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Ausgabe:

November/1998

Spalte:

1111–1114

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Laube, Adolf unter Mitarb. von U. Weiß [Hrsg. u. bearb.]

Titel/Untertitel:

Flugschriften gegen die Reformation (1518-1524).

Verlag:

Berlin: Akademie-Verlag 1997. VII, 879 S. gr.8. Lw. DM 298,-. ISBN 3-05-002815-7.

Rezensent:

Johannes Schilling

Der vorliegende Band ist der letzte erschienene in einer Reihe von Flugschrifteneditionen, deren erster "Flugschriften der Bauernkriegszeit" 1975 herauskam (2. Aufl. 1978), gefolgt von zwei Bänden "Flugschriften der frühen Reformationsbewegung (1518-1524)" 1983 (vgl. dazu Siegfried Bräuer, ThLZ 110, 1985, 458-461) und weiteren zwei Bänden "Flugschriften vom Bauernkrieg zum Täuferreich" 1992. Mit dem zuletzt erschienenen liegen nunmehr sechs Bände und damit die bisher umfangreichste gedruckte Sammlung dieser Literatur der Reformationszeit vor; "eine Schriftenauswahl [altgläubiger Schriften] für die Jahre 1525-1530 ist in Arbeit" (4). Der Herausgeber, der das Projekt von Anfang an betreut, hat die "Geschichte" desselben im Vorwort erwähnt, verbunden mit Erwägungen über das Konzept der "Frühbürgerlichen Revolution", das er für "nicht erledigt" (1) hält.

Der anzuzeigende Band enthält 40 Schriften altgläubiger Gegner Luthers und der Reformation - zu den Autoren gehören die bekannten und bedeutenden Kämpfer für die römische Kirche Johannes Eck, Thomas Murner, Hieronymus Emser und Johannes Cochläus, daneben Johann Tetzel und Augustin Alveld, Johannes Dietenberger und Kaspar Schatzgeyer. Auch der englische König Heinrich VIII. ist mit seiner Schrift gegen Luthers "De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium" vertreten. Außer diesen Hauptvertretern der alten Kirche finden sich aber auch weniger bekannte Autoren, unter ihnen Wolfgang Wulffer, Paul Bachmann, Matthias Slegel, der Stendaler Propst Wolfgang Redorfer, Priester, Klosterleute und "Laien", über die in den Einleitungen zu den Schriften Biographisches mitgeteilt wird. Schließlich enthält der Band auch einige Anonyma.

Die Titel und Themen der Schriften zeugen von den Hauptstreitpunkten, die durch das reformatorische Verständnis des Christentums aufbrachen: Kirche und Sakramente, der Primat des Papstes und die Autorität von Konzilien, Priestertum und Messe, Zölibat und Mönchsgelübde, Heilige und Bilder, die Verdeutschung der Bibel und - selbstverständlich - die Rechtfertigung sola fide. Ein Teil der Schriften setzt es sich zum Ziel, Luther und seine Sache zu verteufeln, andere Autoren versuchen, die Anhänger oder Abtrünnigen von der alten Kirche vor den Gefahren zu warnen, die sich mit dem neuen Glauben auftun. Zur Eigenart der Schriftstellerei der altgläubigen Gegner gehört es, daß die "Widerlegung" teilweise sehr unmittelbar auf die reformatorische Schrift antwortet, auf die sie repliziert, mitunter unter Zitation von Auszügen der reformatorischen Schrift (so etwa in Dietenbergers Schrift ,Antwort, daß Jungfrauen Klöster und klösterliche Gelübde nimmer göttlich verlassen mögen’ gegen Luthers Schrift ,Ursach und Antwort, daß Jungfrauen Klöster göttlich verlassen mögen’ (WA 11, [387] 394-400) - und daß sie so zur Verbreitung der reformatorischen Positionen beiträgt!

Seit dem Erscheinen des ersten Bandes dieser Sammlung - wenn man denn die sechs Bände so zusammenfassend betrachtet -, seit 1975 also hat sich in der Flugschriftenforschung gewaltig viel getan. Von dieser bewegten Forschung erfährt man in der - etwas länglichen - "Einleitung" (21-50) so gut wie nichts; nicht einmal der Artikel "Flugschriften" aus der TRE - um nur ein Beispiel zu nennen - findet Erwähnung. Diese Einleitung stellt i.e. S. überhaupt keinen Beitrag zur Forschung dar. Im großen und ganzen handelt es sich vielmehr um kurze Paraphrasen der im Band gedruckten Schriften - von der Anlage des Unternehmens her hätte man auch überlegen können, diese "Regesten" der Edition der einzelnen Schriften voranzustellen. Offenbar war so etwas beabsichtigt wie ein Publikationsprofil der Bemühungen der Reformationsgegner zwischen 1518 und 1524; ein solches wird indes nicht recht deutlich. Um dieses Ziel zu erreichen, hätte es allerdings eines stärker systematisierenden Zugriffs bedurft.

In den Anmerkungen zu dieser Einleitung sind Schriften des 16. Jh.s umständlich beschrieben, es fehlen aber Hinweise auf einschlägige Bibliographien - weder VD 16 oder irgendwelche Spezial- oder Personalbibliographien werden zitiert - sowie Standortnachweise. Wem sollen solche Anmerkungen dienen? Und warum wird - mit wenigen Ausnahmen, für deren Aufnahme man auch keine plausible Begründung erkennt - in den Anmerkungen auf die Forschung überhaupt nicht eingegangen?

Die Auswahl der Schriften wird nicht eigentlich begründet. Von den 40 in dem Band enthaltenen Schriften liegen neun (die Nummern 1, 4, 5-10 und 32) in neueren Editionen (Corpus Catholicorum, Murners Deutsche Schriften, Enders, WA, Acta Reformationis Catholicae) vor, eine wirkliche Erfordernis nach neuerlichem Abdruck scheint in diesen Fällen nicht gegeben. Die übrigen 31 Schriften sind dagegen seit ihrem Erscheinen nicht wieder gedruckt worden. Mit ihnen stellen die Herausgeber der Forschung weitgehend unbekanntes Material zur Verfügung.

Die edierten Texte sind, wie in den bisher erschienenen Bänden, mit Worterklärungen versehen, über deren Notwendigkeit und Umfang man unterschiedlicher Auffassung sein kann. Bei der ursprünglichen Konzeption der Ausgaben war offenbar an einen größeren Adressatenkreis gedacht; tatsächlich dürfte man wohl davon ausgehen, daß der Band i. W. von wissenschaftlichen Benutzern zur Kenntnis genommen werden wird. Von großem Interesse wäre aber etwa ein Vergleich der Auflagenhöhen des ersten Bandes von 1975 (samt seiner Nachauflage) und des jetzigen - diese Zahlen könnten gewiß auch ein Indiz für die Einschätzung der gesellschaftlichen Relevanz des behandelten historischen Gegenstandes darstellen. Auch die Preisgestaltung (1975 DDR: 58 M bzw. DM 48 - 1997 DM 298) hat sich ja so verändert, daß Privatpersonen (bedauerlicherweise) kaum in die Lage bzw. die Versuchung geraten werden, den Band zu erwerben.

Anlage und Ausarbeitung der Sacherläuterungen sind im ganzen nicht befriedigend. Es wäre sinnvoller und hilfreicher gewesen, die Sacherläuterungen unter den edierten Text zu setzen, statt daß man in Zeiten, in denen solche Probleme technisch leicht zu lösen sind, immer noch genötigt ist, mit dem Finger im Buch zu lesen. Damit hätten die Erläuterungen häufig auch sehr viel knapper ausfallen können, da die Leser die Wörter und Sachen, die erläutert werden sollen, vor Augen gehabt hätten. Damit hätte sich zugleich mindestens ein Teil der zahlreichen Verweise auf weiter oben stehende Anmerkungen erledigt, die zur Erklärung der Sache nichts beitragen. Wenig hilfreich sind auch die Verweise auf die Erläuterungen in früher erschienenen Bänden, da die Benutzer diese nicht stets zur Hand haben werden. Insgesamt bieten die Sacherklärungen weniger Information, als sie Platz beanspruchen, und sie bieten auch mancherlei nicht, was man hätte erläutern sollen und können. Einen Kommentar stellen sie jedenfalls nicht dar. Immer wieder erläuterte Namen historischer Personen und Ereignisse könnte man sich durch ein ordentliches Personenregister mit den entsprechenden Lebensdaten ersparen. (Wie ich nachträglich sehe, wurde diese Praxis schon 1985 von Siegfried Bräuer moniert, dessen Anregungen aber offenkundig nicht aufgenommen worden sind.)

Auch das Verzeichnis der Literatur (11-20) ist in der vorliegenden Form nicht einleuchtend. Es reiht Bibliographien, Lexika, Standardwerke und Miszellen alphabetisch aneinander und läßt z. T. noch ältere Arbeitsverhältnisse erkennen. Es hätte eine gründliche Durchsicht vor der Publikation dringend verdient.

Einige Beispiele: Adams Lehrbuch der Dogmengeschichte wird in einer Auflage Berlin 1973 genannt; Alands Hilfsbuch ist seit der zitierten Ausgabe von 1957 mehrfach neu und erweitert erschienen, zuletzt in 4. Auflage 1996; die deutsche Teilung (bei der Nennung der ungedruckten Berliner Dissertation von F. Büchner) muß nicht noch 1997 mit dem Erscheinungsort "Berlin (W.)" prolongiert werden (diese Eigentümlichkeit mag aber womöglich als Anzeichen dafür dienen, daß das Manuskript lange vor der Publikation abgeschlossen war). Otto Clemens Kleine Schriften liegen dank der Arbeit Ernst Kochs nun gesammelt - und mit Register! - vor (Leipzig 1982-1988) - wer hat schon die Mitteilungen des Geschichts- und Altertumsforschenden Vereins zu Eisenberg in seiner (öffentlichen) Bibliothek? Und den Denzinger (jetzt: Denzinger-Hünermann) gibt es seit 1991 in 37. Auflage und zweisprachig; diese Tatsache dürfte für viele Benutzer hilfreich sein. - S.19 vorletzte/letzte Zeile ist statt "P. S." P. G. Schmidt zu lesen.

Den Band beschließen Verzeichnisse der Personennamen, der Ortsnamen und der Bibelstellen. Im Verzeichnis der Personennamen wirken die Zusätze "St." = Sankt ein bißchen unbeholfen. Ambrosius und Augustinus etwa erhalten sie, nicht jedoch Gregor I. (der Große), vielleicht weil er Papst war (aber dennoch oder deshalb auch heilig ist). Auch bei den "Weltpersonen" gibt es Merkwürdigkeiten: Karl V. wird mit dem Zusatz "Ks." = Kaiser versehen, Karl der Große dagegen mit "dt. Ks.".

Der Nutzen der Ausgabe liegt in der Präsentation der Texte. Wichtige Schriften sind in diesem Buch bequem zugänglich, und die Forschung hat damit Voraussetzungen, die Kontroverse um das Verständnis des Christentums in den Anfangsjahren der Reformation neuerlich zu studieren. Der pragmatischen Entscheidung, die Texte in einer sprachlichen Gestalt zu bieten, die "für wissenschaftliche Zwecke brauchbar, aber auch für Studienzwecke geeignet" (7) sein soll, wird man durch die pragmatische Entscheidung, die Texte in der vorgelegten Form zur Kenntnis zu nehmen, entsprechen.

Freilich - sollte der in Arbeit befindliche Band mit Schriften gegen die Reformation 1525-1530 wirklich weiter bearbeitet werden, wünschte man sich, daß die alten und neuen Anregungen Berücksichtigung fänden. Einen weiteren Band nach dem bisher üblichen, aber nicht bewährten Muster möchte man nicht erwarten.