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Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

737 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Fischer, Johannes

Titel/Untertitel:

Leben aus dem Geist. Zur Grundlegung christlicher Ethik.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag 1994. 276 S. 8o. Kart. DM 73,50. ISBN 3-290-10968-2.

Rezensent:

Joachim Wiebering

Mit systematischer Konsequenz verfolgt der Vf. in diesem Buch seine These, daß die Ethik weder von der Dimension des Tuns noch von der des Handelns in Verantwortung her bestimmt werden kann, sondern daß Tun und Handeln integriert werden in die kommunikative Struktur des Lebens aus dem Geist. Die These wird zunächst im Rahmen der allgemeinen Ethik entfaltet und erst danach auf ihre theologischen Implikationen hin untersucht. Vorangestellt ist ein kurzes Kapitel über die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen Ethik heute betrieben wird.

Wesentliche Rahmenbedingung ist die "Pluralisierung des ethischen Bewußtseins", die den "Transfer" der verschiedenen Orientierungen erfordert. Ethische Appelle an die Einsicht bleiben wirkungslos, weil das kollektive Verhalten durch nicht-ethische Impulse gesteuert wird und die Verantwortung nicht mehr einzelnen Trägern zugewiesen werden kann. Der "Antagonismus zwischen System und Lebenswelt" führt zur Ausblendung der Ethik. Gegen solche Tendenzen setzt der Vf. seinen Ansatz bei der Kommunikation zwischen Anwesenden, um die Eigenperspektive ethischer Reflexion festzuhalten.

Den Ursprung der ethischen Grundbestimmungen findet der Vf. im "Geist als dem uns zu unserer und in unserer Kommunikation Bestimmenden und dem geistbestimmten Leben als dem... Tun und Handeln mitumfassenden kommunikativen Verhalten" (49). Die Dimension des Geistes meint dasjenige, "was der konkreten Kommunikation ihre Bestimmtheit und Prägung gibt" (51). Dieses Verständnis des Geistes ist nicht auf die biblische Rede vom Geist entworfen, sondern gilt für jede Weise der Kommunikation. Auch die Freiheit gründet in der Dimension geistbestimmten Lebens, sofern sie kein Vermögen des Menschen ist, "sondern etwas, wozu er kommunikativ bestimmt, wozu er befreit werden muß" (65). Das trägt dazu bei, eine Idealisierung der Freiheit zu vermeiden.

Während eine Ethik des Tuns sich an Gütern und Wertenorientiert, ist eine Ethik des Handelns an Geboten oder Normen interessiert. Integriert in eine Ethik des geistbestimmten Lebens, lautet nun die ethische Grundfrage: "In welchem Geist leben und kommunizieren wir, und zu welcher Kommunikation, zu welchem Leben sind wir durch diesen Geist bestimmt?" (131), wobei es keineswegs um die Konservierung der bestehenden Lebensform geht. Außerdem kann es angesichts der Pluralität von Kommunikationszusammenhängen keine prinzipiellen Feststellungen über das Gute geben; die Ethik wird bezeugen und vergegenwärtigen, statt zu behaupten.

Im letzten Hauptteil, der die knappe Hälfte des Buchs umfaßt, werden die Konsequenzen für eine christliche Ethik gezogen. Das bedeutet in erster Linie eine Präzisierung des Geistbegriffs. Zumal die paulinische Paränese stellt den Geist als bestimmende Kraft christlichen Lebens dar, indem sie ihn als Geist der Liebe entfaltet. Die Liebe ist mehr als ein bestimmtes Tun oder Handeln, sie realisiert sich kommunikativ und erschließt die Wirklichkeit in neuen Beziehungen. "Wo immer Leben gelingt, Frieden unter Menschen gedeiht und gerechte Ordnungen des Zusammenlebens gefunden werden, da kann der Glaube Gottes Geist am Werk sehen. So gehört zur Spiritualität des Glaubens die Offenheit hin zur Welt" (164).

Ausführlich wird der Ansatz paulinischer Ethik mit dem eschatologischen Spannungsfeld der Zeiten und Räume und der christozentrischen Wahrnehmung der Wirklichkeit behandelt. Was hier als biblisch-neutestamentliche Ethik erhoben wird, bleibt jedoch vielen Zeitgenossen verschlossen, weil sie keinen Zugang zu den Texten finden. Mit anderen Möglichkeiten ihrer "kommunikativen Situierung" können die Texte wieder sprechend werden, hofft der Vf. und nennt damit ein Grundproblem theologischer Argumentation in unserer Zeit.

Auch für die folgenden Problemkreise gilt wohl, daß sie vor allem den Theologen geläufig sind. Das sind die Kontroverse zwischen Normethik und Situationsethik am Beispiel der Perikope vom barmherzigen Samariter wie die Diskussion um das Theodizeeproblem und die Wahrheit der christlichen Eschatologie. Ausführlich wird die Unterscheidung von sittlichem Urteil und ethischer Theorie nach Eduard Tödts Vorschlag diskutiert. Der Vf. greift den Vorrang des Sittlichen vor der ethischen Reflexion auf, denn letztere "kann in ihrer Allgemeinheit nie das Besondere fassen, das in der sittlichen Entscheidung der einzelnen Person auf dem Spiel steht" (245). Das verstärkt freilich noch einmal Skepsis gegenüber der Kommunikabilität ethischer Theorien, die Vf. zum Schluß äußert. Wenn Christen und Nichtchristen, Muslime und Agnostiker sich über gemeinsames Handeln verständigen wollen, "ist es nicht nötig, daß sie über die fundamentalen Prämissen der jeweiligen ethischen Anschauungen Einverständnis erzielen" (276).

An dieser Stelle stellt sich der Leser allerdings doch die Frage, ob der Vf. nicht auch dem "allgemeinen Kommunikabilitätsdruck" seinen Tribut gezollt hat, als er die These vom geistbestimmten Leben im Rahmen einer allgemeinen Ethik entwickelt. Sie wirkt erst unter der Voraussetzung der theologischen Rede vom Geist überzeugend, während eine gewisse Unschärfe des Geistbegriffs im vorangehenden Teil auffällt. Eine Grundlegung christlicher Ethik als einer Ethik des Lebens aus dem Geist ist durchaus einsichtig, aber wie weit sie im Rahmen einer allgemeinen Ethik plausibel zu machen ist, wird umstritten bleiben.

Mit diesem Buch scheint der Vf. seine Position aus der Studie "Handeln als Grundbegriff christlicher Ethik" von 1983 modifiziert zu haben, sofern er gerade nicht mehr bei dem Handlungsbegriff die entscheidende Aufgabe sieht. Es ist mit der Dimension des Lebens aus dem Geist sicher eine aus der theologischen Tradition wesentliche (und in der Kirche und Theologie unterbelichtete) Grundbestimmung für eine christliche Ethik herausgearbeitet worden.