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Ausgabe:

Juli/August/1997

Spalte:

729 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Daecke, Sigurd Martin, u. Carsten Bresch [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gut und Böse in der Evolution. Naturwissenschaftler, Philosophen und Theologen im Disput.

Verlag:

Stuttgart: Hirzel u. Wiss. Verlagsges. 1995. 156 S. gr.8 = Edition Universitas. Kart. DM 38,-. ISBN 3-8047-1423-4.

Rezensent:

Günther Pöltner

Der Band befaßt sich mit evolutionärer Ethik, näherhin "mit der evolutionären Ethik im allgemeinen wie mit der ,Evolutionären Ethik' im besonderen" (9). Er beinhaltet von Naturwissenschaftlern (Bresch, Schnakenberg, Stahl), Philosophen (Vollmer, Patzig) und Theologen (Daecke, Riedlinger, Schiwy) stammende Beiträge zum Thema, die naturgemäß hier nicht einmal skizzenhaft dargelegt werden können.

Bresch ist es um eine evolutionsfundierte Ethik zu tun. In der Richtung der Evolution könne man einen "allgemein gültigen Maßstab für menschliches Handeln sehen" (21), vorausgesetzt man sei bereit, "hinter dem Geschehen der Evolution einen Grund - eine causa prima - zu sehen" (22), welch letztere Bresch nicht im Sinne der klassischen Metaphysik, sondern pantheistisch ansetzt (Spinozas Deus sive Natura, Goethes Gott-Natur). Auf diese Weise verfalle man nicht dem naturalistischen Fehlschluß bei der Herleitung ethischer Normen aus der Evolution: "Gut oder positiv ist somit alles, was ,co-evolutionär' ist; böse oder negativ ist alles, was ,contra-evolutionär' ist" (22). Zu berücksichtigen seien jedoch in der Evolu-tion auftretende "Wertwenden", d. h. Umschläge von bislang Entwicklungsförderlichem in Entwicklungsschädliches. Schnakenberg geht es um eine naturwissenschaftliche Ethik, d. h. um Beiträge der Naturwissenschaft zu einer zeitgemäßen Ethik. Er konstatiert zwar das Fehlen einer "lebendigen und verbindlichen religiösen Tradition einer Ethik der Wissenschaft" - die Bibel entstamme einer vorevolutionären Welt, und der Geist von Gen 1,28 stehe hinter dem kritisierten naturwissenschaftlichen Paradigma -, dennoch erscheint ihm "nur die religiöse Letztbegründung von Ethik durch Gottes Willen möglich" (51), wobei er Gottes Allmacht und Liebe trennt und ihrer Komple-mentarität das Wort redet (51). Vollmer versteht seine Evolutionäre Ethik als "naturalistisches Programm, da hier nicht auf außernatürliche, transzendente, religiöse Instanzen zurückgegriffen werden soll" (81). Patzig plädiert für eine rationale Normenbegründung auf dem Boden der kantischen Fragestellung. Für Daecke (,Evolutionäre contra christliche Ethik?') erklärt die heutige Evolutionäre Ethik zwar das Böse, ohne es zu rechtfertigen, aber "versagt dort, wo es um das Gute geht, wo Hand-lungsanweisungen, Entscheidungshilfen, Richtungsanzeigen nötig wären" (116 f.). Doch müsse eine christliche Ethik "in einer in Evolution befindlichen Welt evolutionär sein" (117).

Im abschließenden Beitrag (Schiwy) geht es um "Theodizee im Zeitalter einer evolutiven Weltanschauung" (139). Schiwy plädiert für den in jüngster Zeit von Hans Jonas geäußerten Gedanken der Selbstentmächtigung Gottes und verbindet ihn mit Luthers theologia crucis und Teilhards Gedanken vom kosmischen Christus (Kreator als Evolutor): "Der Kreator, der transzendente Schöpfer, ist auch der Evolutor, die immanente Energie der Evolution, und als solcher den Gesetzen der Evolution unterworfen. Gott als Evolutor ist so mächtig und so machtlos, wie die Evolution selbst mächtig und machtlos ist - nach dem Willen Gottes des Kreators" (145). Damit ist freilich keine Theodizee gegeben: "In der Tat brauchen wir angesichts einer Evolution, die sich einer ohnmächtigen Gottheit verdankt und die in die Verantwortung mächtig-ohnmächtiger Menschen gelegt ist, eine Anthropodizee" (149). - Wenn das als Statement eines christlichen Theologen gemeint sein sollte, wäre nach der biblischen Rechtfertigung der Rede von einem ohnmächtigen Gott zu fragen, weiters mit Karl Rahner nüchtern zu realisieren, daß es einem, dem es dreckig geht und der aus seiner Verzweiflung herauskommen möchte, doch nichts nützt, wenn es Gott genauso dreckig geht. Hinsichtlich der Interdisziplinarität der Beiträge zeigt auch dieser Sammelband ihre bekannte Problematik auf: Wechselweises Attestat des Respekts bei gleichzeitigem Verzicht auf das Stellen der Frage, ob auch zutrifft, was der Partner sagt, und worauf er sich dabei beruft, bzw. wir uns berufen, wenn wir gemeinsam um die gemeinsame Sache denkend bemüht sind. ,Gut und Böse in der Evolution' - leider ist kaum die Rede von der Erfahrung des Guten und des Bösen, kaum wird der Versuch gemacht, einmal des Gesamt-Phänomens des Sittlichen ansichtig zu werden und sich methodisch-kritisch darauf einzulassen, um überhaupt eine Gesprächsbasis zu ge-winnen. Das ist angesichts des zu unterstellenden guten Willens der Partner schade.