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Ausgabe:

November/2000

Spalte:

1136–1138

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Conrad, Edgar W.

Titel/Untertitel:

Zechariah.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1999. 220 S. gr.8. Lw. £ 35.-. ISBN 1-85075-899-9.

Rezensent:

Tilmann Präckel

Das anzuzeigende Buch ist ein Kommentar des in Brisbane (Australien) lehrenden Alttestamentlers Edgar W. Conrad zu Sacharja. C. macht gleich zu Beginn deutlich, dass dieses Werk sich von der Mehrheit der Kommentare unterscheidet. Denn er strebt weder eine Auslegung an, die die zeitgeschichtliche Situation erhellt, noch interessiert ihn die Wachstumsgeschichte des Textes, sondern: "The reading of Zechariah in this commentary is literary" (11). Die Figur des Sacharja begreift C. als "character" im Text, und der Text von Sacharja wird als Teil seiner größeren literarischen Einheit ausgelegt, dem Zwölfprophetenbuch.

In der "Introduction" (11-44) stellt C. ausführlich seine Methode dar: Das Ziel, wenige echte Worte des Propheten zu rekonstruieren, sieht er als gescheitert an, da die Suche nach einem konkreten Individuum dem biblischen Text in keiner Weise gerecht wird. So verwirft er auch die neueren redaktionsgeschichtlichen Bemühungen (T. Collins, J. Nogalski), die zwar die literarischen Einheiten in den Blick nehmen, jedoch nach denselben Individuen suchen, sie nun aber Redaktor o. ä. nennen. Kurz, C. sieht keinerlei Möglichkeiten, dem Bibeltext Informationen über den historischen Sacharja oder das Wachstum des Zwölfprophetenbuches zu entnehmen.

Nachdem C. im Vorwort lediglich darauf verweist, dass er von der historisch-kritischen Methode zwar viel gelernt habe, in seinem Ansatz ihn jedoch die historische Rückfrage nicht interessiere, folgt auf S. 15 f. dann doch eine Generalabrechnung: Wer die Person Sacharja war, ob er überhaupt gelebt hat, lasse sich weder aus den Sacharja-Texten, noch durch Informationen außerhalb dieser Texte verifizieren. Eine Ansicht, der wohl nicht nur Sacharja-Exegetinnen und -Exegeten widersprechen.

C.s Ansatz ist es nun, das Zwölfprophetenbuch wie eine Kunst-Collage aus sehr heterogenem Material zu lesen, die man jedoch nicht in ihre Einzelteile auflösen sollte. Dass dabei die Leserin/der Leser aktiv an der Gestaltung eines Verstehensmusters beteiligt ist, verhehlt C. nicht; eine wichtige Perspektive der C.schen Interpretation ist der synchron-intertextuelle Blick auf das Jesajabuch, der sich wohl mit C.s besonderem Interesse für das Jesajabuch erklären lässt (vgl. C.s Reading Isaiah, Minneapolis 1991, und sein Beitrag in VT.S 70).

Die wesentlichen Aspekte der Lektüre von Sacharja als integralem Bestandteil des Zwölfprophetenbuches lassen sich wie folgt zusammenfassen: Sacharja gehört zu den letzten drei Propheten des Zwölfprophetenbuches, die C. gerne die "Persian section" (19 u. ö.) nennt. Sie heben sich nicht nur durch ihr Datierungssystem und ihre enge Verknüpfung untereinander von den vorhergehenden ab, sondern vermitteln das Gotteswort in gänzlich anderer Art und Weise. Wenn von Hosea bis Zephanja Gott mit Hilfe von Propheten spricht, so beobachtet C. ab Haggai, der sowohl Prophet als auch Bote ist, eine Wendung hin zum dialogischen und unmittelbaren Wort des Boten; die Propheten verschwinden bzw. erscheinen in "a new guise as 'messengers'" (30 u. ö.). Dieser Rollenwandel sei nichts grundlegend Neues, sondern eine Rückkehr in die Zeit des Patriarchen Jakob, mit dem Gott durch Boten redete (vgl. Hos 12,5), eine Rückkehr, die durch Gottes Rückkehr, wie sie in Hag und Sach beschrieben ist, möglich wird. Sacharja habe insofern eine Schlüsselstellung inne, als er zum ersten Mal von der Prophetie im Rückblick spricht (Sach 1,4; 7,7; 8,9), in Sach 13,2-6 das Ende der Prophetie ansagt, in seinen Nachtgesichten von Boten umgeben ist und selbst zum Boten wird. Einen weiteren Beleg für diesen Wandel erkennt C. darin, dass beide, Haggai und Sacharja, ihre namentliche Identität zu Gunsten des Botenamtes einbüßen; Haggai erscheint in Sach 1,12; 3,1.6 als Bote JHWHs (vgl. Hag 1,13), und Sacharjas Worte finden ihre Fortsetzung unter der Überschrift ,mein Bote' (Maleachi).

Die Bestimmung von Sacharjas eigenem Amt versteht C. als bewusst offen gelassen: Der von Boten umgebene Sacharja ist nicht selbst Prophet, sondern lediglich Enkel eines Propheten. Dass aber der Nabi-Titel in Sach 1,1.7 auf Iddo und nicht auf Sacharja zu beziehen ist (so 31.34.39.46), ist doch kaum möglich, vgl. die Folge Name - Vatersname - Titel in Hag 1,1.12. 14; 2,2.4; Sach 6,11 zu Josua und Serubbabel.

In diesen Rahmen setzt C. seine Kommentierung hinein. Der eröffnende Aufruf zur Rückkehr (Sach 1,1-6; 45-56) beziehe sich einerseits auf die Rückkehr nach Jerusalem, andererseits auf die Rückkehr zum neuentstehenden Tempel als den Ort, in den auch Gott zurückkehrt. Damit, so C.s Meinung, sind diese Verse eine Fortsetzung der heilvollen Verkündigung Haggais. Zugleich bestehen mit dem Thema der Rückkehr zum Tempel vielfältige Bezüge zu anderen Texten des Zwölfprophetenbuches.

Die ersten drei Szenen (Sach 1,7-2,17; 57-87) - C. vermeidet die Bezeichnung Vision - führen Sacharja den Wiederaufbau Jerusalems vor Augen. Die Bilder beschreiben dabei keine übersinnlichen Begebenheiten, sondern Sacharja sieht ganz konkret Ereignisse um den Tempelbau und damit "a radical localization of the LORD's presence" (58). Zu dieser Ansicht gelangt C., indem er in den Boten der Schauungen Sacharjas nicht Engelwesen erkennt, sondern auch sie als Propheten in neuer Gestalt deutet. Damit ist Sacharja selbst, der laut C. ab der dritten Szene als Bote auftritt, in das Geschehen integriert. Im Unterschied zu nahezu allen Sacharja-Exegetinnen und -Exegeten interpretiert C. die Schauungen nicht als Beleg einer zunehmenden Distanz zur Gottheit, sondern das dialogische Gespräch mit seinen Propheten-Boten sei vielmehr ein Hinweis auf den unmittelbaren Kontakt zu JHWH: "Divine presence is both more immediate and more intimate" (69). Die Aufforderung zur Ruhe (Sach 2,17) versteht C. als Signal für die Leserin/den Leser, welches darauf aufmerksam macht, dass sich der Schauplatz der folgenden Szenen in den Tempel verlagert (Sach 3,1-6,15; 88-130). Bei der Einsetzung des Hohenpriesters Josua (Sach 3,1-10) agiere Sacharja gemeinsam mit dem Boten JHWHs, den C. mit Haggai gleichsetzt. Szene 5 (Sach 4,1-14) zeige den goldenen Leuchter des Tempels als Symbol für die Vollendung des Tempelbaus durch Serubbabel, der gemeinsam mit Josua die Führung der Zurückgekehrten bildet (Sach 4,14). Auch die letzten drei Szenen (Sach 5,1-6,8) interpretiert C. als aus der Ansicht von Tempelgeräten entstandene Bilder, die Gottes Herrschaft über ,die ganze Erde' (Sach 4,10.14; 5,3.6; 6,6) konkretisieren. Das Verschwinden der Rolle und des Epha beschreiben laut C. die neu ermöglichte soziale Ordnung, die vier Wagen schildern mit Bezug auf die erste Szene die politischen Veränderungen. In dem nachfolgenden Abschnitt (Sach 6,9-15) repräsentieren die zwei Kronen für Josua und Serubbabel die Führung der wiederhergestellten Gesellschaft.

Der Teil Sach 7,1-8,23 (131-150), der als Anfrage einer Gesandtschaft aus Bethel und einer langen Antwort Sacharjas gedeutet wird, stellt in C.s Konzept einen weiteren Wendepunkt dar. Sacharja ist endgültig zum Boten geworden, der keine Fragen mehr stellt, sondern antwortet und auf die Prophetenzeit als vergangene Zeit verweist (Sach 7,7; 8,9). Bethel erinnere an die Patriarchenzeit (Hos 12,5), womit die Hauptaussage dieser Szene deutlich hervortritt: Die Unmittelbarkeit von Gottes Wort ist wiederhergestellt, jetzt durch seine Präsenz im Jerusalemer Tempel, zu dem die Völker kommen werden.

Die Kapitel 9-14 (151-197) sind für C. zwei Orakel, die die Antwort aus Kapitel 7 f. fortführen und denen noch ein drittes Orakel in den drei Kapiteln des Maleachi folgt. Der enge Zusammenhang mit Sach 1-8 bestehe darin, dass die Orakel den Fragen nachgehen, inwiefern das Programm der voranstehenden Kapitel zur Realität wird bzw. welche Schwierigkeiten auftauchen. Das erste Orakel (Sach 9,1-11,17) thematisiert für C. zunächst die Rückkehr besonders der ehemaligen Nordreichsbewohner durch den kriegerischen JHWH, um dann anzudeuten, warum sie unerfüllt blieb: Die Führer des Volkes (Hirten) scheiterten. (Das Hirtenkapitel muss in wesentlichen Teilen unverständlich bleiben, deutlich wird aber, wie sehr in ihm die Zukunftsperspektive aus Sach 1-8 durch das Fehlverhalten der Führer korrumpiert ist.) Das zweite Orakel (Sach 12,1-14,21) reagiere auf diesen Rückschlag, indem es erneut Jerusalems Bedeutung hervorhebt, nun aber so, dass sie am Ende in eine ferne Zukunft rückt und sich in übertriebene und beschönigende Sprache kleidet (und damit die derzeitige Unerfülltheit eingestanden wird).

Abgerundet wird der Band durch das Nachwort (198-204), welches die wesentlichen Ergebnisse zusammenfasst, eine knappe Bibliographie (205-209), ein ausführliches Stellenregister (210-219) und ein verzichtbares Autorenregister (220).

Unabhängig von manchen strittigen Einzelurteilen bietet C. in seinem Kommentar eine anregende Lektüre des Sacharjabuches. Durch die sorgfältige "Introduction" sind Methodik und Ergebnisse immer nachvollziehbar, das Buch kann somit den Nutzen und die Grenzen eines rein literarischen Ansatzes gut veranschaulichen.

Drei auf der rein literarischen Ebene erhobene grundlegende Anfragen sollen dennoch abschließend geäußert werden: 1) Was ist Sacharja in Sach 1-8, wenn nicht ein Prophet (zu der merkwürdigen Auslegung seiner Genealogie s. o.)? Es entsteht der Eindruck, als wolle C. seine These vom Wandel der Prophetie hin zum Botendasein mit aller Macht auf Sacharja übertragen. 2) Kann - bei aller berechtigten Skepsis gegenüber allzu metaphysischen Interpretationen der Nachtgesichte - in Sach 1-6 tatsächlich davon die Rede sein, dass die Gottespräsenz unmittelbarer und intimer ist als bei den voranstehenden Propheten? Auch da scheint sich C., besonders in der etwas erzwungenen Deutung der Schauungen als konkrete Ereignisse, zu sehr von einer übergeordneten These leiten zu lassen. 3) Die enge Anbindung der Kapitel 9-14 an das Vorhergehende hat zur Folge, diese Kapitel als Rückschritt gegenüber dem in Sach 1-8 Gesagten zu bewerten. Wird das aber den Texten gerecht?