnotationen" hat (378). Das ruft Rückfragen wach. Denn die Metaphorik vom "Handeln Gottes" wird dadurch zur uneigentlichen Rede und hat auch eine Selbstrelativierung des eigenen Redens des Vf.s vom "instrumentell-produktiven Handeln" Gottes beim Schaffen, vom "informationell-kommunikativen Handeln" in "interpersonalen Akten" und vom "spielerischen" Handeln Gottes zur Folge (vgl. 375).

Das sapiential-ordinative "Modell" der Vorsehung mit seinem berechtigten Interesse an "logoshaften Strukturen der Wirklichkeit" ist demgegenüber von der Gefahr bedroht, das göttliche Weltwirken auf die "Schöpfungskonstitution" zurückzudrängen, ja es neigt zum Deismus und zum Pantheismus (vgl. 440). Das macht der Vf. im historischen Teil der Arbeit schon gegenüber den vom Geist der Aufklärung geprägten Konzeptionen des Verständnisses der Vorsehung geltend (vgl. 157 ff.). Das gleiche Problem stellt sich im Grunde aber auch bei der theologischen Verwertung der Entdeckung der Kontingenz der Wirklichkeit in den Naturwissenschaften, sofern sie als "von Gott generierte ..., beherrschte ... und gelenkte ... Kontingenz" (291) verstanden wird. Der Vf. plädiert in dieser Sache für eine "two- language-Theorie", wie sie etwa von I. G. Barbour vertreten wurde (vgl. 308). Die Perspektive des Glaubens an Gott müsse von der naturwissenschaftlichen Perspektive klar unterschieden bleiben und "komplementär" auf sie bezogen werden (vgl. 311). Das wird z. B. gegen W. Pannenbergs Interpretation Gottes als "Kraftfeld" (vgl. 302 ff.; 409 ff.) und gegenüber anderen Entwürfen einer Teleologie der Welt geltend gemacht (380-398). Wichtig ist in dieser Hinsicht auch, dass der Vf. auf einer klaren Unterscheidung zwischen "Teleologie und Eschatologie" besteht (392-395). Gottes eschatologisches Handeln in Christus "durchkreuzt" alle evolutiven Prozesse in der Welt (vgl. 395). Wiewohl es "Movens" dieser Prozesse bleibt, darf es - wie im Anschluss an J. Cobb geltend gemacht wird - die Vorstellung der "Kausativität" Gottes im Hinblick auf das Werden und die Entwicklung der Welt nicht verdrängen (vgl. 398).

Die aus der Auseinandersetzung mit den beiden Typen des Verständnisses der Vorsehung gewonnenen Einsichten führt der Vf. dann im Entwurf eines dritten "Grundkonzepts" zusammen. Er nennt es das "Repräsentationsmodell". In ihm soll Gottes Welthandeln als "operative Präsenz" gedeutet werden (399). Der Vf. weiß sich dabei Fragestellungen verpflichtet, die in der amerikanischen Debatte um "Divine Action" ein Rolle spielten (vgl. 49 ff. 407 ff.). Sie zielen darauf, die Vorstellung zu überwinden, dass Gott "wie eine Person seinem Werk gegenüber" steht (441). Gottes Geist - der Vf. kann nach einer kritischen Auseinandersetzung mit W. Pannenberg auch sagen: das "Kraftfeld" (vgl. 409 ff.) - "umgreift" die Geschöpfe vielmehr und "schließt sie in sich ein" (441). Er ist ihr "in der Polarität von Intimität und Reziprozität" in panentheistischer Weise gegenwärtig (vgl. 442), indem er "generelle Entwicklungen" lenkt und es "erlaubt, in einzelnen Ereignissen und Strukturen besondere Verdichtungen der Geistkraft Gottes zu erkennen" (442). Ob das allerdings dazu nötigt, das Verhältnis Gottes zur Schöpfung nicht mehr in der Relation von "Person" und "Werk" zu denken, muss angesichts der Bedeutung, die der Vf. der Trinitätslehre für das Verständnis des Handelns Gottes gibt, gefragt werden. Gerade der trinitarische Gott kann nicht anders als personal handelnd verstanden werden. Das wird ja auch an den "Konturen" deutlich, die der Vf. abschließend von einer Vorsehungslehre zeichnet, die in einer trinitarisch verantworteten Pneumatologie zu verorten wäre (vgl. 444 ff.). Ihr Grundgedanke ist, dass sich das Geschöpf auf Grund des Selbsttranszendierens des Geistes Gottes seinerseits zu transzendieren vermag und so am lebensschaffenden, -fördernden und -erhaltenden Geist Gottes teilnimmt (vgl. 448). Eine Trennung von Heils- und Welthandeln Gottes soll so vermieden werden. Denn im schöpferischen und befreienden Handeln des Geistes Gottes gehe es um eine "heilshafte Finalisierung dieses Wirkens" (452), die freilich in der "Macht der Schwachheit" (vgl. 453 ff.), unter den Bedingungen des Kreuzes (vgl. 462 f.) und in der Ausrichtung auf das Eschaton (vgl. 464 ff.) geglaubt werden muss. Sie wird vom Vf. gemäß dem heute üblichen Gemeinplatz als "Macht der Liebe" gedeutet (455), die sich nicht nur praecursiv und concursiv, sondern auch postcurativ durch die Transformation sinnlosen Geschehens in neue Sinnzusammenhänge erschließt (vgl. 459). Die Anfechtung und Gebrochenheit eines so verstandenen Vorsehungsglaubens wird darum nachdrücklich hervorgehoben (vgl. 466).

Es ist schade, dass der Vf. dies alles nicht an den konkreten Problemen bewährt, die heute in Hinblick auf den Glauben an Gottes Vorsehung bestehen. Die Theodizeefrage, wie sie sich angesichts der beispiellosen Verbrechen unseres Jahrhunderts stellt, bildet nur einen Horizont der vorliegenden Erörterungen. Auch sonst hält der Vf. sich zurück, im Hinblick auf die Identifizierung eines Wirkens Gottes in der Geschichte und im individuellen Leben allzu konkret zu werden. Man kann das als Hinweis auf die bleibende Schwierigkeit deuten, Gottes Vorsehung in bestimmten "Modellen" erfassen zu wollen. Die generelle Vorstellung des "Kraftfeldes" oder der "Geistkraft" (442) Gottes im Hinblick auf alles Geschehen ist als solche auch eher hinderlich, dem Problem der Zurückhaltung Gottes angesichts der Grenzen der Geschöpflichkeit grundlegend Rechnung zu tragen. Gott tritt zur "Logik des Natur- und Geschichtsprozesses" ja nicht nur "in Widerspruch" (462), wenn er zur Welt kommt. Er bestätigt auch die Grenzen der Schöpfung, wie sie z. B. mit dem biologischen Tod und den Grenzen des Raumes gegeben sind. Das Leiden von Menschen an solchen Grenzen muss von den Folgen der Sünde klar unterschieden werden, um in ethischer Hinsicht die Möglichkeit zu gewinnen, zwischen dem zu differenzieren, wogegen Menschen in der Kraft des Geistes Gottes angehen sollen und wogegen sie gar nichts mehr tun können. Das in der Frömmigkeit des Altprotestantismus vielleicht zu stark betonte Moment der Geduld im Leiden behält sein Recht.

Die Stärke der vorliegenden "Rekonstruktion" der Vorsehungslehre besteht aber zweifellos darin, dass man solche Gesichtspunkte mit ihr gut ins Gespräch bringen kann. Die trinitarische Konzentration des Gottesverständnisses, deren Grundlegung allerdings erheblich präzisiert werden müsste, ist der gebotene Weg, solchen Problemen standzuhalten. Sie ermöglicht es, Gottes Handeln als differenzierten Umgang mit seiner Schöpfung zu begreifen, ohne die Mitte seines heilschaffenden Kommens zur Welt aus dem Blick zu verlieren. Die Klärungen der Kategorien der Vorsehungslehre, um die sich diese Arbeit auf bemerkenswerte und besonnene Weise bemüht, sind ein hilfreicher Beitrag zu einem solchen Verständnis des Handelns Gottes an der Welt, das den Fragen standzuhalten versucht, die heute an den Vorsehungsglauben gestellt werden.