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Ausgabe:

November/2000

Spalte:

1134–1136

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bauer, Uwe F. W.

Titel/Untertitel:

"Warum nur übertretet ihr SEIN Geheiß!" Eine synchrone Exegese der Anti-Erzählung von Richter 17-18.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1998. 463 S. 8 = Beiträge zur Erforschung des Alten Testaments und des antiken Judentums, 45. Pp. DM 118,-. ISBN 3-631-32200-3.

Rezensent:

Rüdiger Bartelmus

Bei dem hier vorzustellenden Buch handelt es sich um eine an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau angenommene Habilitationsschrift. Das unverhältnismäßig umfangreiche Werk - pauschal umgerechnet entfallen auf jeden Vers des behandelten Textes 10 Seiten Exegese! - gliedert sich in vier (faktisch fünf) mit römischen Ziffern bzw. Buchstaben bezeichnete "Teile": I: Anlauf (17-56); II: Vorläufer (57-110); III/A: Hinführung (111-174); III/B: Durchführung (175-414); IV: Ergebnisse (415-447). Dass sich daneben noch ein zweites mit arabischen Zahlen operierendes Gliederungssystem (1 // 1.1 // 1.1.1 etc.) findet, irritiert den Leser, zumal die "Teile" I, II, III/B und IV mit den hier erscheinenden Ordnungsnummern 1, 2, 7 und 8 zusammenfallen und überdies zwischen Überschriften wie "I: Anlauf bzw. 1 Einleitung" oder "IV: Ergebnisse bzw. 8 Ergebnisse ..." inhaltlich gesehen kaum ein Unterschied wahrzunehmen ist.

Die weiteren Hauptüberschriften (im Falle von Punkt 8 die Fortsetzung der Überschrift) lauten hier: "2 Ein forschungsgeschichtlicher Überblick, bezogen auf das Buch der Richter bzw. die Kap. 17-18, mit besonderer Akzentuierung der ab 1967 einsetzenden synchronen Untersuchung der Komposition dieses Buches // 3 Ri 17-18: Der Text und seine Übersetzung // 4 Ri 17-18 im weiteren Kontext von Gen-2Kön und im engeren Kontext des Richterbuches // 5 Ri 17-18: Die Zeitstruktur, die Raumstruktur sowie die Synchronisation der parallelen Erzählstränge in Ri 18 // 6 Ri 17-18: Szenen und Teilszenen // 7 Ri 17-18: Eine sukzessive Exegese // 8 Ergebnisse der synchronen Exegese von Ri 17-18 sowie daraus abgeleitete Implikationen für die alttestamentliche Exegese generell".

Angesichts solcher Inkonzinnität im formalen Bereich ist der Verdacht nur schwer zu unterdrücken, das erstgenannte Gliederungssystem solle lediglich dazu dienen, den Leser im Sinne einer Selbstqualifikation des Autors zu leiten. Darauf weisen zumindest die gewählten Sprachbilder: "Laufen/Führen"; besonders auffällig: "Vorläufer" - man denkt unwillkürlich an Mt 3,11par. Ein missionarisch-belehrender Zug ist denn auch durch das ganze Buch hindurch auf Schritt und Tritt wahrzunehmen. Dass sich der Vf. seinerseits Belehrungen gegenüber relativ resistent zeigt, passt zu diesem Eindruck. So viel zu Formalien, doch nun zum Anliegen der Arbeit:

U. F. W. Bauer erklärt - angesichts eines gegenwärtig verbreiteten Forschungsansatzes wenig überraschend - Ri 17-18 als fiktionalen Text. Dabei verwendet er das Stichwort "fiktional" freilich in einer so spezifischen Weise in Opposition zu jedem möglichen Bezug auf (historische) Wirklichkeit, dass ihm darin- wie er selbst sieht - nicht einmal sein Gewährsmann F. C. Maatje noch folgen könnte (B. spricht von "Nicht-Referentialität"; vgl. zum Ganzen 26 f. bzw. 440-445): Fiktionalität steht hier in absolutem Gegensatz zu Historizität, und so kann B. - fast wie ein Kirchenvater, der sich auf den allegorischen Schriftsinn beschränkt - den Text so lesen, als ob all das, woran sich nicht nur die modernen Leser stoßen, nicht im Text stünde. Nur wer sich dem Exegeten B. als "Führer" anvertraut, erfährt, worauf der Text zielt; wer auch nur ein Wort historisch für bare Münze nimmt, erweist sich als ahnungslos. Überspitzt gesagt: Ri 17-18 gehört für B. offenbar zum Typus der 70 Geheim-Bücher, die Esra nur Weisen übergeben durfte (vgl. 4 Esr 14,45 ff.).

Zugleich plädiert B. massiv für eine synchrone Exegese, was zwar ebenso in dem aus dem angelsächsischen Bereich über Holland in den deutschsprachigen Raum vordringenden Trend liegt, aber in der Pauschalität, mit der diese Form der Exegese als der Weisheit letzter Schluss verkauft wird, doch zu hinterfragen ist. Dies gilt umso mehr, als der in den 80er Jahren entwickelte methodische Zugang J. P. Fokkelmans zu den Texten, dem sich B. unbeschadet neuerer Entwicklungen vorbehaltlos verschrieben hat - der einschlägige Abschnitt trägt den wenig aussagekräftigen Titel: "Eine umfassende Definition von Stil und Struktur, ein Textmodell, die Aufgabe der synchronen Exegese und die kolometrische Typographie" (40-47), die konkrete Anwendung findet sich am Beginn von Teil III (111-117) -, in der Fachwissenschaft aus guten Gründen wenig Anhänger gefunden hat (vgl. dazu u. a. Rez., JBVO 3, 2000, 7.12; Anm. 31. 51): Der Raum, den Fokkelmans voluminöse Analysen zu den Samuelisbüchern in Bibliotheken einnehmen, steht jedenfalls in einem offenkundigen Missverhältnis zu ihrer Bedeutung in der Fachdiskussion.

Mit der schematischen Übernahme der "kolometrischen Typographie" Fokkelmans hat sich B. aber nicht nur im Blick auf deren geringe Akzeptanz forschungsgeschichtlich in eine problematische Randposition begeben: Er hat vielmehr schlicht die ganze neuere Diskussion um Transkription und Textanalyse nach syntaktischen Kriterien (die Fokkelman bei der Entwicklung seines Systems noch nicht kennen konnte) übergangen: Im Literaturverzeichnis erscheint z. B. kein einziges der dafür einschlägigen Werke W. Richters, nicht einmal die BHt - B.s Horizont reicht nur bis zur kolometrischen Gliederung von Buber-Rosenzweig (119-126; vgl. zur philologischen Problematik dieses Werks u. a. A. R. Müller, ATSAT 14)! Und dort, wo B. den Versuch macht, wenigstens ein bisschen auf neuere Ansätze außerhalb der Schule Fokkelmans einzugehen - so bei seinem Verweis auf einen Aufsatz von O. Loretz in ZAW 98 (47, Anm. 79) - erweist er sich insofern als wenig kompetenter Rezipient, als Loretz Kolometrie ja lediglich als eine Methode zur Analyse poetischer Texte propagiert hat - und dazu kann Ri 17-18 doch wohl kaum gezählt werden.(1)

Wie dem auch sei: Wer auch nur eines der Werke Fokkelmans zu lesen versucht hat, weiß, was ihn auch bei B. - noch breiter ausgeführt - erwartet. Die beiden Kapitel Ri 17 und 18, die - nach welchen Kriterien auch immer - a priori als "wertvoll" qualifiziert werden (u. a. 26; 424), liest B. - unbeschadet aller von der kritischen Forschung herausgestellten Spannungen und Widersprüche und unberührt von Erkenntnissen der Textkritik, die die Identifikation des MT mit der Bibel (so 37) in Frage stellen - als einen in sich konsistenten und kohärenten Text, der nicht nur in sich wohlgeformt ist (B. findet u. a. Ringstrukturen und Symmetrien), sondern der zugleich theologisch weit über sich hinausweist: Nach Auffassung von B finden sich in Ri 17-18 Bezüge zu den unterschiedlichsten Texten aus Gen bis 2Kön - explizit genannt seien hier nur der Dekalog und die im Titel zitierte Stelle aus Num 14,41. Kurz, die beiden Kapitel repräsentierten nach der Sicht B.s so etwas wie eine "Summe" (nach-)deuteronomistischer Theologie: Was der naive Leser, der die Fiktionalität des Textes nicht durchschaut, als eine krude Räubergeschichte aus der vorköniglichen Zeit in Israel wahrnimmt, entpuppt sich dank der hermeneutischen Hilfe B.s als hochtheologischer bzw. -moralischer Traktat aus der Endzeit der Kanonbildung!

Dass der Rez. dem Autor auf diesem Wege nicht folgen kann und es für anmaßend halten muss, wenn B. aus seinen problematischen Ausführungen auch noch Folgerungen "für die alttestamentliche Exegese generell" zieht (415 ff.; bes. 445-447), geht schon aus dem bisher Gesagten wohl mit hinreichender Deutlichkeit hervor. Abschließend sei zur Begründung dieser Position immerhin noch auf zwei weitere Aspekte verwiesen, die B.s Vorgehensweise als fragwürdig erscheinen lassen. Zum einen ist der sprachwissenschaftlich informierte Leser irritiert, welche hebraistischen Quellen B. benutzt und welche er übergangen hat.(2) Obwohl innerhalb der neueren Hebraistik die Unzulänglichkeiten des Lehrbuchs von W. Schneider hinreichend breit diskutiert worden sind, wiederholt B. nach wie vor dessen (von A. Niccacci noch vertiefte) Fehleinschätzungen. Die einschlägigen Werke von W. Groß, E. Jenni und W. Richter - um nur drei besonders profilierte und international anerkannte Hebraisten zu nennen - hat B. demgegenüber überhaupt nicht zur Kenntnis genommen.(3) Kritik verdient zum anderen der forschungsgeschichtliche Teil, wenn auch aus anderen Gründen: Hier in Teil II hat B. zwar nahezu alles zusammengestellt, was in den letzten rund zwei Jahrhunderten zu Ri 17-18 publiziert wurde, aber in einer Weise, dass man eher an den Ausdruck aus einem Zettelkatalog erinnert wird als an eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Argumenten früherer Forscher. Weniger (und graphisch besser aufbereitetes Material) wäre hier mehr gewesen.

Fussnoten:

1) Bauer dürfte hier (einmal mehr) das Opfer mangelnder Sorgfalt im Umgang mit fremden Positionen geworden sein. Für ihn fallen die Begriffe "literarisch" und "poetisch" weitgehend zusammen (vgl. etwa 447) - Loretz dagegen geht von der alten Differenzierung von Prosa und Poesie aus.

2) Die Mängel an philologischer Kompetenz beschränken sich übrigens nicht nur auf den Umgang mit Fragen der Hebraistik: Mit Verwunderung liest man z. B. die Formulierung "in dubio contra reo" (sic 419!).

3) Analoges gilt für das in der gleichen Tradition stehende Lehrbuch des Rez., obwohl es überraschenderweise im Literaturverzeichnis und in einer Anmerkung (25, Anm. 27) erscheint; letztere zeugt davon, daß Bauer das Buch allenfalls eklektisch gelesen haben kann und belegt zudem, wie wenig kompetent er selbst mit offen zu Tage liegenden sprachlichen Fakten umzugehen versteht.