Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/1997

Spalte:

739–741

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Sundman, Per

Titel/Untertitel:

Human Rights, Justification, and Christian Ethics.

Verlag:

Stockholm: Almquist & Wiksell 1996. 8 = Acta Universitatis Upsaliensis: Uppsala Studies in Social Ethics, 18. ISBN 91-554-3698-6.

Rezensent:

Wolfgang Vögele

Was sind Menschenrechte, und wie werden sie legitimiert? Solchen Fragen stellt sich diese, in englischer Sprache verfaßte, schwedische Dissertation, die unter Carl-Henric Grenholm in Uppsala verfaßt wurde. S. will den Beitrag der christlichen Ethik zu einem universalen Konzept der Menschenrechte zeigen (12). Christliche Ethik ist für ihn dadurch charakterisiert, daß sie bei der Reflexion von Moral von den Themen christlicher Theologie Gebrauch macht (13). Genauso wichtig ist für S. die argumentative Methode analytischer Philosophie, die auf rationales Verständnis zielt (16). Die Verbindung von analytischer Philosophie und christlicher Sozialethik ist das entscheidende Problem von S.s Reflexionen.

Er setzt ein mit definitorischen Überlegungen zum Begriff des Rechts und der Menschenrechte. Weiter untersucht er verschiedene philosophische Begründungsmodelle der Menschenrechte, das der Naturrechtsphilosophie, des (Neo-)Kantianismus, des Utilitarismus und des Kommunitarismus. Weil alle diese Modelle für S. mit Defiziten behaftet sind, wendet er sich im zweiten Teil den Menschenrechtsüberlegungen christlicher Sozialethik zu. Diese Modelle sind meist der zeitgenössischen amerikanischen Theologie entnommen. S. untersucht die theozentrische (J. M. Gustafson) und die kommunitaristisch inspirierte Kritik (St. Hauerwas) an den Menschenrechten sowie die Begründungsmodelle evangelikaler (z. B. J. W. Montgomery) und katholischer Theologie (z. B. D. Hollenbach) und der Befreiungstheologie (Ch. Villa-Vicencio). S.s eigenes Begründungsmodell steht am Ende der Arbeit; er bezeichnet es als konstruktivistisch.

Menschenrechte beruhen für S. immer auf einer bestimmten Anthropologie und Ontologie. Als Recht bezeichnet er die Verbindung eines "legitimate claim" mit "corresponding duties" (33). Die Schwierigkeit ist, daß S. diese systematisch-philosophische Konzeption der Menschenrechte zu stark von der Geschichte der Menschenrechte trennt. Das wird damit begründet, daß der Umfang der Untersuchung dann gesprengt würde, und zum zweiten, daß der historische Rekurs keine normativen Setzungen be-gründen kann. Jedoch wird damit der Aspekt der politischen Geltung der Menschenrechte überspielt, denn diese beruht gerade auf historischen Setzungen. Zumal nicht sicher ist, ob die oben genannte Definition von Rechten mit juristischen Überlegungen kompatibel ist. Das Kriterium bei der Definition von einem "Recht" ist für S. unter anderem die Übereinstimmung mit der Alltagssprache, damit aber wird der juristische Begriff des Rechtes de facto ausgeblendet. Und zugleich damit blendet S. die un-terschiedlichen kulturellen Kontexte aus: Der Begriff des individuellen Rechts hat in der amerikanischen Jurisprudenz zum Beispiel völlig andere Konnotationen und Dimensionen als in der deutschen Grundrechtsdogmatik. Das zeigt sich z. B. daran, daß die USA den UN-Pakt zum Schutz sozialer und wirtschaftlicher Rechte bis heute nicht ratifiziert haben, weil man in den dort niedergelegten Bestimmungen unverbindliche Staatsziele sieht - und nicht Menschenrechte. Die Geltung von Menschenrechten hängt aber entscheidend an der Möglichkeit ihrer juristischen Durchsetzung. Wenn diese Dimension der Pragmatik der Menschenrechte nicht berücksichtigt wird, dann reduzieren sie sich - wie bei S. - zum moralischen Konstrukt, für das sich dann zwar universal gültige Inhalte und eine eben solche Begründung anführen lassen, aber dieser Gewinn muß mit dem Preis bezahlt werden, daß dieses moralische Konstrukt politisch und juristisch nicht mehr eingeholt werden kann.

Das größte Verdienst von S.s Arbeit ist die Aufarbeitung der englischsprachigen theologischen Konzeptionen zu den Menschenrechten. Es gelingt ihm, die Besonderheiten der jeweiligen Modelle herauszuarbeiten sowie Stärken und Schwächen zu bewerten. Was allerdings nicht überzeugt, ist die Begründung, mit der bestimmte theologische Modelle ausgeschlossen werden. Die Überlegungen von Heinz Eduard Tödt und Wolfgang Huber werden aus dem Grund nicht aufgenommen, weil sie angeblich kein christliches Modell der Menschenrechte anbieten (25); das ist schlicht falsch, liefern doch gerade Huber und Tödt mit ihrem Analogiemodell eine Möglichkeit, Menschenrechte als säkulares Konzept aufzufassen und trotzdem etwas über ihre theologische Dimension zu sagen; schließlich ist doch das genau das Problem, an dem S.s eigene theologische Reflexionen zu scheitern drohen.

S.s Überlegungen zu seinem eigenen konstruktivistischen Modell machen ein Dilemma deutlich: Auf der einen Seite will er den Beitrag christlicher Ethik zur Begründung der Menschenrechte zeigen, auf der anderen Seite ist sein eigenes Modell so universalistisch angelegt, daß darin Begründungen einer spezifischen - sei es theologischen, sei es philosophischen Tradition - nur störend wirken.

S. schreibt, sein Modell sei agnostisch gegenüber bestimmten moralischen Ontologien (151), weil damit bestimmte Einwände gegenüber der Rationalität seines Modells von vornherein ausgeschlossen werden können. Moralische Ontologien bürden dem Theoretiker erhebliche philosophische und theologische Beweislasten auf, deren Einlösung S. vermeiden will (151). Zur Begründung von Menschenrechten ist darum für ihn das Verhältnis von Menschenwürde und Menschenrechten entscheidend. Menschenwürde faßt S. als Geschenk, nicht als Leistung des Menschen auf. Das hält S. für die spezifisch christliche Dimension des Menschenwürde-Begriffs (151). Gleichwohl geht er nicht so weit zu sagen, Menschenwürde sei dem Menschen unveräußerlich ("inalienable"), weil dazu genau jene (christliche) Ontologie herangezogen werden müßte, deren Gebrauch er gerade vermeiden will. Menschenwürde benutzt S. darum synonym mit moralischer Gleichheit.

"[D]ignity is constituted by a recognition of the equal importance of anyone's authentic needs. This reflects the idea that our moral equality is realized by others and the institutional framework in which we find ourselves. Therefore moral equality (equivalent to dignity) is bestowed by the community in which we happen to be born and not by God" (173). Wenn aber die Menschenrechte von der Gemeinschaft abhängen, in die hinein ein Mensch geboren wird, dann rächt sich vollends das Ausblenden der juristischen Dimension der Menschenrechte, denn in vielen Ländern werden Menschenrechte nicht garantiert. Und dort, wo sie garantiert werden, werden sie oft nicht eingehalten. Wenn aber die Menschenwürde nicht von Gott gegeben ist, sondern auf einem Gleichheitspostulat beruht, dann ist schwer einsichtig, weshalb das gerade der entscheidende Beitrag der christlichen Ethik sein soll. S. versucht, die Leiter der christlicher Ethik im Moment, da er auf ihr klettert, zu demontieren. Unverständlich bleibt also die Ausgangsvoraussetzung S.s: daß nämlich eine rationale Argumentation von vornherein im starken Sinne theologische oder religiöse Begründungen ausschließt.

Gerade an der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung Martin Luther Kings läßt sich ablesen, daß eine offensichtliche Be-gründung von Bürger- und Menschenrechten in der Perspektive christlicher Theologie in den sechziger Jahren in der amerikanischen Öffentlichkeit auf breite Zustimmung stieß, und keineswegs nur auf die Zustimmung anderer Christen. Daß das im spezifisch amerikanischen Verhältnis der Gesellschaft zur Religion begründet ist, ist dabei kein Einwand, denn Menschenrechte, die über das Rechtssystem in die politische Kultur eines Landes implementiert sind, sind an diese politische Kultur im-mer auch gebunden.

Für die Menschenrechtstexte der UNO gilt das nicht. Aber es ist die Frage, ob diese auf eine einlinig rationale und allen einsichtige Begründung festgelegt werden können, wobei schon zu bezweifeln ist, ob alle Vernünftigen sich auf S.s Modell einigen können, oder ob nicht zu akzeptieren ist, daß bei den Menschenrechten grundsätzlich mehrere Begründungen, religiöse, philosophische, theistische, agnostische u. a. nebeneinander stehen.