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Ausgabe:

November/1998

Spalte:

1109–1111

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kaufmann, Thomas

Titel/Untertitel:

Universität und lutherische Konfessionalisierung. Die Rostocker Theologieprofessoren und ihr Beitrag zur theologischen Bildung und kirchlichen Gestaltung im Herzogtum Mecklenburg zwischen 1550 und 1675.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1997. 789 S. gr.8 = Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 66. Lw. DM 158,-. ISBN 3-579-01734-9.

Rezensent:

Gert Haendler

Der Münchener Professor legt seine Göttinger Habilitationsarbeit von 1994 als Buch vor. Ursprungsort der Reformation war "die Studierstube und der Hörsaal des Bibelprofessors an der ... Universität Wittenberg" (11). Dort hatten alle Rostocker Theologieprofessoren der Jahre 1550-1600 studiert, sie wirkten "multiplikatorisch für die Durchsetzung der Reformation" (13). Darin liegt die Bedeutung der lutherischen Universität für das "Kirchentum der Hansestadt Rostock und des Herzogtums Mecklenburg" (35). Kap. I schildert die Neukonstitution der Universität Rostock und der theologischen Fakultät. Bei der Besetzung der Professuren hatte primär Melanchthon Einfluß. Die weit gespannten Korrespondenzen Rostocker Professoren zeigen, "daß die Rostocker Theologische Fakultät des konfessionellen Zeitalters ein angesehener und zentraler Hauptort der konfessionell lutherischen Theologie war" (127).

Kapitel II "Die Rostocker Theologieprofessoren - Personen und Ämter" bringt in II/1 eine "Kollektivbiographie": Die 15 städtischen Professoren stammten überwiegend aus Rostock oder anderen Hansestädten; von 16 fürstlich bezahlten Professoren kamen 9 aus Kleinstädten Mecklenburgs, die anderen von weither, alle aus Städten. Ein Rostocker Professor sollte an mehreren Universitäten studiert haben, man erstrebte den "Aufbau und Erhalt eines kommunikativen Kontaktnetzes zwischen den deutschen lutherischen Fakultäten" (150). Bedeutsam waren städtische Familienverbindungen sowie der Umstand, daß oft Schüler ihren Lehrern als Professoren nachfolgten. Die Rostocker Theologieprofessur war oft "Schlußpunkt der beruflichen Karriere. Im 16. Jahrhundert sterben alle Rostocker Theologieprofessoren in ihrem Rostocker Amt" (153). Teil II/2 "Rostocker Theologieprofessoren als Pastoren, Superintendenten und Konsistorialräte" nennt die in Wittenberg ausgebildeten Theologen die ’Reformatoren’ Mecklenburgs (178). Bei Streitfällen waren auch profilierteste Lutheraner in Rostock keine "Ketzermacher" (206). Der Kirchenbann war im 17. Jh. "außerordentlich selten" (227). Teil II/3 "Grundzüge Rostocker Amtstheologie" stellt fest: Im späten 16. Jh. trug das Amt die geistliche Person, im 17. Jh. sollte "das Lebenszeugnis der geistlichen Person die Wahrheit ihrer Botschaft und ihres Amtes" verbürgen (250).

Kap. III "Die Rostocker Theologieprofessoren und die theologische Ausbildung" beginnt mit David Chytraeus. Seine Antrittsvorlesung 1551 nennt als Ziel der Ausbildung, die Zuhörer zu frommen, maßvollen und wohltätigen Verächtern der Welt zu machen, die die ewige Gemeinschaft mit Gott ersehnen. Seine Studienanweisung verband Luthers Theologieverständis, "das sich in seinem innersten Kern aller Lern- und Lehrbarkeit entzieht, mit dem planmäßigen, auf Lehre und Vermittlung ausgerichteten Studienkonzept Melanchthons" (285). Johann Quistorp d. Ä. schrieb 1643 eine "Kurze Handreichung, wie ein Theologiestudent sein Theologiestudium zu führen hat" mit neuer Zielsetzung: Das Studium ist nicht mehr primär "persönlicher Glaubens- und Lebensprozeß wie etwa bei Chytraeus", sondern "intellektuelle und methodologische Zurüstung auf einen konfessionellen Kampf, für den der miles mit wirksam und dauerhaft angeeigneten Waffen auszustatten ist" (305). Auf Anregung Quistorps wurde das Universitätsexamen 1659 Voraussetzung für den Dienst als Lehrer oder Pfarrer in Mecklenburg. Eine "Professionalisierung" der Theologie hängt zusammen mit einer "Normierung der theologischen Ausbildung" (318).

Teil III/2 "Versuch eines Bildungsprofils der Rostocker Theologiestudenten zwischen 1550 und 1675" bemerkt, daß man oft an der Philosophischen und Theologischen Fakultät gleichzeitig studierte. Die Studentenzahl wuchs bis 1620: "Der geographische Rekrutierungsraum der Universität scheint sich weitgehend mit dem ökonomischen Kommunikationsnetz der Hansestadt zu decken" (336). Der Anteil studierter Pfarrer in Mecklenburg nahm zu. 1619 berichtet Quistorp d. Ä., mehr als 200 Studenten arbeiteten in Rostock als Hauslehrer (358). Teil III/3 "Die Theologiestudenten und ihre Professoren" betont die Autorität: Gott ist der Geber aller Bildung. "Eigentlich ist es der auferstandene Christus selbst, der seine Kirche durch die Universitätslehrer belehrt" (371). Es gab eine "hausväterlich-fürsorgende Verantwortung" der Professoren für die Studenten (382). Chytraeus ließ Plakatdrucke für Studenten anfertigen, um "Wissensstoff in anschaulicher und einprägsamer Form" zu bieten (407). Konflikte um Lehrmeinungen von Studenten waren selten (433).

Kap. IV "Die Rostocker Theologieprofessoren und die Predigt" ist spannungsvoll. Heinrich Müller rechnete 1663 den Predigtstuhl zu den vier stummen Kirchengötzen neben Taufstein, Abendmahl und Beichtstuhl (467 bzw. 545, Anm. 700). Vorher war Bacmeisters Traktat "De modo concionandi" (1570) "eine der verbreitetsten, wahrscheinlich sogar die verbreitetste Schrift ihrer Art innerhalb des konfessionellen Luthertums" (470). K. untersucht die 1567-1591 erschienenen Postillen von Simon Paul (508-538). Die seit 1663 gedruckten Predigten Heinrich Müllers "Apostolische Schlußkette" tragen Züge "eines mit griechischem und lateinischen Zitaten ausgestalteten volkssprachlichen Bibelkommentars" (570). Es folgen gedruckte Einzelpredigten und Predigtreihen Rostocker Professoren, zumal von Johann Quistorp d. Ä. im 30jährigen Krieg (591-602).

Abschließend unterstreicht K. den Praxisbezug der lutherischen Theologie. Die Rostocker Professoren waren "von staatlichen Organen berufene und alimentierte Lehrer", aber sie folgten "nicht vorrangig Gesichtspunkten staatsloyaler, obrigkeitskonformer Opportunität, sondern handelten dem Selbstverständnis geistlicher Amtsträgerschaft entsprechend nach Maßgabe dessen, was ihnen die ,Verkündigung des Evangeliums’ zu erfordern schien" (609). Soziale Disziplinierung war nur ein "Nebenkrater". Eher war es ein Versuch, "Staat und Gesellschaft auf das Ziel des ewigen Heils hinzuweisen" (610). "Die Verfolgung eines immanenten gesellschaftlichen Endzwecks war den Theologieprofessoren fremd" (611). Sie erstrebten eine "folgerichtige Umsetzung der reformatorischen Botschaft in ihrer Wittenberger Auslegungsgestalt in die ... gesellschaftlichen Verhältnisse des norddeutschen Territoriums" (613).

Anhänge bieten ein Verzeichnis der Druckschriften Rostocker Theologieprofessoren von 1550-1675 (619-701), die Statuten der Rostocker Theologischen Fakultät von 1564 nebst späteren Zusätzen (705-712) und eine Übersicht über die Amtszeiten der Rostocker Theologieprofessoren im konfessionellen Zeitalter. Dem Quellen- und Literaturverzeichnis (717-764) folgen 20 Abbildungen sowie Register. Neue Quellen werden erschlossen, ein einleuchtendes Gesamtbild entsteht. Das Werk von K. dürfte über die Universitätsgeschichte hinaus die Erforschung des konfessionellen Zeitalters in Deutschland und Europa wesentlich bereichern.