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Ausgabe:

November/2000

Spalte:

1139–1141

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fox, Michael V.

Titel/Untertitel:

A Time to Tear Down and a Time to Build Up. A Rereading of Ecclesiastes.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 1999. XVII, 422 S. gr.8. ISBN 0-8028-4292-5.

Rezensent:

Thomas Krüger

Michael V. Fox legt mit diesem Band eine überarbeitete und erweiterte Fassung seiner 1987 erschienenen Monographie über "Qohelet and His Contradictions" vor. Neben zahlreichen kleineren Änderungen und Ergänzungen, in denen F. zum Teil seine früheren Deutungen modifiziert oder revidiert, ist der Band um mehrere Kapitel zu verschiedenen Themen und wichtigen Begriffen des Koheletbuches erweitert worden. Seit 1987 erschienene Sekundärliteratur wird eher selektiv (und vor allem aus dem englischsprachigen Bereich) rezipiert und diskutiert. Die ersten neun Kapitel nehmen unter verschiedenen Fragestellungen und Gesichtspunkten das Koheletbuch als Ganzes in den Blick. Kap. 10 und 11 bieten eine fortlaufende Übersetzung und Kommentierung des Buches, in die drei Exkurse zur Bedeutung von "Zeit" in Koh 3,1-8, zur Interpretation von Koh 12,1-7 und zu den verschiedenen "Stimmen" im Koheletbuch eingeschaltet sind. Bibliographie und Register schließen den Band ab.

Die Spannungen und Widersprüche im Koheletbuch sind nach F. (Kap. 1) weder durch harmonisierende Interpretationen noch durch literarkritische Operationen zu beseitigen. Für die Verteilung einander widersprechender Aussagen auf verschiedene Stimmen eines Dialogs oder auf Zitate fremder Meinungen und Kommentare Kohelets gibt es keine Hinweise im Text. Und die Erklärung von Spannungen und Widersprüchen durch die Annahme, Kohelet setze sich mit "der traditionellen Weisheit" auseinander, setzt eine Einheitlichkeit "der Weisheitstradition" voraus, die sich an den einschlägigen Texten nicht verifizieren lässt. Vielmehr nimmt Kohelet nach F. die Wirklichkeit als in sich spannungsvoll und widersprüchlich wahr und beschreibt in einer Art "intellektueller Biographie", wie er durch neue Erfahrungen immer wieder zu einer Revision seiner früheren Ansichten genötigt wurde. In der Darstellung und Reflexion seiner Erfahrungen ist Kohelet durchaus konsistent; widersprüchlich sind nur seine Erfahrungen und die ihnen zu Grunde liegende Wirklichkeit.

Auf den Begriff gebracht wird dies in den hebräischen Ausdrücken hebel und re'ut (bzw. ra'jon) ruach, die F. (Kap. 2) als "absurd" und "sinnlos" "senseless") interpretiert - wobei allerdings in 3,19; 6,12; 7,15; 9,9 und 11,10 der Kontext eher ein Verständnis von hebel als "flüchtig, vergänglich" ("ephemeral") nahelegt, wie F. (39 f.) selbst zugesteht. Die Annahme, ein hebräisches Wort (hebel) müsse an allen Stellen im Buch dieselbe (mit einem englischen bzw. deutschen Wort zu übersetzende) Bedeutung haben, wäre freilich erst einmal zu begründen. Die "Absurdität" und "Sinnlosigkeit" der Wirklichkeit zeigt sich nach F. (Kap. 3) dann auch darin, dass Kohelet trotz erfahrbarer Ungerechtigkeit in der Welt daran festhält, dass Gott gerecht ist - ohne irgendeinen Versuch einer "Theodizee" zu unternehmen. Hier wäre zu fragen, ob nicht der wiederholte Hinweis auf die Bosheit und Schuld aller Menschen (vgl. Koh 7,20.29; 8,6.11; 9,3) mindestens einen (Gen 1-11 vergleichbaren) Ansatz zu einer Erklärung von Zufall und Tod als Strafen Gottes für eine allgemein-menschliche Schuld enthält (vgl. 3,17; 11,9: Zeit und Tod als "Gericht" Gottes).

Kap. 4 hebt im Blick auf "Qohelet's Epistemology" die Orientierung an der eigenen, individuellen und aktuellen Erfahrung als Eigenart Kohelets im Vergleich mit der Traditionsorientierung der älteren alttestamentlichen Weisheitsliteratur hervor. Ein Gegengewicht zu dieser "empirischen" Orientierung bildet bei Kohelet die Einsicht in die Notwendigkeit, Erfahrungen kritisch zu reflektieren, die seinem Denken einen "skeptischen" und durchaus auch selbstkritischen Grundzug verleiht. Dass auch die Reflexionen Kohelets (z. B. in 1,9 oder in 3,11-14) Traditionen in Anspruch nehmen, die nicht durch eigene Erfahrung gedeckt sind, wäre dabei vielleicht noch ein wenig stärker zu betonen und kritisch zu reflektieren, als es bei F. geschieht. Kap. 5 arbeitet die differenzierte Sicht der Chancen und Grenzen der Weisheit im Koheletbuch heraus, wobei zwischen Kohelet, dem Epilog in 12,9-12 und dem Postskript in 12,13-14 unterschieden wird. Mit Recht betont F., dass die Einsicht in die Grenzen der Weisheit auch den älteren Weisheitstraditionen nicht fremd ist. Bei einer stärkeren traditionsgeschichtlichen Differenzierung kämen freilich möglicherweise auch Tendenzen zu einer Unterschätzung dieser Grenzen in den Blick (etwa in Spr 1-9 oder in Ps 37), die Kohelet zeitlich nahe stehen und mit denen er sich kritisch auseinandersetzt.

Kap. 6 untersucht die Bedeutung der hebräischen Termini 'amal, 'asah / ma'aseh, 'anah / 'injan und hajah im Koheletbuch. Hier wäre insbesondere F.s These kritisch zu diskutieren, dass 'asah und ma'aseh sich an Stellen wie 1,13 f. und 8,16 f. nicht auf menschliches Tun, sondern auf das gesamte Geschehen unter der Sonne bzw. auf der Erde beziehen. Hingegen überzeugt die Differenzierung zwischen cheleq / "Anteil" und jitron/ "Gewinn" in Kap. 7, das daneben noch die Ausdrücke für Freude (simchah / samach, sechoq) und Befriedigung (saba') diskutiert. Kap. 8 ("Toil and Pleasure") und Kap. 9 ("The End of the Matter") skizzieren ein Gesamtverständnis der Weltsicht Kohelets und ihrer praktischen Konsequenzen, das seine kritischen ("A Time to Tear Down") und seine konstruktiven ("A Time To Build Up") Ansätze miteinander zu verbinden versucht. Wenn diese als "the collapse of meaning" und "the attempt to reconstruct meanings" charakterisiert werden (133), ist dies allerdings vielleicht doch eher von modernen Autoren wie Albert Camus, Viktor Frankl und William James inspiriert, die F. zum Vergleich heranzieht, als von den Aussagen des Koheletbuchs selbst.

Kap. 10 enthält knappe Ausführungen zum Aufbau und zur Gattung des Koheletbuches. Letztere wird als "reflective autobiography" charakterisiert (155), wofür Vergleichstexte aus dem Alten Orient und aus dem Alten Testament (bes. Ps 73) angeführt werden. Hier wäre eine Diskussion des in der Forschung häufig vorgebrachten Vergleichs mit hellenistischen Diatriben von Interesse gewesen. Kap. 11 bietet eine fortlaufende Übersetzung und Kommentierung des Koheletbuchs. Ein Exkurs über "Time in Qohelet's 'Catalogue of Times'" (3,1-8) wendet sich gegen eine (von F. 1987 noch selbst vertretene) streng "deterministische" Interpretation dieses Textes. Ein Exkurs über "Aging and Death in Qohelet 12" zeigt in einer Verbindung von "wörtlicher", "symbolischer" und "allegorischer" Lektüre, dass hier weniger eine "Allegorie der Altersbeschwerden" vorliegt als vielmehr eine Deutung des Todes als "(individueller) Weltuntergang". Und ein Exkurs über "The Voices in the Book of Qohelet" macht darauf aufmerksam, dass im Koheletbuch zwischen den Perspektiven des "frame-narrator" (sowie des "postscript") und der literarischen Figur "Kohelet" zu unterscheiden ist, sowie dann noch einmal zwischen "Qohelet-the-reporter, the narrating 'I', who speaks ..." und "Qohelet-the-observer, the experiencing 'I', who undertook the investigation that the book reports" (366). Diese Unterscheidungen, welche das Buch seinen Lesern durch seine literarische Gestalt nahelegt, werden in der Forschung bei der Interpretation einzelner Texte wie auch des Buches als Ganzem vielfach zu wenig berücksichtigt.

Hier wäre dann allerdings wohl auch mit F. über F. hinauszugehen. Zum einen wäre nämlich zu fragen, ob die Unterscheidung zwischen "Qohelet-the-observer" und "Qohelet-the-reporter" innerhalb kleinerer Texteinheiten nicht auch - mutatis mutandis - auf die Abfolge größerer Textabschnitte anzuwenden wäre: Müsste etwa in Anbetracht inhaltlicher Differenzen nicht auch zwischen "Kohelet dem König" in Kap. 1 f. und "Kohelet dem Weisen" in Kap. 3 ff. unterschieden werden? Zum anderen scheint eine "Mehrstimmigkeit" auch in solchen Texten vorzuliegen, die nicht als "autobiographische" Erfahrungs- und Reflexions-Berichte stilisiert sind. 1,10 f. führt gleich zu Beginn des Buches vor, dass und wie Behauptungen kritisch zu diskutieren sind. Wenn dann etwa 6,11 f. auf die Problematik von "Worten" hinweist, die beanspruchen, dem Menschen zu sagen, was "gut" für ihn ist, und in 7,1 ff. darauf eine Reihe eben solcher "Worte" folgen, liegt es doch mindestens nahe, diese nicht einfach als "Worte Kohelets" zu verstehen, sondern als Beispiele für solche irrigen Meinungen. Von daher scheinen die Fragen nach größeren Abschnitten und Bögen der Lektüre sowie nach dialogisch-diskursiven Argumentationsgängen im Koheletbuch trotz F.s negativer Bescheide keineswegs erledigt zu sein.

Über F. hinausgehend müsste für ein historisch sachgemäßes Verständnis des Koheletbuchs wohl auch sein zeit- und traditionsgeschichtlicher Kontext bei der Interpretation noch stärker berücksichtigt werden. Dabei wären nicht nur die Weisheitstraditionen, sondern die gesamte zeitgenössische spätisraelitische Theologiegeschichte mit in den Blick zu nehmen - so etwa die Diskussion der Zeit- und Erkenntnis-Problematik in den Henoch- und Danieltraditionen oder die Wertschätzung elementarer Lebensvollzüge ("Essen und Trinken"!) in den jüngsten Partien des Psalters. Bei der Diskussion der zahlreichen philologischen Probleme des Koheletbuchs müssten schließlich heute wohl die einschlägigen Beiträge von Backhaus und Schoors stärker berücksichtigt werden.

Der Koheletforschung, die in den letzten Jahren - mindestens im Blick auf die Anzahl der Publikationen - eine Art "Boom" erlebte, hat F. mit seiner Monographie von 1987 wichtige und weiterführende Impulse gegeben, die bis heute nicht immer die ihnen gebührende Beachtung gefunden haben. Insofern ist es erfreulich, dass sein Buch nun in überarbeiteter Fassung vorliegt. In der Diskussion mit den Forschungsbeiträgen anderer ist die Arbeit nicht mehr ganz auf dem aktuellen Stand - doch dies anzustreben wäre nach Kohelet wohl ebenso ermüdend wie aussichtslos.