Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/1997

Spalte:

741 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Wannewetsch, Bernd

Titel/Untertitel:

Die Freiheit der Ehe. Das Zusammenleben von Frau und Mann in der Wahrnehmung evangelischer Ethik.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1996. XII, 313 S. gr.8 = Evangelium und Ethik, 2. ISBN 3-7887-1470-0.

Rezensent:

Joachim Wiebering

Bei den gegenwärtigen Diskussionen um freie Formen der Le-bensgemeinschaft zwischen zwei Personen gleichen oder verschiedenen Geschlechts wird in kirchlichen Stellungnahmen immer wieder auf die Leitbildfunktion der Ehe hingewiesen. Freilich erscheint dieser Hinweis in der Öffentlichkeit als ein Beharren auf den überlieferten Ordnungen und damit als Ausdruck der Verweigerung von Freiheitsrechten. Wurde früher eher humoristisch der Eintritt in eine Ehe als Ende der persönlichen Freiheit des Mannes bespöttelt, so wird heute oft bitterernst der Verlust von Freiheit und Raum zur Selbstentfaltung in der Ehe beklagt. In diesem Kontext kann ein Buchtitel "Die Freiheit der Ehe" hohe Aufmerksamkeit und kräftigen Widerspruch wecken.

Der Autor möchte in seinem Buch, das auf einer Dissertation an der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg beruht, nicht von einer Wesensdefinition ausgehen, sondern von der Wahrnehmung ehelichen Lebens. "Die christliche Ethik hat demnach das eheliche Leben als eine für sich selbst gute und zweckfreie Lebensgemeinschaft zu beschreiben, die von hergebrachten oder modernen Instrumentalisierungsversuchen freizuhalten ist" (6). Sie muß nicht die "bürgerliche" Ehe retten, vielmehr geht sie von der guten Wirklichkeit ehelichen Lebens aus. Daher werden soziologische Untersuchungen nur kurz referiert und alles Gewicht auf die theologische Perspektive in der Spannung von Gesetz und Evangelium gelegt. Leitfrage der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium in Bezug auf die Ehe ist: "Wo wird die Ehe als Gabe Gottes angenommen und wo wird sie in den Selbstbesitz und in die Eigenregulative der menschlichen Subjekte genommen?" Hier bezieht sich der Autor vor allem auf Oswald Bayer. Später referiert er ausführlich Karl Barths Entsprechungstheologie. Das Gleichnis des ehelichen Lebens soll gelebt und nicht nur begriffen werden.

Im Hauptteil des Buches wird die Freiheit des ehelichen Lebens vor allem aus dessen Selbstzwecklichkeit abgeleitet. Obwohl das in der Moderne selbstverständlich zu sein scheint, möchte der Autor auf die neuen und oft subtilen Gefährdungen eingehen, in denen die personal verstandene Ehegemeinschaft doch wieder instrumentalisiert wird. So macht die moderne Glücksideologie die Ehe zum "Garant des gesamten persönlichen Lebensglücks der Partner" und stellt damit die Partner unter einen Leistungsdruck, wodurch die Verzwecklichung un-ter neuem Vorzeichen fortgesetzt wird. Von solchen neuen Zwecken sind jedoch die "Segnungen" und "Früchte" der Le-bensgemeinschaft Ehe zu unterscheiden, die in der Öffnung auf das Kind zu finden sind.

Als "Integrale" ehelicher Lebensgemeinschaft werden mit der lebenslangen Dauer, der Ausschließlichkeit und der öffentlich-rechtlichen Dimension die klassischen Topoi des christlichen Eheethos entfaltet und unter dem Symbol der Treue zusammengefaßt (182 ff.). Daß in diesem Zusammenhang eine "Ehe auf Zeit" ebensowenig wie eine nichteheliche Lebensgemeinschaft als ethisch relevante Alternative in Frage kommen, ist zu erwarten. Gegen letztere wird vor allem die entlastende Funktion klarer rechtlicher Verhältnisse geltend gemacht, die auch nicht durch individuelle Vereinbarungen kompensiert werden können. Daß die Verrechtlichung und Bürokratisierung der personalen Beziehung als eine Belastung und Komplizierung angesehen wird, hat der Autor nicht im Blick. Daher werden auch die vorsichtigen Überlegungen H. Ringelings in Richtung auf eine Akzeptanz solcher rechtlich ungeklärten Beziehungen auf Grund ihrer inneren Verbindlichkeit vom Autor als eine Überforderung abgelehnt.

Indem die eschatologische Dimension des ehelichen Lebens extra thematisiert wird, kann die gegenseitige Angewiesenheit von Ehe und Ehelosigkeit verdeutlicht werden. Beide sind als Berufung zu verstehen, durch die eine freie Entscheidung zur Ehe bzw. Ehelosigkeit gewährt wird. Wenn von eschatologischer "Relativierung" der Ehe geredet wird, stellt sich das als Freisetzung dar, "in welcher sie sozusagen mehr wird als sie abgesehen von dieser Wirklichkeit sein könnte" (249). Der Autor meint damit keine romantische Verklärung, sondern eine Wahrnehmung des Guten, welches den Partnern von Gott her zukommt und von den eigenen Erwartungen unabhängig ist.

Mit "Bemerkungen zur pastoralethischen Praxis der Kirche" schließt das Buch ab. Sie beschränken sich auf Sonderfälle der Trauung wie den Gottesdienst zur Eheschließung oder die Trauung Geschiedener sowie auf die Problematik eines Vorbildcharakters von Ehen kirchlicher Amtsträger. Spätestens hier fällt freilich dem kritischen Leser auf, daß eine Reihe brisanter Fragen im Umfeld der Ehe vom Autor ausgeklammert werden. Das betrifft einmal die Auseinandersetzung mit der "Normalität" von Ehescheidungen, wie sie bis in die christlichen Gemeinden hinein heute bewertet wird. Unter der Freiheit der Ehe läßt sich die Freiheit einer Trennung der Partner leicht subsumieren, und selbst behutsame Nachfrage seitens der Kirchenleitung bei Scheidungen von Amtsträgern stößt auf äußerstes Befremden der Betreffenden wie ihrer Gemeinden. Wie "normal" ist die Scheidung von Ehen, und in welchem Verhältnis steht ihre Wahrnehmung zum Freiheitssinn der Ehe?

Ebenso bleibt die innere Struktur der Ehe, die Bedingungen für gelingendes Zusammenleben von Frau und Mann unreflektiert. So richtig die "Integrale" ehelicher Lebensgemeinschaft sein mögen, so markieren sie eher den Rahmen dieses Zusammenlebens als den alltäglichen Gehalt. Gerade dieser verändert sich aber durch die neue Rolle der Frau, durch die Selbständigkeit der Ehepartner und die Einflüsse einer säkularistisch orientierten Gesellschaft erheblich. Ist das für die evangelische Ethik unerheblich oder nur ein Thema der psychosozialen Beratung? Gerade weil der Autor solches Gewicht auf die Wahrnehmung und die gute Wirklichkeit ehelichen Lebens legt, hätte mehr über Partnerschaft und Selbständigkeit im Zusammenleben reflektiert werden müssen. Sonst bleibt die Treue entgegen der Absicht des Autors ein gesetzliches Ideal, dem durch andere Lebensformen mit geringerer Verbindlichkeit ausgewichen wird.