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Ausgabe:

Mai/1996

Spalte:

489 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Rhee, Jung Suck

Titel/Untertitel:

Secularization and Sanctification. A Study of Karl Barth's Doctrine of Sanctification and Its Contextual Application to the Korean Church.

Verlag:

Academisch Proefschrift. Amsterdam: VU University Press 1994. XI, 324 S. gr.8o. ISBN 90-5383-380-3.

Rezensent:

Tsutomu Haga

Die vorliegende Monographie, die 1995 von der Freien Universität Amsterdam als Dissertation angenommen wurde, thematisiert die Bedeutung der Heiligungslehre Karl Barths im Angesicht des Säkularisierungsprozesses. Das hohe Problembewußtsein des Vf.s führt zu aufschlußreichen Analysen von Barths Versöhnungslehre. Besonders erwähnenswert ist, daß der Vf. die Probleme der Säkularisierung und die theologischen Entwürfe vom nicht-europäischen Gesichtspunkt her betrachtet. Seine Thesen lassen sich in drei Punkten zusammenfassen.

Erstens: Die heutige Welt erfährt einen Megaprozeß der Säkularisierung. Während die Säkularisierung im Westen als Entchristianisierung (De-Christianization) auftritt, führt sie im Osten zur geistigen Korruption der Menschen durch den weltlichen Geist. Mit B. Rjetvelt behauptet der Vf., daß die Säkularisierung von der Entchristianisierung zu unterscheiden ist. Die Entchristianisierung ist nur eine sekundäre Erscheinung, die das Ergebnis der gebrochenen und verlorenen Beziehungen der modernen Menschen zu Gott ist. Im Gegensatz zu Gogartens positiver Ansicht von der Säkularisierung der Welt sieht der Vf. sie als geistige Bewegung (spiritual movement) der Emanzipation von Gott durch den rebellischen Willen der Welt an.

In diesem Zusammenhang bildet die Wiederentdeckung der Heiligungslehre den springenden Punkt. Denn die Heiligung (sanctification) ist die Gnade Gottes als Gegenbewegung zur Säkularisierung. Die traditionelle Heiligungslehre hatte manchmal die Tendenz, die Heiligung hauptsächlich auf die individuelle Seele zu beschränken. Das Objekt der Heiligung ist aber eigentlich das ganze Geschöpf. Die Heiligungslehre soll auch im kosmischen Sinne erneut entfaltet werden. Die Heiligung ist nichts anderes als die göttliche machtvolle Behandlungsmethode der Entsäkularisieruung der Welt.

Zweitens: In diesem Sinne ist Barths Heiligungslehre sehr erwägenswert. Es besteht das allgemeine Mißverständnis, daß Karl Barth eher Theologe der Rechtfertigung als der Heiligung sei, weil er ausschließlich das sola gratia und das sola fide jedem menschlichen Entwurf der Selbst-Heiligung gegenüber betone. Dieser Eindruck stimmt aber nicht. Vielmehr ist Karl Barth als Dogmatiker der Heiligung zu schätzen. Zwischen Rechtfertigung und Heiligung gibt es eine Verschiebung der Perspektive von Gott zum Menschen, und zwar von Gottes Wendung zum Menschen zu des Menschen Wendung zu Gott. Diese Wendungen haben eine Ordnung. Nach der Sachordnung wendet sich Gott zuerst zu dem Menschen und läßt den Menschen damit sich zu ihm selbst wenden. Nach der Absichtsordnung ist aber die Heiligung zuerst in der Gnadenwahl Gottes intendiert. Die Heiligung ist, teleologisch gesehen, der Rechtfertigung voraus.

Dabei sieht Barth die christologische Basis der Heiligung in der Menschlichkeit Jesu als Menschensohn und die Basis seiner Erhöhung in der Versöhnungslehre. Assumptio carnis als Gottes Menschwerdung eröffnet eine neue Dimension der Weltgeschichte für die Realisierung der neuen Humanität und somit die Heiligung der Menschen. Jesus Christus ist unsere Heiligung und deshalb ist unsere Heiligung eine Lobpreisung der Gnade Jesu Christi, der der heilig-machende Gott und zugleich der heilig-gemachte Mensch ist. Barth verbindet hier, wie allgemein bekannt, die Zwei-Naturen-Lehre mit der Zwei-Stände-Lehre der traditionellen Christologie und nennt die der Heiligung vorausgesetzte Sünde die Trägheit, in der der Mensch die gnädig angebotene Bewegung nach oben ablegt. Der Mensch legt viererlei in seiner Trägheit ab: Jesus Christus als Wort Gottes, seine Mitmenschlichkeit, die Einheit von Leib und Seele, die Anerkenntnis Jesu Christi als des Gekreuzigten und zu-gleich Auferweckten.

Der Vf. ist sich der Problematik bewußt, daß Barths weitere christologische Verbindung der Zwei-Naturen-Lehre mit der Drei-Ämter-Lehre etwas Gekünsteltes hat. Er betont jedoch die Bedeutsamkeit des dritten Aspektes der Versöhnung (Berufung) für die ganze Soteriologie. Während die Rechtfertigung und die Heiligung Barth zufolge das "Was" der Versöhnung sind, ist die Berufung das "Wie" ihrer Anwendung. Die Berufung Gottes spricht den gerechtfertigten und geheiligten Sünder an, sein Bundespartner zu sein. Sie ist ein Ruf zum Teilnehmen an der Geschichte des Gottesreiches. Die Versöhnung hat diese eschatologische, kosmologische und teleologische Dimension in sich. Denn die Versöhnung ist die Wiederherstellung der gebrochenen Bundesrelation und deswegen des Eschaton der Schöpfung. Aus diesem Gesichtspunkt heraus versucht der Vf., den teleologischen Zirkel des Heiligungsprozesses vom individuellen Christsein durch die Bundesgemeinschaft (Kirche) zur ganzen Welt zu erweitern, indem er die Heiligungslehre Barths mit der Berufungslehre verbindet. Es scheint aber hier noch eine präzisere Darstellung nötig zu sein - vor allem in bezug auf die Beziehung von Heiligung und Berufung.

Drittens: Der Vf. ist überzeugt, daß die universale Heiligungslehre Barths einen großen Beitrag zur Überwindung der Säkularisierung in der koreanischen Kirche und Theologie leisten kann. Der Vf. analysiert vier Gründe dafür, warum Barths Theologie bisher mißverstanden worden ist. Barth sei durch koreanische Liberalisten als Berufungsinstanz ausgenutzt worden, Barth habe paradoxerweise als Förderer des religiösen Synkretismus gewirkt, wegen seiner radikalen Negation aller Religion. Barth sei merkwürdigerweise von Anhängern der Minjung-Theologie und anderen radikal-liberalen Strömungen benutzt und in der koreanischen Theologiegeschichte zu früh vorgestellt und beurteilt worden, obwohl seine späteren Bände der Kirchlichen Dogmatik noch nicht veröffentlicht wurden.

Der Vf. betont die Notwendigkeit der Barthschen Heiligungslehre für die koreanische Kirche, die heute stark mit dem Liberalismus konfrontiert ist. Die koreanische Kirche muß Tendenzen der Privatisierung des Christentums, die Polarisierung verschiedener Heiligungsverständnisse der Denominationen und die Säkularisierung mit ihren ethischen Folgeproblemen überwinden. Der Vf. kritisiert, daß die koreanischen Christen aus egoistischen Motiven die Heiligung suchen und somit einen gewissen schamanistischen Segen fordern. Das bedeute den Verlust der theologia crucis der Heiligung im Barthschen Sinne als Tragen des Kreuzes.

Diese interessante Monographie ist nicht nur den Barthforschern zu empfehlen, sondern auch denjenigen, die das Säkularisierungsproblem theologisch tiefer erwägen wollen.