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Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

742–744

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Webster, John

Titel/Untertitel:

Barth's Ethics of Reconciliation.

Verlag:

Cambridge: Cambridge University Press 1995. XI, 238 S. 8o. Lw. £ 35.-. ISBN 0-521-47499-X.

Rezensent:

Dietz Lange

Der am Wycliffe College in Toronto lehrende Vf. ist als sorgfältiger Interpret deutschsprachiger Theologie bereits durch sein Buch über E. Jüngel (1986) ausgewiesen. Der vorliegende Band stellt Karl Barths späte Ethik nach dem Fragment über die Taufe KD IV/4 sowie dem postum edierten Band Das christliche Leben (GA II, 1976) dar. Die Konzentration auf diese Phase ist schon an sich ein Verdienst, weil es zwar zur Tauflehre Barths und ihren ekklesiologischen Hintergründen eine Fülle von Literatur, zur Endgestalt der Ethik aber merkwürdigerweise nur wenige, zumeist auch nicht monographische Untersuchungen gibt.

Webster will nachweisen, daß Barths magnum opus "an ethical dogmatics" sei (1), grenzt sich freilich gegen Gerhard Ebelings ähnliche Deutung (vgl. dessen Wort und Glaube III, 1985, 428-573) in doppelter Hinsicht ab: Er meint dies nicht kritisch, und er hält die Gefahr einer "Überführung der Dogmatik in die Ethik" (Ebeling, a.a.O. 557) bei Barth nicht für gegeben (229).

Um seine These zu begründen, muß der Vf. die letzten der KD zugleich als Zielpunkt des Gesamtwerkes und in gewisser Weise als Schlüssel zu seinem Verständnis erweisen. Er tut das in den ersten beiden Kapiteln: Revelation and God (zu KD I/1 bis II/2) und Creation and Reconciliation (zu KD III/1 bis IV/3). Bereits hier zeigt sich, daß W. ein souveräner Kenner des ganzen uvre des großen Theologen ist und überdies durch geschickt eingesetzte Vergleiche mit Theologen und Philosophen der Zeit (z. B. Sartre oder Camus) schwierige Punkte zu erhellen versteht. Er achtet sensibel auf die subtilen Differenzierungen des Barthschen Denkens, ohne dabei die klare Linie zu verlassen oder sich in unfruchtbarer Barth-Scholastik zu verlieren. Freilich führt sein vorrangiges Interesse an der inneren Konsistenz des Systems dazu, daß die Verschiebungen, die im Verlauf der langen Abfassungszeit eingetreten sind, und insbesondere die Bezüge zu der diastatischen Sicht der Relation zwischen Gott und Mensch im Römerbrief unterbelichtet bleiben. Im übrigen jedoch bleibt der Vf. der von Barth selbst stammenden Interpretationsregel treu, die er seinem Jüngel-Buch vorangestellt hatte (5), daß man seinen Helden nicht als Gedankenmaschine, sondern aus den lebendigen Motiven seines Denkens heraus verstehen müsse.

Die Kap. 3-6 bilden den Hauptteil des Buches, der die Ethik Barths in ihrer letzten Fassung analysiert. Der Vf. wehrt dabei ein deterministisches Mißverständnis im Sinne einer göttlichen Allkausalität (Unmöglichkeit einer Ethik) ebenso ab wie die Auffassung, die Versöhnung sei in Christus so objektiv und so endgültig vollzogen, daß dem Menschen nur deren gewissermaßen autonome Aneignung übrig bleibe (Ethisierung der Dogmatik). Bei allem Gewicht der Trinitätslehre sei Gott doch nicht als selbstgenugsame Subjektivität gedacht, sondern von vornherein als Gott in Beziehung; "God and humanity as agents in relation" sei das Thema der ganzen Dogmatik (33). Dies sei in Christus begründet. In ihm sei Gott als der offenbar, der er an sich ist, nämlich als Liebe (43 f.). Natürlich sei Gottes Verhältnis zum Menschen asymmetrisch, insofern er den Menschen durch die Taufe mit dem Hl. Geist überhaupt erst zum Subjekt der gehorsamen Entsprechung mache (133). Dieses Handeln Gottes in Christus eröffne ihm allererst das Feld des Handelns (moral field, Kap. 3) im Sinne einer ontologischen Vorgabe (moral ontology, Kap. 7). Aber - der Vf. wird nicht müde, dies zu betonen - der Mensch werde dadurch zu einem (in einem materialen Sinn des Wortes) wirklich freien Subjekt (110. 197 u.ö.). Wie die Geisttaufe die menschliche Handlung der Wassertaufe, das Wort Gottes den menschlichen Akt der Anrufung Gottes herausfordere, so bewege (incites) die zuteilwerdende Gnade zu eigenständigem Handeln (165).

Das letzte Kap. faßt die Ergebnisse so zusammen: Es gehe in der ganzen KD um den durch das Evangelium dem Menschen gewährten Raum (the room of the Gospel). W. entfaltet das noch ein wenig, verläßt aber nirgends den Bannkreis dieser faszinierenden, dezidiert antimodernistischen Seins-Ethik. Dabei erfaßt er durchaus klar deren Gegensatz zu der heute durchweg vorausgesetzten Ausgangssituation ethischer Reflexion (215. 230), in der man sich mit David Hume nicht mehr in der Lage sieht, von einem Sein Schlüsse auf ein Sollen zu ziehen, und sich entweder auf die Analyse der ethischen Sprache (von W. nicht berücksichtigt) oder auf die rein geschichtliche Positivität einer "story", die rein faktische Geltung einer bestimmten kulturellen Tradition, zurückzieht (A. MacIntyre, vgl. 222). Aber so gewissenhaft er sich mit abweichenden Interpretationen der "ontologischen" Vorgabe auseinandersetzt, so wenig stellt er die Plausibilität einer christologischen Begründung der Ethik, und sei es hypothetisch, in Frage. Er fragt also nicht, inwiefern es denn ausgemacht sei, daß genau diese und keine anderen Urteile aus der christologischen Grundlegung folgen bzw. ob nicht auch sehr zeitgebundene, weltliche Überzeugungen sich mindestens ebenso stark in diesen Urteilen niederschlagen (wie z. B. in dem neuerdings vieldiskutierten Abschnitt über Mann und Frau, KD III/4, 127-269). Stattdessen stellt er hier nur, verwundert oder bewundernd, die verblüffende Sicherheit fest, mit der Barth seine ethischen Urteile fällt, um diese dann - natürlich zutreffend - eben in der dogmatischen Überzeugung be-gründet zu finden (218).

Nur an einer Stelle findet sich ein Ansatz zur Kritik. Webster überlegt im Anschluß an Jüngel, ob Barth nicht zu scharf zwischen Geist- und Wassertaufe geschieden habe. Dies sei zwar im Blick auf ein vielfach zur civil religion heruntergekommenes evangelisches Christentum begreiflich. Aber Barth zahle dafür den theologischen Preis, daß die ethischen Konsequenzen der Taufe zu ihrem materialen Gehalt würden (166-173). Doch könnte dies nicht einfach die strenge Konsequenz aus der Grundentscheidung Barths von 1935 sein, das Gesetz als die Form des Evangeliums zu verstehen? Mir scheint Ebelings Kritik an dieser Stelle der Sache doch näherzukommen, als W. wahrhaben will.

Dies hängt mit einem anderen Punkt zusammen, der W.s Interpretation der christologischen Begründung der Ethik und damit der Struktur der KD selbst betrifft. So richtig es ist, daß Barth Gott von vornherein als in Christus auf den Menschen bezogen verstehen will, so wenig wird doch deutlich, wie der Übergang von dem innertrinitarischen Verhältnis von Vater und Sohn zu demjenigen zwischen Gott und Mensch gedacht werden soll. Der Rekurs auf die unio hypostatica der alten Dogmatik, der auf dem Weg über eine inklusive Christologie dieses Bindeglied bilden soll, ist ja längst selbst zum Problem geworden. Dieser heute in der Barth-Interpretation zentrale Fragenkomplex wird m.E. nicht zureichend diskutiert.

Nun läßt sich freilich mit guten Gründen sagen, daß Barth selbst dieses Problem auch nicht befriedigend gelöst hat, ja daß es sich wohl von seinem Ansatzpunkt aus überhaupt nicht lösen läßt. Wie immer: Als werkimmanente Interpretation ist W.s luzide geschriebenes Buch ein vorzüglicher Leitfaden, der den inneren Zusammenhang von Barths monumentalem Werk auf einleuchtende, manchmal auch überraschende Weise zu erhellen vermag.