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Ausgabe:

November/2000

Spalte:

1150–1152

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Donfried, Karl P., and Peter Richardson [Eds.]

Titel/Untertitel:

Judaism and Christianity in First-Century Rome.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 1998. XIV, 329 S. 8. Kart. £ 15.99. ISBN 0-8028-4265-8.

Rezensent:

Michael Lattke

Dieses Buch, das in keiner biblischen und historischen Bibliothek fehlen sollte, enthält eine gut ausgewählte Sammlung von gelehrten und informativen Artikeln, die aus Beiträgen zum SNTS-Seminar "New Testament Texts in Their Cultural Environments" von 1990 bis 1994 hervorgegangen sind. Nach der einleitenden, die zehn Beiträge vorstellenden Übersicht von K. P. Donfried (nicht Donfreid, wie auf der Rückseite des Paperbacks) ist das Buch in drei Teile gegliedert: Archaeological and Epigraphical Studies (15-90), Social-Historical Studies (91-172), Developmental Studies (173-279). Überschneidungen im archäologischen und historischen Bereich sind bei einer solchen Sammlung ebensowenig zu vermeiden wie z. T. kontroverse Doppelbehandlungen von Texten (vor allem Röm, IClem und Hermas). Die umfangreiche Gesamtbibliographie (280-301) wäre noch nützlicher, wenn alle in den Fußnoten erscheinenden und im Index aufgeführten Autoren und Herausgeber (316-322) auch bibliographisch zusammengestellt worden wären. Andererseits fehlen im Index einige Namen (z. B. Käsemann und Vygotsky). Schon an dieser Stelle sei der Hinweis auf zwei neuere Publikationen gestattet, die zur Zeit der Abfassung vorliegender Beiträge noch nicht vorlagen: Helga Botermann, Das Judenedikt des Kaisers Claudius. Römischer Staat und Christiani im 1. Jahrhundert (Hermes Einzelschriften 71; Stuttgart: F. Steiner, 1996); Horacio E. Lona, Der erste Clemensbrief (KAV 2; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1998). Am Ende stehen wichtige Register antiker Personen (323-327) und Orte (328-329). Im "Index of Ancient Texts" (305-315) wäre "Shepherd of Hermas" wohl besser unter den Buchstaben H eingeordnet worden. Wer sich über die einzige Mitarbeiterin C. Osiek und die elf Mitarbeiter informieren will, findet außer ihren Namen zur Kontaktaufnahme auch ihre Adressen (303-304, leider ohne e-mail).

Vom Mitherausgeber Peter Richardson stammt der erste Beitrag: "Augustan-Era Synagogues in Rome" (17-29). Nach knapper Darstellung des römischen Judentums im 1. Jh. v. Chr. werden vier Synagogen in Rom behandelt und die Frage diskutiert, ob es eine fünfte "Synagogue of the Herodians" gegeben hat. Die bejahende Antwort wird in der künftigen Interpretation der fragmentarischen Inschrift CII 173 eine wichtige Rolle spielen.

L. Michael White ist Autor des zweiten Beitrags: "Synagogue and Society in Imperial Ostia: Archaeological and Epigraphic Evidence" (30-68). Mit anschaulichen Abbildungen werden die verschiedenen Phasen der bisher nicht systematisch behandelten Ostia-Synagoge nachgezeichnet. Ebenso lehrreich ist die sich anschließende sozialgeschichtliche Analyse der dazugehörigen Inschriften. Die Folgerungen über "Jews in Ostian Society" bestehen vor allem aus offenen Fragen.

Etwas ungenau ist der Titel von Kap. 3: "The Interaction of Jews with Non-Jews in Rome" (69-90). Denn Graydon F. Snyder behandelt die Inkulturation nicht nur von Juden, sondern auch von Christen in Rom. Doch sind seine Definitionen von "Assimilation/Acculturation", "Enculturation", "Cultural Domination", "Inculturation", und "Cultural Interaction" ebenso interessant wie seine Zusammenstellung frühjüdischer Inschriften und Symbole.

Die zweite Gruppe der Studien wird eröffnet durch Leonard Victor Rutgers: "Roman Policy toward the Jews: Expulsions from the City of Rome during the First Century C. E." (93-116). Diese gelehrte Behandlung römischer Politik und Toleranz bzw. Intoleranz (111-114) schließt natürlich auch Anhänger von Chrestus unter Claudius ein (105-106). Zunächst geht es aber um die Acta Pro Judaeis (94-96), die bürgerrechtliche Stellung der römischen Juden im 1. Jh. v. Chr. (97-98) und vor allem die Vertreibung von Juden aus Rom nach dem Jahre 19 n. Chr. unter Tiberius (98-105). Auch hier bleiben auf Grund der lückenhaften Quellenlage mit Recht viele Fragen offen. Ob man die militärischen und politischen Motive Roms für Vertreibung und Verfolgung von Juden und anderen Gruppen als "good reasons" (108) bezeichnen kann, sei in Frage gestellt.

Trotz terminologischer Anachronismen ist der provokative Beitrag von Rudolf Brändle und Ekkehard W. Stegemann folgendermaßen betitelt: "The Formation of the First 'Christian Congregations' in Rome in the Context of the Jewish Congregations" (117-127). Eigentlich wollen die beiden Basler Neutestamentler, die einzigen Mitarbeiter aus dem deutschsprachigen Raum, von den Anfängen des Christusglaubens ("Christ-faith") sprechen, dessen Ankunft in Rom immer noch völlig im Dunkeln liegt. In mehreren Schritten wird die These entfaltet: "Non-Jews in Rome only came into contact, initially, with the 'Christ-faith' if they had already come into contact with Jews, and therefore lived as proselytes or God-fearers in more or less close communication with the Jewish community" (118). Wenn die Autoren das Frühchristentum kennzeichnen "as a messianic-apocalyptic and charismatic movement in the gray area between Jews, proselytes, and God-fearers" (122), so müsste man fürs Ende des 1. Jh. n. Chr. vielleicht auch auf Gnosis und Mysterienkulte als Einzugsgebiete verweisen (zu "christlicher" Proselytenmacherei vgl. M. Lattke, The Call to Discipleship and Proselytizing: [HThR 92, 1999, 359-362]).

Ein gutes Beispiel interdisziplinärer Forschung ist der Beitrag von James S. Jeffers: "Jewish and Christian Families in First-Century Rome" (128-150). Hier lässt sich indirekt viel lernen über die römische familia. Nacheinander werden folgende Aspekte behandelt: sozialer und wirtschaftlicher Status der niedrigeren Bevölkerungsschichten; Unterbringung und Wohnlage; Eheformen und Heiratsbräuche; Familienstruktur mit ihren Beziehungen von Frau und Mann, Eltern und Kindern, Freien und Sklaven. Beim letzten Abschnitt ist es erstaunlich, dass der Philemonbrief keine Erwähnung findet.

Durch den Beitrag von Carolyn Osiek wird die Grenze zum frühen 2. Jh. n. Chr. überschritten: "The Oral World of Early Christianity in Rome: The Case of Hermas" (151-172). Ihre These ist, dass der schriftliche Text der Visionen, Gebote und Gleichnisse "shows evidence not only of being close to oral thought patterns, but also of being originally intended for oral proclamation" (151). Walter Ongs "nine characteristics of orality" (162) werden nach der allgemeinen Behandlung von "orality and literacy in the ancient world" (155) mit Erfolg auch im Hirten aufgespürt.

Teil 3 beginnt mit der Studie von James C. Walters: "Romans, Jews, and Christians: The Impact of the Romans on Jewish/ Christian Relations in First-Century Rome" (175-195). Da Judith Lieu 1994 in Edinburgh "respondent" war (x), hätte ihr zusammen mit J. North und T. Rajak herausgegebenes Buch von 1992 größere Hervorhebung in der Bibliographie verdient (vgl. 182, Anm. 26). Nach Analyse der Beziehungen zwischen "Christians and non-Christian Jews" (175) in der zweiten Hälfte des 1. Jh. n. Chr. wendet sich Walters dem 1. Clemensbrief als Testfall zu (190-194) und kommt zu der problematischen Schlussfolgerung, "that the Hellenistic Jewish traditions evidenced in 1 Clement were not passed to Clement directly via the synagogue; Clement received this rich exegetical heritage within Christian circles in Rome" (194).

Gekennzeichnet durch zahlreiche didaktische Wiederholungen ist der lange Beitrag von William L. Lane: "Social Perspectives on Roman Christianity during the Formative Years from Nero to Nerva: Romans, Hebrews, 1 Clement" (196-244). Ein Stichwort zieht sich durch den ganzen Vortrag: "House Church". Mehr als einmal gewinnt man den Eindruck, als sei der Verfasser eines Hebräerbriefkommentars (WBC 47A, 47B; 1991), der sich hier mit den Kommentaren von H. W. Attridge, H. Braun, E. Gräßer und H. F. Weiß überhaupt nicht auseinandersetzt, in den Kirchen von Röm 16, Hebr, IClem und sogar Hermas persönlich zu Hause gewesen. Seine These, dass in "terms of the household setting of Roman Christianity, there is basic continuity in the development of the church from Romans to 1 Clement" (241), steht m. E. in gewissem Widerspruch zu dem, was Lane zu Hebr über "authority structure based on charisma rather than patronage" sagt (220; vgl. 212, 214, 224).

Gewarnt durch Donfrieds einleitende Worte und kritische Fragen (11-13) liest man das letzte Kapitel mit gesteigerter Aufmerksamkeit und durch eine noch schärfere Brille: Chrys C. Caragoumis: "From Obscurity to Prominence: The Development of the Roman Church between Romans and 1 Clement" (245-279). Der Rez. muss sagen: Das Studium hat sich gelohnt, sowohl in Bezug auf die noch weitergehende Romans Debate (ed. K. P. Donfried [1977; 21991]) als auch in Bezug auf IClem und die sich in diesem symbuleutischen Brief wiederspiegelnde Gestalt der römischen Kirche. Die Infragestellung der einseitigen Hauskirchen-Modelle durch das Modell der jeweils einen "city church" (264) ist auf jeden Fall beachtenswert. Und zeigt es sich nicht bis heute trotz des jüngsten Schuldbekenntnisses, "how the Roman church patterned its treatment of other churches on the model of the Roman Empire" (277)? Nicht nur soziologisch, sondern gerade auch theologisch kann man durchaus von "long-term failure of Paul's letter [to the Romans] among the Roman Christians" sprechen (279).