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Ausgabe:

November/2000

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Görg, Manfred, u. Bernhard Lang [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Neues Bibel-Lexikon. Lfg. 13: Satan - Täuferbewegungen.

Verlag:

Zürich-Düsseldorf: Benziger 1999. Sp. 449-768. 4. Kart. DM 39,80. ISBN 3-545-23064-3.

Rezensent:

Rainer Stahl

In gewohnter Weise sollen auch aus der Lieferung 13 des Neuen Bibel-Lexikons einzelne Artikel hervorgehoben werden, womit natürlich die Gesamtleistung dieser Lieferung nicht zu würdigen ist. Solcher Spannung bleibt aber jede Rezension dieses Lexikons unterworfen.

Im Art. "Schasu" (464) argumentiert Görg von einem aktuellen Verständnisrahmen des Exodusgeschehens her, nämlich nicht dem der Flucht von Bevölkerungsgruppen aus Ägypten, sondern dem des Rückzugs Ägyptens aus Kanaan (s. u. Art. "Staat"). Die Schasu - eine seminomadische Bevölkerungsgruppe des 2. Jt. v. Chr., die bei den "südpalästinensischen Kupfergewinnungsstätten ... primär als Facharbeiter tätig gewesen sein mögen" - hätten "ihren spezifischen Beitrag zur Reduzierung der ägyptischen Dominanz über Palästina" geleistet.

Im Art. "Schilfmeer" (473 f.) nennt Görg drei mögliche Identifikationen: eine Gegend im nördlichen Bereich des Golfes von Suez, den nördlichen Golf von Aqaba oder einen Schilfdistrikt im Ostdelta des Nil, wobei m. E. alle drei in Spannung zu dem eben angedeuteten Neuverständnis des "Exodus" stehen (s. o., Art. "Schasu").

A. Moenikes hat einen entscheidenden Art. zum "Schemac Yisra'el" vorgelegt (489-492), indem er vier Deutungen referiert: Die Formel könne als Hinweis auf eine monojahwistische Abwehr von lokalen Aufspaltungen des Jahwekults verstanden werden, oder sie sicherte die Alleinigkeit Jahwes ohne jeden Hofstaat oder jede Gefährtin, oder sie sei henotheistisch zu verstehen und betone die Einzigartigkeit Jahwes unter allen anderen Göttern, oder sie proklamiere monolatrisch Jahwe als den wirklich einzig zu verehrenden Gott. Die "ursprüngliche Bedeutung" dieser Stelle bleibt "unklar". "Die monolatrische Auseinandersetzung mit Göttern neben Jahwe ... könnte etwa im 8./7. Jh. beheimatet sein, wenn man berücksichtigt, dass eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit Fremdgöttern erst ca. Mitte des 8. Jh.s belegt ist ... und andererseits die Exilszeit bereits (auch?) den Monotheismus kennt" (491).

Sehr zu danken ist Görg, dass er im Art. "Schoah" (496 f.) festhält: Für die Judenvernichtung durch deutsche Nationalsozialisten "ist die Bezeichnung ,Holocaust' wegen ihrer kultischen Konnotation im griechischen AT ungeeignet, während S.[choah] wenigstens teilweise die von Menschen verursachte Vernichtung anzeigen kann" (496). Gleichwohl fährt er berechtigterweise fort: "Für die Massentötung im unvorstellbaren Ausmaß ist freilich der Rückgriff auf biblische Terminologie und den herkömmlichen Sprachschatz problematisch, um so mehr, wenn die Frage nach Partizipation und Präsenz Gottes gestellt oder gar beantwortet werden will. Eine ,Theologie nach Auschwitz' ... muss in einem doppelten Sinn auch Theologie mit der S.[choah] sein, da es um eine bleibende Vergegenwärtigung des faktischen Ausmaßes menschlicher Perversion geht ... Deshalb müssen die Texte der Bibel ... im Glauben an den Schöpfer des Lebens und als Herausforderung zum Widerstand gegen Unmenschlichkeit jeder denkbaren Dimension gelesen und gedeutet werden" (496 f.).

Aus dem Art. "Schöpfung, Schöpfungslehren" von Görg und Hofrichter (498-504) hebe ich den Teil zu den Schöpfungstexten in der Genesis hervor: Görg rückt ägyptische Anregungen in den Vordergrund: "Besonders augenfällig aber ist das ägyptische Vorbild neben der beherrschenden Idee der S.[chöpfung] durch das wirkmächtige Wort Gottes bei der Rollenbestimmung des Menschen als ,Bild Gottes' ... in dessen Verantwortung für die Welt ... maßgebend geworden, da nunmehr alle Menschen in den Rang des königlichen Menschen gehoben werden ... (1,26-28)" (501). "Die P-Darstellung der S.[chöpfung] gipfelt in der Manifestation der göttlichen Ruhe, die schon in der memfitischen Theologie ... verankert ist ... So erscheint der S.sprozess letzten Endes als ein Festgeschehen, das die göttliche S.stat als ureigene Offenbarung des Vollenders schlechthin begreifen und feiern lehrt" (ebd.). Die aktuelle Spätdatierung des in Gen 2 vorliegenden Schöpfungsberichts wird als einleuchtend referiert, am Ende aber doch erwogen, dass dieser Bericht zusammen mit Gen 3 "unter dem Eindruck der gravierenden Umbrüche in der vorexilischen Zeit ... in der späteren Königszeit konstruiert worden sein" kann, aber auch "grundsätzlich schon während der frühen Königszeit denkbar" wäre (502). Diese Assoziationen finden eine Stütze im Art. "Sündenfall" desselben Vf.s (742 f.).

P. Trummer hat den richtungsweisenden Art. "Schriftbeweis" vorgelegt (518-521), in dem er festhält, dass "die Schrift in ihrer Ganzheit" den "Sinn des Jesusgeschehens" aufdeckt (518), dabei aber sowohl die alttestamentliche Überlieferung ihren eigenen Sinn durchaus behält und das Neue Testament nicht nur Verheißenes erfüllt, sondern qualitativ wirklich Neues formuliert (519).

Der Art. "Schuldknechtschaft" (vorgelegt von H. G. Kippenberg, 525-527) steht in sachlichem Zusammenhang zu dem über "Sklave, Sklavin" (vorgelegt von E. Lipinski und L. Schottroff, 616-620), indem er einen der Gründe beschreibt, die zur Versklavung führen konnten (526 oben). Allerdings hält er eine begriffliche und soziale Differenz zwischen "Sklave" und "Schuldknecht" fest (ebd.). Im Unterschied zu R. Albertz (Art. "Sabbatjahr", 395) führt er Neh 5 als Beleg für die Verbindung von Schuldenerlass und Sabbatjahr an. Hier hat m. E. R. Albertz recht, denn dort geht es um das königliche Recht des "Deror", der Freilassung, nicht um Sabbatjahr und Erlaßjahr.

Gegenüber dem Bibellexikon von H. Haag, das dieses Neue Bibel-Lexikon ersetzen soll, ist für den damaligen kurzen Art. "Sehen" ein ganz eigenständiger zu "Sehen und Schauen" von B. Lang (555-561) vorgelegt worden: Zuerst wird die "visuelle religiöse Erfahrung" vorgeführt - durch "Anblicken des Kultsymbols", durch "visuelle Effekte", durch "Sehen im bildlosen Kult" und durch die "Vision" (sowohl im Alten als auch im Neuen Testament). Sodann wird die "visuelle Erfahrung in lehrhafter Überlieferung" thematisiert - nämlich in der Mose-Tradition, in Ijob, im Johannesevangelium und in der Eschatologie. Es ist ein Verdienst dieses Artikels, dass Bedeutung und positive Bewertung visionärer Erlebnisse in der Bibel klar herausgestellt werden.

E. A. Knauf hat den Art. "Sinai" (606-608) beigesteuert und im Ergebnis einer knappen Diskussion der relevanten Belegstellen festgehalten: "Die S.[inai]-Perikope transformiert den Götterberg (zafon, Olymp; Zion?) als Wohnsitz der Götter zum Erscheinungsort des Himmelsgottes. Die S.tradition, die dieser theologischen Schöpfung vorausging, ist nur noch fragmentarisch zu greifen." Den alten Belegstellen (vor allem Ri 5,4) ist nicht mehr zu entnehmen, "was der S. war - ein Berg, ein Gebirge, eine Landschaft - ... noch weniger dessen genaue Lage ..." (607). Was aber deutlich ist, ist die Bedeutung dieser ,Größe', wird sie doch immer wieder so lokalisiert, dass eben diese Bedeutung zum Ausdruck kommt: "aus Gal 4,25 kann man schließen, dass die jüdische Gemeinde in Hegra um 40 n. Chr. eine Lokaltradition pflegte, wonach der S. in der Nähe ihres Wohnortes zu suchen sei, aber nicht, daß diese Überlieferung historisch zutrifft" (608).

Die Eckpunkte der Möglichkeiten der Auslegung der "Sintfluterzählung(en)" bezeichnet R. Oberforcher mustergültig (608-612) - sowohl im Hinblick auf denkbare Traditionslinien und historische Anknüpfungspunkte, als auch mit Blick auf die literarische Situation und die theologische Interpretation der Texte. Der Vf. referiert H. Seebass' Differenzierung zwischen J und P in Gen 6-9 und rechnet damit, dass "wohl auch die außerordentliche Fluttradition wohl [zweites "wohl" sicher zu streichen!] bis zur Endredaktion bekannt war" (610). Bei der Interpretation stellt er die Gesamtlinien heraus, die beide Werke prägt: "In erzähldramatischer Hinsicht orientiert sich die Komposition an der Grundspannung der Gefährdung und Wiederherstellung der Schöpfung ..." (610). "Die doppelte Gottesrede thematisiert die Überwindung der Schöpfungskrise und ihre nachflutliche, nun deutlicher der konkreten Erfahrungswelt angepaßte Restauration" (611) - wobei er sowohl auf Gen 8,21 als auch auf Gen 9 abhebt. Dankbar bin ich für diese Gesamtdeutung, denn sie stellt klar, dass wir nach Meinung der biblischen Texte in der nachflutlichen Welt leben und unseren Auftrag für den Umgang mit der Natur und dem Leben von der so beschriebenen Situation her abzuleiten haben.

L. Wehr stellt im Art. "Sohn Davids" (625) fest, dass es Matthäus daran liege, "seiner judenchristlich geprägten Gemeinde und auch der Synagoge gegenüber zu betonen, ,daß Jesus der Messias Israels ist' ...". Dazu ergänzend hat er im Art. "Sohn Gottes III" (der Art. "Sohn Gottes I-II" ist von M. Görg, 626 f.) festgehalten (627-630), dass "die ausdrückliche Titulierung des Messias als S.[ohn]G.[ottes] eine christliche Schöpfung" ist (628).

B. Lang hat den umfassenden Art. zur "Sozialgeschichte" beigesteuert (639-651 - übrigens auch neu gegenüber dem alten Bibellexikon H. Haags). Im ersten Teil skizziert er den aktuellen Wissensstand zu den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen (eine Ergänzung findet die Darstellung in seinem Art. "Staat", s. u.), im zweiten zu den religiösen und gesellschaftlichen. Den größeren Raum im zweiten Teil nimmt eine kurzgefasste Religionsgeschichte Israels ein, bei der immer auch soziale Zusammenhänge angesprochen werden. Am deutlichsten wird dies, sobald die "Religion als Erwerbsquelle" thematisiert (648) und die "soziale Zugehörigkeit der frühen Christen" erfragt wird (648 ff.; Sp. 647 oben muss es doch heißen: "Paulus ist in seinen Briefen ständig in Auseinandersetzung ..., deren Eigenarten im einzelnen schwer zu erkennen sind." Sp. 648 Mitte sollte "ausschließlich" doch zwischen "aus" und "schließlich" abgetrennt werden.).

B. Lang und S. Storoy haben den Art. zum Buch der Sprüche - "Sprichwörter" - vorgelegt (660-666). Spr 1-9 werden "als in sich geschlossenes Werk" gedeutet (661), Spr 10-29 als Sammlung poetischer Einzelsprüche, in der Spr 22,17-24,34 eine eigene Größe darstellen, Spr 30,1-14; 31,1-9 als "Rezeption fremdländischer Weisheit" (664) mit einer Erweiterung in Spr 30,15-33 und schließlich Spr 31,10-31 als eigenständiges Gedicht, womit bewährte Deutungsmuster festgehalten sind.

Der interessante Art. "Staat" ist von B. Lang (I) und M. Limbeck (II) (667-674). B. Lang dekliniert die drei Themenfelder "Organisation", "Ideologie" und "historische Wirklichkeit" (667) für den monarchischen Staat bis zum Ende der judäischen Monarchie jeweils für die Handlungsfelder "Regierung" (668), "Kriegführung" (668-670), "Wirtschaft" (670-671) und die Forschungslage (671-673) durch. Die von H. Kippenberg (s.o.) vorgeschlagene Differenzierung zwischen "Sklaven" und "Schuldknechten" wird nicht aufgenommen und von der "Freilassung von Schuldsklaven" gesprochen (668). Der Exodus wird bei Rezeption der These von R. Drews als "Untergang eines Kriegswagen und Pferde liefernden Schiffes im Mittelmeer" rekonstruiert: "Historisch gesehen zog nicht Israel aus Ägypten aus, sondern Ägypten zog sich aus Vorderasien zurück" (672). Deutlicher skizziert wird diese These vom selben Vf. noch im Art. "Streitwagen" (716-718), indem nun auch der biblische Beleg für R. Drews benannt wird: Ex 15,1.4-6.10 (!) (717). Das biblische Großreich von David und Salomo kommt eigentlich nur im Begriff "Salomosage" vor (668.670) und fehlt im Abschnitt "Kriegführung" völlig: "Die historisch glänzendste Zeit der beiden hebräischen Bruderreiche war die erste Hälfte des 8. Jh.s ...; in dieser Epoche besiegte König Jerobeam II. von Israel ... die Aramäer und König Asarja/Usija von Juda ... die Philister und andere Feinde" (670).

D. Oppel gibt im Art. "Stammbaum Jesu" (684 f.) eine faszinierende Deutung der Frauen im matthäischen Stammbaum: "Alle fünf Frauen stehen am Schnittpunkt von Leben und Tod, in ungewöhnlichen sexuellen Beziehungen, ohne daß eine direkte Intervention Gottes erfolgt. Gemeinsamer Nenner ... ist deshalb: Geburt im Fremden" (685).

Eine Darstellung und Interpretation aller bisher entdeckten Stelen gibt P. Welten mit dem Art. "Stele" (690-695), wobei er in Sp. 692 die "Haus Davids"-Stele genauer interpretiert (s. o., Art. "Staat" - 671.672). Nach der Praxis in diesem Artikel müsste in Sp. 693 zu Megiddo "S. von Schoschenk I." kursiv gedruckt werden.

Als Abschluss seien zwei theologisch ausgesprochen relevante Artikel zusammen hervorgehoben: der Art. "Sühne" von A. Schenker (720-727) und der Art. "Sünde" von A. Schenker (I) und L. Wehr (II) (728-741). So realistisch die biblische Anthropologie auch ist, letztlich vermitteln die biblischen Texte Hoffnung: "Schuld wird als Bruch mit Gott erfahren; Gott ist aber einer friedlichen Schlichtung zugänglich, denn er ist versöhnlich ..." (721). "Gott gegenüber besteht die S.[ünde] ... in der Weigerung, Gottes berechtigten Anspruch auf Autorität über Mensch und Welt anzuerkennen ... Der S.[ünde]r bestreitet Gott diese Vollmacht; es fehlt ihm die Ehrfurcht vor ihm ..." (730 f.).

Am Ende seien zwei formale Fragen gestellt: Warum wird öfter statt der eröffnenden eckigen Klammer - [ - ein s mit Akzent geschrieben s' (vgl. nur Sp. 607.608.626.690.702.717.718)? Warum steht immer wieder in den Literaturverzeichnissen statt ä ein Ê (vgl. nur Sp. 715.741)?