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Ausgabe:

November/1998

Spalte:

1114 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Lutherjahrbuch. Organ der internationalen Lutherforschung. Im Auftrag der Luther-Gesellschaft hrsg. von H. Junghans. 64. Jahrgang 1997.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1997. 216 S. 8. Pp. DM 64,-. ISBN 3-525-87429-4.

Rezensent:

Ernst Koch

Die Forschungsbeiträge dieses Jahrgangs befassen sich mit einem Thema, das für Luthers Biographie wichtig ist, und mit je einem Thema der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte Luthers und Melanchthons.

Angelika Dörfler-Dierken, ausgewiesen durch ihre Forschungen über die Verehrung der hl. Anna im Spätmittelalter, untersucht das Thema "Luther und die heilige Anna. Zum Gelübde von Stotternheim" (19-46). Sie bringt Quellen zur Sprache, die bisher z. T. unbeachtet geblieben sind, und setzt sie mit gebotener Vorsicht, die lediglich bis zu Möglichkeiten oder auch Wahrscheinlichkeiten vordringt, in Beziehung zu Luthers Frühzeit. Deutlicheres läßt sich über Luthers eigene Aussagen über die Verehrung der hl. Anna und seine Stellung zu ihr sagen. Der eigentliche Zielpunkt der Untersuchung betrifft die kritische Reflexion der Quellen zum Gelübde von Stotternheim und ihrer Deutung in der Forschung. Bereits der Hinweis darauf, daß Luther erstmals 34 Jahre nach dem berichteten Ereignis selbst von ihm gesprochen hat, während zuvor bei ihm lediglich von einem ihn erschreckenden Ruf vom Himmel her die Rede ist, mahnt zur Vorsicht. Die Vfn. wendet sich sodann der Deutung eines bisher unbeachtet gebliebenen Satzes aus der als Quelle vorliegenden Tischrede zu, der namensetymologisch argumentiert und die Erwähnung der Anna als Hinweis auf die Gnade Gottes versteht - noch 1536 hatte Luther erklärt, daß weder Anna noch andere vor seinem Eintritt ins Kloster mit ihm geredet hätten. Das schließt nicht aus, daß das Ereignis bei Stotternheim mit einem Blitz oder einer anderen Himmelserscheinung verbunden gewesen sein mag.

Hans Düfel ("Luther-Gesellschaft und Lutherrenaissance. Die Tagungen der Luther-Gesellschaft von 1925 bis 1935", 47-86) setzt seine Forschungen über die Geschichte der Luther-Gesellschaft fort (vgl. LuJ 60, 1993) und führt zunächst die Haupt- und Jahresversammlungen bis 1932 vor, um sich dann dem Einschnitt der Jahre 1933 und 1934 zuzuwenden, mit dem u. a. der Übergang zu einer neuen Arbeitsform verbunden war, nämlich der Verzicht auf große Versammlungen zugunsten von Aktivitäten kleiner Arbeitsgemeinschaften. D. zeigt, wie tief die zeitgenössischen Ideologien die öffentlichen Äußerungen maßgeblicher Mitglieder der Gesellschaft, freilich mit Ausnahmen (Martin Doerne) beeinflußten. Der Aufsatz schließt mit einer Analyse der beiden Begegnungen zwischen Dichtern und Theologen, die 1935 auf dem Boden der Luthergesellschaft stattfanden.

Siegfried Bräuer untersucht "Das Melanchthonjubiläum 1960 in Wittenberg und Halle" (87-126) und legt damit einen weiteren diffenzierten und differenzierenden, auf intensivem Aktenstudium beruhenden Beitrag zur Rezeptionsgeschichte der Reformationsbewegung in der DDR vor. Dargestellt werden sowohl kirchliche als auch staatliche, universitäre und von der SED veranlaßte Aktivitäten, wobei auch Irritationen zur Sprache kommen, die in Spannungen zwischen Universitätsrektorat und Organen der SED begründet waren. Kennzeichnend für die Situation des Jahres 1960 waren die Konflikte zwischen kirchlichen und DDR-offiziösen Intentionen. Als äußerst problematisch erwiesen sich - wie auch sonst bei Jubiläumsvorbereitungen in der DDR zu beobachten - die beabsichtigte Einbeziehung aktueller Ereignisse in die inhaltliche Vorbereitung des Jubiläums und die auf Unkenntnis der Sachlage beruhende Fehleinschätzung des Terminablaufs, so daß die vom staatlichen Melanchthon-Komitee geplante Festschrift mit dreijähriger Verspätung erschien. In diesem Zusammenhang bringt B. auch die Geschichte der Melanchthon-Bibliographie von Otto Beuttenmüller zur Sprache. Die Darstellung der nach staatlichen und kirchlichen Aktionen getrennten Veranstaltungen vom 19. April 1960 in Wittenberg und ihrer Vorbereitungen macht auf die Rolle einzelner Persönlichkeiten aufmerksam, denen in der ideologischen Strategie der DDR spezielle Bedeutung zukam (Emil Fuchs, Moritz Mitzenheim), aber auch deutliche zeitbedingte Akzente, die die öffentlich vorgetragenen Beiträge nichtmarxistischer Wissenschaftler setzten. Die Wirkung des Jubiläums von 1960 beurteilt B. differenziert, auf die DDR bezogen jedoch eher als sehr gering.

Neben Lutherbibliographie (mit 1288, also weiterhin wachsender Anzahl von Titeln) und Rezensionsteil enthält der Jahrgang Nachrufe auf Erwin Iserloh (H. Smolinsky), Wilfried Joest (J. Track) und Bernhard Lohse (M. Wriedt), jeweils Darstellung und Würdigung des Werkes der Verstorbenen umfassend.