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Ausgabe: | November/1998 |
Spalte: | 1120–1123 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Ethik |
Autor/Hrsg.: | Meckenstock, Günter |
Titel/Untertitel: | Wirtschaftsethik. |
Verlag: | Berlin-New York: de Gruyter 1997. XII, 415 S. 8 = de Gruyter-Studienbuch. Kart. DM 48,-. ISBN 3-11-015558-3. |
Rezensent: | Andreas Pawlas |
Zu den erfreulichen Aufbrüchen der jüngeren Zeit gehört, daß endlich das jahrelange, weitgehende "Nichtverhältnis" von Wirtschaft und Theologie bzw. Ethik im Rahmen der recht neuen Disziplin der Wirtschaftsethik zur Bearbeitung kommt. Dabei werden sowohl bemerkenswerte Schritte seitens der Wirtschaft unternommen als auch seitens der Theologie: Nachdem Arthur Rich die 57jährige Pause nach Wünschs Evangelischer Wirtschaftsethik von 1927 im Jahre 1984 (1990) durch seinen viel beachteten Entwurf beendet hatte, legt nun der Kieler Systematiker Günter Meckenstock seine Wirtschaftsethik vor. Und das hat guten Grund. Denn nur zu offenkundig machen die "Instabilitäten und Dysfunktionalitäten der Wirtschaft hinsichtlich der Natur (Umwelt), der globalen Gerechtigkeit (Nord-Süd-Konflikt) und in der sozialen Zuordnung der Wirtschaftsfaktoren ... auch für ein funktionalistisches Wissenschaftsverständnis die Frage unabweisbar, welche moralischen Wertsetzungen für die Krisenbewältigung erforderlich sind" (39).
Hatte sich Rich noch konzentrieren wollen auf Fragen der wirtschaftsethischen Grundlegung und dann der damals noch so brennenden Gegensätze der Wirtschaftssysteme, so geht es M. nun um eine umfassendere Vorgehensweise, um ein möglichst umfassendes System. Aufgabe der Wirtschaftsethik sei dabei, "die wirtschaftlichen Prozesse und Strukturen im Blick auf deren Tauglichkeit und Angemessenheit zum Tun des Guten" zu thematisieren (4). Sie wolle dabei "die ontologischen, kosmologischen, anthropologischen und epistemologischen Voraussetzungen erhellen, die von der Wirtschaftswissenschaft gemacht werden" (42). Er setzt voraus, daß derjenige, der einsehe, was als gut zu tun sei, auch den Drang habe, es zu tun. Ohne diese Prämisse gebe es keine Ethik (14). Und theologisch ergebe sich dann die "Grundaufgabe, die durch geschichtliche Erfahrungen und theologische Reflexion geprägte Perspektivität des christlichen Glaubens fruchtbar zu machen für eine auf allgemeine Geltung abzielende vernünftige Moral" (45).
M. unterteilt seine Wirtschaftsethik in fünf Kapitel. Im ersten Kapitel "Grundlegung der Wirtschaftsethik" entwickelt er sodann für sein System als formale Kriterien der Vorzugswürdigkeit moralischer Maximen: Allgemeinheit (80) und Kohärenz (82). Als materiale Kriterien der Vorzugswürdigkeit moralischer Maximen sieht er dagegen Freiheit (85), Gleichheit (86), Gerechtigkeit (89), Personalität (90) und Toleranz (93). Unter dem Rubrum "Theologische Impulse" nimmt er daraufhin den biblischen Eigentumsschutz (96), den Schutz der Armen (97), die Kritik des Reichtums (99) und das Arbeitsgebot (101) auf. Unter der Überschrift "Historische Linien" setzt er sich ferner mit der mittelalterlichen Scholastik (102) hinsichtlich der Gerechtigkeitsidee (besonders bei Thomas), mit der reformatorischen Theologie (104) hinsichtlich der Berufslehre und der Zinsfrage auseinander. Erfreulich sind auch die nicht zu knappen Hinweise auf die katholische Soziallehre: von "Rerum Novarum" von 1891 bis "Centesimus annus" von 1991 (109 ff.). Sodann wird die deutschsprachige evangelische Soziallehre bilanziert (116 ff.), von V. Oettingen bis zur Denkschrift der EKD "Gemeinwohl und Eigennutz" von 1991 bzw. den weiteren gemeinsamen evangelisch/katholischen Worten der Gegenwart.
Systematisch-theologisch geht es ihm in seinem wirtschaftsethischen System vor allem um den Aspekt der Nächstenliebe (139). Die christliche Tradition bringt zudem die Gesichtspunkte der Geschöpflichkeit (140), Zeitlichkeit (143) und Gemeinschaftlichkeit (145) in die Wirtschaftsethik ein. M. wendet sich anschließend dem Begriff der Wirtschaft und deren Elementarbestimmungen zu (147 ff.). Bedauerlicherweise bezeichnet er es dann als "Maxime der Wirtschaftlichkeit", ... "einen möglichst geringen Aufwand zur Erzielung eines möglichst hohen Nutzens" zu betreiben (159). Damit gibt er jedoch das Wirtschaftlichkeitsprinzip in inoperabeler Weise vor - eine für auf Operabilität ausgelegte Ökonomie unglückliche Situation. Deshalb wird ökonomisch in der Regel gefordert, entweder mit gegebenen Mitteln möglichst viel zu erreichen oder ein gegebenes Ziel mit möglichst geringen Mitteln anzustreben.
Zur Gesprächsfähigkeit zwischen Theologie und Wirtschaft ist wichtig, daß M. Gewinnstreben und Vorteilsentscheidung grundsätzlich akzeptiert (160, 276). Damit ist aber gleichzeitig das Gespräch über die Frage nach der Wirtschaftsordnung eröffnet, wobei er nur zu Recht herausstreicht, daß jede Wirtschaftsordnung anthropologisch-kosmologische Grundentscheidungen impliziert (165). So sei die ethische Qualität einer Wirtschaftsordnung daran zu messen, ob sie Freiheit (Autonomie), Gleichheit (Armutseindämmung), Gerechtigkeit und Wohlstand fördere und ob sie mit Demokratie, Naturwelt und Frömmigkeit verträglich sei (166). Hier sieht dann M. auch den Ort, um in relativer Kürze die heutzutage nicht mehr so brennenden Unterschiede zwischen Zentralverwaltungswirtschaft und Marktwirtschaft anzureißen (167 ff.), eine Diskussion, die er in die Forderung nach einer "sozial geordneten nachhaltigen Marktwirtschaft" (175) auslaufen läßt; denn die "Marktwirtschaft bedarf eines staatlich gesetzten und sozialethisch reflektierten Ordnungsrahmens. Dieser muß die Fairneß des Wettbewerbs, sozialen Ausgleich, arbeitsrechtliche Sicherung, Umwelt, Schutz der natürlichen Umwelt, Stabilität und Beschäftigung durch globale Steuerung und eine angemessene Infrastruktur zu erreichen suchen" (176). Er vertieft dabei allerdings nicht die Frage, ob und wann alle diese sicherlich berechtigten Anforderungen und Erwartungen an den Staat ihn angesichts heutiger Ansprüche möglicherweise zu überfordern drohen.
Es ist wohltuend, mit welcher Klarheit M. in seiner dann folgenden Entwicklung des einzelwirtschaftlichen Marktmodells herausstreicht, daß es zwar sehr wohl auf Tausch, Vertragsfreiheit und Eigennutzoptimierung basiere, daß dabei aber notwendigerweise moralische Verhaltensmaximen implizit vorausgesetzt würden: denn "Tauschehrlichkeit, Vertragstreue und Loyalität geben die selbstverständliche Basis ab" (178).
Weniger für den Ökonomen als für den Theologen interessant, stellt M. im Fortgang die bewährten volkswirtschaftlichen Modelle vor, wobei allerdings durchaus der ethische Ernst dieser volkswirtschaftlichen Modellüberlegungen durchschimmert: Vom Modell der vollständigen Konkurrenz mit den bekannten Nachfrage- und Angebots-Kurven (179 ff.) geht es über die cob-web-Darstellungen zur Preisbildung (187) zum einfachen gesamtwirtschaftlichen Kreislaufmodell mit den Teilnehmern: Haushalte, Unternehmen, Vermögensänderung (192) und dann weiter zum erweiterten Kreislaufmodell (194) unter Einschluß der öffentlichen Haushalte und der Auslandsbeziehungen.
Völlig zu Recht kritisiert er dabei, daß in dieser Systematik nicht der Verbrauch von Umwelt und Ressourcen oder die Wirkungen von Schattenmarkt, Selbstversorgung, und ehrenamtlicher Tätigkeit erfaßt werden (196). Zu den Modellüberlegungen gehört ein Hinweis auf die wichtigsten Theorieschulen (196 ff.), ob angebotsorientiert, nachfrageorientiert oder ordoliberal, die dann auch noch einmal bei der Frage nach den Steuerungsmöglichkeiten der Wirtschaft bemüht werden (207 ff.). Unter der Frage nach den Faktoren der wirtschaftlichen Nutzenstiftung beschäftigt sich M. zunächst mit der Arbeit und fordert, daß sie der Wirtschaftlichkeit und Humanität verpflichtet sein soll (214) und geht dann auf das Phänomen der Arbeitsteilung (217 ff.), des Berufs (223 ff.) und der Beschäftigungsproblematik ein (225 ff.). Er muß aber auch trotz des brennenden Problems der Arbeitslosigkeit (230 ff.) einräumen, daß ein Recht auf Arbeit aus Art. 20 und 28 GG nur als Pflicht zur Beschäftigungspolitik ableitbar ist (234).
Es signalisiert, daß M.s Wirtschaftsethik auf der Höhe der Zeit mit ihren Umweltfragen ist, wenn er im Anklang an die klassischen Produktionsfaktoren "Arbeit, Boden, Kapital" nun von "Arbeit, Natur, Kapital" ausgeht. Dabei thematisiert für ihn der Umwelt- bzw. der Naturbegriff "die Vorgegebenheit der Weltphänomene, die dem menschlichen Freiheitshandeln entgegenstehen" (240). Er geht auf die aus den Grenzen des Wachstums (241) folgenden Konsequenzen für den Menschen ein, der eben nicht, wie Carl Amery und manche Theologen des 19. Jh.s Gen 1,26-28 mißverstanden, christlicherseits als Ausbeuter, sondern als cooperator dei (248) aufzutreten habe. - Es kann nur begrüßt werden, wie eindringlich M. die Aufnahme von Umweltschäden in die Kostenrechnung sowie eine Stärkung des Verursacherprinzips (250 f.) fordert. Unter den Schutzmaßnahmen müsse dem Prinzip der Vermeidung Vorrang vor dem Prinzip der Reparatur eingeräumt werden (253). Ferner tritt er für das Recycling und die Entwicklung naturfreundlicher Produktionsmethoden ein (254) und hält wenig davon, sich nur auf das Strafrecht zu verlassen.
Im Abschnitt über das Kapital (258 ff.) bezieht M. eindeutig laboristisch Stellung: denn "Arbeit geht immer dem Kapital voran. Produktive Kraft hat in einem strengen Sinne nur der Mensch" (261). Erstaunlicherweise entfaltet er in diesem Kapitel auch die wirtschaftsethischen Probleme des Geldes, streicht dessen Funktionen als Tausch-, Rechen- und Wertaufbewahrungsmittel heraus (266) und schildert die heutige Organisation des Geldwesens (267) bis hin zur ethischen Problematik der Inflation (269 ff.). Unter der Kapitelüberschrift "Funktionen der Wirtschaft" widmet er sich zunächst der Güterproduktion, wobei er auf die Knappheitsregel hinweist: Es soll eben das produziert werden, das die Menschen nachfragen und das dadurch knapp werde (275). Allerdings sei in der heutigen Zeit gefährlicher und komplexer Zusammenhänge eine Technologiefolgenabschätzung geboten (277). Was die Produktionsstrukturen und Produktionsorganisation anbelangt, so bleibe eben festzuhalten, daß die industrielle Produktionsweise auf einer "analysierenden und abstrahierenden Lebenshaltung" basiere (277), wie sie im Taylorismus kulminiert sei (278). Daraufhin geht er auf Gegenbewegungen wie die human-relations-Bewegung (280) ein, thematisiert aber auch die Fragen der Arbeitszeit (283), des Sonntagsschutzes (285f.) oder des Arbeitsschutzes (286) und nicht zuletzt die anstehende Revolution durch die Computerisierung (282).
Im Abschnitt über die Güterverteilung (288 ff.) sieht sich M. nachdrücklich unter das Gebot der Gerechtigkeit gestellt. Hier seien aber soziale Ungleichheiten unübersehbar (289). Offensichtlich sei auch nach dem Arrow-Paradox der Versuch der Wohlfahrtsökonomik gescheitert, eine soziale Wohlfahrtsfunktion aus gegebenen individuellen Präferenzen bei Beachtung demokratischer Prinzipien abzuleiten (298). Damit kann die Frage nach Verteilungsmaßstäben nicht aufgegeben werden, und es muß infolgedessen auf den Leistungsbegriff eingegangen werden. Hier macht M. zu Recht auf die Schwierigkeiten einer Leistungsbemessung aufmerksam - aufgrund einer Vielzahl von Bewertungsmaßstäben (Qualifikation, Verantwortung, Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten, körperliche und nervliche Belastungen). "Ein quantifizierender Vergleich bei verschiedenen Berufen ist unmöglich". Und weiter diagnostiziert er: "Die übliche Handhabung des Leistungsprinzips als Schlüssel für die Güterverteilung hat zirkuläre Struktur: Wer viel leistet, bekommt viel; daß er viel geleistet hat, zeigt sich daran, daß er viel bekommt" (305). Damit könne allerdings keineswegs nun alles von sozialstaatlichen Maßnahmen abhängen. Im Gegenteil: Es seien die bisherigen Verfahren sozialer Sicherung ins Wanken geraten durch Bevölkerungsalterung, Marktglobalisierung, Massenarbeitslosigkeit (308 ff.).
In seinem Blick auf die Strukturen der Wirtschaft (Kapitel V) erinnert M. daran, daß die strukturelle Neuordnung in Deutschland nach dem Krieg von christlichen Überzeugungen geprägt wurde (317), was z. B. auch in der Eigentumsordnung (320) wiedererkennbar ist. Gegen Locke usw. betont M., daß Eigentum nicht nur vom Staat garantiert, sondern auch gegenseitig anerkannt werden muß (320 f.). Damit ist auch ein innerer Zugang zum Thema Mitbestimmung (329) aufgetan, die eben nicht als gewerkschaftliches Spezialanliegen - natürlich geht er auch auf die Gewerkschaften (319 ff.) ein - diskreditiert werden darf, sondern durchaus etwa mit dem Demokratieprinzip oder der Überzeugung von der Würde des Menschen verbunden sei.
Hinsichtlich der Marktordnung und des Wettbewerbes hebt M. hervor, daß auf dem Markt nicht betrogen werden dürfe und Treu und Glauben gewahrt bleiben müssen. Da der Markt Selbstauflösungsstrukturen zeige, sei ein sozialer Rahmen und Erhaltung der Wettbewerbsstrukturen erforderlich (335). Und nur der marktwirtschaftliche Wettbewerb mit seiner Anstrengung erzeuge Effizienz und führe zur optimalen Allokation der Produktionsmittel, was wiederum das Gemeinwohl befördere (336 f.). Der Markt schaffe Anreize zur Innovation, egalisiere und begrenze Macht (337 f.). Natürlich sieht M. die realen Probleme eines unvollständigen Wettbewerbs (341), verweist aber auf die ethische Dimension des Kartellrechts und staatlicher Marktinterventionen (346 f.), ohne damit perfekte Lösungen durch Preisfestsetzungen, Subventionen, Steuern oder Zölle (347 ff.) zu behaupten. Ebenso seien hinsichtlich der globalen Entwicklung bemerkenswerte Ansätze zu einer verantwortlichen Ordnung der Wirtschaft unternommen worden. Hier verweist er auf die Entwicklung der Europäischen Union (359 f.), aber auch auf IWF, GATT, UNCTAD. Dennoch müsse vom Grundsatz der Gerechtigkeit her beklagt werden, daß Freihandel letztlich die Starken stärke und die Schwachen schwäche (363).
Eine nicht unbedeutende Rolle spielten hier Transnationale Unternehmen (364), die geschickt internationale Vorteile auszunutzen verstünden. Und gerade die Beziehungen der Industrie- zu den Entwicklungsländern sei durch solche "Multis" geprägt (365). Überhaupt sei hinsichtlich der Nord-Süd-Beziehungen und der Entwicklungspolitik die Bilanz staatlicher Hilfen im Gegensatz zu den kirchlichen Hilfsaktionen deprimierend (373). Er schließt im Sinne internationaler Verteilungsgerechtigkeit mit der Forderung nach Beseitigung ungleicher Startchancen im Interesse eines fairen Handels (374). Das entspricht seinem binnenwirtschaftlich ausgerichteten Schluß-Plädoyer mit der Forderung, "das Programm einer sozial geordneten nachhaltigen Marktwirtschaft politisch zur Geltung zu bringen". Denn das Programm einer sozial geordneten Marktwirtschaft bindet verantwortliche Eigeninitiative und soziale Verpflichtung zusammen; darin zeigt es seine Nähe zur christlichen Anthropologie" (376).
Es ist dem Werk M.s zu wünschen, daß es auf diese Weise nicht nur Anregungen und Orientierungen für Studierende der Theologie und Ökonomie bringt, sondern auch für diejenigen, die in dieser desorientierten Zeit in Staat und Wirtschaft, Kirche und Gesellschaft Verantwortung tragen.