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Ausgabe:

November/2000

Spalte:

1103–1122

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Hütter, Reinhard

Titel/Untertitel:

"After Dogmatics"? Beobachtungen zur evangelischen Systematischen Theologie in den USA und in Deutschland an der Jahrhundertschwelle(1)

Il fut un temps où, pour la pensÈe philosophique et thÈologique europÈenne, la vie intellectuelle anglo-saxonne, amÈricaine en particulier, se rÈsumait pour ainsi dire à une note de bas de page. Aujourd'hui, on est tentÈ de dire que c'est presque l'inverse. Ce renversement à lui seul justifierait le prÈsent dossier; notre ignorance gÈnÈrale des dÈbats outre-atlantique en rend l'ouverture nÈcessaire.(2)

Bei der folgenden Lageskizze zur gegenwärtigen Situation evangelischer Systematischer Theologie in den USA und in Deutschland handelt es sich um ein Korreferat zu Gerhard Sauters umfassender Bestandsaufnahme "Evangelische Theologie an der Jahrtausendschwelle", die demnächst in der Reihe "Forum Theologische Literaturzeitung" erscheinen wird.

Der hier skizzierte Beitrag besteht aus zwei aufeinander bezogenen Teilen: einer umrißartigen Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Systematischen Theologie in den Vereinigten Staaten und von daher kommend einiger Wahrnehmungen und Anfragen zum gegenwärtigen Stand der Systematischen Theologie in Deutschland.(3) Dabei darf meine Berichterstattung aus den USA in ihrer Akzentuierung und Gewichtung bereits als indirekter Kommentar zur evangelischen Systematischen Theologie in Deutschland verstanden werden.(4) Denn die Frage "After Dogmatics?" stellt sich im Blick auf den Stand der evangelischen Systematischen Theologie ebenso im amerikanischen wie im deutschen Kontext. Beiderorts liegen hinreichende Indizien vor, die zu einer solchen Frage Anlaß geben. Eine Darstellung dieser natürlich in sich schon kontroversen Lage läßt sich auch kaum von ihrer Einschätzung und Beurteilung trennen. Wenn ich deshalb im Folgenden vor allem verheißungsvolle Kontinuitäten und Aufbrüche in den Blick zu nehmen versuche, wird sich an deren Eigenart bereits abzeichnen, daß ich die Frage "After Dogmatics?" auf ein verheißungsvolles "Toward Dogmatics" hin lesen möchte. (5)

1. After Dogmatics? Beobachtungen zum Stand der evangelischen Systematischen Theologie in den USA

Um die Dimensionen der folgenden Lageskizze recht in den Blick zu bekommen, muß ich einleitend Fontanes alten Briest bemühen. Bei der evangelischen Theologie in den USA handelt es sich wahrlich um "ein weites Feld." Sie findet sich in den ökumenisch geprägten Divinity Schools der großen privaten Universitäten wie Harvard, Yale, Duke, Emory, Vanderbilt und der University of Chicago ebenso wie an einigen religionswissenschaftlichen Abteilungen wie der vorzüglichen der University of Virginia; an alten methodistischen Universitäten wie der Drew University, der Southern Methodist University und der Boston University ebenso wie an den bedeutenden überregionalen und interkonfessionellen kirchlichen Hochschulen wie dem Union Theological Seminary in New York an der Ostküste und dem Fuller Theological Seminary an der Westküste; an den wichtigen konfessionell ausgerichteten kirchlichen Hochschulen, allen voran Princeton Theological Seminary, aber auch Luther Seminary, Lutheran School of Theology at Chicago, Garrett Evangelical Seminary und dem Konglomerat der Graduate Theological Union am Pazifik ebenso wie sogar an einigen katholischen Universitäten wie der University of Notre Dame, der Marquette University und der Loyola University of Chicago. Daneben gibt es noch eine Vielzahl anderer kirchlicher Hochschulen lutherischer, reformierter, anglikanischer, methodistischer, baptistischer und evangelikaler Provenienz. Schließlich wird evangelische Theologie im weiteren Sinne - wenn auch momentan in abnehmendem Maße, so doch immer noch in nennenswerter Weise - an den religionswissenschaftlichen und theologischen Abteilungen einer Reihe von Colleges gelehrt. Es seien hier stellvertretend für alle anderen die beiden lutherisch assoziierten Einrichtungen des St. Olaf College und der Valparaiso University genannt.6 Diese institutionelle und konfessionelle Vielfalt, in der sich die Systematische Theologie wiederfindet, ist konstitutives Grundmotiv der amerikanischen theologischen Landschaft. Es stehen dahinter im Grunde drei Grundmodelle, in denen sich theologische Lehre und damit auch Systematische Theologie in der Regel vorfindet: (1) an ökumenisch ausgerichteten, z.T. jedoch noch konfessionell geprägten bzw. verpflichteten Divinity Schools der großen Privatuniversitäten, (2) an konfessionell geprägten bzw. verpflichteten kirchlichen Hochschulen, (3) an religionswissenschaftlichen und theologischen Abteilungen (noch) kirchlich geprägter bzw. verpflichteter Colleges. Zwischenformen sind die ökumenisch und überkonfessionell ausgerichteten großen kirchlichen Hochschulen (Union Theological Seminary, Fuller Seminary) und die religionswissenschaftlichen Abteilungen von staatlichen Universitäten (University of Virginia), an denen es auf Grund mehr oder weniger kontingenter personeller Konfigurationen zu expliziter theologischer Lehre und damit auch Systematischer Theologie kommen kann.

Blickt man nun näher auf diese komplexen theologischen Formationen, so wird man schnell gewahr, daß es falsch wäre, sie vorschnell als "blühende Landschaften" anzupreisen. Um die agrarwirtschaftliche Metapher kurz zu bemühen: Für die evangelische Theologie in den Vereinigten Staaten insgesamt und insbesondere die Systematische Theologie gilt, daß die USA nicht nur ein Land der fruchtbaren Acker- und Weideböden, sondern zumindest ebenso ein Land der Wirbelstürme, Erdbeben, Wüsten und Steppen sind. Um dieses komplexe Gesamtbild zumindest anzudeuten, möchte ich zunächst einige Umbrüche und Abbrüche in dieser auf eigentümliche Weise zugleich fernen wie nahen theologischen Landschaft benennen und dann erst auf die verheißungsvollen Kontinuitäten und Aufbrüche eingehen, die ich in der gegenwärtigen protestantischen Systematischen Theologie der USA wahrnehme.

In den USA vollzog sich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren ein markanter, umbruchartiger theologischer Generationswechsel. Namen wie Carl Braaten, Paul van Buren, Brevard Childs, John Cobb, Edward Farley, Hans W. Frei, Brian Gerrish, Langdon Gilkey, James Gustafson, Philip Hefner, Frederick Herzog, Robert W. Jenson, Gordon Kaufman, George Lindbeck, John Macquarrie, Schubert Ogden und John Howard Yoder stehen neben vielen anderen für eine Generation, die das Gesicht protestantischer Systematischer Theologie der letzten 30 Jahre maßgeblich geprägt hat. Es war eine Generation, deren gescheiteste Köpfe unmittelbar in den Nachkriegsjahren unter H. Richard Niebuhr (Yale) und Paul Tillich (Harvard, University of Chicago) studierten und wenn nicht länger, so zumindest ein Jahr in Basel, Zürich, Heidelberg, Tübingen, Göttingen, Marburg, Erlangen oder Hamburg verbrachten und nicht allzu selten auch an einer dieser theologischen Fakultäten promovierten. Man las und sprach deutsch und blieb in regem Austausch mit der evangelischen Theologie im deutschsprachigen Raum. Ein bis zwei Generationen später hat sich das Blatt auf bemerkenswerte Weise gewendet. Es sind vergleichsweise nur noch wenige Studierende, die ihren Weg nach Deutschland finden, und deutsche Theologie wird in viel geringerem Maße rezipiert.(7) Dafür wurde in der Zwischenzeit die American Academy of Religion zum regelmäßigen Treffpunkt von systematischen Theologen aus Deutschland und anderen europäischen Ländern - insbesondere aus Skandinavien -, und es finden zunehmend Studierende und Doktoranden ihren Weg von Deutschland in die USA.

Zum Teil bedingt durch diesen Generationswechsel, aber auch durch den Wandel der geopolitischen Lage, durch das Abtreten der Vietnam- und Bürgerrechtsgeneration und die zunehmende Medialisierung und Ökonomisierung der Gesellschaft kam es zu überraschenden Umbrüchen und damit verbundenen weiteren Abbrüchen.

Nicht zu unterschätzen ist hier allem voran die Selbstauflösung des real existierenden Sozialismus in der Sowjetunion und bei deren vormaligen politischen Verbündeten. Dieser epochale politische Umbruch bezeichnet ziemlich genau das Ende der Befreiungstheologie in Lateinamerika(8) und im Rückschlag auch in den USA. Es wird zwar an befreiungstheologischen Motiven festgehalten, und es wird auch noch Befreiungstheologie gelehrt- aber eben schon in leicht historisierter Weise als eine distinkte theologische Tradition neben anderen.(9) Die sozial-utopische Dynamik, der Alleinvertretungsanspruch und das eschatologisch-revolutionäre Pathos sind dem stillen transitus von der Praxis zu den Praktiken gewichen, vom Makrokontext zu den Mikrokontexten, von der Strategie zur Taktik, von Marx zu Bourdieu und de Certeau.

Kontextuelle Theologien blühen in den USA zwar nach wie vor, aber nun in Form ökologischer (und animal rights) Theologien, feministischer Theologien und identitätsreflexiver und gruppenbezogener Kulturtheologien. Systematische Theologie steht hier in der großen Gefahr ihrer Balkanisierung, ihres Zerfalls in interessen- und identitätsbezogene Gruppentheologien. Deren spezifischer Referenzpunkt ist die "Macht" (in der Regel der anderen) und deren hermeneutisches Paradigma deshalb der machtförmige Interessenkonflikt in seiner gesellschaftlichen, kulturellen und intersubjektiven Vermittlung. Vielerorts feiert hier die Befreiung von vermeintlich gestrigen Verbindlichkeiten, die ja angeblich nur kontingente - und damit bereits ungerechte - Machtformationen maskieren, fröhliche Urstände. Und im Verbund mit einer unbedachten Rezeption der Postmoderne werden Pluralität, Ambiguität, Diskontinuität und Alterität zelebriert.(10)

Besonders in der Ausbildung an kirchlichen Hochschulen steht infolgedessen die Systematische Theologie in der unmittelbaren Gefahr, als kohärente und auf theologische Urteilsbildung zielende, zusammenhängende Darstellung und Reflexion des christlichen Glaubens untergraben und aufgelöst zu werden. Neben - wenn überhaupt - nur sehr oberflächlich angeeigneten biblischen Sprachen wird in der Exegese eine desorientierende Vielfalt von Lesarten biblischer Texte im Zusammenhang vage rekonstruierter, "ursprünglicher" Kontexte angeboten. Daneben kommt es dann sehr häufig nur zu einer allzu kursorischen Begegnung mit den Rudimenten der Kirchen- und Dogmengeschichte.

Vor diesem Hintergrund sehen sich die Studierenden einer systematisch-theologischen "Lehre" ausgesetzt, welche die bereits vorhandene Orientierungslosigkeit nur noch zu verstärken weiß. Denn im Rahmen der systematisch-theologischen Lehrveranstaltungen werden nur allzu oft die Studierenden ermutigt, sich aus der Vielfalt der Fragmente von Bibel und Tradition und durch den Filter ihrer persönlichen "Erfahrungen" gründlich revidierte, je eigene "konstruktive Theologien" für den Hausgebrauch zurechtzuzimmern. Folglich darf man - um es ganz milde zu formulieren - bei dem Großteil der Studierenden noch bei Studienabschluß nur sehr begrenzt und bedingt davon ausgehen, daß sie auf der Grundlage eines regelmäßigen Umganges mit der Bibel über eine solide Kenntnis elementarer theologischer Zusammenhänge verfügen, die sie bei der theologischen Urteilsbildung anleiten könnte. Weshalb sich unweigerlich die Frage aufdrängt, was geschehen würde, wenn Mediziner und Juristen ihren Patienten und Klienten mit einem ähnlich lückenhaften Kenntnisstand und begrenztem Urteilsvermögen gegenübertreten würden.

Für nicht wenige inneramerikanische Beobachter der Szene bietet deshalb die evangelische Theologie der letzten zwanzig Jahre - nicht nur an sich, sondern gerade auch in ihrer Auswirkung auf die theologische Ausbildung - nicht zu Unrecht ein schon apokalyptisch anmutendes Bild heilloser Zerfledderung und Auflösung in religiös verbrämte Interessen- und Identitätsreflexionen.(11) Stanley Hauerwas bringt es knapp und präzise auf seinen gerichtstheologischen Punkt: "Protestantism is dying in America and it is God who is killing it".(12) Es muß sich bei diesem Hauerwasschen Gerichtswort aber doch eher um eine bedingte Unheilsandrohung handeln. Denn es finden sich inmitten der sich in den letzten zehn bis zwanzig Jahren vollziehenden dramatischen Umbrüche und Abbrüche eben auch verheißungsvolle Kontinuitäten und Aufbrüche.

Zunächst gilt es schlicht festzustellen, daß trotz der eben benannten Um- und Abbrüche immer noch Systematische Theologien bzw. Dogmatiken auf hohem Niveau und im klassischen Sinne evangelischer Theologie geschrieben werden. Es sind theologische Entwürfe, die über die theologische Ausbildung immer auch noch Impulse in die jeweiligen kirchlichen Traditionen geben und auch den theologischen Diskurs nicht unmaßgeblich beeinflussen: Konzeptionell am anspruchsvollsten und kühnsten mit Sicherheit Robert W. Jensons zweibändige Systematische Theologie (13)(St. Olaf College; jetzt: Center of Theological Inquiry, Princeton), daneben aus baptistischer Tradition die bisher zweibändige Systematische Theologie von James McClendon(14) (Fuller Theological Seminary), außerdem die sehr kreativ angelegte einbändige Dogmatik von Christopher Morse(15) (Union Theological Seminary) und die dreibändige ausdrücklich auf den nordamerikanischen Raum bezogene Dogmatik des Kanadiers Douglas John Hall(16) (McGill University, Montreal). Erwähnt werden sollten auch noch die eher aus konservativ-evangelikaler Richtung stammende, dreibändige Systematische Theologie des Methodisten Thomas C. Oden(17) (Drew University), die mehrbändigen Studien zur Systematischen Theologie des Reformierten Donald G. Bloesch(18) (University of Dubuque) und das Dogmatiklehrbuch des Baptisten Stanley J. Grenz(19) (Regent College). Daneben finden sich Lehrbücher der Systematischen Theologie wie das des reformierten Systematikers Daniel Migliore(20) (Princeton Theological Seminary), eine in den achtziger Jahren verfasste, von Carl Braaten (Lutheran School of Theology at Chicago) und Robert Jenson (Gettysburg Theological Seminary; dann St. Olaf College) herausgegebene lutherische Gemeinschaftsdogmatik(21) und eine von dem methodistischen Systematiker Geoffrey Wainwright (Duke University) verfasste und am umfassenden Vollzug des Gottesdienstes in Liturgie, Lehre und Leben orientierte einbändige Dogmatik.(22)

Explizit in der liberalen Tradition stehen die anspruchsvollen, aber in ihrer völligen Abkoppelung von den Denkverpflichtungen der dogmatischen Tradition nicht unproblematischen, jeweils einbändigen Systematischen Theologien von Gordon Kaufman23 (Harvard University) und Peter C. Hodgson(24) (Vanderbilt University). In nicht wenigen dieser systematisch-theologischen Entwürfe und Lehrbücher wird neben dem europäischen Diskurs und der dogmatischen Tradition in ihren unterschiedlichen Ausformungen gerade auch der ökumenische Horizont offengehalten, in sachlicher, geographischer wie geschichtlicher Hinsicht. Das ist eine Offenheit und Weite des Blickes, die in der evangelischen Systematischen Theologie Deutschlands leider noch die löbliche Ausnahme zu bilden scheint.(25)

Zweitens: Im Rahmen der stark religionswissenschaftlich orientierten American Academy of Religion (AAR) ist eine zunehmende Präsenz systematisch-theologischer Arbeit zu verzeichnen. Neben den an einzelnen großen theologischen Persönlichkeiten und Entwürfen ausgerichteten Arbeitsgruppen (Schleiermacher, Tillich, Bonhoeffer) und dem der AAR vorgeschalteten Treffen der amerikanischen Karl-Barth-Gesellschaft gibt es seit geraumer Zeit innerhalb der AAR auch eine systematisch-theologische Arbeitsgruppe, eine Arbeitsgruppe zur reformierten Theologie und eine zur nachkritischen theologischen Schriftauslegung. Von diesem Jahr an werden sich auch lutherische und anglikanische systematische Theologen regelmäßig vor Beginn des Jahrestreffens der AAR im Rahmen einer eigenen Arbeitstagung treffen. Auch wenn sich diese Entwick-lungen angesichts der theologischen Gesamtlage als marginal ausnehmen mögen, sind sie in ihrer Langzeitbedeutung für den konstruktiven Fortgang des systematisch-theologischen Diskurses in den USA keineswegs zu unterschätzen.

Drittens: Gerade nicht in der Abschottung, sondern im lebendigen Austausch sowohl mit der gemeinsamen Tradition als auch mit gegenwärtiger katholischer und orthodoxer Theologie bleibt evangelische Systematische Theologie in den USA bei ihrer Sache. Hier gilt es insbesondere auf die vom Center for Catholic and Evangelical Theology herausgegebene Zeitschrift "Pro Ecclesia"(26) aufmerksam zu machen.(27) Es handelt sich bei dieser wichtigen ökumenischen Initiative weder um die letzthin in Deutschland so gerne verhöhnte, doch letztlich unersetzliche Ökumene der Kirchendiplomaten noch um die als "Ökumene" ausgegebene vorgestrige Kontroverstheologie der protestantischen Anti-Ökumeniker. Sondern es geht dabei um eine Ökumene des substantiellen theologischen Austausches, der sich aus Quellen einer gemeinsamen Tradition und Lehrbildung speist.(28) Hier setzt sich im amerikanischen Kontext eine Traditionslinie fort, die in der deutschen evangelischen Theologie insbesondere mit Namen wie Peter Brunner, Ulrich Kühn, Wolfhart Pannenberg, Albrecht Peters, Edmund Schlink und Gunter Wenz verbunden ist. Auch die ökumenischen Bemühungen Gerhard Sauters stehen, wenn auch im theologischen Akzent anders gelagert, letztlich in dieser Traditionslinie.(29)

Es gibt viertens eine Barthforschung und eine Barth gegenüber verpflichtete theologische Bemühung auf ausgesprochen hohem Niveau,(30) die sich überaus konstruktiv auf die Gegenstandskonzentration der amerikanischen Systematischen Theologie auswirkt. Nicht nur gehören die der AAR vorgeschalteten Treffen der amerikanischen Karl-Barth-Gesellschaft zu den theologisch fruchtbarsten und anspruchsvollsten. Es scheint sich darüber hinaus das Zentrum der aktiven Barthforschung und Barthrezeption in die USA zu verlagern - so zumindest die von dem Leiter des Baseler Barth-Archivs Hans-Anton Drewes auf einer letztjährigen Barth-Tagung in Princeton öffentlich geäußerte Beobachtung. Indizien dafür sind 1. das neue Center for Barth-Studies am Princeton Theological Seminary (unter Leitung von George Hunsinger), 2. der Tatbestand, daß die Karl-Barth-Gesamtausgabe womöglich nur auf der Basis amerikanischer Finanzierungshilfen weitergeführt werden kann, und 3. der bemerkenswerte Umstand, daß unter der Mitherausgeberschaft von Bruce McCormack nun zunehmend beachtenswerte englischsprachige Beiträge in der "Zeitschrift für dialektische Theologie" erscheinen.(31)

Fünftens muß nun endlich die lose gruppierte theologische Schule Erwähnung finden, ohne welche die Barth-Renaissance und die ökumenische Theologie in den USA ebenso wenig denkbar wären wie der theologisch verantwortete christlich-jüdische Dialog und die nachkritische Schriftauslegung. Es handelt sich hierbei um die mit den Namen Hans W. Frei(32), George Lindbeck(33), Brevard Childs(34) und David Kelsey(35) verbundene Yale-Schule, deren gemeinsames Zentrum im systematisch-theologischen Interesse an der Hermeneutik lag.(36) Auf unterschiedliche Weise verbunden mit dieser Schule sind außerdem Stanley Hauerwas(37) (Duke) und Ronald Thiemann(38) (Harvard). Der narrative Zugang zur Theologie in der Überwindung von neuprotestantischen Letztbegründungs- und damit Legitimationsstrategien ist das Markenzeichen der postliberalen Ausrichtung dieser Schule. In ihr haben sich auf äußerst fruchtbare und konstruktive Weise kontinentaleuropäische Traditionsstränge Systematischer Theologie mit spezifisch angelsächsischen Konfigurationen (analytische Philosophie und Wittgenstein; Pragmatismus; praktizierte Ökumene; starke jüdische Präsenz und Holocaust-Reflexion) verbunden. Es ist hochbedeutsam, daß die Yale-Schule fast noch mehr als über ihre programmatischen Schriften über ihre Schüler und Schülerinnen gewirkt hat, die heute an fast allen wichtigen theologischen Einrichtungen der USA lehren.

Sechstens muß auf die fruchtbare Auseinandersetzung der Systematischen Theologie mit philosophischen Gegenwartsströmungen hingewiesen werden.(39) Der aus der Yale-Schule stammende lutherische Systematiker und Lindbeck-Schüler Bruce Marshall (St. Olaf College) hat in seinem erst kürzlich veröffentlichten Buch "Trinity and Truth"(40) die von Frege her kommende analytische Tradition (insbesondere Dummett und Quine) für das Wahrheitsverständnis Systematischer Theologie fruchtbar gemacht. Dagegen versucht die hauptsächlich von britischen, hochkirchlich orientierten Anglikanern bestimmte Gruppe der "Radikal Orthodoxy"(41) in Auseinandersetzung mit der postheideggerschen Philosophie von Derrida und Levinas und in Rekurs auf neuplatonische Denkmuster, die Philosophie wieder auf ihren theologischen Kern zurückzuführen und diesseits von Hegel zu zeigen, dass die wahre Philosophie selbst letztlich nur Theologie sein kann. Aber auch von der Barthrezeption her finden sich beachtenswerte Auseinandersetzungen mit postmoderner Philosophie, insbesondere mit Derrida, bei Walter Lowe(42) (Emory) und Stacy Johnson(43) (Princeton Theological Seminary).

Fast im gleichen Atemzug muß siebentens eine dazu querlaufende Bewegung in der gegenwärtigen amerikanischen Philosophie Erwähnung finden. Analytisch geprägte Philosophen mit primär konservativ reformiertem Hintergrund nehmen sich zunehmend Themen an, die zum traditionellen Repertoire der Dogmatik gehören. Mit der weitgehenden Abkoppelung der Dogmatik von den Problemstellungen der klassischen Metaphysik wurde die Theologie für viele dieser christlichen Philosophen protestantischer Provenienz zu einem intellektuell unseriösen Unternehmen, infolgedessen die zentralen Gegenstände und Themen der Theologie nun eben von christlichen Philosophen zu behandeln sind. Die beiden überragenden Vertreter dieser Richtung sind Alvin Plantinga(44) (University of Notre Dame) und Nicholas Wolterstorff(45) (Yale). Das Gespräch zwischen Systematischer Theologie und dieser religionsphilosophisch-metaphysischen Rekapitulation klassischer Themen gestaltet sich jedoch als überaus schwierig. Denn die Philosophen tappen nicht nur, was den Problemstand und die aktuelle Diskussion der Systematischen Theologie angeht, völlig im Dunkeln. Vielmehr begegnen sie außerdem den dogmengeschichtlichen Fragestellungen ebenso wie den konkreten dogmatischen Problemstellungen mit offenem Desinteresse. Von Seiten der Systematischen Theologie wird deshalb - von wenigen Ausnahmen abgesehen - diese philosophische Rekonstruktion und Verteidigung der zentralen christlichen Glaubensinhalte weitgehend ignoriert. Das ist bedauerlich, denn ein wirkliches Gespräch könnte sich für beide Seiten als überaus fruchtbar erweisen.

Lebendig und anhaltend fruchtbar ist dagegen achtens der disziplinüberschreitende Austausch in drei andere Richtungen: Zunächst der zwischen Systematischer Theologie und den Naturwissenschaften. Neben der einschlägigen, im liberalen Protestantismus wurzelnden Zeitschrift "Zygon"(46) sind in dieser Hinsicht insbesondere das mit ihr verbundene und in Chicago gelegene Zygon Center for Religion and Science (ZCRS)(47) und das in Berkeley an der Westküste gelegene Center for Theology and the Natural Sciences (CTNS)(48) zu erwähnen, daneben auch der am Princeton Theological Seminary speziell hierfür eingerichtete Lehrstuhl, der zur Zeit von dem reformierten Südafrikaner Wenzel van Huyssteen(49) besetzt ist. Nahezu ebenso lebendig und impulsgebend ist mittlerweile auch das Gespräch zwischen Exegese und Systematischer Theologie50, bei dem die Patristiker mit zwei großen Reihenprojekten zur patristischen Exegese eine wichtige Vermittlungsrolle zwischen historisch-kritischer Exegese und Systematischer Theologie zu spielen beginnen.(51) Der dritte, sich noch erst am Horizont abzeichnende, aber vielerorts schon praktizierte Austausch ist der zwischen christlicher Theologie und anderen Religionen, insbesondere dem Islam und dem Buddhismus.(52)

Neuntens sei kurz auf zwei interessante Entwicklungen hingewiesen, die beide nicht unbedeutende Impulse in die Systematische Theologie zu geben versprechen. Zum einen zeichnet sich in der feministischen Theologie eine konstruktive Rückkehr zu klassischen Themen Systematischer Theologie unter Beibehaltung feministischer Einsichten und Anliegen ab.(53) Zum anderen gibt es das verstärkte Bemühen, den inneren Zusammenhang zwischen der konkreten christlichen Lebens- und Glaubenspraxis und den Glaubensüberzeugungen zu erfassen(54) und - in allerdings nicht unproblematischer Überspitzung - dies zum Hauptgegenstand der Systematischen Theologie zu machen.(55) Hier fließt zum Teil sowohl das Erbe der politischen Theologie auf neue und konstruktive Weise ein(56) als auch der post-neunundachtziger Übergang von der Makropraxis zu konkreten Lebenspraktiken.(57)

Nicht zuletzt werden über diese Rückkoppelungsschiene von Glaubensüberzeugungen und Praktiken auch die nicht zu unterschätzenden Impulse vermittelt, die vitale und innovative Gemeinden an die theologische Ausbildung und die systematisch-theologische Reflexion an den kirchlichen Hochschulen und Divinity Schools weitergeben.

Um diese Skizze von verheißungsvollen Kontinuitäten und Aufbrüchen abzuschließen, sei zehntens noch eine ganz besondere Institution erwähnt: das Center of Theological Inquiry in Princeton. An diesem theologischen Forschungszentrum ersten Ranges läßt sich auf vorzügliche Weise die unschätzbare Bedeutung ablesen, die Institutionen für den Fortbestand Systematischer Theologie zukommt. 1978 auf Initiative von James I. McCord, des vormaligen Präsidenten des Princeton Theological Seminary , und des schottischen Theologen Thomas F. Torrance speziell für das theologische Gespräch mit den Naturwissenschaften gegründet, hat sich das Center unter der neuen Leitung von Wallace Alston und Robert W. Jenson zum wichtigsten amerikanischen Forschungszentrum für die gesamte Theologie (mit Schwerpunkt auf Systematischer Theologie einschließlich des Gespräches mit den Naturwissenschaften) entwickelt. Zwölf "fellows" aus den USA, Europa und anderen Teilen der Welt arbeiten hier jeweils für ein halbes oder ein ganzes Jahr an ihren eigenen Projekten. Es findet daneben ein reger Austausch zu einem breiten Spektrum an Themen statt. Überdies werden die eigenen Projekte in regelmäßigen Treffen der konstruktiven wie kritischen Debatte aller "fellows" ausgesetzt, und schließlich werden zweimal im Jahr maßgebliche Theologen von außen zu Gastvorträgen und Gastseminaren eingeladen. Außerdem unterhält das Center mehrjährige Forschungsgruppen, zusammengesetzt aus Systematikern, Exegeten, Kirchen- und Dogmengeschichtlern, Naturwissenschaftlern und Philosophen zu Themen wie "Kritische und nachkritische Schriftexegese", "Eschatologie aus naturwissenschaftlicher und theologischer Sicht", "Glaube und Vernunft", "theologische Anthropologie" u.a. In seiner neuen eigenen Reihe "Theology for the Twenty-First Century" veröffentlicht das Center seit neuestem auch Arbeiten, die vor Ort von einzelnen "fellows" sowie von Forschungsgruppen verfasst wurden.(58) Die Langzeitwirkung dieser Institution auf den weiteren Weg der Theologie in den USA kann meiner Ansicht nach kaum überschätzt werden.

Trotz dieser verheißungsvollen Kontinuitäten und Aufbrüche bleibt die evangelische Systematische Theologie in den USA alles in allem ein fragiles und gefährdetes Unternehmen.(59) Denn in der theologischen Ausbildung unterstützen die breiten Trends 1. eine historistische bzw. gesellschaftspolitische Kontextualisierung - bei gleichzeitigem Wegfall einer umfassenden geschichtlichen und sprachlichen Bildung, 2. den Rekurs auf persönliche Erfahrung - bei gleichzeitigem Wegfall differenzierter Artikulations- und Reflexionsformen von Erfahrung und 3. die Abkoppelung von den theologischen Verbindlichkeiten der Tradition - ohne diese vielerorts überhaupt noch zu vermitteln. Mit all dem wird aber der Boden für das untergraben, worum es Systematischer Theologie in ihrem Kern zu gehen hat: um die in die theologische Urteilsbildung einmündende und einübende theologische Lehre.

Im Blick auf die großen Trends ist deshalb festzustellen: Der Docht glimmt - noch. Aber wie lange noch, bleibt eine brennende Frage. Wo jedoch der Docht noch glimmt, geht es eindeutig immer um "doctrina evangelii" und damit "doctrina christiana"(60). Mit der Frage nach dem Hören, Bedenken und Mitteilen des Evangeliums steht unweigerlich immer zugleich die Lehre zur Debatte und auf dem Spiel und zwar in all ihren Bezügen: in ihrer Schrifttreue im Dialog mit der Exegese, in ihrer Denkbarkeit in Auseinandersetzung mit Philosophie, Human- und Naturwissenschaften und in ihrer Relevanz für kirchliches und gesellschaftliches Handeln im Gespräch mit der praktischen Theologie und der Sozialethik. Einheit und Identität der Theologie scheinen genau dort gewahrt zu bleiben und in eines zusammenzutreten, wo immer neu mit der Lehre die theologische Urteilsbildung und mit der Urteilsbildung die Lehre auf dem Spiel steht.

Fragen wir nach den Bedingungen, unter denen sich diese in theologische Urteilsbildung mündende Lehre vollzieht, so drängen sich eine Reihe von Eigenschaften auf, die sich in je unterschiedlichem Maße, aber dennoch in großer Regelmäßigkeit dort abzeichnen, wo sich die eben im Umriß aufgewiesenen verheißungsvollen Kontinuitäten und Aufbrüche in der amerikanischen Systematischen Theologie finden. Ohne sie hier angemessen ausführen zu können, sind als die wichtigsten unter diesen Eigenschaften 1. theologische Wahrnehmungsfähigkeit, 2. theologische Lern- und Reaktionsfähigkeit und 3. ökumenische Dialogbereitschaft und Dialogfähigkeit zu erwähnen. Diese "öffnenden" Eigenschaften scheinen mit drei anderen Eigenschaften verbunden zu sein: 1. Konzentrationsfähigkeit auf die theologischen Sachfragen, 2. Widerstandsfähigkeit den dominierenden Zeitströmungen gegenüber und 3. eine mit hohem wissenschaftlichen Ethos verbundene Erinnerungsfähigkeit(61) - Eigenschaften, die nicht zuletzt 4. in die bemerkenswerte Mitteilungsfähigkeit amerikanischer Systematischer Theologie münden.

Last but not least müssen noch zwei Faktoren gesondert benannt werden, die meiner Ansicht nach für die verheißungsvollen Kontinuitäten und Aufbrüche der Systematischen Theologie in den USA mitverantwortlich sind. Das ist zum einen der tiefgehende Wurzelstock der Kirchlichkeit aller Systematischen Theologie. Die brennende Sorge um die Lage der Kirchen und Gemeinden, um Predigt, Lehre, Gottesdienst und gesellschaftliches Zeugnis, der stetige Austausch mit den Kirchenleitungen, der fortlaufende Kontakt zur Pfarrerschaft und zu den Laien, nicht zuletzt die eigene aktive Präsenz nahezu aller systematischen Theologen (ob ordiniert oder nichtordiniert) in Gemeinden hat eine tiefgreifende Auswirkung auf den unmittelbaren Vollzug Systematischer Theologie und auf ihren letzlich bei allem wissenschaftlichen Anspruch geistlichen Charakter. Aus diesem tiefliegenden und wie selbstverständlich vorausgesetzten Wurzelstock schießen dann in der Tat auch die bunten Triebe einer "öffentlichen Theologie", einer Theologie, die unmittelbar auf den gesellschaftlichen Diskurs einwirken will. Sie bezieht die Kraft ihrer Plausibilität jedoch aus dem verborgenen Wurzelstock einer ebenso intensiven wie differenzierten Kirchlichkeit weiter gesellschaftlicher Kreise, zu der sie jedoch selbst wiederum nichts beiträgt - der vielmehr seine Nahrung aus Quellen bezieht, die u. a. von kirchlich orientierten theologischen Bemühungen still aber stetig gespeist werden. Mit anderen Worten: der Erfolg jeglicher "öffentlicher Theologie" in den USA setzt immer schon das voraus, worum kirchliche Theologie sich in ihrem systematisch-theologischen Alltagsgeschäft ständig bemüht. Es ist schlicht unbedacht und vorschnell, wenn eine Reihe protestantischer Theologen in den USA um kurzfristiger Vorteile willen eine vermeintlich "öffentliche Theologie" von gesamtgesellschaftlicher Relevanz gegenüber einer angeblich in Binnenstrukturen gefangenen "kirchlichen Theologie" ausspielen wollen.

Bei dem zweiten Faktor handelt es sich um die institutionelle Pflege der Systematischen Theologie. Sie wird gestützt, gefördert und belebt durch ein Geflecht von großzügigen Forschungsfreisemestern, durch eine Reihe von Forschungsstipendien, die die Systematische Theologie und ihre spezifischen, u.a. auch normativen Frage- und Problemstellungen einbeziehen, und nicht zuletzt durch Institutionen wie das eben schon erwähnte Center of Theological Inquiry, aber auch durch eine Vielzahl von Konferenzen, Tagungen und theologischen Arbeitsgemeinschaften offizieller und inoffizieller Art.(62) Diese Kultur der institutionellen Pflege Systematischer Theologie, deren Initiative in einer Reihe von Fällen auf theologische Fakultäten, ebenso häufig jedoch auf Kirchen und individuelle Theologen zurückgeht, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

2. After Dogmatics?

Zum Stand der evangelischen Systematischen Theologie in Deutschland an der Jahrhundert
schwelle

Nun aber zur Lage der evangelischen Systematischen Theologie in Deutschland: Implizit hatte ich mich ja schon ständig auf sie bezogen. Diese Bezugnahme soll nun jedoch auch noch in expliziter Form geschehen. Zunächst drei knappe Wahrnehmungen zur Lage der Systematischen Theologie in Deutschland, wie sie sich angesichts der amerikanischen Lagebeschreibung einstellen.

a) Zum Stand der evangelischen Systematischen Theologie in Deutschland: Drei Wahrnehmungen

1. Die Blüte der Systematischen Theologien: Die postbarthsche Generation legt in reicher Fülle ihre Systematischen Theologien bzw. Dogmatiken vor, seien es Lehrbücher wie das von Wilfried Joest und Wilfried Härle, Kompendien wie das von Christopher Frey, ein- und mehrbändige Dogmatiken bzw. Systematische Theologien wie die von Gerhard Ebeling, Friedrich Mildenberger, Wolfhart Pannenberg und Edmund Schlink, Beiträge zur Systematischen Theologie wie die Jürgen Moltmanns oder eine nahezu abgeschlossene Handbuchreihe zur Systematischen Theologie mit Oswald Bayers großem Band "Theologie" als Einstieg. Zu erwarten sind zumindest noch die Systematischen Theologien von Eberhard Jüngel und Dietrich Ritschl. Im Lichte des dramatischen Rückganges der Zahl der Theologiestudierenden, der Stellenkürzungen an theologischen Fakultäten und der fundamental gewandelten Lesegewohnheiten der gegenwärtigen Studenten- und Pfarrerschaft stellt sich aber unweigerlich die Frage: Wer rezipiert den konzeptionellen wie inhaltlichen Reichtum dieser Werke? Wo ist ihre Leserschaft? In welcher Weise beeinflussen sie die theologische Urteilsbildung in den Kirchen? In welcher Hinsicht stellen sie überhaupt noch die zentralen Stützen in der systematisch-theologischen Ausbildung der Theologiestudierenden dar? Droht nicht inmitten dieses Reichtums an respektgebietenden systematisch-theologischen Leistungen der mehr oder weniger stille Abbruch an der konkreten dogmatischen Arbeit, einer Arbeit, deren Probleme und Lösungswege sich vermitteln über dogmatische Konzepte und Termini, die gelernt, sowie über dogmatische Denkerfahrungen, die verstanden sein wollen, bevor eine theologische Urteilsbildung möglich ist?(63) Dagegen drängt sich der Eindruck auf, als stünde die evangelische Systematische Theologie in Deutschland inmitten ihres Reichtums an dogmatischen Entwürfen kurz vor dem Verlust ihrer dogmatischen Diskurstradition. Mit dem Verlust ihrer Diskurstradition und der dazugehörigen Begrifflichkeit verliert die Systematische Theologie aber das Werkzeug ihrer Selbstverständigung.

Der schnellste Weg, diesen Verlust festzuschreiben und noch als Fortschritt auszugeben, scheint mir jedoch in der unbedachten Denunziation der dogmatischen Rede und Reflexion als theologische "Binnensprache" zu bestehen. Wer die über die dogmatische Rede und Reflexion sich vermittelnde theologische Diskurstradition um einer vermeintlich Allgemeinverständlichkeit erzeugenden Glaubensreflexion von einer abstrakten Außenperspektive willen aufzugeben bereit ist, verschleudert vorschnell und unbedacht das Werkzeug der gegenstandsbezogenen Selbstverständigung der Theologie, wie sie sich in ihrer Diskurstradition über Jahrhunderte ausgebildet hat.(64)

2. Die romantisierende Rückkehr zum 19. Jahrhundert: Anstelle von weiterführender und auf theologische Urteilsbildung zielender dogmatischer Arbeit wird vielerorts zunehmend eine theologiegeschichtliche Forschung betrieben, die ihre Wissenschaftlichkeit vor allem meint dadurch unter Beweis stellen zu müssen, daß sie sich jeglicher expliziten Ausrichtung auf die dogmatische Arbeit theologischer Urteilsbildung entschlägt. Dabei hat diese theologiegeschichtliche Konzentration eine durchaus programmatische Perspektive. Denn es handelt sich keineswegs um ein reines Zufallsprodukt des Forschungsbetriebes, daß neben Schleiermacher auch wieder Fichte gelesen wird- und in diesem Zusammenhang auch Hirsch klammheimlich neu zu Ehren kommt.

Es scheint mir hierbei in erster Linie nicht um eine an sich verständliche und als solche ja willkommene Aufarbeitung dessen zu gehen, was vom "Barthianismus" womöglich verdrängt bzw. vergessen wurde, sondern vielmehr und vor allem um zwei programmatische Revisionen: erstens um eine Revision des Verständnisses Systematischer Theologie von der normativ arbeitenden Dogmatik zur komparatistisch und sozialwissenschaftlich arbeitenden Kulturwissenschaft bzw. historistisch arbeitenden Geisteswissenschaft. In diesem Zusammenhang wird in romantischer Rückwendung ein nicht mehr existierender Kulturprotestantismus hypostasiert, der dann als Plausibilisierungshintergrund für eine allgemeine Religions- und Kulturtheorie herhalten muß, die wiederum als Legitimationsentlastung für das dienen soll, was es schon lange nicht mehr gibt: den Kulturprotestantismus. Einher geht damit zweitens eine Revision der Theologiegeschichte des 20. Jahrhunderts: die Dialektische Theologie als die große Störung, die verhängnisvolle Anomalie, die nun glücklich überwunden ist.(65) Neben diesen beiden Revisionen hat die romantisierende Rückkehr zu den großen Zeiten der deutschen protestantischen Theologie noch einen dritten Zweck: Sie entbindet die Systematische Theologie von der Aufgabe, sich anderen theologischen Diskursen zu öffnen, wie zum Beispiel dem angelsächsischen Diskurs und damit zugleich aktiv nachzuvollziehen, daß deutsche Systematische Theologie nicht mehr im Zentrum der weltweiten Aufmerksamkeit steht, sondern selbst in vielfacher Weise erneuerungsbedürftig ist. Zugleich erlaubt diese Rückwendung die Hypostasierung eines Protestantismus, der ebenso von allen fundamentalen ökumenischen Bemühungen zu dispensieren scheint wie er außerdem die tiefgehende gegenwärtige Krise evangelischer Kirchen wie evangelischer Theologie zu verdrängen hilft - dafür jedoch die fragwürdige Sicherheit der reinen Selbstbezüglichkeit bietet.

3. Die Blüte der Wissensproduktion: Eines der bemerkenswertesten Phänomene in der evangelischen Systematischen Theologie Deutschlands ist die stille, aber beharrliche Produktion vorzüglicher kritischer Werkausgaben und Lexika. Zu erwähnen sind allen voran die Kritische Gesamtausgabe der Werke Schleiermachers und die Karl-Barth-Gesamtausgabe und daneben die sich über die letzten fünfzehn bis zwanzig Jahre erstreckende Arbeit am Evangelischen Kirchenlexikon, an der Theologischen Realenzyklopädie und jüngst nun an der vierten Auflage der Religion in Geschichte und Gegenwart. Dies sind Leistungen, denen die evangelische Theologie des englischsprachigen Raumes wenig an die Seite zu stellen hat. Die fortlaufende Lexikonproduktion erzieht jedoch auch zu einer ganz bestimmten Art wissenschaftlichen Arbeitens in der Systematischen Theologie und bindet zunehmend die begrenzten Kräfte auf lange Zeit in einer primär enzyklopädistischen Denk- und Produktionsform.

Zugleich drängt sich die Frage von "Nutzen und Nachteil" dieser Produktionsform und der mit ihr zwangsläufig verbundenen Rezeptionsform auf: An wen richtet sich diese Wissensproduktion eigentlich und wobei soll sie hilfreich sein? Kann sie denn konkret erlernte und eingeübte exegetische, geschichtliche, dogmatische und ethische Urteilsbildung wirklich befördern oder gar ersetzen? Kann sie tatsächlich Orientierungswissen für theologische Urteilsbildung bieten? Wird die Rezeption dieses "Wissens" nicht selbst zunehmend autoreferentiell, d. h. weitgehend nur noch von denen wahrgenommen, die selbst Teil des Produktionsprozesses sind?

b) Zur Identität, Aufgabe und Zukunft evangelischer Systematischer Theologie in Deutschland

Ausgehend von dem, was die verheißungsvollen Kontinuitäten und Aufbrüche in der amerikanischen Systematischen Theologie kennzeichnet, drängen sich jedoch nicht nur diese Eindrücke zur gegenwärtigen Lage der evangelischen Systematischen Theologie in Deutschland auf. Vielmehr tritt damit zugleich ein vormals weitgehend selbstverständlicher, heute aber vielfach in Frage gestellter Sachverhalt vor Augen. Es handelt sich um das, was die Identität christlicher Theologie als solcher begründet. Um es schlicht und thetisch zu formulieren: Die Identität der Theologie ist ihr in und mit ihrem Gegenstand vorgegeben - Gott und Gottes Selbstmitteilung in Jesus Christus. Diese Identität wird von der Theologie weder begründet noch gesichert. Sie liegt der Theologie immer schon voraus und kann nur zum Vorschein treten - oder auch nicht. Sie tritt immer dann zum Vorschein, wenn die Systematische Theologie ihren Gegenstand derart bedenkt, dass sich in diesem Bedenken zugleich die Einheit der Theologie vollzieht. Exegetische, historische und praktische Theologie partizipieren an der Einheit der Theologie nur insoweit sie sich in ihren philologischen, historischen und hermeneutischen Denk- und Auslegungsvollzügen in letzter Instanz dem fundamentalen Gegenstand der Theologie stellen und sich damit in innere Verbindung zur Aufgabe der Systematischen Theologie begeben.(66)

Die Systematische Theologie hat mit allem Ernst und in aller Radikalität und Beharrlichkeit Gott und von hierher Mensch und Welt zu thematisieren. Daß diese Thematisierung immer zur verbindlichen Lehre führt, zu dem, was unter allen Umständen von Gott gesagt werden muß, und somit immer in theologische Urteilsbildung mündet, darin unterscheidet sich die Theologie bei all ihrer sonstigen Nähe fundamental von den Geistes-, Human- und Kulturwissenschaften, die sich letztlich immer von einer umfassenden Anthropologie her in den Blick nehmen lassen können. In der mit ihrem spezifischen Gegenstand vorgegebenen Identität und wissenschaftlichen Aufgabe, in der sich ihre innere Einheit vollzieht, liegt der einzige, aber auch zugleich der entscheidende Grund dafür, daß sich die Theologie in der Universität als eigenständige Fakultät zu organisieren hat.(67) Ihre Eingliederung in die Geisteswissenschaften bzw. die Umwandlung in eine religionswissenschaftliche Abteilung heißt zugleich, mit dem Gegenstand und der in und mit ihm gestellten Aufgabe die Identität und infolgedessen auch die innere Einheit der Theologie preiszugeben.(68)

c) Zehn Anfragen an ihren gegenwärtigen Vollzug

Ausgehend von dieser These drängen sich zehn Anfragen an den gegenwärtigen Vollzug der evangelischen Systematischen Theologie in Deutschland auf, Anfragen, die sich von den oben identifizierten verheißungsvollen Kontinuitäten und Aufbrüchen der Systematischen Theologie in den USA her stellen:

1. In welcher Weise und mit welcher Intensität stehen gegenwärtig evangelische systematische Theologen in Deutschland in innerer wie äußerer Verbindung mit der Lage der Gemeinden und Kirchen, und in welchem Grade sind sie selbst konkret am Leben einer Gemeinde beteiligt? In welchem Maße wird in diesem Zusammenhang theologisch wahrgenommen, gehört und gelernt? In welchem Grade lassen sich systematische Theologen von kirchlichen Fragestellungen her theologisch in die Pflicht nehmen?

2. In welcher Weise fällt der geistliche sowie der verbindliche Charakter(69) systematisch-theologischen Diskurses nicht einer enzyklopädistischen bzw. komparatistischen Wissenschaftlichkeit zum Opfer, sondern bleibt so gewahrt, daß die Sprach- und Denkbewegung der Systematischen Theologie (in all ihrer begrifflichen Rigorosität) für das Uneinholbare des Geheimnisses Gottes transparent - und somit in ihrer genuinen Wissenschaftlichkeit - erhalten bleibt?(70)

3. In welcher Weise bleibt die Erinnerung an die Tradition altkirchlicher, mittelalterlicher, reformatorischer und altprotestantischer Theologie eine Sache der lebendigen dogmatischen - und nicht lediglich historischen - Rezeption, so daß die in den Denkverpflichtungen der dogmatischen Tradition liegende innere Überzeugungskraft weiterhin wahrgenommen und für die gegenwärtige theologische Urteilsbildung fruchtbar gemacht werden kann?

4. In welchem Maße wird der kooperative und konstruktive Charakter der evangelischen Systematischen Theologie in Deutschland institutionell gefördert und gepflegt - über kooperative Projekte und kirchenrelevante Tagungen und Konferenzen mit dem ausdrücklichen Ziel der verbindlichen theologischen Urteilsbildung?

5. In welchem Maße ist die evangelische Systematische Theologie in Deutschland willens - gerade in einer Zeit empfindlicher Kürzungen und Stellenstreichungen an den theologischen Fakultäten - zusammen mit den Kirchen und auf innovativen Wegen des "fundraising" institutionsbildende Initiativen zu ergreifen, z. B. mit einem in Deutschland gelegenen, ökumenisch ausgerichteten Europäischen Forschungszentrum für Systematische Theologie und für interdisziplinären Dialog?

6. In welchem Maße öffnet sich die evangelische Systematische Theologie in Deutschland dem Diskurs in anderen Kontexten(71) - dem sich abzeichnenden neuen europäischen (auch osteuropäischen) Kontext ebenso wie dem nordamerikanischen und dem der emergierenden Kirchen Afrikas und Asiens - so, dass sie nicht nur zu geben, sondern auch zu nehmen bereit ist?

7. In welchem Maße ergreift die Systematische Theologie die Initiative bei der unvermeidlich anstehenden Reform des Theologiestudiums - und zwar so, daß der gegenstandsbezogene Charakter, die innere Einheit und die Zielbestimmung der theologischen Ausbildung klare Konturen bekommen?

8. In welcher Weise bemüht sich die evangelische Systematische Theologie in Deutschland intensivst um die bestmögliche dogmatische Ausbildung der Studierenden, um den fortlaufenden theologischen Kontakt zur Pfarrerschaft und um die im besten Sinne katechetisch-theologische Bildung von theologisch interessierten Laien?

9. In welchem Maße steht die Systematische Theologie im Zentrum des theologischen Lehr- und Ausbildungsauftrages, der ihr mit ihrem Gegenstand schlicht aufgegeben ist, in dessen umfassender wissenschaftlicher Wahrnehmung sich ihre innere Einheit vollzieht und zugleich ihr Fakultätsstatus gründet?(72)

10. In welcher Weise gewinnt die evangelische Systematische Theologie ihre innere Freiheit, indem sie sich als Fortsetzung einer Denkbemühung und einer Diskurstradition begreift, die weit älter ist als die relativ junge Erfindung der Universität? Inwieweit ist sie gerade deshalb frei, die entscheidende aktuelle Frage an die spätmoderne, technisch-positivistisch orientierte und forschungsversessene Universität - und ganz besonders an die Bildungspolitiker des "Standortes Deutschland" - zu stellen: In welcher Hinsicht und auf welcher Grundlage ist die "Universität" denn momentan in Deutschland überhaupt noch ein konsistentes Unternehmen? Hat sich die "Universität", die ohne die theologische und philosophische Denkbemühung in ihrem korporativen Zentrum meint auskommen zu können, nicht selbst bereits längst als Universität im weitesten Sinne aufgegeben?

Erst im Kontext der letzten Frage scheint mir die evangelische Theologie wieder wirklich in der Universität frei zu werden von allen in die Irre führenden Legitimationsstrategien für Gott und Gottes Handeln, dem sie in verbindlichem Zeugnis nachzusprechen und in der Strenge des Begriffes nachzudenken hat. Allein in dieser Freiheit, die Rechenschaft geben kann von der Hoffnung, in der sie gründet, empfängt die evangelische Systematische Theologie in Deutschland auch im neuen Jahrhundert ihre Zukunft und ihre Aufgabe. Nur wenn der noch glimmende Docht erneut von dieser Freiheit her Nahrung empfängt, wird er wieder in eine helle Flamme emporschlagen.(73)

Summary

This essay was prepared primarily for a German readership. It offers a set of observations about the situation of Protestant systematic theology both in the United States and in Germany. In its first half, the essay describes the most noteworthy as well as promising developments in American systematic theology by focusing on ten distinct phenomena. In addition, it points out significant threats to and challenges for the ongoing integrity of Protestant systematic theology in the United States.

In the second part, the essay focuses on the German situation. Instead of a detailed description, it first offers three broad observations, secondly, puts forth a constructive thesis about the identity, task, and future of Protestant systematic theology, and third, raises ten concluding critical questions about the present state of systematic theology in Germany. As the title conveys, the author regards the situation in both contexts as serious, but not hopeless. The future of systematic theology is in danger, but not irreversibly so.

Fussnoten:

1) Gerhard Sauter zum 65. Geburtstag. Gekürzte Fassung des Eröffnungsvortrages zu dem Symposion "Evangelische Theologie an der Jahrtausendschwelle" anläßlich von Prof. Dr. Gerhard Sauters 65. Geburtstag in Rengsdorf bei Neuwied vom 2.-4. Juni 2000. Dieser Beitrag ist Gerhard Sauter gewidmet, der sich wie wenige andere deutsche systematische Theologen über drei Jahrzehnte hinweg für einen wirklich fruchtbaren Austausch zwischen der angelsächsischen und der deutschen evangelischen Systematischen Theologie eingesetzt hat.

2) Klauspeter Blaser, Les thÈologies nordamÈricaines, Genf 1995, 5. Blasers an ein französischsprachiges Publikum gerichtetes Fazit hat m. E. nichts von seiner Aktualität verloren und gilt mit nur wenigen Abstrichen ebenso für den deutschen Sprachraum.

3) Im Folgenden unterscheide ich nicht zwischen den Begriffen "Systematische Theologie" und "Dogmatik". Auch wenn sich durchaus Differenzierungen vornehmen ließen (vgl. z.B. W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 1, 7 f.27 ff.), folge ich einfach dem zur Zeit schlicht gängigen Sprachgebrauch, demgemäß beide weitgehend als Synonyme verwendet werden, wobei der Begriff der "Sytematischen Theologie" der umfassendere ist, da er auch die theologische Ethik mit einschließt. Daß m.E. die theologische Urteilsbildung und damit der dogmatische Denkvollzug im Zentrum der Systematischen Theologie zu stehen hat, wird aus Folgendem von selbst ersichtlich.

4) Um die folgende Lagebeschreibung überschaubar zu halten, konzentriere ich mich auf die Dogmatik unter Ausschluß der theologischen Ethik, die einer eigenen differenzierten Behandlung bedarf - auch wenn sie integraler Bestandteil der Systematischen Theologie ist. Zur ersten Orientierung im Bereich der neueren angelsächsischen Ethik vgl. Hans G. Ulrich, "Theologische Ethik im englischsprachigen Kontext. Zur neueren Diskussion in Nordamerika", VuF 38 (1993), 61-84, und die ausführlichen Bibliographien in ders. (Hg.), Evangelische Ethik. Diskussionsbeiträge zu ihrer Grundlegung und ihren Aufgaben, München 1990, und ders. (Hg.), Freiheit im Leben mit Gott. Texte zur Tradition evangelischer Ethik, Gütersloh 1993.

5) Die folgenden Überlegungen werden aus der Perspektive eines in den USA lehrenden deutschen systematischen Theologen vorgetragen. Sie wollen und können also keine repräsentative amerikanische Sichtweise für sich beanspruchen.

6) Es gilt allerdings auf die tiefe innere Krise im (kirchlichen) Selbstverständnis vieler vormals fast durchgehend von verschiedenen Denominationen gegründeten und z. T. noch mit ihnen assoziierten Colleges hinzuweisen. Diese Krise spiegelt sich im zunehmenden Wegfall der vormals selbstverständlichen Pflichtlehrveranstaltungen im christlich-theologischen oder allgemein-religiösen Bereich. Vgl. zum Problemstand James Tunstead Burtcheall, The Dying of the Light. The Disengagement of Colleges and Universities from their Christian Churches, Grand Rapids 1998, und zu dem unter diesen Bedingungen konstruktiv Möglichen Robert Benne, Quality with Soul: Thriving Ventures in Christian Higher Education, Grand Rapids 2001.

7) Dies ist natürlich zu nuancieren und zu differenzieren. Auf das Ganze gesehen, wird deutsche Systematische Theologie unter Studierenden vielleicht in gar nicht so viel geringerem Maße rezipiert. Sie wird jedoch viel selektiver rezipiert, da die Deutschkenntnisse in bedauerlichem Maße nachgelassen haben. Es wird - besonders von den Studierenden und Doktoranden, aber auch von einer zunehmenden Reihe von Lehrenden - nur das wirklich ernsthaft und in breitem Rahmen wahrgenommen, was in englischer Übersetzung vorliegt. (Es wäre zu fragen, ob sich die deutsche Rezeptionsweise englischsprachiger Theologie davon wirklich unterscheidet!) Somit fällt der Übersetzungstätigkeit ebenso wie der Übersetzungspolitik überaus große Bedeutung zu.

8) Zur aktuellen Situation vgl. die in Argentinien lehrende protestantische Systematikerin Nancy Bedford, "What ever Happened to Liberation Theology?", Christian Century 116/28 (1999), 996-1000, und zur theologischen Bedeutung dieser Strömung vgl. den in Chicago lehrenden brasilianischen lutherischen Systematiker VÃtor Westhelle, Art. "Befreiungstheologie. II. Systematisch", 4RGG 1, 1210-1213.

9) Für einen der wichtigsten nordamerikanischen Vertreter der Befreiungstheologie, der auch im Brückenschlag zur deutschen evangelischen Theologie Bedeutendes geleistet hat, vgl. Frederick Herzog, God-Walk. Liberation Shaping Dogmatics, Maryknoll/NY 1988, und ders., From the Belly of the Whale. A Frederick Herzog Reader, hg. von Jörg Rieger, Harrisburg/PA 1999, und Theology and Corporate Conscience. Essays in Honor of Frederick Herzog, hg. von M. Douglas Meeks, Jürgen Moltmann, Frederick R. Trost, Minneapolis 1999.

10) Zu den Texten, auf die sich theologisch manchmal nur allzu schnell und gerne bezogen wird, gehören neben dem eher sperrigen Werk von Jacques Derrida zugänglichere Werke wie John D. Caputo, The Prayers and Tears of Jacques Derrida. Religion Without Religion, Bloomington 1997, Mark C. Taylor, Erring. A Postmodern Theology, Chicago 1984, ders., Altarity, Chicago 1987, und Charles E. Winquist, Desiring Theology, Chicago 1995.

11) Vgl. stellvertretend für eine Reihe von systematischen Theologen das Votum von Carl E. Braaten, "Gott und das Evangelium. Pluralismus und Apostasie in der amerikanischen Theologie", KuD 36 (1990), 56-71.

12) Hauerwas bezieht sich mit dieser verschiedentlich geäußerten, provokativen theologischen sowie kirchlichen Lagebeschreibung in erster Linie auf den traditionellen "mainline" Protestantismus, der sich - je nach Landstrich in unterschiedlicher Kombination - vor allem aus Baptisten und Methodisten, dann aber auch aus Anglikanern, Lutheranern und Reformierten zusammensetzt.

13) Robert W. Jenson, Systematic Theology. Bd. 1: The Triune God. Bd. 2: The Works of God, New York/Oxford 1997-1999. Vgl. auch die rechtzeitig zu Jensons siebzigstem Geburtstag erscheinende Festschrift Trinity, Time, and Church. A Response to the Theology of Robert W. Jenson, hg. von Colin E. Gunton, Grand Rapids 2000.

14) James W. McClendon, Systematic Theology. 2 Bde., Nashville 1986-1994.

15) Christopher Morse, Not Every Spirit. A Dogmatic of Christian Disbelief, Valley Forge/PA 1994.

16) Douglas John Hall, Thinking the Faith. Christian Theology in a North American Context, Minneapolis 1989; ders., Professing the Faith. Christian Theology in a North American Context, Minneapolis 1993; ders., Confessing the Faith. Christian Theology in a North American Context, Minneapolis 1996.

17) Thomas C. Oden, Systematic Theology, 3 Bde., San Francisco 1987-1992.

18) Donald G. Bloesch, Theology of Word and Spirit. Authority and Method in Theology, Downers Grove/IL 1992; ders., Holy Scripture. Revelation, Inspiration and Interpretation, Downers Grove/IL 1994; ders., God the Almighty. Power, Wisdom, Holiness, Love, Downers Grove/IL 1995; ders., Jesus Christ. Savior and Lord, Downers Grove 1997.

19) Stanley J. Grenz, Theology for the Community of God, Grand Rapids 22000.

20) Daniel L. Migliore, Faith Seeking Understanding. An Introduction to Christian Theology, Grand Rapids 1991.

21) Carl E. Braaten und Robert W. Jenson (Hg.), Christian Dogmatics. 2 Bde., Philadelphia 1984.

22) Geoffrey Wainwright, Doxology. The Praise of God in Worship, Doctrine, and Life. A Systematic Theology, New York 1980.

23) Gordon D. Kaufman, In the Face of Mystery. A Constructive Theology, Cambridge/MA 1993.

24) Peter C. Hodgson, Winds of the Spirit. A Constructive Christian Theology, Louisville 1994.

25) Unter den wichtigen Ausnahmen, die jedoch die Regel nur bestätigen, seien ausdrücklich Ingolf U. Dalferth, Jürgen Moltmann, Wolfhart Pannenberg, Dietrich Ritschl, Gerhard Sauter, Christoph Schwöbel, Hans G. Ulrich und Michael Welker erwähnt - um unter den Älteren Edmund Schlink nicht zu vergessen.

26) Pro Ecclesia. A Journal for Catholic and Evangelical Theology, Northfield 1992 ff.

27) Vgl. auch den aus einem mehrjährigen, vom Center for Catholic and Evangelical Theology initiierten und organisierten "Dogmatics Colloquy" hervorgehenden Band Knowing the Triune God. The Work of the Spirit in the Practices of the Church, hg. von James J. Buckley und David Yeago, Grand Rapids 2001.

28) Als paradigmatische Beispiele vgl. Carl E. Braaten, Mother Church. Ecclesiology and Ecumenism, Minneapolis 1998; Gabriel J. Fackre, Ecumenical Faith in Evangelical Perspective, Grand Rapids 1993; Robert W. Jenson, Unbaptized God. The Basic Flaw in Ecumenical Theology, Minneapolis 1992; Geoffrey Wainwright, Worship with One Accord. Where Liturgy and Ecumenism Embrace, New York/Oxford 1997.

29) Als wichtiger Teil dieser ökumenischen Bemühung muß auch die den jüdisch-christlichen Dialog verarbeitende Reflexion verstanden werden, die wichtige Impulse in die gesamte Systematische Theologie abgibt. Es sei hier neben dem Alterswerk Paul van Burens (A Theology of the Jewish-Christian Reality, 3 Bde., New York 1980-1988, und ders., According to the Scriptures. The Origins of the Gospel and of the Church's Old Testament, Grand Rapids 1998) besonders verwiesen auf R. Kendall Soulen, The God of Israel and Christian Theology, Minneapolis 1996, und Scott Bader-Saye, Church and Israel after Christendom. The Politics of Election, Boulder/CO 1999. Vgl. auch die neue von dem an der University of Virginia lehrenden jüdischen Religionsphilosophen Peter Ochs und dem an der Duke University lehrenden methodistischen systematischen Theologen Stanley Hauerwas herausgegebene Reihe "Radical Traditions", Boulder/Co Westview Press, 1998 ff., und nicht zuletzt die wichtigen Beiträge von Bruce D. Marshall, "The Jewish People and Christian Theology", in The Cambridge Companion to Christian Doctrine, hg. von Colin Gunton, Cambridge 1997, 81-100, und ders., "Israel. Do Christians Worship the God of Israel?", in Knowing the Triune God. The Work of the Spirit in the Practices of the Church, hg. von James J. Buckley und David Yeago, Grand Rapids 2001. Aus der Perspektive einer ebenso konstruktiven wie kritischen Barthrezeption vgl. zu diesem Thema auch Katherine Sonderegger, That Jesus Christ was Born a Jew. Karl Barth's "Doctrine of Israel", University Park/PA 1992. Zum Verhältnis von Israel und Kirche in der jüngsten evangelischen Theologie vgl. auch Gerhard Sauter, Evangelische Theologie an der Jahrtausendschwelle.

30) George Hunsinger, How To Read Karl Barth. The Shape of His Theology, New York 1991; ders., Disruptive Grace. Studies in the Theology of Karl Barth. Grand Rapids 2000; Bruce L. McCormack, Karl Barth's Critically Realistic Dialectical Theology. Its Genesis and Development 1909-1936, Oxford 1995; William Stacy Johnson, The Mystery of God. Karl Barth and the Postmodern Foundations of Theology, Louisville/KY 1997. Diese drei reformierten systematischen Theologen befinden sich zurzeit alle am Princeton Theological Seminary.

31) Vgl. neben Bruce McCormacks wichtigem Einzelbeitrag "Beyond Nonfoundational and Postmodern Readings of Barth: Critically Realistic Dialectical Theology" (ZDT 13 [1997], 67-95; 170-194), insbesondere die veröffentlichten Referate, die 1999 auf dem Barth-Symposion in Princeton gehalten wurden (ZDT 15 [1999], 5-92). Zum Teil über die aktive Barthrezeption läuft auch ein Teil der Erneuerung Systematischer Theologie in Großbritannien. Erwähnenswert ist hier insbesondere eine neue, reformatorisch verpflichtete, protestantisch orientierte, aber für andere kirchliche Traditionen offene Zeitschrift für Systematische Theologie: International Journal of Systematic Theology, hg. von Colin Gunton, John Webster und Ralph Del Colle, Oxford 1999 f.

32) Vgl. The Eclipse of Biblical Narrative. A Study in Eighteenth andNineteenth Century Hermeneutics, New Haven 1974; ders., The Identity of Jesus Christ. The Hermeneutical Bases of Dogmatic Theology, Philadelphia 1975; ders., Types of Christian Theology, hg. von George Hunsinger und William C. Placher, New Haven 1992; ders., Theology and Narrative. Selected Essays, hg. von George Hunsinger und William C. Placher, New York 1993. Vgl. auch die Festschrift für Hans W. Frei, Scriptural Authority and Narrative Interpretation, hg. von Garrett Green, Philadelphia 1987.

33) Zum Werk von George Lindbeck und seiner beachtenswerten Rezeption vgl. die Einleitung und Bibliographie in ders., Christliche Lehre als Grammatik des Glaubens. Religion und Theologie in einem postliberalen Zeitalter, hg. und eingel. von Hans G. Ulrich und Reinhard Hütter, übersetzt von Markus Müller, Gütersloh 1994, und die umfassende bibliographische Erfassung und umfangreiche Darstellung und Interpretation von Lindbecks Theologie in der erst jüngst abgeschlossenen Dissertation von Andreas Eckerstorfer, Kirche in der postmodernen Welt. Der Beitrag George Lindbecks zu einer neuen Verhältnisbestimmung der Kirche zur Welt, Salzburg 1999. Zur kritischen Auseinandersetzung mit Lindbecks Ansatz vgl. auch die Berner Habilitationsschrift von Matthias Zeindler, Gotteserfahrung in der christlichen Gemeinde. Eine dogmatische Untersuchung zur sozialen Dimension der Erfahrung des Dreieinigen, Bern 1999.

34) Vgl. insbesondere Brevard S. Childs, Die Theologie der einen Bibel, Bd. 1: Grundstrukturen, Bd. 2: Hauptthemen, übersetzt von Christiane Oeming, Freiburg/Br., Basel, Wien 1994-1996, und die Diskussion seines Programmes in den beiden Festschriften Canon, Theology, and Old Testament Interpretation. Essays in Honor of Brevard S. Childs, hg. von Gene M. Tucker, David L. Petersen, Robert R. Wilson, Philadelphia 1988, und Theological Exegesis. Essays in Honor of Brevard S. Childs, hg. von Christopher Seitz und Kathryn Green-McCreight, Grand Rapids 1999. Childs ist zwar Exeget, gab aber sehr wichtige hermeneutische Impulse an die Systematische Theologie. Nicht zuletzt sieht Childs sein Projekt in innerer Verwandschaft zu Friedrich Mildenbergers Biblischer Dogmatik.

35) The Uses of Scripture in Recent Theology, Philadelphia 1975.

36) Inzwischen hat sich an der Yale Divinity School allerdings ein nennenswerter Bruch mit der Yale-Schule vollzogen. Nach Hans W. Freis schmerzlich überraschendem Tod und der Emeritierung von George Lindbeck und Brevard Childs lehrt nur noch David Kelsey als dem Denken der Yale-Schule verbundener Theologe an der Yale Divinity School.

37) Zum umfangreichen Werk von Stanley Hauerwas vgl. die Bibliographie in ders., Selig sind die Friedfertigen. Ein Entwurf christlicher Ethik, hg. und eingel. von Reinhard Hütter, Neukirchen-Vluyn 1995, und Edmund Arens, "Kirchlicher Kommunitarismus", ThR 94 (1998), 487-500. Vgl. auch die Auseinandersetzung mit Hauerwas' Ansatz in der Berner Habilitationsschrift von Matthias Zeindler, a. a. O., Anm. 33.

38) Revelation and Theology. The Gospel as Narrated Promise, Notre Dame 1985. Thiemann ging später jedoch mit seinem Programm einer "Öffentlichen Theologie" andere Wege. Vgl. hierzu ders., Constructing a Public Theology. The Church in a Pluralistic Culture, Louisville 1991, und die kritische Auseinandersetzung mit diesem Programm bei Gerhard Sauter, Evangelische Theologie an der Jahrtausendschwelle.

39) Die theologische Zeitschrift "Modern Theology" (hg. von James J. Buckley und Jim Fodor unter Mitwirkung von L. Gregory Jones und Catherine Pickstock) macht sich besonders um die konstruktive Auseinandersetzung der Systematischen Theologie mit philosophischen Gegenwartsströmungen - vor allem der analytisch orientierten Philosophie und der poststrukturalistischen französischen Philosophie - verdient. Hauptsächlich in dieser Zeitschrift werden auch die konstruktiven Anstösse der Yale-Schule rezipiert und weitergeführt.

40) Bruce D. Marshall, Trinity and Truth. Cambridge 2000.

41) John Milbank, Theology and Social Theory. Beyond Secular Reason, Oxford und Cambridge/MA 1990; ders., The Word Made Strange. Theology, Language, Culture, Oxford und Cambridge/MA 1997; Catherine Pickstock, After Writing. On the Liturgical Consummation of Philosophy, Oxford und Cambridge/MA 1998; Graham Ward, Barth, Derrida and the Language of Theology, Cambridge 1995; ders. (Hg.), The Postmodern God, Oxford und Cambridge/MA 1997; Phillip Blond (Hg.), Post-secular Philosophy. Between Philosophy and Theology, London und New York 1998; Radical Orthodoxy, hg. von John Milbank, Catherine Pickstock und Graham Ward, London und New York 1999.

42) Walter Lowe, Theology and Difference. The Wound of Reason, Bloomington und Indianapolis 1993.

43) William Stacy Johnson, The Mystery of God. Karl Barth and the Postmodern Foundations of Theology, Louisville/KY 1997.

44) Alvin Plantinga, God and Other Minds. A Study of the Rational Justification of Belief in God. Ithaca/NY 1967, 21990; ders., The Nature of Necessity, Oxford 1974; ders., Warranted Christian Belief. New York/ Oxford 2000. Siehe außerdem Charles Taliaferro, Consciousness and the Mind of God. Cambridge/New York 1994 und die Fachzeitschrift dieser Strömung: Faith and Philosophy. Journal of the Society of Christian Philosophers, Wilmore/KY 1983 ff.

45) Nicholas Wolterstorff, Divine Discourse. Philosophical Reflections on the Claim that God Speaks. Cambridge/New York 1995; ders., John Locke and the Ethics of Belief. Cambridge/New York 1996.

46) Chicago 1966 ff.

47) Dieses Forschungszentrum wurde bis vor kurzem geleitet von dem lutherischen Systematiker Philip Hefner. Vgl. ders., The Human Factor. Evolution, Culture, and Religion, Minneapolis 1993.

48) Das Center wird geleitet von seinem Begründer Robert John Russell. Vgl. seine neueste Arbeit, Neuroscience and the Person. Scientific Perspectives on Divine Action, Notre Dame 1999. Vgl. auch die Arbeiten des mit dieser Einrichtung assoziierten lutherischen Systematikers Ted Peters, For the Love of Children. Genetic Technology and the Future of the Family, Louisville 1996; ders., Playing God? Genetic Determinism and Human Freedom, New York 1997; ders., Science and Theology. The New Consonance, Boulder/CO 1998.

49) Wentzel van Huyssteen, Essays in Postfoundationalist Theology, Grand Rapids 1997; ders. zus. mit N. H. Gregersen, Rethinking Theology and Science. Six Models for the Current Dialogue, Grand Rapids 1998; ders., Duet or Duel? Theology and Science in a Postmodern World, London 1998; ders., The Shaping of Rationality. Theology in Conversation with the Sciences, Grand Rapids 1999. - Vgl. zu den drei letztgenannten Titeln die ausführliche Rezension in ThLZ 125 (2000) 10, 1066-1071.

50) Hier wären zu nennen von neutestamentlicher Seite insbesondere Richard Hays (Duke), Echoes of Scripture in the Letters of Paul, New Haven 1989, und ders., The Moral Vision of the New Testament. Community, Cross, New Creation. A Contemporary Introduction to New Testament Ethics, San Francisco 1996, und Stephen Fowl (Loyola College of Maryland), Engaging Scripture. A Model for Theological Interpretation, Oxford, Malden/MA 1998, von alttestamentlicher Seite der Childs-Schüler Christopher Seitz (vormals Yale; jetzt St. Andrews), Word Without End. The Old Testament as Abiding Theological Witness, Grand Rapids 1998, von theologiegeschichtlicher Seite David Steinmetz (Duke) (Hg.), Die Patristik in der Bibelexegese des 16. Jahrhunderts, Wiesbaden 1999, und ders. (Hg.), The Bible in the Sixteenth Century, Durham 1990. Hinzuweisen wäre auch auf eine neue Kommentarreihe (Two Horizons Commentary), in welcher Exegese und Systematische Theologie reintegriert werden sollen. Vgl. den programmatischen Eröffnungsband Between Two Horizons. Spanning New Testament Studies and Systematic Theology, hg. von Joel B. Green und Max Turner, Grand Rapids 2000.

51) Bei Intervarsity Press erscheint die von Thomas C. Oden herausgegebene Reihe "The Ancient Christian Commentary on Scripture" (1998 ff.), und bei Eerdmans wird in Kürze die von Robert Wilken (University of Virginia) herausgebene Reihe "The Church's Bible" zu erscheinen beginnen.

52) Es sei hier stellvertretend die von dem am Wartburg Theological Seminary (Dubuque, Iowa) lehrenden lutherischen Systematiker und Pannenbergschüler Duane Priebe entwickelte Lehrmethode erwähnt, in welcher christliche Dogmatik in der konkreten Begegnung und Auseinandersetzung mit anderen Religionen und deren Wahrheitsansprüchen entfaltet und vermittelt wird.

53) U. a. Sarah Coakley (Harvard), Amy Laura Hall (Duke), Serene Jones (Yale), Lois Malcolm (Luther Seminary), Joy Ann McDougall (Emory), Amy Plantinga Pauw (Louisville Presbyterian Seminary), Cynthia Rigby (Austin Presbyterian Seminary), Kathryn Tanner (University of Chicago). Auch von Seiten der afroamerikanischen Theologie (James Evans, We Have Been Believers. An African-American Systematic Theology, Minneapolis 1992) und der hispanisch-amerikanischen Theologie (Justo Gonzáles, MaÒana. Christian Theology from a Hispanic Perspective, Nashville 1990) finden sich wichtige Impulse in diese Richtung.

54) Vgl. hierzu Practicing Our Faith. A Way of Life for a Searching People, hg. von Dorothy C. Bass, San Francisco 1997. Zur Zeit arbeitet eine zweite Gruppe von jüngeren sytematischen Theologinnen und Theologen an einem zweiten, von Miroslav Volf und Dorothy Bass betreuten und stärker systematisch-theologisch orientierten Band über "Beliefs and Practices".

55) Kathryn Tanner, Theories of Culture. A New Agenda for Theology, Minneapolis/MN 1997.

56) Vgl. hierzu besonders Miroslav Volf, Exclusion and Embrace. A Theological Exploration of Identity, Otherness, and Reconciliation, Nashville 1996.

57) Bei den philosophischen Bezügen, an denen man sich nun gerne orientiert, handelt es sich neben dem Oeuvre von Michel Foucault insbesondere um Pierre Hadot, Philosophy as a Way of Life. Spiritual Exercises from Socrates to Foucault, Oxford 1995; Michel de Certeau, The Practice of Everyday Life, Berkeley 1984; ders., Heterologies. Discourse on the Other, Minneapolis 1986; ders., Selections 2000. The de Certeau Reader, hg. von Graham Ward, Oxford, Malden/MA 2000; und Pierre Bourdieu, Outline of a Theory of Practice, Cambridge 1977; ders., The Logic of Practice, Stanford/CA 1990.

58) In dieser Reihe sind bisher erschienen: Gerhard Sauter, What Dare We Hope? Reconsidering Eschatology, Harrisburg/PA 1999; John C. Polkinghorne und Michael Welker (Hg.), The End of the World and the Ends of God. Eschatology in Science and Theology, Harrisburg/PA 2000.

59) So stellt der vormals in Toronto und inzwischen in Oxford tätige systematische Theologe John Webster zu Recht fest: "But in the present situation, where dogmatics in English speaking circles is at best a fragile enterprise in the academy and has almost completely lost its hold on the life of the mainline churches, what is needed more than anything else is a recovery of theology's exegetical and catechetical vocation" ("Eschatology, Anthropology, and Postmodernity", International Journal of Systematic Theology 2/1, 2000, 14).

60) Spätestens seit Augustin ist der innere Zusammenhang von Schrifthermeneutik und Lehre festgestellt. Vgl. zu den Fragen von Schrifttreue, Kanon, Lehre und der Bewegung vom Text zur Predigt, Gerhard Sauter, Evangelische Theologie an der Jahrtausendschwelle.

61) Nicht nur wird die altkirchliche und mittelalterliche Theologie immer wieder und neu wahrgenommen; auch distinkte Traditionen werden in ihrer jeweiligen Eigenart auf ihre weiterführende Fruchtbarkeit hin befragt. Es sei hier stellvertretend unter den Jüngeren verwiesen auf die Anglikanerin Ellen T. Charry (Princeton Theological Seminary), By the Renewing of your Minds. The Pastoral Function of Christian Doctrine, New York 1997, den Reformierten Eugene Rogers Jr. (University of Virginia), Thomas Aquinas and Karl Barth. Sacred Doctrine and the Natural Knowledge of God, Notre Dame 1995, die Anglikanerin Anna N. Williams (vormals Yale, jetzt Cambridge), The Ground of Union. Deification in Aquinas and Palamas, New York 1999, und den Lutheraner David Yeago (Lutheran Theological Southern Seminary) mit seinem demnächst erscheinenden großen Werk zur Theologie Luthers.

62) Hier ist zu verweisen auf die American Theological Society (ATS), die eigenständige Midwest Section der ATS, die oben erwähnten Arbeitsgruppen im Rahmen der AAR bzw. die der AAR vorgeschalteten Treffen der amerikanischen Karl-Barth-Gesellschaft, der anglikanisch-lutherischen Gruppe systematischer Theologen u. a., die Duodecim-Gruppe, die Washington-Yale Gruppe, das Dulles-Colloquy und das über mehrere Jahre hinweg vom Center for Catholic and Evangelical Theology finanzierte und organisierte Dogmatics Colloquy.

63) Um diese Problematik zu wissen und sie in neuer problem- und sachbezogener Weise anzugehen, darin liegt das Verdienst des seine Bedeutung hinter dem Titel eher verbergenden Werkes von Gerhard Sauter, Zugänge zur Dogmatik. Elemente theologischer Urteilsbildung, Göttingen 1998.

64) Vgl. zu dieser Problematik Gerhard Sauter, Zugänge zur Dogmatik, 312 f.

65) Es stellt sich allerdings die Frage, ob da nicht auch gleich die Theologiegeschichte des 19. Jh.s unter erkenntnisleitendem Interesse in allergrößter Verengung wahrgenommen werden muß, um die Theologiegeschichte des 20. Jh.s. so lesen zu können. Wo tauchen denn in dieser revidierten theologischen Lagebeschreibung Vilmar und Löhe, Stahl und Müller, Tholuck und Kähler, Blumhardt d.Ä. und Blumhardt d.J., Beck und Schlatter auf? Martin Kählers Geschichte der protestantischen Dogmatik im 19. Jahrhundert, Wuppertal/Zürich 21989, und Friedrich Mildenbergs Geschichte der deutschen evangelischen Theologie im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1981, belehren einen da eines besseren.

66) Vgl. Gerhard Sauter, Zugänge zur Dogmatik, 318 f.

67) Dieser Grund ist die allem anderen vorausliegende "ratio essendi" christlicher Theologie. Da dieser Grund nicht ohne weiteres jedermann einsichtig ist, ist es nach wie vor sinnvoll, im Rahmen der zugänglichen "ratio cognoscendi" vom spezifischen Praxisfeld her zu argumentieren, für das die Theologie ausbildet, wie dies auf klassische Weise Friedrich Schleiermacher in seiner "Kurzen Darstellung des theologischen Studiums" (Darmstadt 1977) schon getan hat, wo er auch den Begriff der "Kirchenleitung" prägte. Dieser Erkenntnisgrund der Notwendigkeit der Theologie in Analogie zur Jurisprudenz und Medizin setzt jedoch immer schon den Gegenstand voraus, der sie nicht nur ermöglicht, sondern auch überhaupt erst eine Ausbildung zur Kirchenleitung nötig macht: Gott und sein heilschaffendes Handeln in Jesus Christus.

68) Eine sich selbst im Ansatz abzeichnende Debatte über eine Umwandlung theologischer Fakultäten in religionswissenschaftliche Abteilungen bzw. eine Zusammenlegung beider unter dem Dach einer übergeordneten geisteswissenschaftlichen Gesamtfakultät muß deshalb in ihrem theologischen Kern verstanden und angegangen werden. Es gibt hier schlicht kein "sowohl - als auch", sondern lediglich ein "entweder - oder", wobei es völlig gleich bleibt, welches Etikett man außen vorhängt. Die Einheit ebenso wie die Logik einer theologischen Fakultät hängen im Kern am Verständnis der Systematischen Theologie als Dogmatik. Das eine besteht oder fällt mit dem anderen. (Könnte es sein, daß die evangelischen Kirchen diesen Zusammenhang erst im Nachhinein begreifen und auf Grund mangelnder eindeutiger Signale an die Landesregierungen dann die Sache ebenso hinzunehmen haben werden wie den Verlust des Buß- und Bettages?)

69) Zu beidem vgl. Gerhard Sauter, Zugänge zur Dogmatik, 73-137.

70) Vgl. Gerhard Sauter, Zugänge zur Dogmatik, 120, 273, 276.

71) Hierbei soll keiner Kontextuellen Theologie das Wort geredet werden, sondern das zur Geltung gebracht werden, was John Webster folgendermaßen auf den Punkt bringt: "Christian theology ... is responsible in its context but not in any straightforward way responsible to its context. For context is not fate; it may not pretend to have a necessary character, to be anything other than a contingent set of cultural arrangements which stands under the judgment of the Christian gospel. And, moreover, context - despite what we are often instructed - is not transparent or self-interpreting. Truthful understanding of context requires the exercise of discernment, and, for Christian faith and theology, such discernment is a gift of the Holy Spirit, a mode of sanctification and a prophetic task; it is not simply a skill acquired through cultural immersion" (a. a. O., 15f.). Vgl. zu dieser wichtigen Frage nach dem Kontext im Vollzug der Systematischen Theologie Gerhard Sauter, Zugänge zur Dogmatik, 325-335.

72) Auch wenn ich ihnen nicht in allem zustimmen kann, halte ich die Überlegungen, die Dietrich Ritschl am Ende seines Buches "Zur Logik der Theologie. Kurze Darstellung der Zusammmenhänge theologischer Grundgedanken", München 1984, 346-351, zur Theologie im akademischen Betrieb und insbesondere zur Reform der theologischen Ausbildung angestellt hat, nach wie vor für bedenkenswert.

73) Ich danke den Kollegen George Lindbeck, Joseph L. Mangina, Bruce McCormack und Daniel Migliore für ihre kritischen Bemerkungen und hilfreichen Vorschläge zu früheren Stadien dieses Textes.