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Ausgabe:

November/2000

Spalte:

1174–1176

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Kremer, Klaus, u. Klaus Reinhardt [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Nikolaus von Kues als Kanonist und Rechtshistoriker.

Verlag:

Trier: Paulinus 1998. XIII, 278 S. gr.8 = Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft, 24. ISBN 3-7902-1365-9.

Rezensent:

Harald Schwätzer

Der von Klaus Kremer und Klaus Reinhardt herausgegebene Sammelband "Nikolaus von Kues als Kanonist und Rechtshistoriker" ist keineswegs nur ein Spezialwerk aus einem Randgebiet der Forschung, sondern vermittelt auch dem Theologen und Philosophen anregende Einblicke in das Leben und Forschen des Nikolaus von Kues.

Als der junge Nikolaus nach Padua kam, um dort zu studieren, fand er eine blühende Juristenfakultät vor. Thomas E. Morrissey dokumentiert, gestützt auf ein gründliches Quellenstudium, den konkreten Einfluss des Juristen Zarabella auf die "Welt, die Nikolaus von Kues vorfand" (so der Untertitel des Beitrages). Peter Landaus Beitrag "Die Bedeutung der Kanonistik für die Karriere einer aufsteigenden Bürgerschicht" zeigt, dass die Kanonistik damals als die Wissenschaft galt, die göttliches wie menschliches Recht umfasst und der infolgedessen eine Vorrangstellung gebührt. Aus diesem Grund diente ihr Studium vor allem auch Bürgerlichen zum Karrieresprungbrett, u. a. auch deutschen Kanonisten wie Nikolaus von Kues oder seinem Widersacher Gregor Heimburg.

Und doch war dem bürgerlichen Kaufmannssohn die Kanonistik mehr. Erich Meuthen weist in "Der Kanonist und die Kirchenreform" auf ein zentrales Motiv hin. Es gehe nicht nur darum, altes Recht, welches durch neueres pervertiert sei, wiederherzustellen. Sondern "etwas Cusanus ganz eigentümliches kommt hinzu. Ihn bestimmt geradezu die Lust, nicht nur Altes als maßgeblich wieder zu etablieren, sondern zunächst einmal in einem spannenden Entdeckungsprozeß ans Licht zu heben, weil es nämlich bislang übersehen wurde" (66), was Meuthen an Hand der Concordantia catholica und auch der 13 Reformdekrete illustriert.

Dass diese Eigentümlichkeit des Kardinals auch viele Probleme nach sich zieht, hat die Auseinandersetzung mit Herzog Sigismund von Tirol gezeigt. Die beiden folgenden Aufsätze versuchen, das sogenannte Scheitern des Kardinals und das damit verbundene ungünstige Urteil über ihn als Juristen zurechtzurücken. Hans-Jürgen Becker legt seiner Darstellung "Der Streit der Juristen: Nikolaus von Kues in der Auseinandersetzung mit Herzog Sigismund 1460-1464" folgende Überlegung zugrunde: Wirft man dem Kardinal juristisches Versagen vor, so "wird wenig Rücksicht genommen auf die verfassungsrechtliche Situation, in die Nikolaus von Kues hineingestellt worden war. Man übersieht auch leicht, daß die Katastrophe von Tirol nur einen Ausschnitt aus einer dramatischen Veränderung der Kirche um die Mitte des 15. Jahrhunderts darstellt" (82). Becker verweist z. B. darauf, dass nicht zuletzt aufgrund des Wiener Konkordats von 1848 ein erheblicher Teil des kirchlichen Lebens unter die Herrschaft der weltlichen domini terrae gelangte. Der vom Papst gegen den Willen des dem Herzog Sigismund wohlgesonnen Domkapitels ernannte Bischof fand also nicht nur einen zurückhaltenden Klerus und einen erzürnten Herzog vor. Sondern es entstanden nahezu automatisch zwei einander überlagernde Konfliktbereiche: die Reformierung des Bistums Brixen, wodurch es personal dem Einfluss des Herzogs entzogen werden sollte, und, dadurch bedingt, Spannungen um territoriale Herrschaft. Hermann J. Hallauers Beitrag "Nikolaus von Kues als Rechtshistoriker. Sein Kampf um die Bewahrung der Brixener Kirche" will die Motive des Landesfürsten Nikolaus von Kues aufdecken. Denn dessen Versuch, alte Urkunden auszugraben und auf sie gestützt territoriale Ansprüche durchzukämpfen, schien auf fehlenden Realitätssinn hinzuweisen. Nach Hallauer aber versucht Nikolaus keineswegs die Geschichte um 200 Jahre zurückzudrehen, sondern dringt in gutem Einklang mit seinen Vorgängern wie Nachfolgern auf Erhaltung und Konsolidierung des Bistums. Seine durch sorgfältig eruierte Urkunden abgesicherten, weitreichenden Gebietsansprüche stellte er, so Hallauer, seinem Kontrahenten nur vor Augen, um zu zeigen, wie gemäßigt letztendlich die eigenen Forderungen waren.

Den Abschluss der Aufsätze bilden zwei Beiträge zu Marsilius von Padua und Nikolaus von Kues. Gregorio Piaia hebt in "Marsilius von Padua und Nicolaus Cusanus: Eine zweideutige Beziehung?" vor allem die Problematik einer Beurteilung beider Positionen hervor, die durch die heutige begriffsgeschichtliche Perspektive des Begriffs "Modernität" entsteht: die scheinbare Ambiguität in der Beziehung beider erweist sich aus seiner Sicht als Ambiguität eines Interpretationskonstruktes. Dagegen beleuchtet Paul E. Sigmund das Thema "Konsens, Repräsentation und die Herrschaft der Mehrheit bei Marsilius und Cusanus", um zu zeigen, dass von uns als modern empfundene Konzepte bei beiden Denkern vorhanden sind, wobei Marsilius eine radikalere demokratische Position vertrete, Nikolaus hingegen eher an ein System gewählter Räte und repräsentativer Körperschaften denke. - Über diese Aufsätze hinaus enthält das Buch eine Diskussion um aktuelle Forschungsfragen, Rezensionen und einen Aufsatz Hallauers zur Handschriften-Forschung. Der Band deckt das Thema "Nikolaus von Kues als Kanonist und Rechtshistoriker" mit seinen sorgfältig recherchierten Beiträgen sinnvoll und exemplarisch ab. Nimmt man den Abdruck wichtiger Quellen und die vielen Verweise auf Manuskripte und Sekundärliteratur hinzu, so darf der Band als unentbehrliche Grundlage für ein durchaus nicht peripheres Gebiet der Cusanus-Forschung gelten.