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Ausgabe:

November/2000

Spalte:

1182–1184

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Gosda, Petra

Titel/Untertitel:

"Du sollst keine anderen Götter haben neben mir". Gott und die Götzen in den Schriften Dietrich Bonhoeffers.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1999. 313 S. 8 = Neukirchener Theologische Dissertationen und Habilitationen, 26. Kart. DM 78,-. ISBN 3-7887-1755-6.

Rezensent:

Martin Hailer

Fragment ist Dietrich Bonhoeffers Werk, Fragment im eminenten Sinn sein Leben. Diese mehrfache Fragmentarizität hat die Bonhoeffer-Rezeption mitunter zu spekulativen Weiterentwicklungen herausgefordert. Die Vfn. teilt dies Interesse an spekulativen Abschlüssen nicht (16), sondern legt anhand ihres Titelthemas einen Durchgang durchs Gesamtwerk vor, der der Fragmentarizität dadurch Rechnung trägt, dass er das Werk im Rahmen von Bonhoeffers Diskursumgebungen (Biographie, Lehrer, Zeitgenossen, genauso aber Luther und die biblische Theologie) liest. Sie lässt sich dabei von der Prämisse leiten, dass "Götter" oder "Götzen" kein Hauptstichwort seiner Arbeiten sind, sich durch diese gleichwohl wie ein roter Faden ziehen und "erschließende Kraft für Bonhoeffers Werk" (11) entfalten.

Im vornehmlich zeitlich geordneten Durchgang durch Bonhoeffers Schriften macht die Vfn. mehrere "Götzenkomplexe" (279, vgl. 169) aus, die Bonhoeffer beschreibt und bekämpft: Einer dieser Komplexe ist eher am Subjekt verortet und besteht aus den Größen Gewissen, Lüge und Angst, der andere eher objektiv und kann mit den Stichworten Welt, Irrlehre und Libido beschrieben werden. Interessant ist, wie anhand einzelner Werke und ihrer Diskursumgebungen die Beschreibung eines Götzen, seine Verkettung mit anderen und die jeweiligen theologischen Gegenzüge beschrieben werden. Eindrücklich ist etwa Bonhoeffers Schilderung der Selbstvergötzung des Gewissens, indem dieses sich zur Instanz des Wissens über gut und böse erhebt (21 ff.). Wie andere Themen auch, wird dieser Begriff nach der Darstellung seines Werdegangs in Bonhoeffers Schriften in biographische, positionelle und biblisch-theologische Kontexte eingestellt und diskutiert (42 ff.).

Die Beschreibung der einzelnen von Bonhoeffer namhaft gemachten Götzen (Zusammenfassung 169 f.) wird zweifach ergänzt: Zum einen beschreibt die Vfn. seine Lehre vom Teufel als dem Herrn der Götzen und trägt gute Gründe für seine drastische Sprache aus der Bibel und der Theologie Luthers zusammen (171 ff., bes. 211 ff.). Zum anderen führt sie anhand einiger Fragmente aus der "Ethik" zu Bonhoeffers Lehre vom Nichts: Seine Diagnose der westlichen Kultur, die einem veritablen Pandämonium gleicht, wird dargestellt (252 ff. u. ö.) und mit Gottes Gegenentwurf dazu (246 ff.) kontrastiert. Das "alles verschlingende Nichts" (225) ist nach Bonhoeffers Lehre im Sinne einer privatio boni zu denken. Dieses Lehrstück nimmt ihm freilich nichts von seiner Bedrohlichkeit - welcher Vorwurf ihm im Rahmen einer kausalen Betrachtung des Bösen immer gemacht wird (291) -, sondern akzentuiert die parasitäre Existenzweise des Bösen an Gottes guter Schöpfung. Dass Aussagen in diesem Bereich stets einer Grenzgängerei gleichkommen, zeigt eine Stellungnahme der Vfn.: Einerseits will sie an der "abgrundtiefen Schrecklichkeit" (223) des Bösen festhalten, meint aber zugleich, dass es theologisch nur im Rahmen der Gewissheit seiner Überwindung thematisiert wird, so dass man sich vor "einer unangemessenen Überbewertung seiner Realität" (222) hüten sollte. In Aporien wie dieser (vgl. nur KD 50) scheint auf: Was wissen wir wirklich von der Dramatik der Mächte und wie ist die Metapher der ,Überwindung im Christusgeschehen' näher zu buchstabieren?

Die Darstellung wird mit einer Besprechung einiger der berühmten Texte aus "Widerstand und Ergebung" beschlossen: Unter dem Titel "Die entgötterte Welt" (261 ff.) berichtet die Vfn. über eine Reihe von Aspekten, die sich auf die Thesen und Fragmente zum religionslosen Zeitalter beziehen. Es dürfte unmöglich sein, diese Texte und Textteile kohärent zu interpretieren, zu sehr dringen zeitdiagnostische, theologische und andere Aspekte hier ineinander. Eine streng nach solchen Aspekten vorgehende Analyse könnte vielleicht etwas mehr Licht auf Bonhoeffers letzte schriftliche Äusserungen werfen. Die Vfn. jedenfalls entscheidet sich für eine Sichtweise, die bei dem Autor eine Relativierung seiner früheren Position erkennt und diese kritisiert (275 ff.).

Im Schlussabschnitt lässt die Vfn. eine Reihe gegenwärtiger Ansätze zur Hamartiologie Revue passieren, u. a. die Ansätze von W. Pannenberg und C. Gestrich. Im Gespräch mit ihnen soll die Bedeutung von Bonhoeffers Ansatz für die gegenwärtige Dogmatik erhoben werden. Wohl tritt dabei Beachtenswertes zu Tage, unter anderem ein richtungsweisender Aufsatz von W. Mostert (291 f.). Insgesamt aber werden die referierten Positionen jedoch lediglich anhand der Bonhoefferschen beurteilt. Das Gespräch über die wirklichkeitserschließende Kraft der Ansätze hätte hier allererst zu beginnen, um den Anschein eines bloßen Richtigkeitserweises zu vermeiden.

Die Vfn. ist auf ausgewiesene theologische Urteile bedacht. So kritisiert sie Bonhoeffers mitunter beträchtliche Einseitigkeiten bei der Wahrnehmung anderer Positionen, etwa der Martin Luthers (46 ff.) oder systematisch bedenkliche Konsequenzen seiner Gefängnistexte (276 f.), genauso aber Zeitgenossen Bonhoeffers, die nach ihrem Urteil hinter dessen Position zurückfallen (vgl. das mehrfache Verdikt gegen H. Thielicke, 204 ff. 250ff.). Dieses Vorgehen zeichnet den Band als explizit systematisch-theologische Untersuchung aus.

Mitunter kommt es zu fragwürdigen Einordnungen oder überscharfen Urteilen. So ist eine in wenigen Zeilen stattfindende Verwerfung der "Lehre von der ewigen Wiederkunft" der Komplexität von Nietzsches "Zarathustra" nicht angemessen (255 f.) - vielmehr sind erstaunliche Parallelen zu seiner Gewissens- und Metaphysikkritik nachweisbar. Ferner sind manche Wertungen der Barthschen Theologie kaum sachgemäß (vgl. 11 f.116, anders 248 f.277 f.). Auch sollte eine akademische Arbeit nicht mit exorzistischem Gestus eine Position als "Irrglauben" (251) bekämpfen - wenn solches sein muss, gehört es, wie die Vfn. andernorts von Bonhoeffer her anmerkt (92 f.), auf die Kanzel. Das Ergebnis der kenntnisreichen Untersuchung sollte nicht, wie einige Passagen nahelegen (208.251.288.298), allein aus der magistralen Betonung eines radikalen Sündenbegriffs bestehen.

Im ganzen zeichnet die Vfn. eine Theologie nach, die - nicht zuletzt wegen ihres personalistischen Wahrheitsbegriffs (83 ff. 96ff.) - nur in ihren vielfachen Kontextverbindungen lesbar ist. Weil die Götzen seiner Zeit in eminenter Weise zum Kontext der Lebensarbeit Dietrich Bonhoeffers gehören, stimmen Anliegen und Vorgehen der Arbeit überzeugend zusammen. Die Aufgabe, den zeitgenössischen widergöttlichen Mächten auf der Spur zu bleiben, reicht sie an die Theologie der Gegenwart weiter.